Demenz durch Schock ausgelöst: Ursachen und Umgang

Einleitung:Die Konfrontation mit reaktivierten Traumata von alten Menschen stellt im Arbeitsalltag vieler Angehöriger und Pflegemitarbeitenden im ambulanten und stationären Bereich eine große Herausforderung dar. Diese Begegnungen haben, insbesondere durch Ereignisse wie den Ukraine-Krieg, erheblich zugenommen. Oftmals verdichten sich nicht aufgearbeitete Erlebnisse bei Menschen mit Demenz oder solchen, die Verluste erlitten haben, zu schmerzhaften Erinnerungen. Dieses Verhalten kann Angehörige und Mitarbeitende stark irritieren, besonders wenn sie selbst Fluchterfahrungen haben.

Ursachen für Demenz und Trauma

Schädel-Hirn-Trauma als Risikofaktor

Ein Sturz, ein Verkehrsunfall oder ein Schlag gegen den Kopf - jährlich erleiden viele Menschen ein Schädel-Hirn-Trauma. Selbst leichte Traumata, wie Gehirnerschütterungen, können langfristig das Risiko erhöhen, an Alzheimer oder anderen Demenzformen zu erkranken. Studien zeigen, dass bereits ein leichtes Trauma mit einem deutlich höheren Demenzrisiko einhergeht. Nach einem einzigen gravierenden Trauma steigt das Demenzrisiko um 33 Prozent, nach einer Gehirnerschütterung um 17 Prozent. Bei wiederholten Verletzungen steigt das Risiko rasant.

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine verzögerte psychische Reaktion auf extrem belastende Ereignisse wie schwere Unfälle, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen oder Kriegshandlungen. Betroffene erleben Gefühle von Angst, Schutzlosigkeit, Hilflosigkeit und Kontrollverlust. Typische Symptome sind das Wiedererleben des Traumas durch Erinnerungen, Tagträume, Flashbacks oder Angstträume sowie Vermeidungssymptome wie emotionale Stumpfheit und Teilnahmslosigkeit.

Traumata im Alter

Traumata sind seelische Wunden, die durch Ereignisse ausgelöst werden, welche die persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten eines Menschen übersteigen. Besonders ältere Menschen sind oft durch den Zweiten Weltkrieg, Flucht, Bombennächte, Hunger, Gewalt und den Verlust von Angehörigen traumatisiert. Diese Erlebnisse können sich tief in die Seele einprägen und Jahrzehnte später zur Last werden.

Weitere Risikofaktoren für Demenz

Vaskuläre Demenz

Vaskuläre Demenz ist die zweithäufigste Form der Demenz und entsteht durch Durchblutungsstörungen im Gehirn, die durch Ablagerungen in Blutgefäßen, Blutgerinnsel oder Hirnblutungen verursacht werden können. Diese Störungen führen zu einer Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff, wodurch Hirnzellen geschädigt werden oder absterben.

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Kardiovaskuläre Risikofaktoren

Prof. Dr. Dr. med. weist darauf hin, dass verschiedene Faktoren das Demenzrisiko erhöhen können:

  • Gefäß- und Stoffwechselbelastungen: Bluthochdruck, hohe Blutzucker- oder Cholesterinwerte schädigen die Gefäße und den Stoffwechsel.
  • Entzündungen und Ablagerungen: Sie fördern Entzündungen oder schädliche Ablagerungen im Gehirn.
  • Kognitive Reserve: Eine schwache kognitive Reserve reduziert die Widerstandskraft des Gehirns gegenüber Schäden.

Das gleichzeitige Vorliegen mehrerer Risikofaktoren erhöht das Demenzrisiko deutlich.

Erhöhtes Cholesterin

Erhöhtes Cholesterin, besonders bei Menschen unter 65 Jahren, kann die Ablagerung von schädlichen Proteinen wie Amyloid-beta und verändertem Tau im Gehirn fördern, was typisch für die Alzheimer-Krankheit ist. Da ein hoher Cholesterinspiegel auch das Risiko für Schlaganfälle erhöht, steigt auch die Gefahr für eine vaskuläre Demenz.

Depressionen

Anhaltende Niedergeschlagenheit, sozialer Rückzug und mangelnde Selbstfürsorge belasten nicht nur die Seele, sondern auch das Gehirn.

Bewegungsmangel

Bewegungsmangel beeinträchtigt die Durchblutung des Gehirns, schwächt Nervenzellen und begünstigt den geistigen Abbau. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt mindestens 150 Minuten moderate oder 75 Minuten intensive Bewegung pro Woche.

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Diabetes Typ 2

Typ-2-Diabetes gehört zu den am besten belegten Risikofaktoren für Demenz.

Rauchen

Rauchen erhöht das Risiko für Alzheimer und vaskuläre Demenz durch negative Auswirkungen auf Herz, Gefäße und Gehirn. Es fördert auch Entzündungen und zellschädigende Prozesse im Gehirn.

Bluthochdruck

Bluthochdruck im mittleren Lebensalter erhöht das Risiko für alle Demenzformen, insbesondere für die vaskuläre Demenz. Der Effekt ist besonders stark, wenn der Bluthochdruck über Jahre unbehandelt bleibt.

Übergewicht

Übergewicht, besonders im mittleren Lebensalter, erhöht das Risiko, später an einer Demenz zu erkranken. Besonders problematisches Bauchfett fördert hohen Blutdruck, entzündliche Erkrankungen und belastet die Gefäße.

Alkoholkonsum

Regelmäßiger, hoher Alkoholkonsum führt zum Verlust der grauen Masse im Gehirn und erhöht das Risiko für alle Formen der Demenz. Langjährige schwere Alkoholabhängigkeit kann das Wernicke-Korsakoff-Syndrom auslösen, eine bleibende Gehirnschädigung durch Vitamin-B1-Mangel.

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Soziale Isolation

Soziale Isolation und Einsamkeit können das Risiko erhöhen, an Demenz zu erkranken, da das Gehirn Anregung durch Gespräche, Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten benötigt.

Luftverschmutzung

Feine Partikel aus Abgasen, Industrie, Holz- und Kohleöfen können Entzündungen auslösen, die Gefäße schädigen und langfristig die geistige Gesundheit beeinträchtigen. Vor allem Feinstaub steht im Verdacht, das Demenzrisiko zu erhöhen.

Sehschwäche

Unbehandelte Sehschwächen können das Demenzrisiko erhöhen, da dem Gehirn wichtige Reize verloren gehen.

Umgang mit traumatisierten Menschen mit Demenz

Akute Phase

In der akuten Phase können folgende stützende Maßnahmen hilfreich sein:

  • Die betroffene Person anschauen, ihre Mimik, Gestik und ihr Verhalten aufmerksam beobachten und auf sich wirken lassen.
  • Die aktuelle Situation erfassen und die Angst, Panik und Verzweiflung des Betroffenen mitfühlen.
  • Nicht sofort durch Reden und Handeln unterbrechen und reagieren, sondern sich eigener Angst, Panik und Ohnmacht bewusstwerden; Abstand gewinnen, Ruhe bewahren und nicht mit beruhigenden oberflächlichen Floskeln reagieren.
  • Eigene Gefühle fühlen und sich von dem Entsetzen abgrenzen und sich nicht anstecken lassen.
  • Auf die Schilderung eingehen und beschreiben lassen oder durch einen akut angstreduzierenden Einfall stoppen.
  • Geborgenheitsgefühle und Vertrauen vermitteln, Hände streicheln, in den Arm nehmen, beruhigende Worte finden, Blickkontakt halten und dies durch Mimik, Gestik und Verhalten verstärken.
  • Verbal und nonverbal zeigen und empfinden lassen, dass die betroffene Person nicht allein ist, sondern Unterstützung hat und sie schützt.
  • Sich als Angehörige nicht scheuen, um Hilfe zu bitten, und als Pflegekraft Unterstützung holen.

Nach der akuten Situation

Nach der akuten Situation sollte man überlegen, wie man auslösende Faktoren verringern und welche Umgangsweisen man in Zukunft bei einer ähnlichen akuten Situation einsetzen könnte. Hilfreich ist, dies mit allen Mitarbeitenden oder Angehörigen zu besprechen und Fachleute einzubeziehen. Förderlich kann für Menschen mit Demenz sein, ihre Emotionen durch Malen oder Musik auszudrücken. Bewegung, körperliches Ausagieren oder humorvolle Angebote können sinnvoll sein. Medikamente können zur Verringerung von Angst, Panik und Schlafstörungen hilfreich sein. Rat kann man sich bei Trauma-Ambulanzen oder Selbsthilfegruppen einholen.

Erweiterte Pflegekonzepte

Für die Pflege bedarf es eines erweiterten Pflegekonzeptes, welches die psychohistorische Sichtweise in den Alltag integriert und damit vielfältige Formen des herausfordernden Verhaltens verstehbar macht und Möglichkeiten zu einer sensiblen und kreativen Pflege der Betroffenen und seiner Angehörigen aufzeigt. Erfahrungsgemäß verändert sich die Umgangsweise mit einem kranken und pflegebedürftigen Menschen, wenn man erfährt, was er im Krieg oder in der Nachkriegszeit erlebt hat. Das Verständnis für sein Tun und das Interesse, ihn zu stützen und seine Lebensqualität zu fördern, wird größer.

Trauma-sensibler Umgang

Nicht nachforschen, sondern anerkennen

Es ist nicht die Aufgabe von Pflegekräften, alte Wunden „aufzudecken“ oder biografisch zu durchleuchten. Viel entscheidender ist, das Verhalten des Menschen ernst zu nehmen und ihm das Gefühl zu vermitteln: „Sie sind mit Ihrem Erleben nicht allein.“ Im Alltag heißt das: Pflegehandlungen werden angekündigt und erklärt, Nähe wird nie aufgezwungen.

Trigger vermeiden

Bestimmte Geräusche, Gerüche oder Handlungsabläufe können ungewollt alte Ängste aktivieren. Wer aufmerksam beobachtet, auf welche Situationen ein Mensch besonders sensibel reagiert, kann sein Handeln danach ausrichten.

Ressourcenorientierung

Ein trauma-sensibler Umgang ist immer ressourcenorientiert. Es gilt, nicht auf die Defizite zu starren, sondern die verbliebenen Stärken und Kompetenzen zu fördern.

Klärung und Abgrenzung von Demenz und Traumafolgen

Für eine hilfreiche Begleitung alter Menschen ist die Klärung und Abgrenzung von Demenz im Unterschied zu möglichen Traumafolgen unerlässlich. Unruhe, Verzweiflung, Scham oder sozialer Rückzug sind Verhaltensweisen, die sowohl in der Demenz wie auch im Falle einer Re-Traumatisierung aufscheinen. Wenn die eigentlichen Ursachen nicht erkannt werden, kann dies zu Fehlbehandlungen führen.

Typische Verhaltensweisen bei Demenz

  • Wiederholtes Fragen: Menschen mit Demenz stellen immer wieder dieselbe Frage oder wiederholen die gleichen Sätze oder Handlungen.
  • Bewegungsdrang und Unruhe: Im mittleren Stadium der Demenz zeigen viele Menschen einen ausgeprägten Bewegungsdrang, gepaart mit starker Unruhe.
  • Verwechslung von Realität und Vorstellung: Die eingeschränkte Fähigkeit, Situationen und Wahrnehmungen richtig zu deuten, führt häufig zu Erklärungsversuchen, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen.
  • Verstecken von Gegenständen: Oft verstecken Menschen mit Demenz wichtige Gegenstände aus einem vermeintlichen Sicherheitsbedürfnis heraus.
  • Leben in der Vergangenheit: Mit dem Fortschreiten der Demenz wird die Lebenswelt der Betroffenen weitgehend von den noch vorhandenen Erinnerungen geprägt.
  • Aggressives Verhalten: Auslöser für Wutausbrüche und aggressives Verhalten sind weniger krankheitsbedingte Veränderungen im Gehirn als vielmehr die erschwerten Lebensbedingungen und die daraus resultierende Angst der Betroffenen.

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