Die Betreuung von Menschen mit Demenz erfordert ein tiefes Verständnis für ihre veränderte Wahrnehmung und die daraus resultierenden Bedürfnisse. Pflegetherapeutische Konzepte spielen eine zentrale Rolle, um die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten und zu verbessern. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über verschiedene Ansätze und Methoden, die in der Pflege von Demenzpatienten Anwendung finden.
Einleitung
Angesichts der demografischen Entwicklung und der Zunahme psychischer Erkrankungen im Alter gewinnt die Gerontopsychiatrie zunehmend an Bedeutung. Die Abteilung für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie der LVR-Klinik Bonn behandelt Patient*innen ab 65 Jahren mit einem breiten Spektrum psychiatrischer Erkrankungen. Neben der individuellen Pflegebedarfsermittlung und der Gestaltung des Pflegeprozesses liegt der Fokus auf einer personenzentrierten, ganzheitlichen und aktivierenden Pflege.
Grundlagen der Pflege bei Demenz
Die zwischenmenschliche Kommunikation bildet die Basis für eine qualitativ hochwertige Pflege. Gerade wenn die verbale Kommunikation abnimmt, ist es wichtig, durch non-verbale Methoden in Kontakt zu bleiben. Ziel ist es, den Betroffenen so viel Lebensqualität wie möglich zu erhalten, indem man ihre Bedürfnisse versteht und angemessen darauf reagiert. Maßnahmen, die ein intaktes Erinnerungs- oder Lernvermögen voraussetzen, sind wenig zielführend. Stattdessen sollte man sich auf emotionale Zuwendung konzentrieren.
Bedeutung der Tagesstruktur
Demente Menschen haben oft Schwierigkeiten, ihren Tag selbstständig zu strukturieren. Eine fest vorgegebene Tagesstruktur mit einem Wechsel aus Aktivitäten und Ruhephasen kann ihnen Halt geben. Die Angebote im Tagesprogramm sollten die Konzentrationsfähigkeit und die Möglichkeiten des Einzelnen berücksichtigen.
Soziale Kontakte
Regelmäßige Gruppentreffen befriedigen das Bedürfnis nach sozialen Kontakten und wirken sozialer Isolation entgegen. Wichtig ist das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, die jedoch möglichst klein sein sollte, um Überforderung zu vermeiden.
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Betreuungskonzepte in der Demenzpflege
Aktuell werden in der Pflege hauptsächlich vier Betreuungskonzepte angewendet: Validation, Stimulation der Sinne, Milieutherapie und Realitätsorientierungstraining.
Validation
Das Konzept der Validation wurde von Naomi Feil entwickelt und besteht aus Kommunikationstechniken, die in der Betreuung von dementen Menschen angewendet werden sollen. Der Schlüssel ist dabei das "Für-Gültig-Erklären" der Erfahrung und der subjektiven Wirklichkeit des Betroffenen.
Prinzipien der Validation
- Die subjektive Realität des Betroffenen wird nicht korrigiert oder in Frage gestellt.
- Gefühle werden anerkannt und für wahr erklärt.
- Es wird versucht, in die innere Erlebniswelt des desorientierten Menschen vorzudringen.
Anwendung der Validation
- Informationssammlung: Über mindestens zwei Wochen werden Informationen über die Person, ihr Leben und ihre Zukunftsvorstellungen gesammelt.
- Bestimmung des Stadiums: Anhand der gesammelten Informationen wird das Stadium der Demenz bestimmt.
- Anwendung von Validationstechniken: Die Techniken werden auf das jeweilige Stadium abgestimmt.
Beispiele für Validationstechniken
- Fragen nach dem Extrem (Wie schlimm? Schlimmer? Am besten?)
- Versuchen, das Gegenteil vorstellbar zu machen (Wann war es besser?)
Stimulation der Sinne
Menschen nehmen ihre Umgebung auf Dauer nur wahr, wenn ihre körperlichen Sinne wechselnd gereizt werden. Demenzkranke, die bettlägerig sind oder sich kaum noch bewegen können, sind besonders von Reizverarmung betroffen.
Methoden der Sinnesstimulation
- Taktile Stimulation: Statt eines Waschlappens kann ein Socken verwendet werden, der über die Hand gezogen wird.
- Nestlagerung: Eine gerollte Decke oder ein Stillkissen wird um den Patienten herum drapiert.
Realitätsorientierungstraining (ROT)
Das Realitätsorientierungstraining (ROT) soll verwirrten Menschen mit Demenz wieder Informationen zu Zeit, Person und Raum vermitteln. Es basiert auf lerntheoretischen Grundlagen und soll den Betroffenen helfen, selbstbestimmter und aktiver zu leben.
Elemente des ROT
- Orientierungshilfen: Listen, Uhren, Kalender und Schilder werden genutzt.
- Verbale Orientierung: Die Dementen werden regelmäßig über Ort, Zeit und Person informiert.
- Klare Tagesstruktur: Der zeitliche Ablauf sollte grundsätzlich eingehalten werden.
- Gruppensitzungen: In Gruppen werden zeitliche, räumliche und situative Orientierung geübt.
Kritik am ROT
Es wird kritisiert, dass den Erkrankten durch ROT ihr gesundheitlicher Zustand kontinuierlich vor Augen geführt werde, was Ängste und Depressionen auslösen könne.
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Milieutherapie
Die Milieutherapie betrifft die demenzgerechte Gestaltung der Umwelt der Erkrankten. Ein demenzgerecht gestaltetes Umfeld entfaltet dauerhaft seine therapeutische Wirkung und kann das Wohlbefinden steigern und herausforderndes Verhalten verringern.
Weitere pflegetherapeutische Ansätze
Neben den genannten Konzepten gibt es eine Vielzahl weiterer Ansätze, die in der Demenzpflege Anwendung finden.
Basale Stimulation
Die basale Stimulation bietet eine Basis für non-verbale Kommunikation durch das Auslösen verschiedener Reize, um alle fünf Sinne anzusprechen. Sie hat insbesondere in der Pflege von älteren Menschen eine große Bedeutung, da sie die Eigenwahrnehmung und die Kommunikationsfähigkeit verbessern kann.
Methoden der basalen Stimulation
- Somatische Stimulation: Stimulation des Körpers durch unterschiedlichen Druck, wechselnde Wassertemperaturen oder verschiedene Materialien bei der Körperpflege.
- Olfaktorische und gustatorische Stimulation: Wecken von Erinnerungen durch Gerüche und Geschmäcker.
- Akustische und visuelle Reize: Ansprechen des Hör- und Sehsinns.
Bobath-Konzept
Das Bobath-Konzept ist ein Ansatz, der auf die Förderung der Bewegungsfähigkeit und die Verbesserung der Körperwahrnehmung abzielt. Es basiert auf den Erfahrungen von Berta und Karel Bobath im Umgang mit Patienten mit neurologischen Erkrankungen.
Prinzipien des Bobath-Konzepts
- Beurteilung des Muskeltonus und der Bewegungsmuster des Patienten.
- Förderung der Eigenaktivität des Patienten.
- Anpassung der Therapie an die individuellen Bedürfnisse des Patienten.
Kinaesthetics
Kinaesthetics bedeutet, in Beziehung zu treten mit sich selbst und mit anderen. Es geht darum, die eigenen Bewegungsmuster bewusst wahrzunehmen und die Bewegungsabläufe der Patienten zu unterstützen.
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Prinzipien der Kinaesthetics
- Bewusste Wahrnehmung der eigenen Bewegung.
- Unterstützung der Eigenaktivität des Patienten.
- Anpassung der Unterstützung an die Bedürfnisse des Patienten.
Affolter-Modell
Das Affolter-Modell ist ein Ansatz, der auf die Förderung der Wahrnehmung und der Interaktion mit der Umwelt abzielt. Es wird häufig bei Menschen mit Entwicklungsstörungen eingesetzt.
Prinzipien des Affolter-Modells
- Förderung der Wahrnehmung durch taktile und kinästhetische Reize.
- Unterstützung der Interaktion mit der Umwelt.
- Anpassung der Therapie an die individuellen Bedürfnisse des Patienten.
Psychotherapie und Verhaltenstherapie
Psychotherapie und Verhaltenstherapie können Menschen mit Demenz helfen, mit der Diagnose umzugehen und einen guten Umgang mit der Erkrankung im Alltag zu finden.
Kognitives Training
Das Denkvermögen kann trainiert werden. Kognitives Training und Übungen für das Gedächtnis können Demenzerkrankten helfen, ihre verbliebenen Fähigkeiten einzusetzen.
Kunsttherapie
Zeichnen, Malen und Gestalten sind nicht nur eine Beschäftigung, sondern auch eine Ausdrucksform. Sie erfordern motorisches Geschick, Konzentration und eine Auseinandersetzung mit eigenen Erinnerungen und Emotionen.
Musiktherapie
Aktive und rezeptive Musiktherapie können das Wohlbefinden steigern und Erinnerungen wecken.
Selbsterhaltungstherapie (SET)
Die Selbsterhaltungstherapie (SET) zielt darauf ab, das Selbstbild und die Wahrnehmung von sich selbst als Person zu erhalten.
Logopädie
Logopädie kann bei Wortfindungsproblemen, schlechter Aussprache und Schluckstörungen helfen.
Sensorische Therapie (Snoezelen)
Beim Snoezelen geht es darum, einer Person möglichst vielfältige sinnliche Wahrnehmungen zu ermöglichen.
Tiergestützte Therapie
Der Umgang mit Tieren kann die sinnliche Wahrnehmung und die Sozialfähigkeit der demenzerkrankten Person ansprechen.
Medikamentöse Therapie
Bei allen Formen der Demenz sind nicht-medikamentöse Therapien sehr wichtig. In einigen Fällen kann jedoch auch eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein.
Antidementiva
Aktuell sind in Deutschland vier Antidementiva zugelassen, davon drei Acetylcholinesterase-Hemmer und ein Glutamat-Antagonist. Sie können positive Effekte vor allem bei Alzheimer-Demenz zeigen.
Medikamente bei vaskulärer Demenz
Bei vaskulärer Demenz sind Antidementiva nicht sinnvoll. Blutdrucksenkende und blutverdünnende Medikamente können jedoch eine sinnvolle Maßnahme gegen die Durchblutungsstörungen darstellen.
Antidepressiva
Antidepressiva wirken stimmungsaufhellend und können bei Depressionen, die als Begleiterscheinung von Demenz auftreten, eingesetzt werden.
Neuroleptika
Neuroleptika können bei Halluzinationen und starker innerer Unruhe eingesetzt werden. Allerdings ist ihre Wirksamkeit oft sehr beschränkt.
Schmerzmittel
Demenz ist keine an sich schmerzhafte Krankheit. Aber sie kann dazu führen, dass Betroffene ihre eigenen Schmerzen nicht mehr als solche identifizieren können. In solchen Fällen können Schmerzmittel eingesetzt werden.
Bewegung und Aktivierung
Bewegung ist ein unentbehrlicher Bestandteil unseres Lebens und wirkt sich positiv auf die Gedächtnisleistung, den Schlaf und die Tagesform aus.
Bedeutung der Bewegung
- Erhalt der Körperkraft und Vermeidung von Sturzgefahr.
- Vorbeugung von Dekubitus.
- Förderung des aktiven Umgangs mit der Umwelt.
- Verbesserung der Gedächtnisleistung und des Orientierungsvermögens.
- Erhalt des Körpergefühls und der Selbstbestimmung.
Maßnahmen zur Bewegungsförderung
- Aktivierende Angebote wie Tanzen oder gemeinsame Spaziergänge.
- Ergotherapie in der Gruppe oder alleine.
- Aktivierende pflegetherapeutische Maßnahmen wie Basale Stimulation, Kinästhetik, Bobath oder MiS Micro-Stimulation®.
Angehörigenberatung und -schulung
Demenz ist eine Erkrankung, die immer auch das soziale Umfeld des Erkrankten betrifft. Angehörige und enge Freunde sollten so früh wie möglich ins Boot geholt werden und lernen, was Demenz bedeutet, welche Symptome auftreten können und wie sie am besten damit umgehen.
Rechtliche Aspekte
Die Diagnose Demenz wirft auch rechtliche Fragen auf. Eine Patientenverfügung stellt sicher, dass die medizinischen Wünsche des Betroffenen auch in unerwarteten Situationen respektiert werden.
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