Die komplexe Beziehung zwischen Medikamenteneinnahme und Demenzrisiko ist ein Thema von wachsender Bedeutung, insbesondere angesichts der alternden Bevölkerung und des steigenden Medikamentenkonsums. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte dieser Thematik, von der Rolle bestimmter Medikamentengruppen bis hin zu den Herausforderungen bei der Diagnose und Behandlung von medikamenteninduzierter Demenz.
Anticholinergika und das erhöhte Demenzrisiko
Eine große britische Studie mit über 284.000 Patienten ab 55 Jahren hat gezeigt, dass die Einnahme von Anticholinergika das Risiko für eine Demenz deutlich erhöhen kann. Diese Medikamentengruppe wird häufig gegen Parkinson-Krankheit, Psychosen, Depressionen, Epilepsien und Blasenschwäche eingesetzt. Anticholinergika unterdrücken die Wirkung von Acetylcholin im Nervensystem, was zur Entspannung der glatten Muskulatur führt. Da Acetylcholin jedoch auch im Gehirn als Botenstoff bei der Signalübertragung zwischen Nervenzellen aktiv ist, können Gedächtnisstörungen eine häufige Nebenwirkung dieser Medikamente sein.
In Deutschland wurden im Jahr 2018 mehr als 580 Millionen Tagesdosen von niedergelassenen Ärzten an Kassenpatienten verordnet und über Apotheken abgegeben. Einige dieser Mittel sind sogar ohne Rezept erhältlich. Die Studie von Carol Coupland von der Universität Nottingham analysierte Patientendaten aus einer britischen Datenbank, wobei 56 Medikamente mit starker anticholinerger Wirkung berücksichtigt wurden. Die Ergebnisse zeigten ein allgemein erhöhtes Demenzrisiko bei der Einnahme von Anticholinergika, insbesondere bei Antidepressiva, Parkinsonmitteln und Blasenmedikamenten. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Studie nicht klären konnte, ob die Demenz tatsächlich durch die Medikamente verursacht wurde oder durch Eigenheiten der Patientengruppen bedingt war.
Die Herausforderung der Medikamententoxizität im Alter
Chronische kognitive Beeinträchtigungen aufgrund von Medikamententoxizität sind ein bedeutendes Problem im Kontext demenzieller Syndrome bei älteren Menschen. Ältere Menschen haben die größte Krankheitsbelastung, verbrauchen die meisten Medikamente und sind anfälliger für Nebenwirkungen. Mit zunehmendem Alter steigt der Medikamentenkonsum exponentiell, was zu einem Dilemma zwischen Multimorbidität und Vulnerabilität führt. Je älter ein Patient ist, desto mehr Medikamente nimmt er durchschnittlich ein und desto sensibler reagiert er auf diese Medikamente.
Diese Problematik erschwert es, demenzielle Zustände als mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu erkennen. Faktoren wie Überforderung oder Zeitmangel können dazu beitragen, dass der Übergang von einem medikamentös erzeugten Delir zur Demenz unbemerkt bleibt. Die Unterscheidung zwischen einem vorübergehenden Delir und einer chronischen Demenz ist oft schwierig, und es gibt Hinweise darauf, dass chronische Delirzustände bei älteren Menschen fälschlicherweise als Demenz diagnostiziert werden können.
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Medikamente als potenzielle Auslöser von Demenz
Neben Anticholinergika gibt es auch andere Medikamente, die im Verdacht stehen, Demenz auslösen zu können. Der Anästhesist Zain Hasan wies darauf hin, dass Opiate wie Morphin, Benzodiazepine und Omeprazol mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden sein könnten. Es ist wichtig zu beachten, dass die meisten dieser Medikamente direkt auf das Gehirn wirken und die Blut-Hirn-Schranke überwinden.
Funktionelle Einschränkungen des Gehirns können nicht nur durch normale Alterungsprozesse oder Erkrankungen, sondern auch durch verschiedene Arzneimittel hervorgerufen werden. Wenn bei älteren Menschen die Gedächtnisfunktion nachlässt oder sich ihr Denken verlangsamt, muss nicht immer eine Demenz dahinterstecken. Mögliche Auffälligkeiten einer kognitiven Leistungsminderung sollten immer fachärztlich abgeklärt werden, um Klarheit über die Ursache der Beschwerden zu bekommen.
Polypharmazie und ihre Auswirkungen
Mehr als die Hälfte der über 70-Jährigen nimmt regelmäßig fünf oder mehr Medikamente ein. Nicht selten werden mehr Mittel eingenommen als es nachvollziehbare Diagnosen gibt, weil Ärzte Nebenwirkungen von Arzneimitteln als eigenes Problem einschätzen und wiederum medikamentös therapieren, oder weil Patienten zusätzlich Selbstmedikation betreiben. Studien deuten auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Demenz und Polypharmazie hin: Je mehr Medikamente eingenommen werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Demenz(-Diagnose).
In vielen Studien werden Demenz und Delir als verwandte und verwobene Phänomene kognitiver Beeinträchtigung behandelt. Einige medizinische Aufsätze weisen explizit darauf hin, dass demenzielles Verhalten (inklusive Vergesslichkeit, Unruhe oder Aggressivität) häufig einem dahinter stehenden Delir geschuldet sein mag, welches durch Medikamente möglicherweise erst erzeugt oder vertieft und chronisch wird.
Lösungsansätze und Empfehlungen
Angesichts der komplexen Zusammenhänge zwischen Medikamenteneinnahme und Demenzrisiko ist es wichtig, den Medikamentenkonsum kritisch zu hinterfragen und individuelle Therapieansätze zu entwickeln.
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- Sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung: Angehörige der Gesundheitsberufe sollten die Risiken von Medikamenten sorgfältig gegen die Vorteile abwägen und alternative Behandlungen in Erwägung ziehen.
- Regelmäßige Medikamentenüberprüfung: Bei älteren Patienten sollte die Medikamentenliste regelmäßig überprüft werden, um mögliche Wirkstoffe zu identifizieren, welche die Kognition einschränken und ein Delir verursachen können.
- Vermeidung von Polypharmazie: Es sollte darauf geachtet werden, die Anzahl der eingenommenen Medikamente so gering wie möglich zu halten und unnötige Übermedikation zu vermeiden.
- Aufklärung der Patienten: Patienten sollten über die möglichen Risiken und Nebenwirkungen ihrer Medikamente aufgeklärt werden und ihre Bedenken mit ihrem Arzt besprechen können.
- Berücksichtigung von Positiv- und Negativlisten: Listen wie die FORTA-Klassifikation können bei der Auswahl geeigneter Medikamente für ältere Patienten hilfreich sein.
- Nicht-medikamentöse Therapieansätze: Bei Schlafstörungen und anderen Beschwerden sollten auch nicht-medikamentöse Therapieansätze in Betracht gezogen werden.
Herz-Kreislauf-Medikamente und Demenzprävention
Interessanterweise gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Herz-Kreislauf-Medikamente das Risiko für eine Demenz senken könnten. Eine schwedische Studie ergab, dass eine längerfristige Einnahme von Diuretika, Beta-Blockern, Kalziumkanalblockern, ACE-Hemmern und Lipidsenkern mit einem verringerten Demenzrisiko verbunden war. Diese Medikamente wirken sich positiv auf das Gefäßsystem aus, was möglicherweise die Entwicklung von Demenz-Erkrankungen verhindern kann. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Herz-Kreislauf-Medikamente nicht zur Demenz-Vorbeugung eingenommen werden sollten, sondern nur bei entsprechender Indikation.
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