Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung, die durch den Verlust kognitiver Fähigkeiten gekennzeichnet ist. Weltweit sind etwa 55 Millionen Menschen von Demenz betroffen, und jedes Jahr kommen fast 10 Millionen neue Fälle hinzu. Obwohl das Alter einer der Hauptrisikofaktoren für Demenz ist, deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass auch die Ernährung eine wichtige Rolle spielen könnte. Insbesondere der Konsum von Zucker steht im Verdacht, das Demenzrisiko zu erhöhen. Dieser Artikel beleuchtet den aktuellen Stand der Forschung zum Thema "Demenz, Ernährung, Zucker und deren Zusammenhang".
Wie Zucker das Gehirn beeinflusst
Unser Gehirn benötigt Zucker (Glukose), um richtig zu funktionieren. Es beansprucht im Normalbetrieb etwa 75 Prozent der in allen Körperzellen verbrauchten Glukose. Allerdings kann ein Übermaß an Zucker im Blut schädliche Auswirkungen auf das Gehirn haben.
Schädigung der Hirngefäße
Hohe Blutzuckerspiegel können die Hirngefäße schädigen und zu Ablagerungen an den Gefäßwänden führen. Diese Ablagerungen verengen die Gefäße und beeinträchtigen die Blutzufuhr zum Gehirn, wodurch die Versorgung der Gehirnzellen mit Nährstoffen gedrosselt wird. Dies kann zu verschiedenen Einschränkungen führen, je nachdem, welcher Teil des Gehirns unterversorgt ist. Am Ende kann sogar eine vaskuläre Demenz resultieren, die nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste Ursache für Demenz darstellt. In Deutschland erkranken jährlich etwa 250.000 Menschen an einer Demenz, davon 15 bis 25 Prozent an einer solchen gefäßbedingten Demenz. Das sind allein zwischen 40.000 und 60.000 neu Erkrankte pro Jahr.
Beeinträchtigung der Kognition durch Glykosaminoglykane
Komplexe Zuckermoleküle im Gehirn, sogenannte Glykosaminoglykane, können möglicherweise auch direkt die geistige Leistung einschränken. Neue Daten deuten darauf hin, dass sie die Funktion der Synapsen, den Schaltstellen zwischen den Nervenzellen, und somit die neuronale Plastizität beeinträchtigen. Die neuronale Plastizität ist die Fähigkeit von Nervenzellen und Gehirnarealen, sich anzupassen und bei Bedarf zu erweitern - eine wichtige Eigenschaft für die kognitive Entwicklung und das Lernen. Bereits vor 20 Jahren hatte eine Studie darauf hingedeutet, dass eine fett- und zuckerreiche Kost die neuronale Plastizität stört. Langfristig beeinträchtigte das auch die Funktion unseres Gedächtnisareals im Gehirn, den Hippocampus.
Indirekte Schädigung durch Diabetes mellitus
Es gibt auch eine indirekte hirnschädigende Wirkung von zu hohem Zuckerkonsum auf das Gehirn über einen Diabetes mellitus. Seit den 90er Jahren ist bekannt, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes ein deutlich erhöhtes Demenzrisiko aufweisen. Man nimmt an, dass der Glukose-Stoffwechsel auch in den Neuronen gestört sein und so zur Entstehung der Alzheimer-Erkrankung beitragen könnte.
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Insulinmangel im Gehirn
Bei Alzheimer-Patienten wurden niedrige Insulinspiegel im Gehirn festgestellt. Insulin schützt die für Erinnerungen zuständigen Zellen im Gehirn vor Schäden durch die alzheimertypischen Ablagerungen. Gleichzeitig erhöht sich durch die beschädigten Insulinrezeptoren die Insulinresistenz der betroffenen Nervenzellen. Bei Alzheimer besteht im Gehirn also nicht nur ein Insulinmangel - ähnlich wie bei Diabetes Typ 1. Liegt im Körper ein chronisch erhöhter Insulinspiegel vor (Hyperinsulinämie), dann wird dadurch die Blut-Hirn-Schranke so geschädigt, dass nicht mehr ausreichend Insulin ins Gehirn gelangen kann.
Entzündungsprozesse und oxidative Stress
Eine Studie der University of Washington überprüfte den Zusammenhang zwischen Zucker bzw. Insulin und Alzheimer an Freiwilligen. Ihr Blutzuckerspiegel blieb dadurch normal, während gleichzeitig ein so hoher Insulinspiegel aufgebaut wurde, der jenem eines Diabetikers mit Insulinresistenz entspricht. Entzündungsvorgänge wurden in Gang gesetzt. Der F2-Isoprostan-Spiegel stieg. F2-Isoprostan ist eine Substanz, die in besonders hohen Mengen im Gehirn von Alzheimerpatienten vorkommt. F2-Isoprostan entsteht als Folge von oxidativem Stress, also dann wenn Fette (die Arachidonsäure) durch Einwirkung freier Radikale oxidieren. Die Menge der typischen Alzheimer-Ablagerungen nahm zu.
Aktuelle Forschungsergebnisse zum Zusammenhang zwischen Zucker und Demenz
Studie des Neatic-Teams
Eine wissenschaftliche Studie des Neatic-Teams untersuchte, ob Zucker aus verschiedenen Lebensmitteln mit dem Demenzrisiko verbunden ist. Die Studie umfasste über 186.000 Menschen. Die Ergebnisse zeigten, dass bei freien Zuckern aus Getränken und überraschenderweise auch bei intrinsischen Zuckern das Demenzrisiko stetig anstieg, wenn sie mehr als 5 % bzw. 10 % der Gesamtenergie ausmachten. Für freie Zucker aus festen Lebensmitteln konnte dagegen kein signifikanter Zusammenhang dargestellt werden.
Weiterhin wurden in der Studie die freien Zucker in vier Getränkekategorien analysiert:
- Bei Softdrinks wurde ab einem Konsum von 1 %E (ca. 5 g freie Zucker oder 50 ml Cola) ein stetiger Anstieg des Demenzrisikos beobachtet.
- Bei Saft lag das statistisch niedrigste Risiko bei 2 %E (ca. 10 g freie Zucker oder 125 ml Orangensaft) mit einem um 12 % erhöhten Demenzrisiko bei Nichtkonsumenten.
- Bei gezuckerten Milchgetränken stieg das Erkrankungsrisiko ab 0 %E kontinuierlich an und war bei 4 %E (ca.
Diese Studie unterstützt das Vorgehen, freie Zucker zu begrenzen. Der Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Demenz ist besonders deutlich für freie Zucker aus Getränken und hierbei insbesondere für Softdrinks und gezuckerte Milchgetränke. Im Gegensatz zu Befunden in derselben Kohorte zu Mortalität und Depression gibt es bei Demenz auch erstmals einen Zusammenhang für intrinsische Zucker mit dem Erkrankungsrisiko.
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Forschungsergebnisse des UKR
Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) haben herausgefunden, dass eine zuckerarme Ernährung auch unabhängig vom Blutzuckerspiegel positive Auswirkungen auf die langfristige Leistungsfähigkeit des Gehirns haben könnte. Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass insbesondere Milchzucker die Neurodegeneration unseres Gehirns beschleunigen kann.
Das Forscherteam stellte fest, dass sich Milchzucker an Eiweiße anlagert und auf diese Weise die Isolierschicht von Zellen verändert, was zu einer schnelleren Abnutzung und Alterung von Gehirnzellen führt. Derartige Prozesse können einer Demenz wie der Alzheimer-Erkrankung den Weg bereiten.
Die Rolle der Mikroglia im Gehirn
Untersuchungen des DZNE, der LMU München und des LMU Klinikum München, die im Fachjournal „Science Translational Medicine“ veröffentlicht wurden, haben neue Erkenntnisse über die Rolle der Mikroglia im Gehirn und deren Zusammenhang mit dem Glukoseumsatz erbracht.
Mikroglia und Energieverbrauch
Die Lehrbuchmeinung ist, dass das Signal aus der FDG-PET hauptsächlich von den Nervenzellen kommt, denn sie gelten im Gehirn als die größten Energieverbraucher. Die Forscher haben jedoch herausgefunden, dass das Signal tatsächlich überwiegend von den Mikroglia herrührt. Das gilt zumindest im Frühstadium einer neurodegenerativen Erkrankung, wenn die Nervenschäden noch nicht so weit fortgeschritten sind. Hier sehen wir, dass die Mikroglia große Mengen an Zucker aufnehmen. Dies scheint notwendig zu sein, um ihnen eine akute, sehr energieaufwändige Abwehrreaktion zu ermöglichen. Diese kann zum Beispiel gegen krankheitsbedingte Proteinaggregate gerichtet sein.
Implikationen für die Demenzforschung
Die Ergebnisse sind von großer Bedeutung für die Interpretation von Hirnscans, die die Verteilung von Glukose im Gehirn darstellen (FDG-PET). Sie lassen zudem manche, bislang rätselhafte Beobachtungen in neuem Licht erscheinen. Bestehende Diagnosen stellt dies aber nicht in Frage. Es geht vielmehr um ein besseres Verständnis der Krankheitsmechanismen.
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Haass zieht aus den aktuellen Ergebnissen weitere Schlüsse: „In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass die Mikroglia bei Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen eine maßgebliche, schützende Rolle spielen. Es wäre sehr hilfreich, wenn man Aktivität und Reaktion dieser Zellen etwa auf Medikamente nicht-invasiv überwachen könnte. Insbesondere um festzustellen, ob eine Therapie anschlägt."
Ultrahochverarbeitete Lebensmittel und Demenz
Große Studien legen nahe, dass zwischen ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln (UPF) und Demenz ein Zusammenhang besteht. UPF sind Lebensmittel und Getränke, bei deren Herstellung die eingesetzten Rohstoffe einem umfangreichen industriellen Verarbeitungsprozess unterzogen wurden, und die in der Regel eine Vielzahl von zusätzlichen Zutaten, insbesondere Zusatzstoffe (z.B. Aromen, Konservierungsmittel, Farbstoffe) und energiereiche Inhaltsstoffe mit geringer Essenzialität (gesättigte Fettsäuren, Zucker), enthalten.
Ein systematisches Review anhand einer Metaanalyse zeigte beispielsweise im Vorjahr, dass ein hoher UPF-Konsum mit einem 44 % höherem Demenzrisiko (jedweder Ursache) einhergeht. Eine aktuelle Analyse der Framingham-Kohorte untersuchte den Einfluss von UPF in den mittleren Lebensjahren (bei Menschen unter 68 Jahre zu Beginn der Erhebung) auf das spätere Alzheimer-Risiko. Sie kam zu dem Ergebnis, dass diejenigen, die im Durchschnitt über 12 Jahre lang mehr als 10 Portionen verarbeitete Lebensmittel am Tag konsumierten, ein 2,7-fach erhöhtes Alzheimer-Risiko hatten. Das Risiko stieg mit der Menge des Konsums an: Jede Portion ultraverarbeiteter Lebensmittel pro Tag ging nach dieser Zeitspanne im Durchschnitt mit einem um 13 % erhöhtem Alzheimer-Risiko einher.
Wie lässt sich dieser Zusammenhang erklären? Es werden verschiedene Wege vermutet, wie hochprozessierte Nahrung zu einer Demenz beitragen kann:
- Zum einen gibt es den indirekten Zusammenhang via Übergewicht und den Folgekrankheiten Bluthochdruck und Diabetes, die mit einem höheren Demenzrisiko einhergehen.
- Daneben geht man von einem Mechanismus aus, der über das Darmmikrobiom vermittelt wird: Prozessierte Lebensmittel enthalten viele gesättigte Fette, Transfette, raffinierte Kohlenhydrate, Salz und wenig Ballaststoffe, was die mikrobielle Vielfalt im Darm verändern kann. Wir wissen, dass diese Veränderungen via Darm-Hirn-Achse krankmachende Veränderungen im Gehirn nach sich ziehen können.
- Auch einzelne Stoffe wie künstliche Aromen oder andere Zusatzstoffe könnten direkt neurotoxisch wirken und die Entstehung einer Demenz begünstigen.
Präventive Maßnahmen und Empfehlungen
Um das Demenzrisiko zu senken, empfiehlt es sich, einen bewussten und möglichst geringen Zuckerkonsum anzustreben. Hier sind einige konkrete Maßnahmen und Empfehlungen:
- Reduzierung des Konsums von freien Zuckern: Insbesondere der Konsum von zuckerhaltigen Getränken wie Softdrinks und gezuckerten Milchgetränken sollte reduziert werden.
- Vermeidung von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln: Der Konsum von Fast Food, Fertiggerichten und anderen stark verarbeiteten Lebensmitteln sollte auf ein Minimum begrenzt werden.
- Ausgewogene Ernährung: Eine frische, Salat-, Gemüse- und Ballaststoff-betonte Ernährungsweise kann dazu beitragen, das Gehirn vor vielen Krankheiten zu schützen.
- Körperliche Aktivität: Regelmäßige Bewegung und ein aktiver Lebensstil sind wichtige Präventionsmaßnahmen zur Gesunderhaltung des Gehirns.
- Vermeidung von schädlichen Substanzen: Der Konsum von Alkohol, Nikotin und anderen Drogen sollte vermieden werden.
- Gesunder Schlaf: Ausreichend Schlaf ist wichtig für die Regeneration des Gehirns.
- Steuer auf zuckerhaltige Getränke: Die Einführung einer Zuckersteuer nach dem Vorbild von Großbritannien könnte dazu beitragen, den Zuckerkonsum in der Bevölkerung zu senken.
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