Demenz: Ursachen für Schreien bei Berührung und angemessene Reaktionen

Im Umgang mit Demenz treten oft herausfordernde Verhaltensweisen auf, die für Angehörige und Betreuungskräfte belastend sein können. Dazu gehören unter anderem das Verlegen von Gegenständen, Hin- und Herlaufen, nächtliche Unruhe, lautes Schreien, Aggressionen, Teilnahmslosigkeit oder anhängliches Verhalten. Diese Verhaltensweisen sind oft auf nicht befriedigte Grundbedürfnisse oder unverarbeitete Erlebnisse zurückzuführen. Negative Gefühle wie Wut und Trauer, die aus Belastungen und Herausforderungen entstanden sind, können lange unterdrückt werden und im Rahmen einer Demenz nicht mehr verdrängt werden. Empathie und Geduld sind daher unerlässlich, um die Betroffenen zu verstehen.

Schreien als Kommunikationsmittel

Laute, herzzerreißende und plötzliche Schreie können erschreckend wirken. Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz ist Schreien jedoch oft eine Begleiterscheinung und für den Betroffenen die einzige Möglichkeit, sich mitzuteilen. Wenn verbale Äußerungen nicht mehr möglich sind, fallen Demenzkranke oft in kindliche Muster zurück. Die Schreie sind Hilferufe nach Zuwendung und Umsorgung. Es ist wichtig, nicht aus Angst zurückzuschrecken, sondern Nähe zu schenken. Körperliche Berührungen wie Streicheln, Liebkosungen und sanftes Zusprechen können beruhigend wirken. Eine Spezialschaukel oder Hängematte kann hier ebenfalls hilfreich sein.

Aggressivität als Begleiterscheinung

Bei etwa 50 Prozent aller Demenzerkrankungen treten aggressive Verhaltensweisen als Begleiterscheinung auf. Veränderungen in den Gehirnregionen können zu einer Einschränkung der Impulskontrolle führen. Stressfaktoren, die zu Aggressivität führen können, sind eine veränderte Wohnumgebung, störende Geräusche oder eine respektlose und gestresste Umgangsweise mit dem Betroffenen.

Demenzverlauf und Aggressionen

Der Verlauf einer Demenz lässt sich in drei Stufen unterteilen. Bei einer leichten Demenz zeigen sich Einschränkungen im Alltag, wie das Vergessen von Gegenständen oder Orientierungsstörungen. Bei einer mittelschweren Demenz ist eine selbstständige Lebensführung nicht mehr möglich, und oft kommen Aggressionen als Begleiterscheinung hinzu. Eine schwere Demenz führt häufig zum Verlust von Sprache und Beweglichkeit. Es ist wichtig zu beachten, dass die Erkrankung nicht immer nach diesen drei Stufen verläuft und bei einigen Betroffenen keine Aggressionen auftreten.

Ursachenforschung und Konfliktvermeidung

Oft treffen die Aggressionen die Angehörigen, da sie die meiste Zeit mit dem Betroffenen verbringen. Als Angehöriger ist es wichtig, sich emotional von dem aggressiven Verhalten zu distanzieren, um die Situation zu deeskalieren. Eine typische Konfliktsituation, die zu aggressivem Verhalten führt, ist das Gefühl, unnütz zu sein. Daher entwickeln viele Demenzkranke den Drang, das Haus zu verlassen, um zur Arbeit zu gehen. Um Konflikten vorzubeugen, sollte ein strukturierter Tag mit ausreichend Aktivitäten geschaffen werden. Feste Tagesstrukturen und Auslastung verhindern Langeweile und Aggressivität. Auch das Thema Essen birgt Konfliktpotenzial. Verständinis und Berücksichtigung der Vorlieben des Demenzkranken sind hier wichtig.

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Deeskalation in Konfliktsituationen

Wenn eine Konfliktsituation eintritt, ist es wichtig, ruhig zu bleiben und die Situation zu analysieren. Sprechen Sie langsam, deutlich und ruhig. Eine tiefe Stimmlage kann beruhigend wirken. Sollte sich die Situation nicht beruhigen, verlassen Sie die Situation und sichern Sie zu, dass Sie gleich wiederkommen. Bei Demenz kann das Verlassen des Zimmers dazu führen, dass der Betroffene sich nicht mehr an den Streit erinnert.

Umgang mit Aggressionen und Schreien

Demenz ist eine Erkrankung, und aggressives Verhalten ist ein Krankheitssymptom. Nehmen Sie das Verhalten nicht persönlich und versuchen Sie, mental Abstand zu gewinnen. Trennen Sie im Kopf die Erkrankung von der eigentlichen Person und verlieren Sie nicht den Bezug zum Betroffenen. Mit Wertschätzung und Körperkontakt kann die Situation beruhigt werden. Achten Sie auf Angemessenheit und vermeiden Sie Übergriffigkeit. Versetzen Sie sich in die Situation des Demenzkranken hinein, um die Ursachen für Aggressionen oder Schreien nachzuvollziehen. Vermeiden Sie Auslöser, um zukünftige Ausbrüche zu verhindern.

Nonverbale Kommunikation

Mit Fortschreiten der Demenz rückt nonverbale Kommunikation in den Vordergrund. Achten Sie auf die Körpersprache der demenzerkrankten Person. Das Deuten auf einen Gegenstand kann darauf hinweisen, dass der Betroffene Angst davor hat oder frustriert ist, dass er diesen nicht greifen kann. Die Begegnung mit dem eigenen Spiegelbild kann verwirren. Ablenkung mit anderen Aktivitäten kann hilfreich sein, von einem Spaziergang bis zum gemeinsamen Musikhören.

Bedürfnisse erkennen und helfen

Wenn der Senior plötzlich beginnt zu weinen oder zu schreien, vergewissern Sie sich, dass er nicht Hunger und Durst hat oder zur Toilette muss. Versetzen Sie sich in die Lage des Demenzkranken und seien Sie jederzeit behilflich, auch wenn es schwierig ist. Sprechen Sie über Ihre Belastung mit anderen Familienangehörigen, Beratungsstellen oder anderen Betroffenen.

Medikamentöse Behandlung und Unterbringung im Pflegeheim

Sofern keine andere Option mehr bleibt und das Schreien und die Aggressionen nicht aufhören, können Sedativa und Antidepressiva verschrieben werden. Häufig verschriebene Medikamente bei Aggressionen sind Neuroleptika wie Risperidon und Haloperidol. Die Verschreibung sollte möglichst durch einen Facharzt erfolgen. Wenn weder Sie noch eine Betreuungskraft in der Lage sind, mit den herausfordernden Verhaltensweisen des Demenzkranken umzugehen, ist die Unterbringung in einem Pflegeheim die einzige Lösung. Dort kümmert sich geschultes Pflegepersonal Tag und Nacht um den Betroffenen und kann eine bessere Versorgung gewährleisten. Die Entscheidung sollte, falls möglich, gemeinsam mit dem Demenzkranken getroffen werden.

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Herausforderndes Verhalten verstehen

Im fachlichen Kontext spricht man ungern von aggressivem, sondern eher von herausforderndem Verhalten. Jedes Verhalten des Menschen mit Demenz ist für ihn sinnvoll und er will etwas damit erreichen. In aggressivem Verhalten kanalisieren sich oft über Jahre angestaute Emotionen wie Wut, Enttäuschung und Trauer, die früher unterdrückt wurden. Ein Gespräch über biografische Aspekte mit Angehörigen kann Zusammenhänge im familiären und partnerschaftlichen Umfeld erkennen lassen. Ungelebte Emotionen und Gefühle kommen an die Oberfläche und müssen durchlebt werden.

Perspektivwechsel und Entspannung

Die Erkenntnis, dass sich die Aggression nicht gegen die betreuende Person wendet, sondern der Mensch mit Demenz versucht, seine ungelösten Themen zu bearbeiten, kann Entspannung bringen. Entspannt sich das Gegenüber, kann sich auch der Mensch mit Demenz etwas entspannen. Dies erfordert viel Einfühlungsvermögen und Geduld.

Fallbeispiel: Frau Maier

Frau Maier, seit Jahren an Demenz erkrankt, lehnt alles ab, was ihr Mann sagt, will sich nicht waschen, lehnt jede Hilfe ab, vergisst und verlegt vieles und gibt dann ihrem Mann oder den Kindern die Schuld. Beim Blick in die Biografie zeigt sich, dass sie jung geheiratet hat, ihren Traumberuf der Krankenschwester nicht erlernen konnte und dann die perfekte Hausfrau und Mutter war. Ihre Bedürfnisse nach Anerkennung, Bestätigung und Selbstverwirklichung konnten nicht erfüllt werden. Die Hypothese ist, dass ihr unfreiwilliges jahrelanges Zurückstecken für die Familie eine tiefe Enttäuschung und Wut hinterlassen hat, die jetzt zum Vorschein kommt.

Naheliegende Auslöser für aggressives Verhalten

Menschen mit Demenz sind sich oft ihrer Defizite bewusst. Die Konfrontation mit dem eigenen Versagen kann extreme Angst und Unsicherheit erzeugen. Appelle an den rationalen Verstand und das Gedächtnis können noch größere Wut auslösen. Es ist hilfreich, den Menschen mit Demenz nicht mit seinen Defiziten zu konfrontieren und ihn mit Tätigkeiten zu beschäftigen, die er gut kann und die positive Emotionen hervorrufen.

Körperliche Ursachen und Kompensation von Defiziten

Herausfordernde Verhaltensweisen können durch körperliche Ursachen wie Schmerzen, kribbelnde Beine, unerkannte Harnwegsinfekte, Neben- oder Wechselwirkungen von Medikamenten und zu wenig Flüssigkeits- und/oder Nahrungsaufnahme getriggert oder verstärkt werden. Chronische körperliche Erkrankungen beeinträchtigen die Frustrationstoleranz stark. Eingeschränkte Beweglichkeit sowie schlechtes Hören und Sehen können dazu führen, dass sich der Mensch zusätzlich ausgeschlossen und übergangen fühlt. Passende Brillen, funktionierende Hörgeräte und angepasste Gehhilfen sind hier wichtig.

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Schreien und Rufen als Phänomen

Schreien und Rufen von Menschen mit Demenz kann Angehörige, Mediziner, Betreuungskräfte und Pflegefachleute überfordern. Es ist ein Verhalten, eine Reaktion, eine Art der Kommunikation, welche die Umgebung an ihre Grenzen bringen kann.

Ursachenforschung und individuelle Lösungen

Es gibt kein Patentrezept und keine einfache Handlungsanweisung, die immer und überall wirkt. Der Demenzverlauf ist nicht statisch, und professionell Pflegende können auf ihr Fachwissen zurückgreifen. Wichtig ist nicht nur die Fachkompetenz, sondern auch der Wille, dieses Wissen einzusetzen, und ein Arbeitsumfeld, wo dies möglich ist. Der Schrei- und Rufanlass ist vom Menschen mit Demenz und seiner Person nicht zu trennen. Man muss den Menschen und sein gelebtes Leben in den Mittelpunkt rücken und bei der Suche der Spontanität, Kreativität, Offenheit und Neugier breiten Raum einräumen.

Medikamente und glückliches Schreien

Medikamente können hilfreich sein, wenn ein Mensch mit Demenz schreit oder ruft, weil er Schmerzen hat. Wenn Pflegende dem Arzt berichten, dass der alte Mensch tagelang bis zur totalen Erschöpfung schreit und keine Ruhe mehr findet, kann der Einsatz von Medikamenten angezeigt sein. Es gibt auch das Phänomen des glücklichen Schreiens, bei dem der alte Mensch schreit und in diesen Schreiphasen ausgeglichen und geradezu glücklich wirkt.

Nichtmedikamentöse Interventionen

Am Anfang jeder Interventionsgestaltung muss das Wissen und das Verständnis stehen, dass die herausfordernden Schreie oder Rufe eines Menschen mit Demenz kein aggressives Verhalten ist. Der Schrei oder Ruf ist Ausdruck einer Person und vielleicht das einzig verbliebene verbale Kommunikationsmittel, das diesem Menschen noch zur Verfügung steht. Die Schrei- und Rufgründe sind vielschichtig, komplex und im Kontext zu betrachten. Es hilft dem Menschen nicht, Medikamente mit sedierender Wirkung zu applizieren, wenn er Durst hat.

Detektivisches Wissenwollen und körperlich-therapeutische Ansätze

Pflegende agieren in einem Klima des detektivischen Wissenwollens und versuchen, ein Schreimuster zu erkennen. Sie analysieren die intrinischen und extrinischen Faktoren und platzieren sie in ein Gesamtbild. Körperlicher Kontakt wie Drücken oder in den Arm nehmen kann den Menschen mit Demenz beruhigen, aber nicht alle Menschen reagieren gleich auf einen Reiz.

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