Die Kosten, wenn Demenzkranke weglaufen und die Polizei eingreift

Demenz ist eine Erkrankung, die das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen stark beeinträchtigt. Ein häufiges Problem im Zusammenhang mit Demenz ist die sogenannte Hinlauftendenz, bei der Betroffene ihre gewohnte Umgebung verlassen und sich verirren. Wenn dies geschieht, wird oft die Polizei eingeschaltet, um die vermisste Person zu finden und in Sicherheit zu bringen. Doch wer trägt die Kosten für solche Polizeieinsätze? Dieser Artikel beleuchtet die rechtliche Situation in Deutschland, insbesondere in Niedersachsen, und gibt einen Überblick über die verschiedenen Aspekte dieser Thematik.

Rechtliche Grundlagen in Niedersachsen

In Niedersachsen hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (OVG) in einem Urteil vom 26. Januar 2012 (Az.: 11 LB 226/11) entschieden, dass Demenzkranke für die Beförderung im Polizeiwagen bezahlen müssen, wenn sie orientierungslos aufgegriffen und zurück in ihr Heim gebracht werden. Im konkreten Fall ging es um einen 1924 geborenen, an Demenz erkrankten Mann, der aus einem Wohnheim in Hannover weggelaufen war. Die Polizei fand ihn in der Nähe des Heims und brachte ihn mit dem Streifenwagen zurück. Dafür stellte die Polizeidirektion Hannover 65 Euro in Rechnung: 50 Euro für den Einsatz der beiden Beamten und 15 Euro als Pauschale für die Fahrstrecke.

Das OVG Lüneburg bestätigte, dass diese Kostenforderung rechtmäßig ist. Die Richter argumentierten, dass die Polizei nicht verpflichtet sei, "staatliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr" immer kostenlos zu erbringen. Im vorliegenden Fall sei die Polizei zum Handeln verpflichtet gewesen, da der Demenzkranke im öffentlichen Verkehrsraum gefährdet war. Daher mussten die Beamten auch nicht erst Heimmitarbeiter oder Angehörige informieren, damit diese den Mann abholen konnten.

Das Gericht betonte, dass der Gesetzgeber entschieden habe, dass Beförderungs- und Transportleistungen der Polizei grundsätzlich nicht aus Landesmitteln, sondern vom jeweiligen Veranlasser zu erbringen sind. Diese Kostenvorschriften betreffen nicht nur Demenzkranke, sondern generell den Transport von Personen zum Zweck der Gefahrenabwehr.

Kritik und alternative Sichtweisen

Das Urteil des OVG Lüneburg stieß auf Kritik, da es als ungerecht empfunden wurde, hilflose Demenzkranke für ihre Rettung zur Kasse zu bitten. Das Verwaltungsgericht Hannover hatte in erster Instanz noch zugunsten des Klägers entschieden (Az.: 10 A 1842/10, Urteil vom 3. März 2011) und argumentiert, dass einer erkennbar dauerhaft geschäftsunfähigen Person die Veranlassung einer Amtshandlung nicht zur Last gelegt werden könne.

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Andere Bundesländer handhaben solche Fälle anders und verzichten auf die Erhebung von Gebühren. Dies zeigt, dass die Rechtslage in Deutschland nicht einheitlich ist.

Mögliche Ausnahmen und Billigkeitserwägungen

Das OVG Lüneburg räumte ein, dass es im Einzelfall aus Billigkeitsgründen möglich sei, von einer Kostenerhebung abzusehen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG). Dies bedeutet, dass die Behörden prüfen müssen, ob die finanzielle Situation des Betroffenen oder andere besondere Umstände einen Gebührenverzicht rechtfertigen.

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport hat die Polizeibehörden auf diese Möglichkeit hingewiesen und gleichzeitig das Niedersächsische Finanzministerium um Prüfung gebeten, ob ein genereller Gebührenverzicht in solchen Fällen möglich ist. Auch eine Änderung der Tarifnummer 108.1.5 AllGO wurde diskutiert.

Die Problematik des Weglaufens von Demenzkranken

Das Weglaufen von Demenzkranken stellt eine große Herausforderung für Angehörige, Pflegeheime und die Polizei dar. Es gibt keine bundesweiten Statistiken darüber, wie viele Menschen mit Demenz jährlich vermisst werden, aber die Zahl dürfte hoch sein. Suchhunde-Staffeln des THW werden beispielsweise bis zu drei Mal pro Woche alarmiert, um im Raum Hannover nach vermissten Senioren zu suchen, oft sind es Demenzkranke, die bereits mehrfach vermisst wurden.

Die Ursachen für das Weglaufen sind vielfältig. Oftmals haben die Betroffenen kein Gefühl mehr für Zeit und Ort, leben in der Vergangenheit und wollen beispielsweise "nach Hause" zu ihren Eltern oder zu ihrem Ehepartner. Manchmal ist es auch Langeweile, Unruhe oder der Drang, etwas zu erledigen.

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Schutzmaßnahmen und rechtliche Aspekte

Pflegeheime und Angehörige müssen verschiedene Schutzmaßnahmen ergreifen, um das Weglaufen von Demenzkranken zu verhindern und sie im Notfall schnell wiederzufinden. Dazu gehören:

  • Information der Umgebung: Nachbarn, Bekannte, Geschäftsinhaber und Busfahrer sollten über die Erkrankung informiert werden, damit sie aufmerksam sind und helfen können.
  • SOS-Kennzeichnung: Der Erkrankte sollte ein SOS-Band, einen SOS-Anhänger oder in die Kleidung eingenähte Adressetiketten mit seinem Namen und der Telefonnummer der Angehörigen bei sich tragen.
  • Aktuelle Fotos und Kleidungsinformationen: Für eine Vermisstenmeldung werden aktuelle Bilder und Informationen über die getragene Kleidung benötigt.
  • Weglaufschutzsysteme: Es gibt verschiedene technische Systeme, wie Türkontaktsysteme oder GPS-Tracker, die Alarm schlagen, wenn der Betroffene das Haus oder das Gelände verlässt. Allerdings ist der Einsatz von GPS-Trackern rechtlich umstritten, da er in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift.
  • Beschäftigung und Begleitung: Den Betroffenen sollte ausreichend Beschäftigung angeboten werden, um Langeweile und Unruhe zu vermeiden. Wenn sie das Haus verlassen wollen, sollte man sie begleiten, um herauszufinden, was sie umtreibt und wo sie hin möchten.

Es ist wichtig zu beachten, dass freiheitsentziehende Maßnahmen, wie das Abschließen von Türen oder die Fixierung im Bett, nur in Ausnahmefällen und mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig sind. Grundsätzlich gilt, dass die Selbstbestimmung des Menschen auch bei Demenz respektiert werden muss.

Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM)

Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) sind Maßnahmen, die die Bewegungsfreiheit eines Menschen gegen dessen Willen einschränken. In Heimen, Krankenhäusern oder Einrichtungen sind FEM ohne vorherige Genehmigung des Betreuungsgerichts nur bei akuter Gefahr erlaubt. Zu Hause sind sie hingegen ohne Zustimmung des Gerichts möglich. In beiden Fällen ist Freiheitsentzug nur bei erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung erlaubt. Bevor FEM angewendet werden, sollten immer alternative Maßnahmen in Betracht gezogen werden.

Beispiele für FEM sind:

  • Abschließen der Zimmertür
  • Fixierung im Bett mit Gurten
  • Anbringen von Bettgittern
  • Verabreichung sedierender Medikamente

Geschäftsfähige Personen können eine Vollmacht für die Entscheidungen über einen Freiheitsentzug erstellen. Bei der Diagnose einer Demenz sind einige Menschen schon nicht mehr geschäftsfähig, also sollten sie das möglichst vorher regeln. Rechtliche Betreuer werden vom Betreuungsgericht bei Bedarf eingesetzt. Sie dürfen nur über freiheitsentziehende Unterbringung oder Maßnahmen entscheiden, wenn das Betreuungsgericht ausdrücklich angeordnet hat, dass die rechtliche Betreuung auch den Aufgabenbereich "Entscheidung über freiheitsentziehende Unterbringung / Maßnahmen" umfasst.

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Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen

Es gibt verschiedene Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen, die in der Betreuung von Menschen mit Demenz eingesetzt werden können:

  • Technische Hilfsmittel: Signalgeber, die Alarm schlagen, wenn Menschen den Impuls haben, sich aus dem sicheren Umfeld zu entfernen.
  • Niedrige Betten und Hüftprotektoren: Ein sehr niedriges Bett kann eine geeignete Alternative zu einem Bettgitter sein. Hüftprotektoren können das Verletzungsrisiko bei Sturzgefahr verringern.
  • Sitzwachen: Die Anwesenheit einer Pflegekraft als Sitzwache kann unter Umständen freiheitsentziehende Maßnahmen verhindern, hat aber den Nachteil, dass der Mensch mit Demenz dadurch in der Privatsphäre eingeschränkt ist.
  • Der Werdenfelser Weg: Ein Konzept, das in vielen Landkreisen bundesweit angewandt wird, um freiheitsentziehende Maßnahmen zu unterbinden oder auf ein unumgängliches Minimum zu reduzieren. Spezialisierte Verfahrenspfleger diskutieren im gerichtlichen Auftrag jeden Fixierungsfall individuell und gehen gemeinsam mit dem Heim und den Angehörigen/Betreuern Alternativen durch.

Was tun, wenn ein Mensch mit Demenz wegläuft?

Wenn ein Mensch mit Demenz wegläuft, ist schnelles Handeln gefragt. Zunächst sollten Angehörige und Pflegekräfte die nähere Umgebung absuchen und bekannte Anlaufpunkte des Betroffenen überprüfen. Hilfreich ist es, eine Liste mit Orten zu führen, an denen der Mensch mit Demenz schon gefunden wurde oder die ihm aus früheren Zeiten vertraut sind.

Wenn die Suche erfolglos bleibt, sollte die Polizei informiert werden. Für die Vermisstenmeldung werden aktuelle Fotos, Informationen über die getragene Kleidung und eventuelle Besonderheiten des Betroffenen benötigt.

Unterstützung für Angehörige und Betroffene

Pflegestützpunkte bieten umfassende Beratung und Unterstützung für pflegende Angehörige. Betreuungsvereine unterstützen durch Informationen, Beratung und Aufklärung. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft gibt "Empfehlungen zum Umgang mit Gefährdung bei Demenz".

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