Kostenerstattung für dendritische Zelltherapie durch Krankenkassen in Deutschland

Die dendritische Zelltherapie ist eine Form der Immuntherapie, bei der körpereigene dendritische Zellen genutzt werden, um das Immunsystem im Kampf gegen Krebs zu aktivieren. Die Frage, ob die Kosten für diese Therapie von den Krankenversicherungen übernommen werden, ist Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Rechtslage und die Argumente, die für und gegen eine Kostenerstattung sprechen.

Rechtsprechung zur Kostenerstattung dendritischer Zelltherapie

In Deutschland ist die Kostenerstattung für dendritische Zelltherapie durch Krankenkassen ein komplexes Thema, das immer wieder vor Gericht landet. Mehrere Urteile haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Umständen eine Krankenversicherung die Kosten für diese Behandlung übernehmen muss.

Fall des OLG Frankfurt: Medizinische Notwendigkeit bei unheilbarer Krankheit

Ein wegweisendes Urteil zu diesem Thema fällte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. in einem Fall, in dem die Ehefrau eines verstorbenen Krebspatienten gegen dessen private Krankenversicherung klagte (Urt. v. 29.06.2022 - 7 U 140/21). Der Ehemann war an einem nicht operablen Tumor der Bauchspeicheldrüse erkrankt und hatte sich einer dendritischen Zelltherapie unterzogen, nachdem eine Chemotherapie erfolglos geblieben war. Die Versicherung weigerte sich zunächst, die Kosten von rund 30.000 Euro zu übernehmen.

Das OLG Frankfurt entschied zugunsten der Klägerin und argumentierte, dass die dendritische Zelltherapie in diesem Fall medizinisch notwendig gewesen sei. Bei einer lebenszerstörenden, unheilbaren Krankheit könne für die Frage der medizinischen Notwendigkeit nicht mehr darauf abgestellt werden, ob sich die Behandlung tatsächlich zur Erreichung des Behandlungsziels eignet. Vielmehr sei die objektive Vertretbarkeit der Behandlung bereits dann gegeben, wenn sie nach medizinischen Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme wahrscheinlich auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinwirke.

Das Gericht betonte, dass es ausreichend sei, wenn ein nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbarer Ansatz vorliege, der die prognostizierte Wirkweise auf das angestrebte Behandlungsziel erklären könne. Eine hinreichende wissenschaftliche Evidenz für die Effektivität sei nicht erforderlich. Da eine schulmedizinische Erstlinientherapie (Chemotherapie) erfolglos gewesen war, durfte laut OLG unmittelbar auf die alternative dendritische Zelltherapie zurückgegriffen werden, ohne zunächst den prognostisch zweifelhaften Erfolg einer Zweitlinientherapie abzuwarten.

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Das Gericht stufte die dendritische Zelltherapie als Heilbehandlung im Sinne der Versicherungsbedingungen ein, da sie darauf abzielte, die Symptome der Krebserkrankung zu lindern, den Gesundheitszustand zu stabilisieren und einer Verschlimmerung entgegenzuwirken.

Urteil des SG Magdeburg: Indizien für Wirksamkeit ausreichend

Auch das Sozialgericht (SG) Magdeburg hat sich in mehreren Beschlüssen (Beschl. v. 16.02.2007, S 13 KR 17/07 ER; Beschl. v. 10. Juli 2008 - S 13 KR 100/08 ER) mit der Kostenerstattung für dendritische Zelltherapie auseinandergesetzt. In einem Fall ging es um eine Patientin mit einem neuroendokrinen Karzinom, bei der nach erfolgter Operation und Chemotherapie weitere Metastasen festgestellt wurden. Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme für die Behandlung mit dendritischen Zellen ab.

Das SG Magdeburg entschied jedoch, dass die Krankenkasse die Kosten übernehmen muss. Das Gericht berief sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bei lebensbedrohlichen Erkrankungen. Demnach besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn eine allgemein anerkannte, medizinischen Standards entsprechende Behandlung nicht mehr zur Verfügung steht und von den behandelnden Ärzten Indizien und Hinweise für eine Wirksamkeit der Therapie vorgebracht werden. Die Anforderungen an diese Indizien und Hinweise dürfen dabei nicht so hoch angesetzt werden wie beim Off-Label-Use, sodass im Einzelfall auch Expertenmeinungen ausreichend sein können.

Das Gericht betonte, dass der Patientin aufgrund der lediglich mit äußerst fraglichem Erfolg durchgeführten ersten Chemotherapie ein weiterer Versuch nicht zuzumuten sei. Es bestünden jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass Nebenwirkungen einer anderen Chemotherapie nicht auftreten würden oder zumindest geringer ausfallen würden.

Entscheidung des BVerfG: Aussicht auf Heilung oder positive Auswirkung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich ebenfalls mit der Frage der Kostenerstattung für alternative Behandlungsmethoden bei lebensbedrohlichen Erkrankungen auseinandergesetzt (Beschluss vom 26. Februar 2013, Az.: 1 BvR 2045/12). In dem Fall ging es um eine gesetzlich krankenversicherte Frau mit einem metastasierenden Ovarialkarzinom, bei der nach Operation und Chemotherapie weitere Metastasen festgestellt wurden. Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme für eine kombinierte Immuntherapie mit Hyperthermie, onkolytischen Viren und dendritischen Zellen ab.

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Das BVerfG entschied, dass es mit Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz unvereinbar sei, Versicherte in einer extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr nur auf eine die Linderung von Krankheitsbeschwerden zielende Standardtherapie zu verweisen, wenn durch eine Alternativbehandlung eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung besteht.

Zusammenfassung der Rechtsprechung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Rechtsprechung zur Kostenerstattung für dendritische Zelltherapie durch Krankenkassen in Deutschland folgende Grundsätze aufstellt:

  • Bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung, für die keineStandardtherapie mehr zur Verfügung steht, können auch alternativeBehandlungsmethoden in Betracht kommen.
  • Die Krankenkasse muss die Kosten für eine solche Behandlung übernehmen, wenn eine auf Indizien gestützte, nicht ganz entferntliegende Aussicht auf Heilung oder zumindest eine spürbar positiveAuswirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
  • Die Anforderungen an den Nachweis der Wirksamkeit der Behandlung dürfen dabei nicht zu hoch angesetzt werden.
  • Es ist nicht zumutbar, den Patienten zunächst auf eineStandardtherapie zu verweisen, wenn diese bereits erfolglos war oder mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden ist.

Argumente für und gegen die Kostenerstattung

Die Frage der Kostenerstattung für dendritische Zelltherapie ist umstritten, da sowohl für als auch gegen eine solche Erstattung stichhaltige Argumente vorgebracht werden können.

Argumente für die Kostenerstattung

  • Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit: Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes garantiert jedem Menschen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieses Grundrecht verpflichtet den Staat, alles Zumutbare zu tun, um das Leben eines Menschen zu schützen. Wenn eine dendritische Zelltherapie die einzige oder letzte Chance auf Heilung oder zumindest auf eine Verlängerung des Lebens sein kann, sollte die Krankenkasse die Kosten übernehmen.
  • Sozialstaatsprinzip: Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes verankert das Sozialstaatsprinzip. Dieses Prinzip verpflichtet den Staat, für soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit zu sorgen. Dazu gehört auch, dass kranke Menschen die notwendige medizinische Versorgung erhalten, unabhängig von ihrer finanziellen Situation.
  • Individuelle Therapieansätze: Die dendritische Zelltherapie ist ein individualisierter Therapieansatz, der auf die spezifischen Eigenschaften des Tumors und des Immunsystems des Patienten zugeschnitten ist. Dies kann in manchen Fällen erfolgreicher sein alsStandardtherapien, die für alle Patienten gleich sind.
  • Hoffnung auf Heilung oder Verbesserung: Auch wenn die dendritische Zelltherapie nicht in allen Fällen zu einer Heilung führt, kann sie doch die Lebensqualität der Patienten verbessern und ihre Lebenserwartung verlängern. Dies ist besonders wichtig für Patienten, bei denenStandardtherapien bereits ausgeschöpft sind.

Argumente gegen die Kostenerstattung

  • Fehlende wissenschaftliche Evidenz: Kritiker der dendritischen Zelltherapie bemängeln, dass es bisher nur wenigeRandomisierte kontrollierte Studien gibt, die die Wirksamkeit dieser Therapie belegen. Die meisten Studien sindFallstudien oder kleineUntersuchungen, die keine aussagekräftigen Ergebnisse liefern.
  • Hohe Kosten: Die dendritische Zelltherapie ist eine teure Behandlung. Die Kosten für eine Therapie können je nach Klinik und Umfang der Behandlung mehrere zehntausend Euro betragen. Wenn die Krankenkassen die Kosten für diese Therapie übernehmen, kann dies zu einer Belastung des Gesundheitssystems führen.
  • Risiken und Nebenwirkungen: Wie jede medizinische Behandlung ist auch die dendritische Zelltherapie mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Zu den möglichen Nebenwirkungen gehören unter anderem Fieber, Schüttelfrost, Müdigkeit und allergische Reaktionen.
  • Gefahr von falschen Hoffnungen: Die dendritische Zelltherapie wird oft als Hoffnungsträger für Krebspatienten dargestellt, bei denenStandardtherapien nicht mehr wirken. Es besteht die Gefahr, dass Patienten falsche Hoffnungen in diese Therapie setzen und sich von unseriösen Anbietern ausnutzen lassen.

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