Depression: Ursachen, Chemie des Gehirns und Behandlungsansätze

Depressionen sind eine weit verbreitete und komplexe psychische Erkrankung, von der Millionen Menschen weltweit betroffen sind. In Deutschland leiden schätzungsweise vier Millionen Menschen aktuell an einer Depression. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, wobei der erste Ausbruch häufig zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr stattfindet. Betroffene fühlen sich oft niedergeschlagen, antriebslos und interesselos. Schlafstörungen, Müdigkeit und die Unfähigkeit, Gefühle zu empfinden, sind typische Symptome. Es ist wichtig zu verstehen, dass Depressionen nicht einfach nur eine Phase der Traurigkeit oder eine Folge falscher Lebensführung sind. Die Ursachen sind vielfältig und umfassen sowohl psychosoziale als auch körperliche Faktoren, insbesondere neurobiologische Veränderungen im Gehirn.

Neurobiologische Grundlagen der Depression

Jedes Gefühl, jede Stimmung, jeder Gedanke und jedes Verhalten gehen mit einem spezifischen Aktivitätsmuster der Nervenzellen im Gehirn einher. Die Kommunikation zwischen den Nervenzellen erfolgt über Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, die an den Synapsen ausgeschüttet werden. Bei einer Depression geraten diese Botenstoffe aus dem Gleichgewicht.

Die Rolle der Neurotransmitter

Viele Untersuchungen deuten darauf hin, dass Depressionen durch Veränderungen von Botenstoffen im Gehirn gekennzeichnet sind. Dabei scheinen bestimmte Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Acetylcholin und Gamma-Aminobuttersäure aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Depressive Patienten weisen im Vergleich zu Gesunden oft eine erniedrigte Aktivität von Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin auf.

  • Serotonin: Dieser Neurotransmitter wird mit der Regulierung von Stimmung, Schlaf, Appetit und Schmerzempfinden in Verbindung gebracht. Eine Störung im Serotoninsystem wird als eine mögliche Ursache für Depressionen angesehen. Die Vorstellung, dass es sich dabei lediglich um einen Serotoninmangel handelt, ist jedoch zu simpel.
  • Noradrenalin: Noradrenalin ist ein wichtiger Bestandteil der Stressreaktion und der Aktivierung des Nervensystems. Eine zu geringe Aktivität des Locus Coeruleus, einer Gehirnstruktur mit der größten Ansammlung noradrenerger Neuronen, könnte zu Antriebslosigkeit führen, einem der häufigsten Symptome der Depression.
  • Dopamin: Dopamin spielt eine Rolle bei Motivation, Freude und Belohnung. Eine verminderte Dopaminaktivität könnte zu Antriebslosigkeit und Interessenverlust bei depressiven Menschen beitragen.

Die Monoaminmangel-Hypothese

Die älteste und bekannteste Theorie zu den biologischen Vorgängen im Gehirn während einer Depression ist die Monoaminmangel-Hypothese. Diese Hypothese besagt, dass ein Mangel an bestimmten Botenstoffen, den Monoaminen (Serotonin, Noradrenalin und Dopamin), im synaptischen Spalt zu einer gestörten Signalübertragung zwischen den Nervenzellen führt und somit zur Entstehung von Depressionen beitragen kann.

Die Monoaminmangel-Hypothese wird jedoch zunehmend in Frage gestellt, da Antidepressiva, die auf die Erhöhung der Monoamin-Konzentration im synaptischen Spalt abzielen, nicht bei allen Patienten wirksam sind. Auch zeigen Studien, dass bei manchen Menschen mit Depressionen der Hippocampus, ein wichtiger Hirnbereich für Lernen und Gedächtnis, unterdurchschnittlich klein ist, was zu der Hypothese geführt hat, dass bei Depressiven das Nervenwachstum eingeschränkt sein könnte.

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Veränderungen im limbischen System

Mithilfe bildgebender Verfahren wurde bei Betroffenen während einer depressiven Episode eine veränderte Aktivität des limbischen Systems im Gehirn festgestellt. Das limbische System, auch als stressregulierendes System bezeichnet, ist für das Empfinden und Verarbeiten von Gefühlen mitverantwortlich.

Die Rolle der synaptischen Plastizität

Forschende des Universitätsklinikums Freiburg haben herausgefunden, dass depressive Patienten eine geminderte synaptische Plastizität aufweisen. Die synaptische Plastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, die Übertragung zwischen Nervenzellen an neue Reize anzupassen. Dieser Vorgang ist die Grundlage von Lernen, Gedächtnisbildung und unserer Anpassungsfähigkeit an eine sich verändernde Umwelt. Die Forscher gehen davon aus, dass es sich bei der verminderten synaptischen Plastizität um eine Ursache der Depression handelt und nicht nur um eine Folge.

Die HPA-Achse und das Stresshormon Cortisol

Es ist nachgewiesen, dass stressreiche Lebensereignisse zu neurobiologischen Reaktionen wie z.B. vermehrter Ausschüttung des Stresshormons Cortisol führen, welches auch bei Depression in erhöhter Konzentration im Blut gefunden wird. Menschen, die Depressionen haben, haben oft erhöhte Cortisol-Level. In Tierstudien und bei Menschen wurde außerdem gezeigt, dass der Rückkopplungsmechanismus, über den Stressreaktionen im Körper runterreguliert werden, nach traumatischen Erfahrungen teilweise nicht mehr richtig funktioniert. Das führt zu einer dauerhaften Ausschüttung von Stresshormonen, was wiederum das Nervenwachstum im Gehirn hemmt.

Das Immunsystem und Entzündungen

Das Immunsystem könnte ebenfalls im Zusammenhang mit Depressionen stehen. In Tierstudien wurde gezeigt, dass chronische Entzündungen im Körper sich auf das Gehirn übertragen können. Dort gibt es spezielle Immunzellen, die Microglia. Chronisch erhöhte Entzündungsfaktoren können die Microglia-Zellen überaktivieren.

Genetische Faktoren und Vererbung

Im Zusammenhang mit der Frage nach den Ursachen einer Depression kommt oft die Frage nach der Vererbbarkeit der Erkrankung auf. Es gibt jedoch kein einzelnes "Depressionsgen", das hauptverantwortlich für die Erkrankung ist. Bei eineiigen Zwillingen, d.h. bei Personen mit gleicher genetischer Ausstattung, leiden in circa 50 % der Fälle beide Zwillinge an einer depressiven Erkrankung. Das bedeutet aber auch, dass die Gene nicht alles erklären können. Eine Depression entsteht in der Regel aus dem Zusammenwirken mehrerer Faktoren. Welche Rolle erbliche und umweltbedingte Faktoren spielen, ist individuell unterschiedlich und im Einzelfall nicht leicht zu beantworten. Eine erbliche Vorbelastung trägt nach dem heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu der Entstehung einer Depression wesentlich bei. Denn Depressionen treten familiär gehäuft auf. Sind Verwandte ersten Grades betroffen, liegt die Gefahr, selbst eine Depression zu entwickeln, bei etwa 15%. Bei eineiigen Zwillingen steigert sich das Risiko, dass beide an einer Depression erkranken auf mindestens 50%. Dies belegt, dass ein genetischer Faktor vorhanden sein muss.

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Psychosoziale Faktoren

Neben den biologischen und genetischen Faktoren spielen auch psychosoziale Faktoren eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Depressionen.

  • Belastende Lebensereignisse: Viele Depressionen treten nach kritischen, belastenden oder negativen Ereignissen auf, z.B. dem Verlust eines Partners bzw. Angehörigen oder Probleme mit nahen Bezugspersonen, Scheidung/Trennung etc. oder einfach nur Veränderungen der gewohnten Lebensweise wie z.B. durch Pensionierung.
  • Kindheitserfahrungen: Ein weiterer Faktor, der zur Entstehung einer Depression beitragen kann, beruht auf einer fehlgeleiteten Entwicklung in der Kindheit. Ein ängstlich-fürsorglicher Erziehungsstil, eine daraus resultierende „erlernte Hilflosigkeit“ sowie geringe Fähigkeiten der Betroffenen, Stress zu bewältigen, können Risikofaktoren für die Entwicklung einer Depression sein. Auch der frühe Verlust eines Elternteils, eine Störung der Mutter-Kind-Beziehung oder mangelndes Selbstwertgefühl seit frühester Kindheit können zu einer besonderen Verletzlichkeit gegenüber Enttäuschungen führen. Unzureichend verarbeitete Verlusterlebnisse bzw. Traumata (z.B. sexueller Missbrauch, Erlebnis von Katastrophen) können bei erneuten Krisensituationen auftreten.
  • Risikogruppen: Nach Untersuchung verschiedener depressiver Patienten scheinen folgende Faktoren neben den aufgeführten Mechanismen die Entstehung einer Depression zu begünstigen: weibliches Geschlecht; Single-Dasein; Großstädte; wenig gesellschaftliche Kontakte; niedriger Ausbildungsgrad; Arbeitslosigkeit; Cannabis-Konsum und Alkohol-Missbrauch.

Diagnose und Behandlung

Schon beim Verdacht auf eine Depression sollten Betroffene einen Arzt, Psychiater oder Psychotherapeuten aufsuchen. Je früher eine Depression erkannt wird, umso besser sind die Heilungschancen. Körperliche Untersuchungen sind für die Diagnose ebenfalls wichtig. Dazu gehören eine Blutuntersuchung und eventuell eine Computertomografie (CT) des Gehirns. Eine depressive Episode liegt vor, wenn die Symptome mindestens zwei Wochen lang auftreten.

Die Behandlung von Depressionen erfolgt in der Regel durch eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten.

  • Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, die Ursachen der Depression zu erkennen und zu bearbeiten, negative Denkmuster zu verändern und Strategien zur Stressbewältigung zu entwickeln.
  • Medikamente (Antidepressiva): Antidepressiva können helfen, das Gleichgewicht der Neurotransmitter im Gehirn wiederherzustellen und die Symptome der Depression zu lindern. Es gibt verschiedene Arten von Antidepressiva, die auf unterschiedliche Neurotransmitter wirken. Häufig werden Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) eingesetzt, die den Serotoninspiegel im Gehirn erhöhen.

Zusätzlich zu Psychotherapie und Medikamenten können auch andere Behandlungsansätze hilfreich sein:

  • Lichttherapie: Bei saisonal abhängigen Depressionen (Winterdepression) kann eine Lichttherapie die Stimmung verbessern.
  • Schlafentzug: In einigen Fällen kann ein vorübergehender Schlafentzug eine antidepressive Wirkung haben.
  • Sport und Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität kann die Stimmung aufhellen und Stress abbauen.
  • Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend Vitaminen und Mineralstoffen kann die psychische Gesundheit unterstützen.

Die Rolle der Pupillometrie bei der Diagnose und Behandlung von Depressionen

Forschende des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München haben herausgefunden, dass die Erweiterung der Pupille als Reaktion auf eine erwartete Belohnung davon abhängt, ob ein Mensch Freude empfinden kann. Bei gesunden Menschen erweiterten sich die Pupillen bei der Erwartung auf eine Belohnung während der Aufgabe, wohingegen diese Reaktion bei Personen mit Depressionen weniger ausgeprägt war. Die Pupillenreaktion ist unter anderem ein Marker für die Aktivität im Locus Coeruleus, einer Gehirnstruktur mit der größten Ansammlung noradrenerger Neuronen im zentralen Nervensystem.

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Die Pupillometrie könnte als ergänzende Methode zur Diagnosestellung eingesetzt werden. Sie könnte auch dazu beitragen, individualisierte Behandlungsstrategien für Depression zu entwickeln. Wenn beispielsweise ein/e PatientIn starke Beeinträchtigungen in der Pupillenreaktion zeigt, könnten Antidepressiva, die auf das noradrenerge System wirken, effektiver als andere Medikamente sein. Auch könnte die Medikamentendosierung anhand der Pupillenreaktion optimiert werden.

Was Betroffene tun können

Neben professioneller Hilfe gibt es auch einiges, was Betroffene selbst tun können, um ihre Situation zu verbessern:

  • Soziale Kontakte pflegen: Isolation kann die Depression verstärken. Der Austausch mit Freunden und Familie kann helfen, sich weniger allein zu fühlen.
  • Stress reduzieren: Techniken zur Stressbewältigung wie Yoga, Meditation, Qigong oder Autogenes Training können helfen, den Stresshormon-Spiegel zu senken.
  • Gesunde Lebensweise: Ausreichend Schlaf, eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung können die Stimmung positiv beeinflussen.
  • Hobbys und Interessen nachgehen: Auch wenn es schwerfällt, kann es helfen, sich mit Dingen zu beschäftigen, die Freude bereiten.
  • Sich Hilfe suchen: Es ist wichtig, sich nicht zu schämen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Fazit

Depressionen sind eine komplexe Erkrankung, deren Ursachen vielfältig sind. Neben psychosozialen Faktoren spielen auch neurobiologische Veränderungen im Gehirn eine wichtige Rolle. Ein Ungleichgewicht der Neurotransmitter, Veränderungen im limbischen System, eine verminderte synaptische Plastizität und eine Dysregulation der HPA-Achse können zur Entstehung von Depressionen beitragen. Die Behandlung von Depressionen erfolgt in der Regel durch eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten. Zusätzlich können auch andere Behandlungsansätze und Selbsthilfemaßnahmen hilfreich sein. Es ist wichtig, sich bei Verdacht auf eine Depression professionelle Hilfe zu suchen und sich nicht zu scheuen, Unterstützung anzunehmen.

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