Desorientierung bei Demenz: Ursachen und Behandlungsansätze

Desorientierung ist ein häufiges und belastendes Symptom bei Demenz. Sie äußert sich in verschiedenen Formen und kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen der Desorientierung bei Demenz, die verschiedenen Arten, in denen sie sich manifestiert, und die vielfältigen Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten.

Was bedeutet Orientierung?

Orientierung bedeutet, sich in seiner Umgebung und in der Zeit zurechtzufinden. Dazu gehört das Wissen, wo man sich befindet (räumliche Orientierung), welcher Tag und welche Uhrzeit es ist (zeitliche Orientierung), und was in der aktuellen Situation angemessen ist (situative Orientierung). Auch die Kenntnis der eigenen Person (personelle Orientierung) ist ein wichtiger Aspekt.

Räumliche Orientierung

Räumliche Orientierung bedeutet, dass man weiß, wo man sich befindet und wie man sich in seiner Umgebung bewegt. Wir nehmen unsere Umwelt bewusst wahr, wissen, wo die Toilette ist oder wie wir den Weg zu Freunden finden. Menschen mit Demenz haben jedoch oft Schwierigkeiten, sich räumlich zu orientieren. Sie finden sich selbst in vertrauter Umgebung nicht mehr zurecht, wie etwa in der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus, in dem sie schon seit Jahrzehnten leben.

Zeitliche Orientierung

Zeitliche Orientierung ermöglicht es uns, die Uhrzeit zu bestimmen, die Dauer von Zeitspannen einzuschätzen und den Bezug zu Wochentagen, Monaten und Jahreszeiten herzustellen. Wir wissen, dass in einer halben Stunde Mittagspause ist oder wie lange fünf Minuten dauern. Demenzkranke können jedoch die zeitliche Orientierung verlieren. Sie können sich fünf Minuten nicht mehr vorstellen oder die Jahreszeit nicht mehr erkennen, was zu paradoxen Situationen führen kann, wie z.B. im Winter in T-Shirt und Sandalen spazieren zu gehen.

Situative Orientierung

Situative Orientierung bedeutet, dass man die Bedeutung von Ereignissen und Handlungen in der aktuellen Situation versteht. Wenn eine Person in einer Versammlung den Raum verlässt und nach kurzer Zeit zurückkehrt, verstehen wir, dass sie wahrscheinlich auf der Toilette war. Menschen mit Demenz können jedoch die Orientierung in der Situation verlieren und das Verhalten anderer nicht mehr zuordnen oder verstehen. Dies kann zu Verwirrung und Stress führen, insbesondere in Umgebungen mit vielen Menschen und komplexen Situationen.

Lesen Sie auch: Fortgeschrittene Demenz: Ein umfassender Überblick

Personelle Orientierung

Personelle Orientierung umfasst das Wissen um die eigene Identität, den eigenen Namen, das Alter und die Lebensgeschichte. Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz können Betroffene sogar den Bezug zu ihrer eigenen Biografie verlieren und sich selbst im Spiegel nicht mehr erkennen. Dies kann zu tragischen Missverständnissen und Verhaltensweisen führen.

Ursachen der Desorientierung bei Demenz

Die Desorientierung bei Demenz ist auf Veränderungen im Gehirn zurückzuführen, insbesondere in Bereichen, die für das Gedächtnis, die räumliche Wahrnehmung und das Denken zuständig sind.

  • Schädigung des Hippocampus: Der Hippocampus spielt eine zentrale Rolle bei der Speicherung und dem Abruf von Informationen über Orte und räumliche Beziehungen. Bei Demenz, insbesondere bei der Alzheimer-Krankheit, wird der Hippocampus häufig geschädigt, was zu Problemen mit der räumlichen und zeitlichen Orientierung führt. Der Hippocampus speichert und ruft Informationen ab, etwa zu Straßen, Gebäuden oder anderen Orientierungspunkten. Er hilft zudem bei Entscheidungen, wohin man als Nächstes geht. Ist der Hippocampus geschädigt, leidet auch das Zeitgefühl.
  • Schädigung des Parietalen Kortex: Der Parietale Kortex verarbeitet Sinneseindrücke und ermöglicht es uns, Räume und Objekte darin zu erfassen. Schäden in diesem Bereich erschweren die räumliche Orientierung.
  • Durchblutungsstörungen im Gehirn: Vaskuläre Demenz, die durch Durchblutungsstörungen im Gehirn verursacht wird, kann ebenfalls zu Desorientierung führen.
  • Neurodegenerative Prozesse: Bei der Alzheimer-Krankheit sterben Nervenzellen und ihre Verbindungen im Gehirn ab, was die kognitiven Funktionen beeinträchtigt und Desorientierung verursacht. Bei Alzheimer-Erkrankten beobachtet man zwischen den Nervenzellen vermehrt harte, unauflösliche Ablagerungen (Plaques). Im Inneren der Zellen wiederum kommt es zu einer chemischen Veränderung der sogenannten Tau-Fibrillen. Sie sind eigentlich wichtig für die Zellstruktur und den Nährstofftransport. Darüber hinaus ist weniger Acetylcholin im Gehirn von Alzheimer-Betroffenen vorhanden.
  • Weitere Faktoren: Auch andere Faktoren wie sensorische Defizite (z.B. Seh- oder Hörverlust), Medikamente und Begleiterkrankungen können die Desorientierung verstärken.

Formen der Desorientierung bei Demenz

Die Desorientierung bei Demenz kann sich in verschiedenen Formen äußern, die oft miteinander einhergehen:

  • Räumliche Desorientierung: Betroffene verirren sich in ihrer Umgebung, selbst an vertrauten Orten. Sie erkennen bekannte Wege nicht mehr oder wissen nicht, wie sie von einem Raum in den anderen gelangen. Die Frage „Wo bin ich?“, selbst wenn sich die ältere oder pflegebedürftige Person in ihrem eigenen Zimmer befindet, deutet auf eine örtliche Desorientierung hin. Auch wer sich nicht an seinen Geburtsort erinnern oder seine Postanschrift nicht nennen kann, weist Anzeichen dafür auf, dass Räumlichkeiten nicht mehr richtig zugeordnet werden können.
  • Zeitliche Desorientierung: Termine werden vergessen, der Tag und die Uhrzeit sind nicht mehr klar, und Handlungen wie das Zähneputzen werden mehrfach wiederholt. Die Fähigkeit, Ereignisse in die richtige Reihenfolge zu bringen, geht verloren. Weiß die ältere oder pflegebedürftige Person weder den aktuellen Wochentag noch das Datum, deutet dies auf eine zeitliche Desorientierung hin. Auch Tageszeiten, Monate und Jahreszeiten können bei dieser Art von Orientierungsstörung in Vergessenheit geraten oder durcheinander gebracht werden.
  • Situative Desorientierung: In neuen oder ungewohnten Situationen sind die Erkrankten zunehmend überfordert. Schon einfache Probleme, wie beim Kochen eine gewohnte Zutat durch eine andere zu ersetzen, können Verwirrung und Stress auslösen. Fragen wie „Warum sind wir hier?“ lassen oft auf eine situative Desorientierung schließen. Die betroffene Person weiß beispielsweise nicht, warum sie im Supermarkt ist oder warum sie das Haus verlassen hat.
  • Personelle Desorientierung: Im fortgeschrittenen Stadium verlieren Menschen mit Demenz den Bezug zu ihrer eigenen Biografie. Sie wissen nicht mehr, welchen Beruf sie ausgeübt oder wie viele Kinder sie haben. Kann die ältere oder pflegebedürftige Person ihren eigenen Namen nicht mehr nennen oder weiß sie weder ihr Alter noch ihr Geburtsdatum, liegt sehr wahrscheinlich eine personelle Desorientierung vor.

Die Arten der Desorientierung können unabhängig voneinander oder auch alle gleichzeitig auftreten. Selbst wenn es sich nur um einen vorübergehenden Zustand handelt, erschwert es die Pflege der betroffenen Personen. Aus diesem Grund ist der Zustand der Orientierung ein Aspekt bei der Berechnung des Pflegegrades.

Diagnose der Desorientierung bei Demenz

Wenn sich die Fragen nach dem Wo, dem Wann, dem Warum und der eigenen Person häufen, sollte besser früh als spät ein Arzt aufgesucht werden, um eine geeignete Therapie zu beginnen. Die Diagnose von Desorientierung bei Demenz umfasst in der Regel eine umfassende medizinische Untersuchung, neuropsychologische Tests und die Erhebung der Krankengeschichte.

Lesen Sie auch: Wechselwirkungen zwischen Schmerzmitteln und Demenz

  • Anamnese: Der Arzt wird Fragen zur Krankengeschichte des Patienten stellen, einschließlich der Symptome, des Beginns und des Verlaufs der Desorientierung. Auch die Einnahme von Medikamenten und das Vorliegen von Begleiterkrankungen werden erfragt.
  • Körperliche Untersuchung: Eine körperliche Untersuchung kann helfen, andere Ursachen für die Desorientierung auszuschließen, wie z.B. Infektionen oder Stoffwechselstörungen.
  • Neuropsychologische Tests: Diese Tests dienen dazu, die kognitiven Funktionen des Patienten zu beurteilen, einschließlich Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Sprache und räumliche Wahrnehmung. Es gibt diverse Tests bei Demenz, die zusätzliche Anhaltspunkte geben können.
  • Bildgebende Verfahren: In einigen Fällen können bildgebende Verfahren wie MRT oder CT eingesetzt werden, um Veränderungen im Gehirn zu erkennen, die für die Desorientierung verantwortlich sein könnten.

Behandlung und Unterstützung bei Desorientierung

Die Behandlung von Desorientierung bei Demenz zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und die Selbstständigkeit so lange wie möglich zu erhalten. Es gibt eine Reihe von nicht-medikamentösen und medikamentösen Ansätzen, die je nach Art und Schweregrad der Desorientierung eingesetzt werden können.

Nicht-medikamentöse Maßnahmen

Nicht-medikamentöse Maßnahmen spielen eine zentrale Rolle bei der Behandlung von Desorientierung bei Demenz. Sie umfassen eine Vielzahl von Strategien, die darauf abzielen, die Orientierung zu fördern, die Umgebung anzupassen und die Kommunikation zu verbessern.

  • Realitätsorientierungstraining (ROT): ROT ist eine Methode, bei der den Betroffenen regelmäßig Informationen über Zeit, Ort und Personen vermittelt werden. Dies kann durch den Einsatz von Kalendern, Uhren, Schildern und Fotos geschehen. Ziel des Trainings ist es, den Betroffenen durch regelmäßige Orientierungshilfen dabei zu unterstützen, sich in ihrer Umgebung besser zurechtzufinden. Dadurch fühlen sich die Betroffenen sicherer und können ihren Alltag besser bewältigen.
  • Umgebungsanpassung: Eine klare Strukturierung der Wohnung, zum Beispiel durch farbliche Markierungen oder Schilder, kann Betroffenen helfen, sich besser zurechtzufinden. Ruhige, helle Räumlichkeiten helfen bei der Orientierung, genauso wie gut angepasste Seh- und Hörhilfen. Vertraute Gegenstände und Bilder in der Umgebung können Sicherheit vermitteln. Spiegel in der Wohnung können mit Tüchern verhängt oder ganz von der Wand genommen werden, da sich an Demenz erkrankte Menschen möglicherweise selbst nicht mehr im Spiegel erkennen.
  • Feste Routinen: Regelmäßige Tagesabläufe, wie feste Mahlzeiten oder Aktivitäten, bieten Halt und geben Orientierung. Struktur gibt Halt. Feste Tagesabläufe, wiederkehrende Rituale und vertraute Umgebungen helfen, sich zu orientieren.
  • Kommunikation: Eine einfache und klare Kommunikation ist wichtig, um Missverständnisse zu vermeiden. Kurze, prägnante Sätze, eine flexible Wortwahl und eine sonore, angenehme Stimmlage sind hilfreich. Abstrakte Begriffe sollten vermieden werden, stattdessen können emotionale Verbindungen das Verständnis erleichtern, wie "die Stadt, in der deine Tochter wohnt" oder "der Monat nach deinem Geburtstag".
  • Aktivitäten: Bewegung, frische Luft, Musik, gemeinsames Kochen oder einfache Handarbeiten können viel Lebensfreude schenken. Es geht nicht um Leistung, sondern um Teilhabe und Freude an vertrauten Tätigkeiten. Pflege- und Betreuungskräfte können Orientierungsproblemen vorbeugen, indem sie mit den Betroffenen wenn möglich viel an die frische Luft gehen, dafür sorgen, dass genug Flüssigkeit aufgenommen wird und kleine Konzentrationsübungen in den Alltag einbauen. Das können, abhängig vom gesamten Gesundheitszustand der zu pflegenden Person, Kreuzworträtsel sein, ein Memory-Spiel oder auch ein Puzzle. Im Gespräch kann die Pflege- und Betreuungskraft regelmäßig nach den Familienverhältnissen fragen, nach Erlebnissen aus der Vergangenheit oder nach dem Wohlbefinden der Angehörigen.
  • Soziale Teilhabe: Regelmäßiger sozialer Kontakt ist wichtig für die kognitive Gesundheit. Treffen Sie sich mit Familie und Freunden, nehmen Sie an Gruppenaktivitäten teil oder engagieren Sie sich ehrenamtlich.
  • Ernährung und Flüssigkeitszufuhr: Eine ausgewogene Ernährung und ausreichende Flüssigkeitszufuhr sind wichtig für die allgemeine Gesundheit und können einem Delir vorbeugen. Ältere Menschen sollten täglich etwa 1,5 bis 2 Liter Flüssigkeit zu sich nehmen, sofern keine medizinischen Gründe dagegen sprechen. Trinken Sie am besten regelmäßig über den Tag verteilt, beispielsweise ein Glas Wasser (ca.
  • Schlafhygiene: Ein gesunder Schlaf-Wach-Rhythmus wirkt einem Delir entgegen. Zu einer guten Schlafhygiene gehören feste Schlafenszeiten und eine ruhige, dunkle Schlafumgebung.

Medikamentöse Behandlung

Es gibt verschiedene Medikamente, die zur Behandlung von Demenz eingesetzt werden können, darunter Acetylcholinesterasehemmer (Donepezil, Galantamin, Rivastigmin) und Memantin. Diese Medikamente können die Symptome der Demenz lindern und die kognitiven Funktionen verbessern, einschließlich der Orientierung. Für Menschen mit einer Frühform der Alzheimer-Krankheit (leichte kognitive Störung oder leichte Demenz) gibt es in Deutschland dem September 2025 eine Amyloid-Antikörper-Therapie mit Lecanemab. Die Antikörper binden an die Beta-Amyloid-Ablagerungen, die man zwischen den Nervenzellen im Gehirn Alzheimer-Erkrankter vermehrt feststellt.

Es ist wichtig zu beachten, dass Medikamente nicht die Ursache der Demenz heilen können, sondern lediglich die Symptome lindern. Die medikamentöse Therapie sollte immer in Kombination mit nicht-medikamentösen Maßnahmen eingesetzt werden.

Weitere Unterstützungsmöglichkeiten

Neben den genannten Maßnahmen gibt es eine Reihe weiterer Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen:

Lesen Sie auch: Ursachen und Behandlung von Zittern bei Demenz

  • Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, mit den emotionalen Belastungen der Demenz umzugehen und Strategien zur Bewältigung der Symptome zu entwickeln.
  • Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, die Selbstständigkeit im Alltag zu erhalten und zu verbessern.
  • Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen und Angehörigen in Selbsthilfegruppen kann entlastend sein und neue Perspektiven eröffnen.
  • Pflegeberatung: Eine Pflegeberatung kann helfen, die passende Unterstützung und Pflege für den Betroffenen zu finden.
  • Häusliche Pflege: Die häusliche Pflege durch Angehörige oder professionelle Pflegekräfte ermöglicht es dem Betroffenen, in seiner vertrauten Umgebung zu bleiben.
  • Tagespflege: Die Tagespflege bietet eine stundenweise Betreuung undEntlastung für Angehörige.
  • Stationäre Pflege: Wenn die häusliche Pflege nicht mehr möglich ist, kann eine stationäre Pflege in einem Pflegeheim in Betracht gezogen werden.

Prävention von Desorientierung

Obwohl Demenz nicht heilbar ist, gibt es einige Maßnahmen, die dazu beitragen können, das Risiko einer Desorientierung zu verringern oder den Verlauf zu verlangsamen:

  • Gesunder Lebensstil: Ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener Ernährung, regelmäßiger Bewegung und ausreichend Schlaf kann die kognitive Gesundheit fördern.
  • Kognitive Stimulation: Kognitive Stimulation kann das Gehirn aktiv und gesund halten. Wenn Sie lesen, rätseln, neue Fähigkeiten lernen oder ein Gedächtnistraining absolvieren, trainieren Sie Ihre geistige Leistungsfähigkeit.
  • Soziale Kontakte: Regelmäßige soziale Kontakte sind wichtig für die kognitive Gesundheit.
  • Vermeidung von Risikofaktoren: Risikofaktoren für Demenz, wie Bluthochdruck, Diabetes und Übergewicht, sollten vermieden oder behandelt werden.
  • Früherkennung und Behandlung: Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von Demenz kann helfen, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

tags: #Desorientierung #bei #Demenz #Ursachen #und #Behandlung