DGN-Leitlinien zum Schlaganfall: Aktuelle Empfehlungen für Diagnostik, Therapie und Sekundärprävention

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) e.V. und die Deutsche Schlaganfallgesellschaft (DSG) haben die aktualisierte und erweiterte S2e-Leitlinie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls publiziert. Diese Überarbeitung der bisherigen S1-Leitlinie aus dem Jahr 2012, ergänzt um Informationen zu Rekanalisationstherapien aus dem Jahr 2015, berücksichtigt neue Aspekte wie das Post-Stroke-Delir, die kardiovaskuläre Diagnostik und geschlechtsspezifische Unterschiede.

Epidemiologie und Bedeutung des Schlaganfalls

In Deutschland erleiden jährlich etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Die Mehrheit (85 %) ist ischämischer Natur, verursacht durch den Verschluss oder die Verengung einer hirnversorgenden Arterie durch einen Thrombus oder eine Embolie. Ein schneller Behandlungsbeginn ist entscheidend, entweder durch intravenöse Thrombolyse oder, bei Großgefäßverschlüssen, mittels interventioneller Thrombektomie in spezialisierten Zentren.

Was ist neu in der Akuttherapie?

Die aktualisierte Leitlinie beinhaltet folgende Neuerungen:

  • Behandlung auf der Stroke-Unit: Alle Patienten mit einem ischämischen Insult sollen in einer Stroke-Unit behandelt werden.
  • Sofortige zerebrale Diagnostik: Eine sofortige zerebrale Diagnostik mit CT oder MRT ist erforderlich, um zwischen Ischämie und Blutung zu unterscheiden und die therapeutische Vorgehensweise festzulegen.
  • Gefäßdiagnostik bei Thrombektomie: Wenn eine mechanische Thrombektomie in Frage kommt, sollte stets auch eine Gefäßdiagnostik (vom Aortenbogen aufwärts) stattfinden.
  • Erweiterte Bildgebung: Bei Überschreitung des Zeitintervalls von 4,5 Stunden nach Symptombeginn sollte eine erweiterte Bildgebung (z. B. Perfusionsuntersuchung mit MRT oder CT) erfolgen, um weitere Reperfusionsmöglichkeiten zu prüfen.
  • Standardtherapie mit Alteplase: Die Standardtherapie für die systemische Thrombolyse erfolgt mit dem rt-PA Alteplase. Obwohl Tenecteplase potenziell wirksamer sein könnte, ist es in der EU bisher nur zur Behandlung des Herzinfarktes zugelassen und wird außerhalb von klinischen Studien nur in Einzelfällen eingesetzt.

Post-Stroke-Delir: Ein unterschätztes Problem

Ein Post-Stroke-Delir tritt je nach Studie bei bis zu 48 % der Patienten auf, im Durchschnitt bei 26 %. Es äußert sich durch fluktuierende Störungen von Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Bewusstsein, die nicht allein durch den Schlaganfall erklärt werden können. Das Post-Stroke-Delir ist mit einer erhöhten Sterblichkeit, längeren Klinikaufenthalten und häufigeren Entlassungen in Pflegeeinrichtungen verbunden. Die Leitlinien empfehlen das gezielte Screening mit etablierten Scores und die frühzeitige Reorientierung der Patienten durch Kommunikation, Mobilisation und Anpassung von Hilfsmitteln wie Brillen und Hörgeräten sowie die Förderung eines Tag-Nacht-Rhythmus.

Duale antithrombotische Therapie

Eine duale antithrombotische Sekundärprophylaxe (ASS plus Clopidogrel oder Ticagrelor) sollte nicht routinemäßig erfolgen. Sie kann bei ausgewählten Patienten nach TIA oder leichten Schlaganfällen über einen Zeitraum von 21-30 Tagen Vorteile haben (nichttödliche Rezidive reduzieren), möglicherweise jedoch zulasten des Blutungsrisikos bei insgesamt unveränderter Mortalität und nur geringem Einfluss auf bleibende Behinderung und Lebensqualität. Bei erhöhtem Blutungsrisiko sollte keine duale Plättchenhemmung erfolgen.

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Geschlechtsspezifische Unterschiede beim Schlaganfall

Die systematische Suche in Datenbanken brachte keinen Anhalt dafür, dass Frauen mit einem Schlaganfall anders behandelt werden sollten als Männer. Es zeigten sich jedoch variable epidemiologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Weniger Frauen waren von Schlaganfällen betroffen als Männer, jedoch waren Frauen durchschnittlich älter, hatten häufiger Bluthochdruck und Vorhofflimmern. Alkohol- oder Nikotinkonsum sowie Hyperlipidämie und Diabetes mellitus waren bei Männern häufiger. Es gibt Hinweise darauf, dass Frauen seltener auf Stroke-Units behandelt wurden, eine erhöhte Krankenhaussterblichkeit hatten und ein schlechteres funktionelles Ergebnis zeigten. Frauen wurden etwas seltener mit rt-PA behandelt, jedoch häufiger mit einer Thrombektomie.

Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN, betont, dass Frauen in Schlaganfallstudien häufig unterrepräsentiert sind, da die Altersgrenze oft bei 80 Jahren liegt. Da Schlaganfallpatientinnen durchschnittlich älter sind als männliche Patienten, könnten sich geschlechtsspezifische Unterschiede in den Behandlungsergebnissen der Studien nicht abzeichnen. Künftige Studien sollten dies berücksichtigen, um gegebenenfalls leicht realisierbare Therapieoptimierungen für beide Geschlechter zu ermöglichen.

Sekundärprophylaxe: Vermeidung von Folgeschlaganfällen

Die S2k-Leitlinie „Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke“ [1, 2] wurde im Juli veröffentlicht. Teil 1 (LL 030/133) befasst sich mit Plättchenhemmung und Antikoagulation sowie der Therapie von Hypercholesterinämie und Hypertonie zur Vermeidung von Folgeschlaganfällen. Teil 2 (LL 030/143) der neuen Leitlinie fokussiert auf die darüberhinausgehenden Risikofaktoren, darunter unter anderem auf den Lebensstil, Diabetes mellitus, die Hormonersatztherapie und die Schlafapnoe.

Schlaganfallrezidive sind relativ häufig. Wie eine 2019 publizierte Analyse der Abrechnungsdaten der AOK Niedersachsen [3] ergab, belief sich das Risiko eines Folgeschlaganfalls nach einem ersten Schlaganfall auf 1,2 Prozent nach 30 Tagen, 3,4 Prozent nach 90 Tagen, 7,4 Prozent nach einem Jahr und 19,4 Prozent nach fünf Jahren. Demnach muss fast jeder Fünfte, der einen Schlaganfall erlitten hat, innerhalb der nächsten fünf Jahre mit einem Folgeschlaganfall rechnen. Nach einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) ist das Schlaganfallrisiko vor allem in den Tagen unmittelbar nach der Attacke deutlich erhöht.

Medikamentöse Behandlung der Risikofaktoren

Teil 1 der Leitlinie befasst sich mit der medikamentösen Behandlung der „klassischen“ Risikofaktoren wie Fettstoffwechselstörungen und der Hypertonie, der Thrombozytenaggregation und der Antikoagulation. Als federführende Autoren zeichnen Professor Dr. Dirk Sander, Tutzing und Feldafing, und Professor Dr. Gerhard F.

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Der Blutdruck sollte nach einem Schlaganfall oder einer TIA langfristig unter 140/90 mm Hg gesenkt werden. Je nach Alter der Betroffenen, Verträglichkeit der Blutdrucksenker und Vorerkrankungen ist sogar eine Senkung auf systolisch 120 bis 130 mm Hg zu erwägen, wobei das Erreichen der Zielblutdruckwerte einen höheren Stellenwert als die Wahl der antihypertensiven Therapie hat. Als Zielwert der cholesterinsenkenden Therapie gilt ein LDL-C-Wert von unter 70 mg/dl; alternativ kann eine Reduktion um > 50 Prozent des Ausgangswerts erfolgen. Zur Thrombozytenaggregations-hemmung werden in der Leitlinie ausschließlich Acetylsalicylsäure (ASS), Clopidogrel und Ticagrelor empfohlen, andere Präparate haben mehr Nebenwirkungen oder es fehlt der Nachweis eines Zusatznutzens. Bei vertretbarem Blutungsrisiko ist die frühe (das heißt innerhalb von 24 Stunden nach Symptombeginn) und kurzzeitige doppelte Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS und Clopidogrel für 21 Tage oder alternativ ASS und Ticagrelor für 30 Tage möglich.

„Die Thrombozytenaggregationshemmung und der Einsatz der oralen Antikoagulation sollten individuell je nach Blutungsneigung, Komorbiditäten und Risikofaktoren aufeinander abgestimmt werden. Die Leitlinie gibt hier einen Handlungskorridor vor, innerhalb dessen eine auf die einzelne Patientin/den einzelnen Patienten angepasste Therapie erfolgen kann“, erklären Professor Hamann, Professor Dr. Armin Grau, Ludwigshafen, und Professor Dr.

Lebensstilmodifikation und weitere Risikofaktoren

Der zweite Teil der Leitlinie fokussiert auf Lebensstilmodifikation sowie auf die Indikationen zur oralen Antikoagulation jenseits des Vorhofflimmerns, die Therapie von Dissektionen der hirnversorgenden Arterien, die Behandlung intrakranieller Gefäßstenosen, die Hormonersatztherapie, den Diabetes mellitus bei Schlaganfallpatienten und das obstruktive Schlafapnoesyndrom. Federführende Autoren waren Professor Dr. Tobias Kurth und Dr. Manuel Olma, beide von der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Zur Steuerungsgruppe beider Leitlinien-Teile gehören neben den federführenden Autoren (Professor Dr. Dirk Sander und Professor Dr. Gerhard F. Hamann (Teil 1) sowie Professor Dr. Tobias Kurth (Teil 2) ) Professor Dr. Armin Grau, Ludwigshafen, und Professor Dr.

„Für Betroffene sind insbesondere die Informationen zum Lebensstil von hoher Relevanz, da sie ihn selbst beeinflussen können“, erklärt Professor Kurth. Was sollten sie dafür tun? Die Leitlinie rät zu regelmäßiger körperlicher Aktivität. Der regelmäßige Verzehr von Obst und Gemüse oder eine mediterrane Diät senken das Risiko eines Schlaganfallrezidivs und vaskulärer Folgeereignisse, dabei sollte der Salzkonsum reduziert werden. Betroffene sollten auf das Rauchen verzichten und den Alkoholkonsum reduzieren. Einem Diabetes mellitus als „gewichtigem“ Risikofaktor für Schlaganfälle sollte möglichst vorgebeugt werden. Diabetikerinnen und Diabetiker sollten nach einem Schlaganfall in jedem Fall auf eine gute Blutzuckereinstellung achten. Nach einer Schlafapnoe als zusätzlichem Risikofaktor sollte gezielt gesucht werden. Die nächtliche Überdruckbeatmung (CPAP) ist bei mittelschwerer bis schwerer Schlafapnoe die Therapie der Wahl. Schlaganfallpatientinnen, die Kontrazeptiva einnehmen, sollten andere Verhütungsmethoden erwägen.

„Die Leitlinien geben also ein breites Armamentarium an die Hand, um das Rezidivrisiko nach ischämischem Insult oder TIA zu senken. Zur Maximalprophylaxe sollten alle Maßnahmen dauerhaft umgesetzt werden, was eine enge Zusammenarbeit zwischen Neurologinnen/Neurologen, Hausärztin/Hausarzt und Betroffenen erfordert. Gerade die langfristige Lebensstilumstellung stellt für viele Patientinnen und Patienten einer Herausforderung dar, bei der Medizinerinnen und Mediziner immer wieder Unterstützung leisten müssen. Die neurologische Nachsorge sollte dabei weit über die medikamentöse Einstellung der ‚klassischen‘ Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder hohe Lipidwerte hinausgehen“, betont DGN-Generalsekretär Professor Dr.

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Beteiligte Fachgesellschaften und Organisationen

Neben der DGN und der DSG waren diese Fachgesellschaften und Organisationen an der Erstellung der Leitlinie beteiligt:

  • Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK)
  • Deutsche Gesellschaft für Angiologie - Gesellschaft für Gefäßmedizin (DGA)
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. (DEGAM)
  • Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)
  • Deutsche Hochdruckliga e. V.
  • Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN)
  • Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen und ihren Folgeerkrankungen DGFF (Lipid-Liga) e. V.
  • Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie e. V. (DGGG)
  • Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)
  • Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH)
  • Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL)
  • Berufsverband Deutscher Neurologen (BDN)
  • Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
  • Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie
  • Deutsche Diabetes Gesellschaft
  • Deutsche Gesellschaft für Pharmakologie
  • Insulthilfe e. V.

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