Demenz, in ihren vielfältigen Formen, hat sich zu einer weit verbreiteten Volkskrankheit entwickelt. Diese Erkrankung, die oft als "das grosse Vergessen" bezeichnet wird, kann jeden treffen und steht in einer komplexen Wechselwirkung mit Diabetes, insbesondere Diabetes Typ 1. Dieser Artikel beleuchtet das erhöhte Demenzrisiko bei Menschen mit Typ-1-Diabetes, die zugrunde liegenden Mechanismen und die Bedeutung einer frühzeitigen Prävention und Behandlung.
Die Wechselwirkung zwischen Diabetes und Demenz
Diabetes und Demenz bilden eine gefährliche Kombination, die die Selbstbehandlung erheblich erschwert. Diabetes, insbesondere Typ 1, erfordert eine kontinuierliche Überwachung und Anpassung der Glukosewerte, was ein stetiges Handeln erfordert. Menschen mit Demenz sind damit oft überfordert, da sie schlichtweg vergessen, diese Maßnahmen durchzuführen.
In der Schweiz leben laut Bundesamt für Gesundheit rund 153.000 Menschen mit Demenz, und jährlich kommen etwa 32.900 Neuerkrankungen hinzu, oft im fortgeschrittenen Alter. Die Betreuung von dementen Personen sollte idealerweise in professionelle oder in gut geschulte familiäre Hände übergeben werden, um die Lebensqualität zu erhalten und Hypoglykämien zu vermeiden.
Diabetes und Demenz: Ein Teufelskreis
Einerseits führt Diabetes zu einem häufigeren Auftreten von Demenz, andererseits führt das Vorliegen von Demenz häufiger zu Therapieproblemen wie Unterzuckerungen. Dieser Zusammenhang ist geradezu ein „Teufelskreis“, bei dem sich die Probleme gegenseitig verstärken. Die Zielwerte der Diabetesbehandlung müssen bei Menschen mit Demenz sehr individualisiert gesetzt werden. Vermutlich sind diese Zielwerte für den Blutglukosespiegel im Hinblick auf den Gesamtnutzen deutlich höher anzusiedeln.
Die Rolle des Blutzuckerspiegels
Das menschliche Gehirn reagiert sehr sensibel auf Schwankungen des Blutzuckers. Sowohl Unter- als auch Überzucker schaden dem Gehirn. Besonders gefürchtet sind Hypoglykämien, also Unterzucker, weil dabei das Gehirn nicht ausreichend mit Energie versorgt wird. Aber auch zu hohe Zuckerwerte, also Hyperglykämien schaden. Bei hohen Zuckerwerten verändern sich die osmotischen Bedingungen zwischen Blut und Gehirnzellen. Die Hirnzellen verlieren Flüssigkeit. Im Extremfall kommt es zu einem diabetischen Koma.
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Eine Studie zeigt jetzt, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes, die im Laufe ihres Lebens einen so dramatischen Unterzucker oder so hohe Blutzuckerwerte aufwiesen, dass sie stationär in einem Krankenhaus behandelt werden mussten, mit einem deutlich erhöhten Risiko leben, an Demenz zu erkranken.
Studienergebnisse zum Demenzrisiko bei Typ-1-Diabetes
Eine Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen der langfristigen Blutzuckereinstellung und dem Demenzrisiko bei Menschen mit Typ-1-Diabetes. Während des Nachbeobachtungszeitraums von durchschnittlich 6,3 Jahren und im Mittel 13,5 HbA1c-Bestimmungen pro Person erkrankten 155 Patienten (4,5 %) im Verlauf an einer Demenz. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das Demenzrisiko von der Qualität der langfristigen Blutzuckereinstellung abhing: Patienten, bei welchen mindestens die Hälfte der HbA1c-Werte zwischen 8 und 8,9 % bzw. ≥ 9 % lagen, hatten im Vergleich zu Patienten mit weniger als 50 % der HbA1c-Werte in diesem Bereich ein um 65 % bzw. 79 % höheres Demenzrisiko. Dauerhaft niedrige HbA1c-Werte (6-6,9 % bzw. 7-7,9 %) erwiesen sich dagegen als demenzprotektiv.
Risikofaktoren und Präventionsmaßnahmen
Bislang sind 14 Risikofaktoren für Demenz bekannt, die prinzipiell modifizierbar sind und durch medizinische Vorsorge und gesunde Lebensgewohnheiten zum Teil persönlich beeinflusst werden können. Dazu gehören unter anderem Bluthochdruck, Übergewicht, Sehstörungen, Schwerhörigkeit, Fettstoffwechselstörungen, soziale Isolation - und eben auch Diabetes mellitus.
Diabetes kann auf ganz unterschiedliche Weise das Gehirn schädigen:
- Durch Veränderungen an den Gehirngefäßen, denn Diabetes führt zu Gefäßverkalkungen.
- Durch Beeinträchtigung des Zucker- und Insulinstoffwechsels im Gehirn.
- Durch Hypoglykämien (Unterzuckerungen) durch die Diabetestherapie z. B. mit Insulin.
Prävention durch Lebensstiländerung
„Die Prävention von Diabetes mellitus ist somit ein Investment in die eigene Hirngesundheit“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Wer mit Ernährungsumstellung und viel Bewegung seinen Lebensstil gesundheitsbewusst gestaltet, um Diabetes zu vermeiden, beugt gleichzeitig anderen Erkrankungen und Faktoren vor, die eine Demenz begünstigen, wie z. B. Übergewicht, hohe Blutfettwerte oder Bluthochdruck.
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Weitere Präventionsmaßnahmen
Neben der Diabetes-Prävention empfiehlt die Deutsche Hirnstiftung zusätzliche Maßnahmen zur Demenz-Prävention, wie soziale Interaktionen und Aktivitäten, die das Gehirn fördern und fordern, z. B. das Erlernen einer Fremdsprache, eines Musikinstruments oder komplexer Schrittfolgen beim Tanzen.
Diabetes-assoziierte Veränderungen im Gehirn
Manche Stoffwechseleigenschaften des Diabetes schädigen das Gehirn direkt - ohne Vermittlung durch den Blutzucker: Bei Diabetes-Typ-2 wurde die Abnahme der Expression von Glukosetransportern (GLUT-1 und GLUT-3) in verschiedenen Hirnregionen beobachtet, auch die Zunahme von Sauerstoffradikalen sowie mitochondriale Veränderungen, die im Zusammenhang mit den pathophysiologischen Veränderungen bei Demenz stehen könnten. Entsprechend wurden bereits moderne Antidiabetika, sog. SGLT2-Inhibitoren, daraufhin getestet, ob sie auch das Demenz-Risiko von Menschen mit Diabetes senken können. Eine aktuelle koreanische Studie gibt Hoffnung, denn die medikamentöse Intervention reduzierte dort das Risiko um 21 %.
Ein weiterer demenzfördernder Effekt läuft über den Insulinstoffwechsel im Gehirn, wo es zu einer Art Insulinresistenz der Hirnzellen kommen kann. Dies hat negative Auswirkungen auf die Abbauvorgänge der Eiweißstoffe. Es gibt Forschergruppen, die daher bei der Alzheimer-Demenz vom „Diabetes Typ 3“ sprechen.
Frühzeitige Vorkehrungen und Therapieanpassungen
Mit den ersten Symptomen einer Demenz kann eine Vernachlässigung der Diabetestherapie einhergehen. Mit fortschreitender Demenz kommt es aber womöglich zu einem Punkt, an dem sie ihr Diabetesmanagement in andere Hände geben müssen. Um Fehler zu verhindern, sollten die Bedienfunktionen der verwendeten Hilfsmittel, wie z.B. der Insulinpumpe für die Betroffenen ausgeschaltet werden. Über Beobachtungsfunktionen können stattdessen Betreuende die Glukosewerte auf ihrem eigenen Handy im Blick behalten. Dort können in der Regel auch Benachrichtigungen eingestellt werden, die bei Erreichen eines bestimmten Glukosewertes Alarm schlagen. So wird die betreuende Person frühzeitig informiert und sie kann Massnahmen ergreifen, um korrigierend einzugreifen.
Es ist kaum vorherzusagen, wie sich eine Demenz entwickeln wird und welches Verhalten daraus folgt. Darum sollten Menschen mit Diabetes und ihre Familien früh über die Therapiemöglichkeiten sprechen und Vorkehrungen treffen. Es ist eine grosse Hilfe für die Betroffenen selbst, aber auch für ihre Familien und Pflegepersonen, wenn zu Zeiten voller geistiger Gegenwart eine Patientenverfügung erstellt und Therapiewünsche festgehalten wurden.
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Essstörungen und Diabetes
Diabetes ist mit einem erhöhten Risiko für Essstörungen verbunden. Beim Typ-2-Diabetes spielt vor allem die sogenannte Binge-Eating-Störung eine Rolle. Patientinnen und Patienten mit Typ-1-Diabetes nutzen in manchen Fällen das Auslassen von Insulin, um Gewicht zu verlieren (Insulin-Purging). Im Zusammenhang mit Diabetes tritt ebenfalls vor allem bei jugendlichen Mädchen beziehungsweise jungen Frauen mit Typ-1-Diabetes Bulimie (Ess-Brech-Sucht, Bulimia nervosa) auf. Die Folge von Essstörungen bei Menschen mit Diabetes ist kurzfristig ein erhöhtes Risiko für diabetologische Notfälle, wie etwa eine diabetische Ketoazidose, und längerfristig eine schlechte Blutzuckerkontrolle und damit einhergehend ein höheres Risiko für Komplikationen wie Nieren-, Augen- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Daher ist es wichtig, möglichst frühzeitig professionelle Hilfe bei einer Essstörung in Anspruch zu nehmen.
Auswirkungen von Diabetes auf die kognitive Funktion bei Kindern
Aus Studien ist bekannt, dass Kinder mit Typ-1-Diabetes einen niedrigeren IQ aufweisen als Stoffwechselgesunde. Dazu kommen Defizite in den Exekutivfunktionen, also beim episodischen und räumlichen Arbeitsgedächtnis sowie der Aufmerksamkeit. Inzwischen hat sich herauskristallisiert, dass die anhaltende Hyperglykämie offenbar besonders große Bedeutung hat. Der Glukoseüberschuss ist mit strukturellen Hirnveränderungen sowie kognitiven Defiziten bei Patienten assoziiert, die schon als Kind erkrankten. Ob sich diese Entwicklungen durch eine rigidere Blutzuckerkontrolle verhindern oder gar umkehren lassen, ist derzeit Gegenstand intensiver Forschung.
Medikamentöse Therapie und Demenzrisiko
Eine Analyse von Krankenkassendaten zeigte einen statistischen Zusammenhang zwischen der Behandlung mit Pioglitazon und der Senkung des Demenzrisikos. Statistisch gesehen erkrankten die so behandelten Diabetiker sogar weniger häufig an Demenz als Menschen ohne Diabetes. Das Erkrankungsrisiko war um 47 Prozent geringer als bei Nicht-Diabetikern, also etwa nur halb so groß. Das Forschungsteam untersuchte auch, wie andere häufig verschriebene Antidiabetika sich auf das Demenzrisiko auswirkten. Es zeigte sich, dass eine Behandlung mit „Metformin“ das Gefährdungspotenzial ebenfalls herabsetzte.