Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte, unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch plötzliche, übermäßige elektrische Entladungen von Nervenzellen im Gehirn, was zu ungewollten Bewegungen, Befindungsstörungen und Bewusstseinsverlust führen kann. Bei Kindern manifestiert sich Epilepsie häufiger als bei Erwachsenen, wobei etwa 25 % aller Epilepsie-Neuerkrankungen im Kindesalter auftreten. Die Ursachen für Epilepsie sind vielfältig und können von Stoffwechselstörungen und Hirnverletzungen bis hin zu genetischen Veränderungen reichen.
Genetische Ursachen kindlicher Epilepsien
Ein bedeutender Anteil der Epilepsieerkrankungen bei Kindern, schätzungsweise 30 bis 40 Prozent, ist genetisch bedingt. Wissenschaftler haben bisher mehrere hundert unterschiedliche Gene identifiziert, bei denen Veränderungen in der DNA-Sequenz zu bestimmten frühkindlichen Formen von Epilepsie führen können. Diese genetischen Veränderungen können verschiedene Mechanismen beeinflussen, die die Erregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn steuern.
Dravet-Syndrom: Eine genetisch bedingte schwere Epilepsieform
Das Dravet-Syndrom, auch bekannt als schwere myoklonische Epilepsie des frühen Kindesalters (SMEI), ist eine besonders schwerwiegende Form der Epilepsie, die typischerweise im ersten Lebensjahr bei zuvor gesunden Kindern beginnt. Charakteristisch sind Krampfanfälle bei Fieber, oft auch nach Impfungen. Diese Anfälle können klonisch, tonisch-klonisch oder generalisiert sein, ungewöhnlich lange dauern und in einen Status epilepticus münden. Im weiteren Verlauf können myoklonische Anfälle, atypische Absencen und Partialanfälle hinzukommen.
Die psychomotorische Entwicklung der betroffenen Kinder ist in vielen Fällen verzögert, und es können Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität oder autistische Verhaltensweisen auftreten. Die Diagnose wird oft erst nach mehrjährigem Krankheitsverlauf gestellt, da EEG und kraniale Kernspintomographie anfangs oft unauffällig sind.
Die häufigste genetische Ursache des Dravet-Syndroms sind pathogene Varianten im SCN1A-Gen, das für die alpha1-Untereinheit eines neuronalen Natriumkanals kodiert. Diese Varianten führen in den meisten Fällen zu einem Funktionsverlust des Natriumkanals, was die Erregbarkeit der Nervenzellen beeinflusst. Chromosomale Deletionen innerhalb der Region 2q24, die das gesamte SCN1A-Gen beinhalten, sind in 1,5-6% der Patienten beschrieben.
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Weitere Gene, die mit Epilepsie in Verbindung stehen
Neben dem SCN1A-Gen wurden zahlreiche weitere Gene identifiziert, die eine Rolle bei der Entstehung von Epilepsie spielen können. Dazu gehören Gene, die für Ionenkanäle, Neurotransmitter-Rezeptoren, synaptische Proteine und andere wichtige Faktoren der neuronalen Funktion kodieren.
- PCDH19: Pathogene Varianten im Gen für Protocadherin 19 (PCDH19 auf Chromosom Xq22) wurden bei weiblichen Patienten mit X-gebundener Epilepsie mit geistiger Behinderung beschrieben. Klinische Ähnlichkeiten zum Dravet-Syndrom beinhalten die frühe Manifestation von Fieber-gebundenen, Fieber-unabhängigen und hemiklonischen Anfällen.
- VGAT (SLC32A1): Veränderungen im VGAT-Gen, das für einen Transporter des Neurotransmitters GABA verantwortlich ist, können zu einer frühkindlichen epileptischen Enzephalopathie führen. Diese Veränderungen führen dazu, dass weniger GABA in die Vesikel befördert wird, was das Gleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn stört und zur Überaktivität von Nervenzellen führen kann.
- KCNA2: Mutationen im KCNA2-Gen, das für Kaliumkanäle kodiert, können ebenfalls zu schweren epileptischen Anfällen im frühen Kindesalter führen. In manchen Fällen führen die Mutationen zu einer gesteigerten Aktivität des Kanals, die mit dem Wirkstoff 4-Aminopyridin behandelt werden kann.
- CHKA: Genetische Veränderungen im CHKA-Gen können eine früh einsetzende Epilepsie, Entwicklungsstörungen und einen kleinen Kopfumfang verursachen. Das CHKA-Gen gehört zum Kennedy-Enzym-Pathway, der für den Aufbau von Membranbausteinen wichtig ist.
- ATP2B1: Mutationen im ATP2B1-Gen, das für eine Kalziumpumpe kodiert, können ebenfalls zu Entwicklungsverzögerungen führen. Die Kalziumpumpe ist wichtig für die Signalübertragung in Neuronen und somit für Lernprozesse und die Speicherung von Sinneswahrnehmungen im Gedächtnis.
Bedeutung genetischer Untersuchungen für die Diagnose und Therapie
Die Identifizierung genetischer Ursachen von Epilepsie kann wichtige Informationen für die Diagnose, Prognose und Therapieplanung liefern. Durch genetische Tests können spezifische Gendefekte identifiziert werden, die für die Erkrankung verantwortlich sind. Dieses Wissen kann dazu beitragen, die Diagnose zu bestätigen, das Wiederholungsrisiko in der Familie abzuschätzen und möglicherweise gezielte Therapieansätze zu entwickeln.
In einigen Fällen kann die Kenntnis des zugrundeliegenden Gendefekts eine personalisierte Therapie ermöglichen. Beispielsweise kann bei Patienten mit Mutationen im KCNA2-Gen, die zu einer gesteigerten Aktivität des Kaliumkanals führen, der Wirkstoff 4-Aminopyridin eingesetzt werden, um die Kanalaktivität zu hemmen und die Anfälle zu reduzieren.
Herausforderungen und zukünftige Forschungsansätze
Trotz der Fortschritte bei der Identifizierung von Epilepsie-Genen sind die Auslöser vieler Epilepsie-Erkrankungen nach wie vor ungeklärt. Es ist möglich, dass es Veränderungen in Genen gibt, die noch nicht mit einem bestimmten Krankheitsbild verknüpft sind. Darüber hinaus spielen wahrscheinlich auch komplexe Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Genen und Umweltfaktoren eine Rolle bei der Entstehung von Epilepsie.
Zukünftige Forschungsansätze konzentrieren sich auf die Identifizierung neuer Epilepsie-Gene, die Aufklärung der molekularen Mechanismen, die den genetischen Defekten zugrunde liegen, und die Entwicklung gezielter Therapien, die auf die spezifischen genetischen Ursachen der Erkrankung abzielen. Die zunehmende Zusammenarbeit und Vernetzung von Forschern weltweit ist dabei von entscheidender Bedeutung, um die Erforschung genetischer Ursachen von Epilepsien voranzutreiben.
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Weitere Ursachen von Epilepsie im Kindesalter
Neben genetischen Faktoren können auch andere Ursachen zu Epilepsie im Kindesalter führen. Dazu gehören:
- Strukturelle Veränderungen im Gehirn: Schäden am Gehirn, die durch Schlaganfälle, Tumore, Hirnverletzungen oder Entzündungen verursacht werden, können zu Epilepsie führen.
- Infektionen des Gehirns: Infektionen wie Meningitis oder Enzephalitis können ebenfalls Epilepsie auslösen.
- Stoffwechselstörungen: Seltene Stoffwechselerkrankungen wie die Phenylketonurie können zu Epilepsie führen.
- Immunologische Ursachen: Entzündungsvorgänge im Gehirn, bei denen das Immunsystem das Hirngewebe angreift, können ebenfalls Epilepsie verursachen.
Fieberkrämpfe
Fieberkrämpfe sind eine häufige Form epileptischer Anfälle im Kindesalter, die durch erhöhte Körpertemperatur ausgelöst werden. Sie treten typischerweise bei Kindern im Alter von drei Monaten bis fünf Jahren auf und sind meist harmlos. Einfache Fieberkrämpfe dauern weniger als 15 Minuten und treten nur einmal innerhalb von 24 Stunden auf. In der Regel ist keine spezielle Therapie erforderlich, außer fiebersenkenden Maßnahmen.
Diagnose und Therapie von Epilepsie im Kindesalter
Die Diagnose von Epilepsie basiert auf der Anamnese, der Beschreibung der Anfälle und den Ergebnissen neurologischer Untersuchungen, einschließlich EEG und Bildgebung des Gehirns. Die medikamentöse Therapie ist die häufigste Behandlungsform von Epilepsie. Ziel der Therapie ist es, die Anfälle zu kontrollieren und die Lebensqualität der betroffenen Kinder zu verbessern.
Altersgebundene Epilepsiesyndrome
Es gibt verschiedene altersgebundene Epilepsiesyndrome, die sich in ihrem Erscheinungsbild, ihrer Ursache und ihrer Prognose unterscheiden. Einige Beispiele sind:
- West-Syndrom: Tritt meist im Säuglingsalter auf und ist durch Blitz-Nick-Salaam-Anfälle, Hypsarrhythmie im EEG und Entwicklungsregression gekennzeichnet.
- Frühkindliche Absenceepilepsie: Manifestiert sich in den ersten vier Lebensjahren mit häufigen Absencen (Abwesenheitszuständen).
- Rolando-Epilepsie: Tritt im Kindesalter auf und ist durch sensomotorische Herdanfälle der Perioralregion gekennzeichnet.
- Juvenile myoklonische Epilepsie: Beginnt meist in der Jugend und ist durch morgendliche myoklonische Zuckungen gekennzeichnet.
Forschung und Ausblick
Die Forschung im Bereich der Epilepsie hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Neue genetische Erkenntnisse, verbesserte bildgebende Verfahren und innovative Therapieansätze eröffnen neue Möglichkeiten zur Diagnose und Behandlung von Epilepsie im Kindesalter. Ziel ist es, die Ursachen der Erkrankung besser zu verstehen, personalisierte Therapien zu entwickeln und die Lebensqualität der betroffenen Kinder und ihrer Familien zu verbessern.
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