Epilepsie und Entwicklungsverzögerungen bei Kindern können verschiedene Ursachen haben, darunter auch genetische Defekte. Die Ursachenforschung ist oft komplex, und in vielen Fällen bleiben die Auslöser ungeklärt. Dieser Artikel beleuchtet einige genetische Ursachen für Epilepsie und Entwicklungsverzögerungen, darunter STXBP1-Mutationen sowie weitere Gendefekte, die in der Forschung identifiziert wurden.
Seltene Gendefekte als Ursache für Epilepsie und Entwicklungsverzögerung
Genetische Veränderungen können eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Epilepsie und Entwicklungsstörungen spielen, insbesondere wenn diese bereits im frühen Kindesalter beginnen. Wissenschaftler haben bereits mehrere hundert verschiedene Gene identifiziert, bei denen Veränderungen in der DNA-Sequenz zu bestimmten Formen von frühkindlicher Epilepsie führen können. Oft gehen diese Epilepsieformen mit schweren Entwicklungsstörungen einher.
STXBP1: Eine seltene Genmutation mit vielfältigen Auswirkungen
STXBP1 ist eine sehr seltene genetische Veränderung auf Chromosom 9, die für motorische und kognitive Entwicklungsstörungen sowie häufig schwere Epilepsien verantwortlich ist. In Deutschland gibt es derzeit (Stand: 09/2025) 102 dokumentierte Patienten mit der Genmutation STXBP1. Diese Genmutation tritt häufig spontan auf ("de novo") und wird nicht von den Eltern vererbt. Die Häufigkeit einer STXBP1-Genmutation wird auf etwa 1:30.000 geschätzt und ist mittlerweile die fünfthäufigste Diagnose bei epileptischen Enzephalopathien/frühkindlicher Epilepsie und neuronalen Entwicklungsstörungen.
Erscheinungsbild der STXBP1-Genveränderung
Erste Auffälligkeiten treten häufig bereits im Säuglingsalter oder kurz nach der Geburt auf. Das Erkrankungsspektrum ist vielfältig, sodass sich betroffene Kinder sehr unterschiedlich entwickeln können. Zu den möglichen Symptomen gehören:
- Veränderte Körperspannung
- Bewegungsstörungen
- Verhaltensstörungen
Die häufigsten organspezifischen Entwicklungsprobleme sind Bewegungsstörungen, starke Epilepsien und Verhaltensstörungen. Motorische Entwicklungsverzögerungen zeigen sich oft zuerst durch das Ausbleiben wichtiger Entwicklungsmeilensteine wie Kopfhaltung, Drehen, Robben und Laufen lernen. Fast alle Kinder haben leichte bis sehr schwere Gehprobleme, oft aufgrund eines schwachen Muskeltonus und Ataxie. Auch die Sprachentwicklung ist häufig beeinträchtigt: Viele betroffene Kinder weisen schwere Sprachstörungen auf, können nicht oder nur sehr wenige Worte sprechen, und haben oft kein Sprachverständnis. Die Entwicklung der Kinder ist jedoch individuell und nicht immer vorhersehbar.
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Diagnostik und Behandlung von STXBP1
Die genetische Diagnostik beginnt oft mit Untersuchungen einzelner Genpaneele für Epilepsie, neurologische Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsstörungen und geistige Behinderungen, bis hin zur kompletten Exom-Sequenzierung.
Derzeit gibt es keine Heilung für STXBP1. Therapien zur Förderung der Entwicklung sind jedoch empfehlenswert und gehören für betroffene Familien zum Alltag. Dazu gehören beispielsweise regelmäßige Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie, Heilpädagogik und Frühförderung. Auch stationäre Klinikaufenthalte und Reha-Maßnahmen können notwendig sein. Neben der ganzheitlichen Förderung ist die medikamentöse Behandlung von Epilepsiesymptomen unerlässlich. Die Einstellung und das Finden der richtigen Medikamente kann jedoch ein langer und herausfordernder Weg sein, und viele Kinder bleiben nicht vollständig krampffrei.
Forschung zu STXBP1
Mit der Gründung des Vereins STXBP1 e.V. werden die Forschung zu dieser seltenen Erkrankung vorangetrieben. Ein erster Meilenstein ist die von der Universitätsklinik Heidelberg erfolgreich abgeschlossene und veröffentlichte "STXBP1 Natural History Study of children with STXBP1 mutation". Ziel dieser Studie war es, phänotypische Erscheinungsbilder, einen evolutionären Stammbaum sowie Entwicklungs- und Überlebenskurven zu erstellen, um offene Fragen von Eltern zu beantworten.
Das ESCO (European STXBP1 Consortium) ist ein Zusammenschluss von Forschern und Klinikern aus mehreren Ländern, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Forschung zu fördern und die Entwicklung neuer Therapien für STXBP1-bedingte Störungen voranzutreiben. Ein großes Ziel ist eine prospektive Verlaufsstudie, bei der Kinder und Erwachsene mit STXBP1 in regelmäßigen Abständen standardisiert untersucht werden.
SYNGAP1 und andere Gendefekte
Neben STXBP1 gibt es weitere Gendefekte, die mit Epilepsie und Entwicklungsverzögerungen in Verbindung stehen. Ein Beispiel ist die SYNGAP1-Mutation. Ein großer Teil der SYNGAP-Kinder hat epileptische Anfälle, die jedoch oft von Eltern und Ärzten übersehen werden. Um die Ursache für die Entwicklungsverzögerung zu finden, ist eine genetische Untersuchung erforderlich.
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In Großbritannien werden seit Jahren große Studien durchgeführt, um die Ursachen von Entwicklungsverzögerungen und -störungen zu finden. Dabei werden Exom-Analysen und Genom-Analysen eingesetzt, um die Chancen auf das Auffinden eines Gendefekts zu erhöhen. In Deutschland wird eine erweiterte Gendiagnostik seltener angeboten oder von den Krankenkassen genehmigt. Um die Diagnose von Kindern mit Entwicklungsstörungen zu verbessern, ist es wichtig, dass Ärzte neben einer Entwicklungsstörung auch an eine Intelligenzminderung oder Epilepsie denken und dass Labore Genpanels zu Entwicklungsstörungen anbieten, die Gendefekte wie SYNGAP1 beinhalten. Eine frühe Diagnose ist besonders für Kinder mit SYNGAP wichtig, damit eine unentdeckte Epilepsie rechtzeitig behandelt werden kann, um Schäden zu vermeiden.
Weitere genetische Ursachen für Epilepsie
Die frühkindliche epileptische Enzephalopathie (EIEE) ist eine heterogene Gruppe von schweren Epilepsien, die im ersten Lebensjahr beginnen. Bisher konnten 75 genetisch zu differenzierende Formen identifiziert werden (EIEE1-EIEE75). Eine weitere Form ist die X-gebundene Epilepsie mit geistiger Behinderung (EIEE9), die durch Mutationen im Gen für Protocadherin 9 (PCDH19) verursacht wird.
Mutationen im KCNA2-Gen können ebenfalls zu frühkindlicher Epilepsie führen. In manchen Fällen führt die Mutation zu einer gesteigerten Aktivität des Kaliumkanals, die mit dem Wirkstoff 4-Aminopyridin gehemmt werden kann.
Veränderungen im VGAT-Gen (SLC32A1) können ebenfalls eine frühkindliche epileptische Enzephalopathie verursachen. Diese Veränderungen führen dazu, dass weniger GABA-Botenstoff in die Vesikel befördert wird, was das Gleichgewicht der Botenstoffe stört und zu einer Überaktivität von Nervenzellen führen kann.
Rett-Syndrom
Das Rett-Syndrom ist eine sehr seltene Entwicklungsstörung, die fast ausschließlich Mädchen betrifft. Ursache ist eine genetische Mutation, die zu einer Störung der Reifung von Nervenzellen führt. Die ersten Anzeichen treten etwa zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat auf. Es gibt verschiedene Varianten des Rett-Syndroms, die sich in ihren Symptomen und ihrem Verlauf unterscheiden. Eine vollständige Heilung ist derzeit nicht möglich, die Therapie konzentriert sich auf die Linderung der Symptome und Begleiterkrankungen.
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Forschung zur Identifizierung neuer genetischer Ursachen
Die Ursachenforschung bei Intelligenzminderung oder Epilepsie ist oft komplex, und in mehr als 50 Prozent der Fälle bleiben die Ursachen ungeklärt. Um neue genetische Ursachen zu identifizieren, werden verschiedene Forschungsansätze verfolgt.
Sequenzierung des Erbguts
Ein Ansatz ist die Sequenzierung des gesamten codierenden Bereichs des menschlichen Erbguts (Exom-Sequenzierung) von betroffenen Kindern und ihren Eltern. Durch den Vergleich der Sequenzen können genetische Veränderungen identifiziert werden, die beim Kind neu entstanden sind oder von den Eltern vererbt wurden.
Internationale Kooperationen
Internationale Kooperationen und Datenbanken wie GeneMatcher ermöglichen es Forschern, Fälle mit ähnlichen genetischen Veränderungen und Symptomen zu finden und so neue Krankheitsursachen zu identifizieren.
Funktionsstudien
Um den Zusammenhang zwischen einer genetischen Veränderung und einer Erkrankung nachzuweisen, sind Funktionsstudien erforderlich. In diesen Studien wird untersucht, wie sich die Mutation auf die Funktion des betroffenen Gens und die entsprechenden zellulären Prozesse auswirkt.
Beispiele für erfolgreiche Ursachenforschung
In der Leipziger Universitätsmedizin konnten in Zusammenarbeit mit internationalen Forschern zwei neue Gene identifiziert werden, die Ursachen für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern sind:
- Mutationen im CHKA-Gen führen zu einer schweren Entwicklungsstörung mit Epilepsie, Bewegungsstörung und einem zu kleinen Kopf.
- Mutationen im ATP2B1-Gen beeinträchtigen die Funktion einer Kalziumpumpe und sind ursächlich für eine Entwicklungsverzögerung.
Bedeutung einer frühen Diagnose
Eine frühe Diagnose von genetisch bedingten Epilepsieformen und Entwicklungsstörungen ist wichtig, um betroffenen Kindern und ihren Familien eine angemessene Behandlung und Unterstützung zukommen zu lassen. Eine frühe Diagnose ermöglicht es:
- Eine Epilepsie rechtzeitig zu behandeln und Schäden zu vermeiden.
- Entwicklungsverzögerungen frühzeitig zu erkennen und gezielte Fördermaßnahmen einzuleiten.
- Eltern über die Ursache der Erkrankung aufzuklären und ihnen Informationen über den Krankheitsverlauf und mögliche Therapien zu geben.
- Familien mit anderen Betroffenen zu vernetzen und ihnen die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch zu geben.
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