Diabetische Polyneuropathie: Ursachen, Symptome und Behandlung

Diabetische Neuropathien sind Nervenschädigungen, die als Spätfolge eines Diabetes mellitus auftreten können. Dabei können verschiedene Regionen des peripheren Nervensystems betroffen sein. Permanent erhöhte Blutzuckerwerte schädigen die peripheren Nerven und beeinträchtigen deren Funktion. Nach 25 Jahren Diabetesdauer entwickelt etwa die Hälfte der Betroffenen eine symptomatische periphere Neuropathie.

Wichtig: Die Informationen in diesem Artikel dienen der Information und ersetzen keinen Arztbesuch. Bei gesundheitlichen Problemen sollte immer ein Arzt konsultiert werden.

Was sind diabetische Neuropathien?

Die diabetische Neuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, die durch Diabetes mellitus verursacht wird. Das periphere Nervensystem umfasst alle außerhalb des zentralen Nervensystems liegenden Teile der motorischen, sensiblen und autonomen Nerven. Es wird funktionell in zwei Systeme unterteilt:

  • Somatisches Nervensystem: Steuert willentlich beeinflussbare Körpervorgänge wie die Ansteuerung der Skelettmuskeln und die sensorische Wahrnehmung von Sinnesreizen. Erkrankungen motorischer und sensorischer Nerven werden als sensomotorische, motorische oder sensible Neuropathien bezeichnet.
  • Autonomes (vegetatives) Nervensystem: Steuert automatisch ablaufende Grundfunktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung, Schweißbildung und Blutdruckregulation. Es besteht aus Sympathikus und Parasympathikus. Erkrankungen autonomer Nerven werden als autonome Neuropathien bezeichnet.

Ursachen der diabetischen Neuropathie

Die Nervenschäden bei einer diabetischen Neuropathie entstehen durch mehrere Faktoren, wobei ein über längere Zeit erhöhter Blutzuckerspiegel die Hauptursache darstellt. Eine langjährige Diabeteserkrankung und hohe Blutzuckerwerte begünstigen daher eine Neuropathie. Weitere Risikofaktoren sind:

  • Störung des Fettstoffwechsels (besonders bei Typ-2-Diabetes)
  • Bluthochdruck
  • Gefäßerkrankungen
  • Diabetische Retino- oder Nephropathie
  • Erhöhte Blutfette
  • Alkohol- und Nikotinkonsum
  • Übergewicht
  • Bewegungsmangel
  • Falsche Ernährung

Symptome der diabetischen Neuropathie

Die diabetische Neuropathie kann sich vielfältig äußern, abhängig davon, welche Nerven geschädigt sind. In frühen Stadien verläuft sie oft unbemerkt und beschwerdefrei. Typische Symptome sind:

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  • Sensomotorische Neuropathie:
    • Schmerzen, Kribbeln, Brennen und Taubheit in Füßen, Händen, Unterarmen und Unterschenkeln
    • Überempfindlichkeit auf Berührungen (z.B. durch Bettdecke oder Socken)
    • Schmerzen, die nachts schlimmer sind
    • Eingeschränktes Temperatur- und Schmerzempfinden
    • Unsicherer Gang und erhöhte Sturzneigung
    • Fußverletzungen, die unbemerkt bleiben
  • Autonome Neuropathie:
    • Niedriger Blutdruck und Benommenheit
    • Schluckstörungen, Übelkeit, Verstopfung oder Durchfall
    • Schwierigkeiten beim Entleeren der Blase
    • Extremes Schwitzen
    • Erektionsstörungen
    • Schneller Herzschlag in Ruhe und Herzrhythmusstörungen
    • Schwindel
    • Blasenschwäche
    • Verstärktes Schwitzen
    • Schweißausbrüche im Gesicht und Hals beim Essen
  • Atypische Formen der Neuropathie:
    • Einseitige Schmerzen, z.B. im Brustbereich
    • Gewichtsverlust
    • Schwäche
    • Schmerzen hinter dem Auge
    • Doppelbilder
    • Schwierigkeiten beim Fokussieren mit den Augen

Ungefähr die Hälfte der Menschen mit einer diabetischen Neuropathie hat jedoch keine Beschwerden. Bei ihnen können trotzdem das Empfindungsvermögen und Muskelreflexe vermindert sein oder fehlen. Auch haben sie oft einen unsicheren Gang und stürzen leichter. Ebenso bleiben Fußverletzungen häufig unbemerkt, weil sie nicht schmerzen.

Diagnose der diabetischen Neuropathie

Für Menschen mit Diabetes sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen wichtig, um eine diabetische Neuropathie frühzeitig zu erkennen. Die Screeninguntersuchungen sollten bei Typ-2-Diabetikern ab der Diagnose und bei Typ-1-Diabetikern spätestens fünf Jahre nach Diabetesbeginn einmal jährlich durchgeführt werden.

Die Diagnose umfasst:

  • Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und Erfassung der Beschwerden
  • Körperliche Untersuchung:
    • Überprüfung der Hände und Füße auf Verletzungen, Geschwüre, warme oder trockene Haut
    • Testung der Fähigkeit, leichte Berührungen und Vibrationen wahrzunehmen
    • Überprüfung der Muskelreflexe (schwacher Achillessehnenreflex deutet auf Nervenschädigung hin)
    • Überprüfung des Schmerz- und Kälteempfindens
    • Beurteilung des Gangs
  • Neurologische Untersuchung: Umfasst in der Regel eine Elektroneurographie und eine Elektromyographie, um die Nervenleitgeschwindigkeit und die Muskelaktivität zu messen.
  • Weitere Untersuchungen: Bei untypischen Symptomen oder zur Abklärung anderer Ursachen können zusätzliche Untersuchungen wie Laboruntersuchungen (Blut, Urin, Gehirnwasser), Echokardiografie (EKG), genetische Tests oder bildgebende Verfahren notwendig sein.

Stimmgabeltest zur Überprüfung der Nervenfunktion

Die/der Untersuchende schlägt die Stimmgabel an und hält sie dann an eine Körperstelle, bei der die Haut direkt über dem Knochen liegt (zum Beispiel Fußknöchel oder Handgelenk). Ob Sie die Vibration spüren, erlaubt eine Aussage bezüglich Ihrer Tiefensensibilität.

Verlauf der diabetischen Neuropathie

Der Verlauf einer diabetischen Neuropathie ist unterschiedlich. Es gibt verschiedene Verlaufsformen:

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  • Subklinische diabetische Neuropathie: Nervenschädigungen sind bereits vorhanden, aber der Patient hat keine Beschwerden.
  • Chronisch schmerzhafte Neuropathie: Schmerzen und Taubheitsgefühle sind vorhanden. Im späteren Verlauf können die Schmerzen abnehmen, wenn schmerzleitende Nervenfasern absterben.
  • Akute schmerzhafte Neuropathie: Seltene Form mit symmetrischen Schmerzen in Füßen und Beinen.
  • Schmerzlose Neuropathie: Keine Beschwerden oder Taubheitsgefühle und Missempfindungen. Der Empfindungsverlust und fehlende Muskeleigenreflexe erschweren das Gehen. Verletzungen und Druckstellen an den Füßen werden oft nicht oder zu spät wahrgenommen.

Menschen mit diabetischer Neuropathie neigen zu Infektionen und Geschwüren an den Füßen. Auch Schäden an Knochen und Gelenken kommen vor. Im schlimmsten Fall kann dies zur Amputation des Fußes führen.

Behandlung der diabetischen Neuropathie

Eine diabetische Neuropathie ist nicht heilbar, aber der Verlauf der Erkrankung kann verlangsamt und Komplikationen vorgebeugt werden. Ziel der Therapie ist es, die Lebensqualität zu verbessern und die Schmerzen zu lindern.

Die Behandlung umfasst mehrere Aspekte:

Optimale Blutzuckerkontrolle

Eine optimale und stabile Blutzuckerkontrolle ist wichtig, um eine diabetische Neuropathie möglichst lange aufzuhalten - besonders bei Menschen mit Typ-1-Diabetes. Menschen mit Typ-2-Diabetes entwickeln seltener eine diabetische Neuropathie. Wer daran erkrankt ist, kann besonders darauf achten, sich gesund zu ernähren und viel zu bewegen, um so die Blutfette, den Blutdruck, das Körpergewicht und den Blutzucker zu normalisieren. Bei Typ-1-Diabetes kann ein sehr gutes Blutzuckermanagement das Fortschreiten verzögern oder aufhalten.

Medikamentöse Therapie

Bei Missempfindungen und Schmerzen können Medikamente helfen, die Symptome zu lindern. Übliche Schmerzmittel gegen Kopf-, Gelenk- oder Magenschmerzen (Aspirin, Ibuprofen und weitere) sind nicht geeignet. Stattdessen sollten bestimmte Medikamente verschrieben werden, die direkt auf das Nervensystem wirken, wie Pregabalin oder Duloxetin.

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Die Dosierung dieser Medikamente sollte bis zum Wirkeintritt, aber nicht über die Maximaldosierung hinaus gesteigert werden, sofern sie vertragen werden. In der Praxis kommt es oft vor, dass mit einer niedrigen Dosis begonnen und dann vergessen wird, diese zu steigern, obwohl noch keine Linderung der Symptome eingetreten ist. Wichtig ist daher, die mögliche Dosierung auszureizen, bevor auf ein anderes Medikament gewechselt wird.

Bei Nebenwirkungen muss sorgfältig abgewogen werden, inwiefern diese vertretbar sind oder nicht. Abhängig von der Art der neuropathischen Symptome und der Begleiterkrankungen können gegebenenfalls auch mehrere Medikamente kombiniert werden. In schweren Fällen ist auch der Einsatz von Morphinen gerechtfertigt.

Neben diesen symptomatischen Therapien gibt es auch Ansätze, die Nervenschäden verursachenden Mechanismen durch Medikamente zu beeinflussen. Alpha-Liponsäure, ein frei verkäufliches und gut verträgliches Medikament, zeigte in diversen Studien einen günstigen Einfluss auf die Nervenfunktion und Symptome der peripheren diabetischen Polyneuropathie. Einige Studien berichten von einer recht früh eintretenden Verbesserung. Laut einer anderen Studie ist eher von einem langfristigen günstigen Effekt auszugehen. Der individuelle Behandlungserfolg ist deshalb weniger leicht feststellbar.

Ebenso wird vermutet, dass Benfotiamin, eine Vorstufe von Vitamin B1, günstige Effekte auf diese Mechanismen ausübt, die vermutlich an der Entstehung diabetischer Nervenschäden beteiligt sind. Es wird bereits bei nicht diabetischen Polyneuropathien eingesetzt. Bei diabetischen Nervenschäden gibt es bisher nur wenige Studien, die einen günstigen Einfluss nach mehreren Wochen Einnahme belegen. Da Benfotiamin und Alpha-Liponsäure beide in Apotheken frei verkäuflich sind, werden diese in Deutschland nicht von den Krankenkassen bezahlt.

Weitere Behandlungsansätze

  • Psychotherapie: Kann helfen, die durch chronische Missempfindungen oder Bewegungseinschränkungen eingeschränkte Lebensqualität zu verbessern.
  • Elektrische Nervenstimulation (TENS): Spezielle Geräte können die Beschwerden lindern.
  • Capsaicin-Pflaster: Lokale Anwendung bei schwer zu behandelnden neuropathischen Schmerzen.
  • Krankengymnastik/Physiotherapie: Hilft bei Muskelschwäche, Bewegungsstörungen oder Lähmungen. Ein bestimmtes Grundmaß an körperlicher Aktivität sollte aufrechterhalten werden, da sonst Bewegungsabläufe vom Körper verlernt und Muskeln übermäßig abgebaut werden.

Vorbeugung von Fußkomplikationen

Menschen, die durch die Polyneuropathie ein eingeschränktes Berührungs- und Schmerzempfinden in den Füßen haben, sollten auf jeden Fall ihre Füße und Schuhe häufig auf Druck- und Scheuerstellen kontrollieren. Es ist sinnvoll, täglich die Füße zu untersuchen und dabei auf trockene oder rissige Haut sowie entzündete, gerötete Stellen zwischen den Zehen und Nägeln zu achten. Verletzungen können auch durch zu heißes Wasser entstehen. Medizinische Fußpflege kann helfen, die Füße regelmäßig zu untersuchen und zu pflegen.

Anpassung des Lebensstils

  • Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Obst und Vollkornprodukten ist wichtig.
  • Regelmäßige Bewegung: Sportliche Aktivitäten können die Durchblutung fördern und die Nervenfunktion verbessern.
  • Gewichtsreduktion: Übergewicht belastet den Körper zusätzlich und kann die Neuropathie verschlimmern.
  • Verzicht auf Alkohol und Nikotin: Diese Substanzen können die Nerven schädigen.

Hilfsmittel und Alltagstipps

  • Orthopädische Schuhe: Können Druckstellen vermeiden und den Fuß schützen.
  • Nachtsichtgeräte: Können helfen, Stürze zu vermeiden.
  • Haltegriffe im Bad: Können die Sicherheit erhöhen.
  • Ergotherapie: Kann helfen, mit körperlichen Einschränkungen im Alltag zurechtzukommen.
  • Physiotherapie: Kann helfen, die körperliche Fitness zu verbessern und Stürzen vorzubeugen.

Prognose der diabetischen Neuropathie

Eine diabetische Neuropathie ist nicht heilbar, aber der Verlauf der Erkrankung kann beeinflusst werden. Vor allem durch eine gute Blutzuckereinstellung und einen gesunden Lebensstil kann die Erkrankung aufgehalten werden. Hat sich eine Neuropathie manifestiert, können die Schmerzen durch eine Behandlung gelindert werden, aber der Empfindungsverlust bleibt. Für Patienten mit einer fortgeschrittenen Neuropathie ist es wichtig zu lernen, mit den körperlichen Einschränkungen umzugehen und im Alltag selbstständig zu bleiben - zum Beispiel durch eine Ergotherapie und Physiotherapie.

Beeinflussbarkeit und Lebenserwartung

Die Polyneuropathie kann gebessert werden, wenn frühzeitig gegengesteuert wird. Besonders wichtig ist eine konsequente und dauerhafte Therapie des Diabetes. Je nach Ausprägung sind manche beruflichen Tätigkeiten nicht mehr möglich - etwa auf Leitern oder mit feinen Handbewegungen. Alltagshilfen wie orthopädische Schuhe, Rollatoren oder Orthesen ermöglichen aber weiterhin Teilhabe. Eine pauschale Aussage zur Lebenserwartung bei Polyneuropathie gibt es nicht - hier kommt es maßgeblich auf die Ursache der Krankheit an. Motivation und Mitarbeit vorausgesetzt, können Betroffene ihren Alltag bei gleicher Lebenserwartung frei gestalten. Das gilt insbesondere dann, wenn die diabetische Neuropathie frühzeitig erkannt wird.

Vorbeugung der diabetischen Neuropathie

  • Typ-1-Diabetes: Vor allem durch einen gut eingestellten Blutzuckerwert lässt sich einer diabetischen Neuropathie vorbeugen.
  • Typ-2-Diabetes: Eine gesunde Lebensweise ist die beste Maßnahme zur Vorbeugung. Dazu gehört eine gesunde Ernährung, viel Bewegung, Gewichtsreduktion bei Übergewicht und der Verzicht auf Alkohol und Nikotin.
  • Regelmäßige Blutzuckerkontrolle, Bewegung, gesunde Ernährung und gute Fußpflege sind entscheidend.
  • Vermeidung von Risikofaktoren und Komplikationen

Spezialisten für diabetische Neuropathie

Bei Verdacht auf eine diabetische Neuropathie sollte ein Arzt konsultiert werden. Spezialisten für die Behandlung von diabetischer Neuropathie sind:

  • Hausärzte
  • Diabetologen
  • Neurologen
  • Gefäßspezialisten (Angiologen)
  • Fußpfleger (Podologen)

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