Die diabetische Polyneuropathie ist eine der wichtigsten Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus, insbesondere des Typs 1. Jeder dritte Diabetiker ist davon betroffen, dass der chronisch erhöhte Blutzucker seine Nerven angegriffen hat. Diese Nervenschädigung kann erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität haben.
Was ist Diabetes Typ 1?
Diabetes Typ 1 ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindesalter und manifestiert sich meist in der Pubertät. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse angreift und zerstört. Dies führt zu einem Insulinmangel, der eine lebenslange Insulinzufuhr erforderlich macht. Im Gegensatz zu Typ-2-Diabetes spielen Lebensstilfaktoren bei der Entstehung von Typ-1-Diabetes keine primäre Rolle.
Ursachen der diabetischen Polyneuropathie bei Typ 1 Diabetes
Die diabetische Neuropathie ist eine klinisch manifeste oder subklinische Erkrankung, die im Rahmen des Diabetes mellitus auftritt und auf keine anderen Ursachen einer peripheren Neuropathie zurückzuführen ist.
Bei der Entstehung von Nervenschäden spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Hauptursache ist ein über lange Zeit erhöhter Blutzuckerspiegel. Eine langjährige Diabeteserkrankung und hohe Blutzuckerwerte begünstigen daher eine Neuropathie. Zudem können folgende Faktoren das Risiko erhöhen:
- Höheres Lebensalter
- Dauer der Zuckerkrankheit
- Häufige Stoffwechselentgleisungen
- Gefäßkrankheiten
- Nierenerkrankungen
- Erhöhte Blutfette
- Bluthochdruck
- Rauchen
- Alkohol
- Mangelnde Bewegung
- Übergewicht
- Falsche Ernährung
- Vitamin-B1-Mangel
Formen der diabetischen Neuropathie
Man unterscheidet verschiedene Formen der diabetischen Neuropathie, wobei die distal-symmetrische Polyneuropathie (DSP) am häufigsten vorkommt.
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Distal-symmetrische Polyneuropathie (DSP): Diese Form betrifft vor allem die Nerven in den Füßen und Unterschenkeln, seltener auch die oberen Extremitäten. Typische Symptome sind Schmerzen, Kribbeln, Überempfindlichkeit und Taubheitsgefühl. Die Beschwerden breiten sich in der Regel von unten nach oben aus ("dying-back-Neuropathie").
Autonome Neuropathie: Hier sind die Nerven des vegetativen Nervensystems betroffen, die unbewusste Körperfunktionen wie Herzschlag, Verdauung und Schweißproduktion steuern. Dies kann zu vielfältigen Symptomen führen, wie z.B. Kreislaufproblemen, Verdauungsstörungen, Blasenentleerungsstörungen oder Potenzproblemen.
Fokale und multifokale Neuropathien: Diese relativ seltenen Formen betreffen einzelne oder mehrere Nerven asymmetrisch und erfordern eine weiterführende neurologische Diagnostik.
Symptome der diabetischen Polyneuropathie
Die Symptome einer diabetischen Polyneuropathie können vielfältig sein und hängen davon ab, welche Nerven betroffen sind.
Symptome bei Schädigung der sensiblen Nerven:
- Kribbeln, Brennen, Taubheitsgefühl oder stechende Schmerzen, oft beginnend an Zehen und Fingern
- Eingeschränkte Wahrnehmung von Berührungen, Druck, Temperatur und Schmerz
- Druck- oder Engegefühl in den Gliedmaßen
- Gangunsicherheit, besonders bei geschlossenen Augen
- Brennende Schmerzen in den Füßen (Burning-Feet-Syndrom)
Symptome bei Schädigung der motorischen Nerven:
- Unwillkürliches Zucken von Muskelpartien
- Muskelkrämpfe
- Muskelschwäche, verminderte Belastungsfähigkeit
- Längerfristig Muskelschwund
Symptome bei Schädigung der autonomen Nerven:
- Verstopfung oder Durchfall
- Magenlähmung
- Störungen bei der Entleerung der Blase
- Schwindel
- Ohnmacht
- Ausbleibender Pupillenreflex
- Schluckstörungen
- Herzrhythmusstörungen oder Herzrasen
- Blutdruckschwankungen
- Geschwüre
- Wassereinlagerungen im Körper
- Impotenz
- Herabgesetzte Schweißbildung
Typische neuropathische Symptome umfassen stechende oder bohrende Schmerzen, Kribbeln in den Beinen, Missempfindungen und Taubheitsgefühl, bevorzugt an Füßen und Unterschenkeln. Häufig werden die Schmerzen als brennend, bohrend, einschießend, krampfartig oder stechend typisiert. Charakteristisch ist, dass die Schmerzen des Nachts stärker werden sowie sich beim Gehen bessern. Schmerzen können auch durch Berührung ausgelöst (Allodynie) oder verstärkt (Hyperalgesie) werden.
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Diagnose der diabetischen Polyneuropathie
Die Diagnose einer diabetischen Polyneuropathie umfasst mehrere Schritte:
- Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte, aktuelle Beschwerden, Vorerkrankungen, eingenommene Medikamente und Konsumgewohnheiten (Alkohol, Nikotin).
- Körperliche Untersuchung: Überprüfung der Reflexe, Tests der Sensorik (Tastsinn, Temperaturempfindlichkeit).
- Neurologische Untersuchung: Im Rahmen einer neurologischen Untersuchung überprüfen Ärztinnen und Ärzte, wie gut die Nerven der Füße und Beine funktionieren. Lassen Sie eventuelle Nervenschäden frühzeitig behandeln.
- Blutuntersuchung: Bestimmung der Blutzuckerwerte, Entzündungswerte, Leber- und Nierenwerte, Vitamin-B12-Konzentration, ggf. Nachweis von Antikörpern (z.B. bei Verdacht auf Borreliose).
- Elektroneurographie (NLG): Messung der Nervenleitgeschwindigkeit. Eine herabgesetzte NLG deutet auf eine Polyneuropathie hin.
- Elektromyographie (EMG): Test der Muskelaktivität, um Beeinträchtigungen der motorischen Nerven festzustellen.
- EKG: Kann Schädigungen an den autonomen Nerven des Herzens aufzeigen.
- Ggf. Gewebeprobe: Untersuchung von Nervenfasern unter dem Mikroskop auf krankhafte Veränderungen.
Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind wichtig, um eine diabetische Polyneuropathie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Bei Typ-2-Diabetikern sollte das Screening ab der Diagnose erfolgen, bei Typ-1-Diabetikern spätestens fünf Jahre nach Diabetesbeginn.
Therapie der diabetischen Polyneuropathie
Die Therapie der diabetischen Polyneuropathie zielt darauf ab, die Ursachen zu bekämpfen, die Symptome zu lindern und Komplikationen vorzubeugen.
Kausale Therapie
Der primäre Ansatz zu einer kausalen Therapie basiert auf der Ausschaltung des krankheitsauslösenden Faktors Hyperglykämie durch möglichst normnahe Stoffwechseleinstellung. Mehrere randomisierte Studien haben gezeigt, dass eine langfristige Nahe-Normoglykämie bei Typ 1 Diabetikern zu einer Reduktion des Risikos der Ausbildung der peripheren Neuropathie bzw. kardialen autonomen Neuropathie führt.
- Optimale Blutzuckereinstellung: Eine normnahe Blutzuckereinstellung ist entscheidend, um das Fortschreiten der Neuropathie zu verlangsamen oder aufzuhalten. Dies erfordert eine intensivierte Insulintherapie und regelmäßige Blutzuckerkontrollen.
- Risikofaktoren reduzieren: Risikofaktoren wie Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Übergewicht, Bluthochdruck und erhöhte Blutfette sollten erfasst und behandelt werden.
Symptomatische Therapie
Bei neuropathischen Schmerzen stehen vor allem Antidepressiva, Antiepileptika, schwache und - als Ultima ratio - starke Opioide sowie physikalische Maßnahmen im Vordergrund. Das Therapiearsenal wurde zuletzt durch das Antidepressivum Duloxetin und durch das Antiepileptikum Pregabalin, einen spezifischen Blocker der Kalziumkanäle, bereichert.
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- Schmerzmittel: Gegen neuropathische Schmerzen werden spezielle Medikamente eingesetzt, die direkt auf das Nervensystem wirken. Dazu gehören Antidepressiva (z.B. Duloxetin, Amitriptylin) und Antiepileptika (z.B. Pregabalin, Gabapentin). Übliche Schmerzmittel wie Aspirin oder Ibuprofen sind in der Regel nicht wirksam.
- Alpha-Liponsäure: Die Alpha-Liponsäure ist ein Medikament, das in diversen Studien einen günstigen Einfluss auf die Nervenfunktion und Symptome der peripheren diabetischen Polyneuropathie zeigte. Einige Studien berichten von einer recht früh eintretenden Verbesserung. Laut einer anderen Studie ist eher von einem langfristigen günstigen Effekt auszugehen.
- Vitamin B1-Präparate: Ein Mangel an Vitamin B1 (Thiamin) steht mit Nervenschäden in Verbindung. Die Unterversorgung kann eine Neuropathie auslösen oder verstärken. Eine gute Behandlungsmöglichkeit ist der Wirkstoff Benfotiamin, eine Vorstufe des Vitamins B1.
- Nicht-medikamentöse Therapien: Ergänzend zur medikamentösen Therapie können nicht-pharmakologische Therapieoptionen wie die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) in Betracht gezogen werden. Auch Akupunktur kann zur Schmerzlinderung beitragen.
Weitere Behandlungsansätze
- Physiotherapie: Bei Muskelschwäche, Bewegungsstörungen oder Lähmungen hilft regelmäßige Krankengymnastik oder Physiotherapie.
- Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, die durch chronische Missempfindungen oder Bewegungseinschränkungen eingeschränkte Lebensqualität zu verbessern.
- Orthopädische Hilfsmittel: Bei Unsicherheiten beim Laufen und Stehen können orthopädische Schuhe oder stützende Schienen helfen.
Vorbeugung von Fußkomplikationen
Besondere Aufmerksamkeit gilt der Vorbeugung von Fußkomplikationen. Menschen mit diabetischer Neuropathie sollten ihre Füße täglich auf Verletzungen, Druckstellen und Hautveränderungen untersuchen. Eine gute Fußpflege, das Tragen von geeignetem Schuhwerk und die regelmäßige Kontrolle durch einen Podologen sind wichtig, um das Risiko eines diabetischen Fußsyndroms zu minimieren.
Selbsthilfe bei diabetischer Polyneuropathie
Diabetiker mit Typ 1 können selbst einiges tun, um das Risiko für eine Polyneuropathie zu verringern. Auch das Fortschreiten der Nervenschäden (diabetische Neuropathie) lässt sich bremsen, wenn es Ihnen gelingt, einige Risikofaktoren in Schach zu halten.
- Blutzuckereinstellung: Achten Sie von Beginn der Zuckerkrankheit an auf einen gut eingestellten Blutzuckerspiegel durch eine intensivierte Insulintherapie.
- Vitamin-B1-Mangel ausgleichen: Ein Mangel an Vitamin B1 (Thiamin) steht mit Nervenschäden in Verbindung.
- Körperliche Aktivität: Seien Sie ausreichend körperlich aktiv und bewegen Sie sich regelmäßig. Dies wirkt sich positiv auf Ihre Blutzuckerwerte aus.
- Rauchstopp: Verzichten Sie auf das Rauchen und suchen Sie sich Unterstützung, wenn Sie es nicht alleine schaffen.
- Alkohol: Trinken Sie Alkohol nur in Maßen oder verzichten Sie am besten ganz auf alkoholische Getränke - Alkohol verursacht ebenfalls Nervenschäden.
- Ernährung: Ernähren Sie sich gesund und ausgewogen. Bringen Sie vielfältige Nahrungsmittel auf Ihren Teller. Achten Sie auch auf die Nährstoffe in den Speisen und Getränken.
- Körpergewicht: Sorgen Sie für ein gesundes Körpergewicht, denn dies wirkt sich günstig auf Ihre Blutzuckerwerte - und dadurch auch auf eventuelle Nervenschäden - aus. Wenn Sie übergewichtig sind, versuchen Sie, einige Kilos abzunehmen.
- Neuropathie-Screening: Gehen Sie bei Typ-1-Diabetes spätestens fünf Jahre nach der ersten Diagnose zu einem Neuropathie-Screening.
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