Die Nerven, gegründet im Raum Stuttgart um 2010, haben sich zu einer der profiliertesten und einflussreichsten deutschsprachigen Rockbands entwickelt. Was als Post-Punk-Trio begann, hat sich zu einem musikalischen Phänomen entwickelt, das die Grenzen des Genres neu definiert und zahlreiche andere Bands inspiriert hat. Mit ihrem unverkennbaren Sound, der von halligem, verzerrtem Punk geprägt ist, haben Die Nerven neue Maßstäbe gesetzt.
Die Anfänge und der Aufstieg zum Kult
Als Die Nerven Anfang 2010 gegründet wurden, war kaum abzusehen, welche Pionierleistung der Band zukommen würde. Zehn Jahre später ist die These, dass sie im deutschsprachigen Post-Punk neue Maßstäbe gesetzt haben, kaum noch zu bestreiten. Viele Bands weisen unüberhörbare Ähnlichkeiten mit Die Nerven auf, was weniger daran liegt, dass das Trio sich besonders häufig musikalisch irgendwo bedient hätte, sondern vielmehr daran, dass sie innerhalb der engen Grenzen hallig-verzerrter Punkmusik tatsächlich neue Maßstäbe gesetzt haben, derer sich in der Folgezeit so manche/r bedient hat.
Die Band besteht aus Max Rieger (Gesang, Gitarre), Julian Knoth (Gesang, Bass) und Kevin Kuhn (Schlagzeug). Rieger ist inzwischen auch als gefragter Produzent in Berlin tätig und verfolgt sein Soloprojekt All diese Gewalt. Kuhn ist aktuell auch in der Band Scharping aktiv.
"Fake": Ein Wendepunkt in der Bandgeschichte
Ein besonders wichtiges Album in der Diskografie der Band ist "Fake", das am 20. April 2018 auf Glitterhouse Records erschien. Die Band selbst beschreibt die Entstehung des Albums als anstrengend und reflektiert, dass sie sich aufgrund des Entstehungsprozesses mehrere Male annähernd aufgelöst hätte. "Mit Abstand hat uns kein Album so viel abverlangt wie dieses hier", so die Band. "Fake" erwies sich als ein Monolith von Album, ein Statement, die Wucht und wurde von Fans wie Presse gleichermaßen gefeiert.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb, es sei "Ein Manifest gegen die Arriviertheit", während Spiegel Online urteilte: "DIE NERVEN stemmen sich mit ihrem bisher wirkmächtigsten Album gegen das "Fake"-Zeitalter". Der Musikexpress ging sogar so weit zu sagen: "Drei solche Ichs machen DIE NERVEN zum besten (Post-)Punk-Trio im Lande und "FAKE" zu einer Platte, die klingt, als hätte jemand einen Sprengsatz in die ICH-MASCHINE geworfen". Die Intro nahm sie aufs Cover und urteilte: "Ihr könnt jetzt alle schon mal nach Hause gehen: Das beste deutsche Album des Jahres kommt von den Nerven."
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Nachdem "FAKE" auf Platz 13 der Top 100 Albumcharts einstieg, tourten Die Nerven im Oktober und November, um "ihren Titel als beste deutsche Live-Band zu verteidigen" (Visions Magazin). Die Zeit zwischen den Aufnahmen zu "OUT" und "FAKE" war geprägt von unzähligen Konzerten, einer Theaterarbeit und diversen Songwriting-Sessions. Bereits während des Schreibprozesses legten Die Nerven mehr Wert auf Vielfalt als je zuvor, wobei jeder der zwölf Songs sowohl im Albumkontext als auch für sich alleine funktionierte. Zusammen mit Produzent Ralv Milberg und seinem mobilen Studio überquerten Die Nerven im September 2017 gleich zwei Mal die Alpen, um innerhalb von nur zwei Wochen ihr viertes Studio-Album in der Toskana aufzunehmen.
Auf diesem Album zeigte sich die Band variabler, aber auch gezähmter als auf früheren Veröffentlichungen. Die Wut der Anfangsjahre ist gewichen, und Zeilen wie „Immer nur dagegen, aber gegen was?“ beziehen sich auf das Frühwerk der Die Nerven.
Live-Performance und Selbstinszenierung
Wer Die Nerven schon einmal live erlebt hat, weiß, dass man nicht nur hochenergetische Musik präsentiert bekommt. Die Konzerte leben auch von der spielerischen Selbstinszenierung, die bisweilen fast rockshowartig wirkt und damit das "Konzentrieren aufs Wesentliche", das mal essentiell für Punk und seine Epigonen war, negiert. Gespielt werden Stücke von allen Alben, natürlich aber mit Schwerpunkt auf Stücken vom aktuellen Album Fake.
Die Band ist bekannt für ihre intensiven und energiegeladenen Live-Auftritte. Ihre Konzerte sind mehr als nur musikalische Darbietungen; sie sind eine Form der Selbstinszenierung, die das Publikum in ihren Bann zieht. Die spielerische Art und Weise, wie sie ihre Musik präsentieren, erinnert manchmal an eine Rockshow, was im Kontrast zu der ursprünglichen Punk-Ethik des "Konzentrierens aufs Wesentliche" steht.
Das "schwarze Album" und die Weiterentwicklung des Sounds
Das Album, das bereits das fünfte in zehn Jahren Bandgeschichte ist, wird in Pressebeilagen augenzwinkernd in Bezug auf den Metallica Fünftling als das „schwarze Album“ der Die Nerven bezeichnet. An so mancher Stelle beschneiden und ergänzen Die Nerven ihren Sound. Hier kommt ein Streicherarrangement, dort ein Piano hinzu. Mal bleibt eine Abbiegung, die die Gitarre sonst unternommen hätte, aus. Generell: Die zuletzt liebgewonnenen Synthesizer verschwinden wieder.
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Die Stakkato-Gitarren, die Max Rieger einem in die Gehörgänge schrammelt, wenn er nicht gerade weitläufige Melodielinien zeichnet, die tiefgreifende Dynamik im Spiel von Schlagzeuger Kevin Kuhn, die so oft in den Hintergrund rückt, dass seine Kollegen über lange Zeit gar nicht so viel variieren, und die Harmonie im Zusammenspiel Kuhns mit den repetitiv-einnehmenden Bassläufen Julian Knoths sind weiterhin vorhanden.
Erstmals haben Die Nerven ihre eigenen Songs auf die Probe gestellt, diese miteinander konkurrieren lassen und durch ein engmaschiges Sieb gejagt. Übergeblieben sind aus insgesamt 16 fertigen Songs schlussendlich nur zehn. Dem finalen Produkt ist das anzuhören. Bass, Gitarre und Schlagzeug rücken näher beisammen und komprimieren sich so sehr, dass Knoths und Riegers Gesänge gerade noch so in deren dichten Geflechten Platz finden. Die Stimmen der zwei aber nutzen jeglichen Spielraum und öffnen neue Melodieräume.
Das „schwarze Album“ der Band ist zudem gerade so schlagkräftig, weil es keine Kompromisse kennt. Wenn es Akustikgitarren oder Streicher braucht, dann kriegt es sie. Wenn es einem Tempowandel bedarf, dann kriegt es einen solchen und aus Rock wird kurzerhand Punk. Wenn sich eine Zeile nach großer Melodie sehnt, dann bekommt sie diese - ganz ohne lästigen Ohrkleber. Und wenn der Sound eben nach Rototoms verlangt, dann bekommt er diese Portion Retro. Alles im Dienste des großen Ganzen. Diese Konsequenz tatsächlich ist neu im Schaffen der sonst oft spontan agierenden Die Nerven.
"Wir waren hier": Eskapismus und klangvolle Kraft
Die Nerven veröffentlichten im vergangenen September ihr weiteres Studioalbum "Wir waren hier". Die Zeile "Auf der Flucht vor der Wirklichkeit ist mir kein Weg zu weit" markiert die Stimmung, die sich durch den überwiegenden Teil der Platte zieht. Die Musik wirkt weniger konfrontativ, obgleich die Gruppe aus Julian Knoth, Kevin Kuhn und Max Rieger nichts an ihrer klangvollen Kraft verloren hat. Besonders eindrücklich wirbelt der Titeltrack eingängige Gitarrenmelodien auf, steigert sich in die Energie der Basstöne und wallenden Drums hinein, um in einem brachialen, mitreißenden Rocksong zu kulminieren. Dass die Tonspuren der einzelnen Instrumente dabei nicht verschwimmen, sondern klar und präsent zu hören sind (Produktion und Mix: Max Rieger), lädt einmal mehr dazu ein, das Album wieder und wieder neu zu hören.
Nachdem die Musik der Band zu ausgereift für den Genrebegriff Punk erscheint, gilt sie als das exemplarische Beispiel für gegenwärtigen, deutschsprachigen Indierock.
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Die Nerven im Wandel der Zeit
Die Nerven haben sich im Laufe ihrer Karriere stetig weiterentwickelt, ohne dabei ihre Wurzeln zu vergessen. Ihre Musik ist geprägt von einer düsteren, melancholischen Atmosphäre, die jedoch immer wieder von explosiven, energiegeladenen Momenten durchbrochen wird. Die Texte sind oft introspektiv und behandeln Themen wie Entfremdung, Isolation und die Suche nach Identität.
Die Band hat sich auch immer wieder politisch positioniert und ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung erhoben. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der deutschsprachigen Musikszene und haben einen großen Einfluss auf viele junge Bands.
Tourneen und Live-Erlebnisse
Die Nerven sind bekannt für ihre ausgedehnten Tourneen, die sie durch Deutschland, Österreich, die Schweiz und andere europäische Länder führen. Ihre Live-Auftritte sind ein intensives Erlebnis, das man nicht verpassen sollte.
Im Herbst 2023 waren einige der Songs der neuen Platte bereits auf der „100 Milliarden Dezibel Part II“-Tournee Teil der Setlist. Die Fans erwarten also mit Spannung die Songauswahl bei den kommenden Touren.
Für die Tour 2024/2025 wurden bereits die Supports angekündigt: Von Hannover bis Berlin sowie Hamburg bis Bielefeld wird das Duo Zweilaster mit „minimalem Art-Punk ohne Bass“ eröffnen. In Dornbirn, Zürich und Köln wird das „Bass&Drum“-Duo Cali im Vorprogramm auftreten, mit Caroline d’Orville an Bass und Mikro sowie Julians Bruder und Ex-Nerven-Mitglied Philipp Knoth am Schlagzeug. In Mannheim, Nürnberg und München wird Yeastweise auftreten.