Die Schilddrüse, ein kleines Organ mit großer Wirkung, produziert lebenswichtige Hormone. Ein Ungleichgewicht, insbesondere eine Unterfunktion (Hypothyreose), kann weitreichende Folgen haben. Ein bedeutender Anteil der Patienten mit einer Schilddrüsenunterfunktion weist Symptome einer Polyneuropathie auf. Eine Studie aus dem Jahr 2000 belegt, dass rund 40 Prozent der Betroffenen betroffen sind.
Die Rolle der Schilddrüsenhormone
Die Schilddrüse produziert die Hormone T3 und T4, die eine entscheidende Rolle im Stoffwechsel spielen. Ein Mangel dieser Hormone wirkt sich wie ein Ernährungsmangel auf den Körper aus. Zudem kann eine Schilddrüsenunterfunktion zu Schädigungen der Nervenfasern und ihrer Hüllen führen. Diese Hüllen sind für die Reizweiterleitung von großer Bedeutung.
Ein Reiz muss in kürzester Zeit an Rückenmark und Gehirn weitergeleitet werden. Die Nervenfasern sind von einer Isolationsschicht umgeben, die eine schnelle und effiziente Weiterleitung elektrischer Signale ermöglicht. Diese Schicht ist jedoch anfällig für Schädigungen, die durch eine Schilddrüsenunterfunktion verursacht werden können.
Karpaltunnelsyndrom als Folge der Hypothyreose
Die Hypothyreose kann auch das Karpaltunnelsyndrom verursachen. Durch den Mangel an Schilddrüsenhormonen sammeln sich Zuckermoleküle an und führen zu Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Handgelenk.
Symptome der Polyneuropathie rechtzeitig erkennen
Es ist wichtig, die Anzeichen einer Polyneuropathie frühzeitig zu erkennen und eine Schilddrüsenunterfunktion als mögliche Ursache abzuklären. Ein verlangsamter Stoffwechsel aufgrund einer Hypothyreose kann negative Folgen für Herz und Kreislauf haben.
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Eine Blutuntersuchung kann Aufschluss über eine Schilddrüsenunterfunktion als Auslöser einer Polyneuropathie geben. Dabei werden die Schilddrüsenhormone, der Anteil an Vitaminen (B12 und D) sowie Mineralien und Spurenelementen kontrolliert. Die Behandlung wird auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt.
Was ist Polyneuropathie?
Polyneuropathie ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, die die peripheren Nerven betreffen. Diese Nerven sind für die Wahrnehmung von Temperatur und Schmerzen, die Beweglichkeit der Muskulatur und die automatische Steuerung von Organen verantwortlich. Bei Polyneuropathien kommt es zu einer Schädigung der peripheren Nerven oder ihrer Hülle. Neuropathie bezeichnet allgemein eine Schädigung oder Erkrankung peripherer Nerven.
Die Ursachen für Polyneuropathie sind vielfältig. Häufig sind Erkrankungen wie Diabetes oder starker Alkoholkonsum die Auslöser. Typische Beschwerden sind Schmerzen und Missempfindungen, aber auch ein unsicherer Gang oder Muskelschwäche können Anzeichen sein.
Ursachen der Polyneuropathie
Die Wissenschaft kennt mittlerweile rund 600 Ursachen, die einer Polyneuropathie zugrunde liegen können. Trotz ausführlicher Diagnostik lässt sich bei rund einem Viertel der Betroffenen keine Ursache feststellen. In den meisten Fällen stellt die Polyneuropathie keine eigenständige Krankheit dar, sondern tritt als Folge oder Begleiterscheinung einer Grunderkrankung auf.
Zu den häufigsten Ursachen gehören:
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- Metabolische Polyneuropathien: Stoffwechselstörungen, wie Diabetes mellitus, können Nervenschäden verursachen. Bei etwa jedem zweiten Patienten mit Diabetes mellitus treten im Laufe des Lebens Nervenschäden auf. Die diabetische Polyneuropathie kann mit unterschiedlichen Symptomen einhergehen. Auch ein Vitamin-B12-Mangel kann eine Polyneuropathie begünstigen.
- Toxische Polyneuropathien: Giftstoffe, wie Alkohol oder Schwermetalle, können ebenfalls eine Schädigung peripherer Nerven hervorrufen. Chronischer Alkoholismus kann zu einer Polyneuropathie führen, die sich anfangs meist mit Beschwerden an Fußsohlen, Zehen und Vorderfuß zeigt.
- Entzündliche Polyneuropathien: Autoimmun-Erkrankungen, wie das Guillain-Barré-Syndrom oder die chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (CIDP), können Entzündungen der Nerven verursachen. Nach einer Corona-Erkrankung kann eine Small Fiber Neuropathie auftreten.
- Weitere Ursachen: Schilddrüsenerkrankungen, Nierenerkrankungen, Lebererkrankungen, Krebserkrankungen und bestimmte Medikamente können ebenfalls eine Polyneuropathie auslösen.
Symptome der Polyneuropathie im Detail
Die Symptome einer Polyneuropathie können vielfältig sein und hängen davon ab, welche Nerven geschädigt sind. Die ersten Anzeichen zeigen sich oft an den vom Rumpf am weitesten entfernten Stellen, also an den Füßen und Händen.
- Sensible Symptome: Empfindungsstörungen wie Kribbeln, Taubheitsgefühle, Brennen oder Schmerzen in den Füßen und Händen sind typisch. Manche Menschen haben Empfindungsstörungen und spüren kaum noch Temperaturunterschiede, Berührungen und Schmerzreize. Werden deshalb Druckstellen oder Verletzungen an den Füßen nicht mehr wahrgenommen, können sich schwere Wunden entwickeln.
- Motorische Symptome: Muskelschwäche, Muskelkrämpfe oder Muskelschwund können auftreten. Häufig kommt es zu einem Schwund der Fuß- und Wadenmuskulatur und infolgedessen zu einer Gangstörung.
- Autonome Symptome: Störungen der Organfunktionen, wie Herzrhythmusstörungen, Verdauungsprobleme oder Blasenfunktionsstörungen, können auftreten. Bei Diabetes mellitus kann es auch zu einer Schädigung der autonomen Nerven kommen.
Diagnose der Polyneuropathie
Bei Missempfindungen oder anderen Beschwerden, die im Zusammenhang mit einer Neuropathie stehen könnten, ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Bei Verdacht auf eine Polyneuropathie überweist der Hausarzt an einen Neurologen.
Die Diagnose umfasst in der Regel folgende Schritte:
- Anamnese: Der Neurologe fragt nach den aktuellen Symptomen, ihrem ersten Auftreten, Grunderkrankungen und Medikation.
- Klinische Untersuchung: Reflexe, Temperatur-, Schmerz- und Vibrationsempfinden an betroffenen Gliedmaßen werden überprüft sowie Gleichgewicht, Stand, Gang und Muskelkraft getestet.
- Nervenleitgeschwindigkeit (NLG): Gemessen wird, wie schnell elektrische Signale durch die Nerven geleitet werden.
- Spezielle Laboruntersuchungen: Das Blut wird auf spezifische Antikörper getestet.
- Bildgebung: Mittels hochauflösender Sonographie können beispielsweise Veränderungen in der Dicke eines Nervs detektiert werden.
Therapie der Polyneuropathie
Ist die Ursache der Neuropathie eine Erkrankung, steht als Erstes deren gezielte Behandlung an. So ist zum Beispiel bei Diabetes mellitus eine optimale Blutzuckereinstellung unerlässlich. Bei Alkoholismus als Ursache ist eine sofortige, lebenslange Abstinenz angezeigt.
Zusätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten zur symptomatischen Behandlung. Diese richtet sich danach, welche Beschwerden im Vordergrund stehen.
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- Schmerztherapie: Klassische Schmerzmittel sind bei Polyneuropathie nur schlecht wirksam. Es werden spezielle Medikamente eingesetzt, wie Antidepressiva oder Antikonvulsiva. In schweren Fällen können Opioide in Betracht gezogen werden. Eine Alternative zu oralen Medikamenten können Schmerzpflaster mit hochdosiertem Capsaicin oder Lidocain sein, insbesondere bei lokalisierten Beschwerden wie Schmerzen und Missempfindungen. Seit 2017 können Ärzte in Deutschland medizinisches Cannabis auf Rezept verschreiben. Der Einsatz von medizinischem Cannabis bei chronischen neuropathischen Schmerzen wird kontrovers diskutiert.
- Physiotherapie: Kann bei motorischen Einschränkungen und Gangunsicherheit dazu beitragen, die Beweglichkeit und Stabilität zu verbessern.
- Transkutane Elektrostimulation (TENS): Kleine Elektroden werden auf die Haut geklebt, die sanfte elektrische Impulse abgeben. TENS ist eine nicht-medikamentöse Therapie, die oft bei starken neuropathischen Schmerzen in Kombination mit anderen Behandlungen eingesetzt wird.
Heilungschancen und Verlauf
Ob eine Neuropathie heilbar ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Viele Polyneuropathien weisen einen chronischen Verlauf auf und begleiten Betroffene über eine lange Zeit. Ob eine Rückbildung möglich ist, können im individuellen Fall nur die behandelnden Ärzte abschätzen.
Je nach Art und Schweregrad der Symptome kann die Lebensqualität betroffener Personen beeinträchtigt sein. Ebenso wie sich eine chronische Polyneuropathie schleichend über einen längeren Zeitraum entwickelt, dauert es eine Weile, bis sich der Körper an die verordneten Therapien gewöhnt hat. Ob Schmerzmittel oder nicht-medikamentöse Maßnahmen - oft braucht es einige Wochen, bis eine wesentliche Linderung der Beschwerden spürbar wird.
Was Sie selbst tun können
Wenn Sie von einer Polyneuropathie betroffen sind, können Sie selbst einiges tun, um den Behandlungserfolg zu unterstützen:
- Selbsthilfegruppen: In einer Selbsthilfegruppe treffen Sie auf Menschen, die genau verstehen, was es bedeutet, mit Polyneuropathie zu leben. Hier können Sie sich mit anderen Betroffenen über ihre Erfahrungen austauschen und praktische Tipps für den Alltag erhalten.
- Ernährung: Ein spezielles Ernährungskonzept ist bei Polyneuropathie im Allgemeinen nicht notwendig - mit einer ausgewogenen Ernährungsweise versorgen Sie Ihren Körper mit allen essenziellen Vitaminen und Nährstoffen. Eine Nahrungsergänzung mit Folsäure, B12 oder anderen B-Vitaminen ist nur angeraten, wenn bei Ihnen ein ärztlich nachgewiesener Mangel besteht.
- Bewegung: Regelmäßige Bewegung kann neuropathische Beschwerden lindern und die Regeneration der Nerven anregen. Ideal ist die Kombination aus einem moderaten Ausdauertraining und Krafttraining. Zur Verbesserung von Gleichgewicht und Mobilität können schon einfache Übungen wie das Stehen auf einem Bein oder Gehen auf einer Linie helfen.
- Fußpflege: Bei Sensibilitätsstörungen ist eine tägliche Fußpflege unverzichtbar. Kürzen Sie die Fußnägel mit einer Nagelfeile anstatt mit der Schere, um Verletzungen zu vermeiden. Um Folgeschäden an den Füßen vorzubeugen, empfiehlt sich eine regelmäßige medizinische Fußpflege beim Podologen.
- Schuhwerk: Taubheitsgefühle oder eine eingeschränkte Schmerz- und Temperaturempfindung können das Risiko für Stürze und Verletzungen am Fuß erhöhen. Umso wichtiger ist es, dass Sie geeignetes Schuhwerk tragen. Wechseln Sie täglich die Socken.
- Hilfsmittel: Verschiedene Hilfsmittel können das Leben mit Polyneuropathie erleichtern. Bei erheblichen Beeinträchtigungen durch eine Polyneuropathie kann Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis bestehen, mit dem Sie bestimmte Nachteilsausgleiche wie zum Beispiel Steuerermäßigungen erhalten. Der Ausweis steht Ihnen ab einem Grad der Behinderung von mindestens 50 zu.
Polyneuropathie und Hashimoto-Thyreoiditis
Bei etwa 25% der Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis treten weitere Erkrankungen auf, darunter auch Polyneuropathie. Wegen der Vielzahl möglicher Begleit- und Folgeerkrankungen sollte bei Kontrolluntersuchungen von Hashimoto-Patienten nicht nur die Schilddrüse isoliert betrachtet werden, sondern im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung auch andere Organe wie z.B. Herz, Gefäße, Leber und Niere mit untersucht werden.
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