Einführung
Das diffuse großzellige B-Zell-Lymphom (DLBCL) ist eine aggressive Form des Non-Hodgkin-Lymphoms (NHL), das seinen Ursprung in den B-Lymphozyten hat. Wenn es sich ausschließlich im zentralen Nervensystem (ZNS) manifestiert, spricht man von einem primären ZNS-Lymphom (PZNSL). PZNSL ist eine seltene, aber aggressive Erkrankung, die eine schnelle Diagnose und Behandlung erfordert. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über PZNSL, einschließlich Definition, Epidemiologie, Pathogenese, klinisches Bild, Diagnose, Prognose und Behandlung.
Grundlagen des diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms
Definition und Klassifikation
Das DLBCL ist eine lymphatische Neoplasie, die von reifen B-Zellen ausgeht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert das PZNSL als DLBCL immunprivilegierter Organe (Large B Cell Lymphoma of Immune Privileged Sites, IP-LBCL). Diese Klassifizierung betont, dass das Lymphom auf das ZNS beschränkt ist und sich von DLBCL unterscheidet, das in anderen Teilen des Körpers auftritt.
Epidemiologie
Das PZNSL ist eine seltene Erkrankung, die weniger als 0,1 von 100.000 Menschen pro Jahr betrifft. In westlichen Ländern liegt die Inzidenz bei etwa 5 pro 1 Million Einwohner pro Jahr und macht etwa 3-5 % aller Hirntumoren sowie 1 % aller Non-Hodgkin-Lymphome aus. Das PZNSL tritt meist im Erwachsenenalter auf, wobei der Altersgipfel zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr liegt. Patienten mit Immunschwäche, wie z. B. HIV-Infizierte oder Organtransplantierte, haben ein erhöhtes Risiko, an PZNSL zu erkranken.
Pathogenese
Die Pathogenese des PZNSL beruht auf einer fehlerhaften B-Zell-Differenzierung. Auto-/polyreaktive B-Zellen entkommen der Apoptose aufgrund von MYD88- und CD79B-Mutationen und treten in eine Keimzentrums (GC)-Reaktion ein. Dabei akkumulieren sie somatische Mutationen in ihren Immunglobulin-Genen. Die weiterhin aktive somatische Hypermutation bezieht darüber hinaus aberrant zahlreiche Onkogene ein, identifiziert wurden PIM1, PAX5, RHOH, MYC, BTG2, KLH14 und SUSD2, einschl. möglicher Zielstrukturen für gezielte Therapie. Translokationen der Immunglobulin- und BCL6-Gene sowie genomische Instabilitäten mit u.a. Gewinn von 18q21 sowie Verlust von 9p21, 8q12, 6q21 treten im Verlauf der malignen Transformation der B-Zellen auf. Die Aktivierung von Toll-like Rezeptor-, B-Zell-Rezeptor- und Nuclear Factor κB-Signaltransduktionswegen stimuliert die Proliferation der Tumorzellen. Die terminale Differenzierung der malignen B-Zellen wird darüber hinaus durch gescheiterte Versuche des Immunglobulin-Klassenwechsels aufgrund von Switch µ-Deletionen und PRDM1-Mutationen behindert. Diese molekularen Alterationen bedingen eine Arretierung der Tumorzellen im Stadium der späten GC-Exit B-Zelle. Dies spiegelt sich im Phänotyp der Tumorzellen wider mit Expression von PAX5, CD19, CD20, IgM, BCL6, MUM1/IRF4, BCL2 und c-MYC sowie einer hohen Proliferationsaktivität von >70% und häufig >90% wider. Paradoxerweise erhöht die aktive GC-Reaktion die Auto-/Polyreaktivität der Tumorzellen mit einer Zunahme der B-Zell-Rezeptor-Reaktivität für multiple ZNS-Proteine, was zum ZNS-Tropismus der Tumorzellen beiträgt. Durch den Verlust von MHC Klasse I Antigenen gelingt es den Tumorzellen, einer Immunantwort zu entgehen. Aus diesen Mechanismen resultiert eine perfekte Adaptation der Tumorzellen an die spezifische Mikroumgebung des ZNS.
Risikofaktoren
Für immunkompetente Patienten sind keine spezifischen Risikofaktoren für die Entwicklung eines PZNSL bekannt. Immunsuppression, wie sie bei HIV-Infektion oder nach Organtransplantationen auftritt, erhöht jedoch das Risiko.
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Klinisches Bild
Patienten mit PZNSL weisen in der Regel eine kurze Krankheitsgeschichte von nur wenigen Wochen auf. Die Symptome sind oft unspezifisch und können kognitive Störungen, Persönlichkeitsveränderungen, fokal-neurologische Defizite und/oder neuropsychiatrische Symptome umfassen. Zeichen eines erhöhten Hirndrucks, wie Kopfschmerzen und Übelkeit, sowie Krampfanfälle sind seltener. Ungefähr ein Drittel der Patienten mit PZNSL weisen eine multilokale, disseminierte Erkrankung auf, die durch unterschiedlichste Defizite gekennzeichnet sein kann. Ein Befall der Augen wird bei etwa 20 % der Patienten beobachtet, zumeist sind beide Augen betroffen. Patienten mit intraokulärem Lymphom berichten meist von schwebenden Strukturen im Gesichtsfeld („Floater“), verschwommener Sicht, verminderter Sehschärfe sowie schmerzhaften und roten Augen.
Diagnose
Die Diagnose von PZNSL erfordert eine Kombination aus Bildgebung, Liquoruntersuchung und Biopsie.
Bildgebung
Die Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels mit Kontrastmittel ist die wichtigste bildgebende Untersuchung. Typische Befunde sind uni- oder multifokale Läsionen, die sich vorwiegend supratentoriell und periventrikulär befinden. Die Läsionen zeigen in der Regel eine ausgeprägte Kontrastmittelaufnahme.
Liquoruntersuchung
Obwohl Liquoruntersuchungen in der Primärdiagnostik nur eine begrenzte diagnostische Aussagekraft haben, da nur in ca. 16% der Fälle Tumorzellen im Liquor zytopathologisch oder durchflusszytometrisch nachweisbar sind, sollte der Liquor bei Erstdiagnose untersucht werden, da er bei positivem Befund auch zur Verlaufskontrolle herangezogen werden kann. Eine Pleozytose ist häufig, jedoch unspezifisch. Eine negative Liquoruntersuchung schließt die Diagnose eines PZNSL nicht aus. Im Liquor wurden erhöhte miRNA-Werte (miR-21, miR-19, miR-92a) beschrieben, womit PZNSL von entzündlichen und anderen Erkrankungen des ZNS differenziert werden können. MiR-Analysen gehören bislang jedoch nicht zum Standardprogramm von PZNSL, weder in der Primärdiagnostik noch in Verlaufsuntersuchungen. Das galt lange auch für die Detektion zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) aus dem Liquor und Blutplasma. Das Mutationsmuster des PZNSL ist sehr spezifisch und lässt prinzipiell eine Differenzierung zu anderen Hirntumoren oder neurologischen Erkrankungen zu. Eine zunehmende Zahl von Arbeiten zeigt, dass durch den Nachweis von Lymphom-spezifischen Mutationen in der ctDNA eine zuverlässige Identifikation von PZNSL aus dem Liquor und Verlaufskontrollen aus dem Blutplasma möglich ist. Die Untersuchung dieser Biomarker stellt ein vielversprechendes Hilfsmittel dar, wenn Tumorbiopsien nicht durchgeführt werden können (z.B. bei Läsionen in eloquenten Hirnarealen oder bei erheblicher Einschränkung des Allgemeinzustandes) oder wenn operative Eingriffe bei gleichzeitiger Gabe von Glukokortikoiden verschoben werden müssen. Diese Methoden sind jedoch zum aktuellen Zeitpunkt weitgehend noch nicht in der Routine etabliert.
Biopsie
Bei bildgebendem Verdacht auf PZNSL ist eine stereotaktische Biopsie anzustreben. Die stereotaktische Biopsie ist mit einer geringeren Morbidität verbunden als die offene Biopsie. Die Gabe von Glukokortikoiden vor Biopsie ist dringend zu vermeiden, da durch Glukokortikoide die Tumorzellen rasch in die Apoptose gehen und dadurch die neuropathologische Diagnose erschwert bzw. unmöglich gemacht wird. Der Wert einer chirurgischen Resektion ist umstritten, sie wird nicht empfohlen. Eine retrospektive Analyse hatte suggeriert, dass eine chirurgische Resektion mit einer verbesserten Prognose assoziiert ist. In dieser Studie wurden hauptsächlich Pat. offen operiert, bei denen zum großen Teil keine tiefen Hirnläsionen betroffen waren und die als operationstauglich eingestuft wurden und somit in eine prognostisch günstige Gruppe einzuordnen sind. Des Weiteren ist zu beachten, dass das PZNSL keine scharf demarkierte Läsion ist, sondern häufig multifokal auftritt, da es sich entlang von Faserbahnen und perivaskulären Räumen weit ausbreiten kann und dadurch für eine offene neurochirurgische Intervention ungeeignet ist. Die histopathologische Diagnose wird mittels konventioneller Histologie mit Nachweis von B-Zell-Blasten und Immunhistochemie mit Nachweis eines late GC-Exit Phänotyps hoch-proliferativer, reifer B-Zellen (CD20, BCL6, MUM1, BCL2, cMYC und MIB-1) bei EBV-Negativität gesichert. Die Proliferationsaktivität ist mit einem Ki-67-Proliferationsindex von häufig über 90 % sehr hoch. Ein Ki-67 Proliferationsindex von <50% sollte zum differentialdiagnostischen Ausschluss einer anderen Lymphom-Entität Anlass geben. Die Expression von CD10 ist ungewöhnlich und sollte, da sie häufiger bei systemischen Lymphomen auftritt, zur intensiven extrazerebralen Lymphomsuche Anlass geben. Die Diagnosestellung kann sich aufgrund der in der Regel recht kleinen Proben manchmal als schwierig erweisen, insbesondere in Abgrenzung zu Entzündungen des ZNS. Aus diesem Grund sollte im Zweifel eine Referenz-Begutachtung durch eine erfahrene Referenz-Neuropathologie erwogen werden. Aufgrund der komplexen Differentialdiagnose ist hier ein Expertengremium zu empfehlen, das multidisziplinär Expertise einbringt. Hierfür steht das Netzwerk Lymphome und lymphomatoide Läsionen des Nervensystems (NLLLN) zur Verfügung.
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Staging
Nach der Diagnose eines PZNSL ist ein umfassendes Staging erforderlich, um das Ausmaß der Erkrankung zu bestimmen. Dies umfasst in der Regel eine Computertomographie (CT) von Hals bis Becken oder eine Positronen-Emissions-Tomographie (PET) unter Verwendung des Tracers 18-Fluorodesoxy-glukose (FDG) inkl. Evaluation eines Befalls des Knochenmarks, Hodensonographie, Knochenmarkpunktion (Aspirat, Biopsie), Augenuntersuchung inkl. Spaltlampendiagnostik, Lumbalpunktion und Virusserologien für Hepatitis B/C, EBV und HIV.
Prognose
Die Prognose des PZNSL hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter Alter, Allgemeinzustand und Therapiemethode. Jüngere Patienten, die eine aggressive Therapie erhalten, haben in der Regel eine bessere Prognose. Zur Abschätzung der Prognose bei Erstdiagnose sind aktuell zwei Risikomodelle gebräuchlich, der am Memorial Sloan Kettering entwickelte MSKCC-Score und der Score der Internationalen Studiengruppe für Extranodale Lymphome (IELSG). Beide unterscheiden jeweils 3 Risikogruppen, wobei der MSKCC-Score Alter und Karnofsky Status berücksichtigt und der differenziertere IELSG-Score zusätzlich noch Serum LDH, Liquorproteinerhöhung und den Befall von tiefen Hirnstrukturen (periventrikulär, Basalganglien, Hirnstamm und/oder Zerebellum). Es ist zu beachten, dass diese prognostischen Modelle auf Patientenpopulationen beruhen, die z.T. vor über 30 Jahren mit PZNSL diagnostiziert wurden, und die Übertragbarkeit auf heutige Patientenpopulationen noch nicht systematisch überprüft wurde. Prädiktive Faktoren für eine Therapieentscheidung liegen beim PZNSL bislang noch nicht vor.
Therapie
Das Ziel der Behandlung von PZNSL ist die Heilung. Die Therapie umfasst in der Regel eine Induktionstherapie zur Reduktion des Tumors und eine Konsolidierungstherapie zur Vermeidung eines Rückfalls.
Induktionstherapie
Die Induktionstherapie besteht in der Regel aus einer hochdosierten Chemotherapie mit Methotrexat und anderen Chemotherapeutika wie Temozolomid, Cytarabin oder Rituximab.
Konsolidierungstherapie
Die Konsolidierungstherapie kann eine Chemotherapie, Strahlentherapie oder Stammzelltransplantation umfassen. Bei unifokalem Auftreten, also einem einzelnen Tumorherd, ist ggfs. eine Rezidiv-Therapie abhängig von der Primärtherapie möglich.
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Nachsorge
In den ersten beiden Jahren nach Abschluss der Therapie werden alle 3 Monate bildgebende Kontrollen (MRT) durchgeführt, danach alle 6 Monate Kontrollen (ab dem 6. Monat).
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