Die Debatte um die Auswirkungen digitaler Medien auf unsere kognitiven Fähigkeiten ist in vollem Gange. Insbesondere der Begriff der "digitalen Demenz", geprägt durch den bekannten Hirnforscher Manfred Spitzer, hat in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt. Doch was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff, und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse stützen oder widerlegen die damit verbundenen Thesen?
Was ist digitale Demenz?
Der Begriff "digitale Demenz" wurde im deutschsprachigen Raum vor allem durch den Psychiater Manfred Spitzer populär. Spitzer warnt vor den Gefahren des digitalen Zeitvertreibs und argumentiert, dass intensive Nutzung von Computerspielen und Online-Chats zu einem Abbau des Gehirns führen kann. Er beschreibt Symptome wie Aufmerksamkeitsstörungen, Realitätsverlust, Stress, Depressionen und zunehmende Gewaltbereitschaft.
Im weiteren Sinne beschreibt die digitale Demenz alle vermeintlich negativen Auswirkungen der Nutzung digitaler Medien, etwa im Hinblick auf gesellschaftliches Engagement, Einsamkeit, Wohlbefinden oder Aggressivität.
Koreanische Ärzte verwenden den Begriff "digitale Demenz" seit 2007, um ein Syndrom zu beschreiben, das sie bei Menschen ab etwa 20 Jahren beobachtet haben, die viel Zeit mit Computer und Internet verbringen. Zu den Symptomen gehören Störungen von Merkfähigkeit und Konzentration, Schwierigkeiten beim Lesen eines Textes, Abgeschlagenheit, Mattigkeit und Motivationslosigkeit.
Die Thesen von Manfred Spitzer
Manfred Spitzer, Deutschlands bekanntester Gehirnforscher, warnt vor den Gefahren des digitalen Zeitvertreibs unserer Kinder. Wissenschaftliche Studien belegen, dass bei intensiver Nutzung von Computerspielen und Online-Chats unser Gehirn abbaut. Kinder und Jugendliche sind oft kaum noch lernfähig. Die Symptome: Aufmerksamkeitsstörungen und Realitätsverlust, Stress, Depressionen und zunehmende Gewaltbereitschaft. Manfred Spitzers Buch ist ein absolutes Muss für alle Eltern, Lehrer und Erzieher.
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Spitzer kritisiert in seinem Buch "Digitale Demenz - wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen" Navis, Smartboards, Ebooks und Kassiergeräte. Er vergleicht die Medien hinsichtlich ihrer Rücksicht auf den Konsumenten mit der Tabak- und Waffenindustrie und fordert eine absolute Medienabstinenz für Kinder. Computer werden als "Lernverhinderungsmaschinen" bezeichnet, schlechte Noten auf Onlinegames zurückgeführt. Selbst dem Argument, dass "digital Natives" über mehr Fertigkeiten hinsichtlich der Online Recherche und dem Umgang mit Medien verfügen als ihre Boomer Eltern, hat er einiges entgegenzusetzen. Zur Beweisführung zieht er aus dem Zusammenhang gerissene Tierversuchsstudien, schlecht beschriftete Grafiken und ominöse Hirnscans ohne ausreichende Information heran.
Kritik an der digitalen Demenz
Die empirische Basis für die mit dem Begriff verbundenen Behauptungen ist lückenhaft. Substanzielle Belege für hirnorganische Schädigungen durch die Nutzung digitaler Medien fehlen. Metaanalytische Befunde liefern keine Hinweise für eine Minderung des gesellschaftlich-politischen Engagements oder erhöhte Einsamkeit durch die Nutzung von digitalen Medien. Die mit dem Begriff digitale Demenz verbundene Vermutung, digitale Medien seien für Lernen und Wissenserwerb von Kindern und Jugendlichen ungeeignet, widerspricht der Befundlage.
Andere Hirnforscher wie Michael Madeja zweifeln an der Aussagekraft von Vorher-Nachher Bildern von Gehirnen Internetabhängiger. Veränderungen, die intensive Internetnutzung verursachen könnten, wären so subtil und individuell, dass sie mit den aktuellen Methoden der Hirnforschung nicht erfassbar wären. Zudem sei der Begriff der Demenz ungeeignet, schließlich versteht man darunter in der Medizin einen krankhaften Verlust kognitiver Fähigkeiten, der durch sämtliche Prozesse wie Tumore, Intoxikationen oder Blutungen ausgelöst werden kann. Dass die Nutzung digitaler Medien auch nur ansatzweise ähnliche Auswirkungen hat, ist bislang nicht anzunehmen.
Vorteile digitaler Mediennutzung
Für ältere Menschen kann sich die Nutzung von Tablet, Smartphone oder Computer sogar positiv auf das Gehirn auswirken. Eine Metaanalyse, die in der Fachzeitschrift "Nature Human Behavior" veröffentlicht wurde, verglich mehr als 136 Studien, die Nutzung digitaler Technologien, kognitive Fähigkeiten und Demenz erfassten. Die Forscher fokussierten sich dabei auf über 50 Jahre alte Menschen, deren Generation als erste mit digitalen Technologien wie Computern in Kontakt kam. Laut einer Mitteilung der Universität widerlegt das Ergebnis der Studie die sogenannte "Digitale Demenz"-Hypothese, wonach ein Leben mit digitalen Technologien kognitive Fähigkeiten verschlechtert. Eher scheine der Umgang mit ihnen Verhaltensweisen zu fördern, die kognitive Leistung erhalten. So senke die Nutzung digitaler Technologien das Risiko geistiger Beeinträchtigungen um 58 Prozent.
Auch würden die Technologien bisher nie gekannte Möglichkeiten eröffnen, etwa sich mit Freunden und Familie zu vernetzen. Viele Studien bescheinigen Menschen mit guten sozialen Beziehungen ein deutlich niedrigeres Demenz-Risiko. Auch weisen die Studienautoren in der Untersuchung auf einen anderen Vorteil digitaler Technologien hin: Wer bereits an Demenz leide, könne sein Leben dank digitaler Helferlein weit besser bestreiten. Karten-Apps, digitale Erinnerungen oder Online-Banking könnten Menschen mit Demenz, beziehungsweise Alzheimer erheblich den Alltag erleichtern.
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Umgang mit digitalen Medien
An Technologie und digitalen Medien kommen wir nicht mehr vorbei. Trotzdem sind wir ihnen nicht ausgeliefert. Medienkompetenz ist die Fähigkeit, mit unterschiedlichen Informations- und Kommunikationskanälen umzugehen. Es liegt an Ihnen, das Internet richtig zu nutzen und so digitaler Demenz vorzubeugen. Ob Sie nur Fakten raussuchen und gleich wieder vergessen oder etwas dazulernen wollen, ist Ihre Verantwortung.
Tipps zur Vorbeugung
- Reduzieren Sie die Bildschirmzeit: Legen Sie das Smartphone häufiger zur Seite und schalten Sie Computer oder Tablet aus. Oft ist es schlicht Gewohnheit, dass Sie zum Smartphone greifen und durch Social Media scrollen.
- Pflegen Sie soziale Kontakte: Statt nur auf das Smartphone zu starren, sollten Sie sich häufiger mit anderen Menschen unterhalten - real, von Angesicht zu Angesicht. Schon ein simples Gespräch hilft, Informationen und Emotionen besser zu verarbeiten und ins Langzeitgedächtnis zu übertragen.
- Trainieren Sie Ihr Gedächtnis: Wenn das Gehirn durch digitale Medien leidet, braucht es umso mehr Übung. Gedächtnistraining stärkt einzelne kognitive Fähigkeiten und erhält deren Leistungsfähigkeit.
- Fördern Sie Medienkompetenz: Es ist wichtig, das Internet richtig zu nutzen und so digitaler Demenz vorzubeugen.
- Ermutigen Sie ältere Menschen zum Lernen neuer Technologien: „Könnten sie lernen, Foto-, Messaging- oder Kalender-Apps auf einem Smartphone oder Tablet zu verwenden? Fangen Sie einfach an und seien Sie sehr geduldig, während sie lernen“, sagte Scullin.
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