Die digitale Revolution hat unser Leben in vielerlei Hinsicht verändert, insbesondere die Art und Weise, wie wir lernen, kommunizieren und Informationen verarbeiten. Digitale Medien sind aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Sie bieten zahlreiche Vorteile, bergen aber auch Risiken - insbesondere für die kognitive Entwicklung. Die ständige Verfügbarkeit von Smartphones und Tablets hat zu einer intensiven Debatte über die Auswirkungen auf das Gehirn geführt, insbesondere bei jungen Menschen. Viele Eltern machen sich Sorgen, dass zu viel Zeit beim Computerspielen oder auf Social Media einsam oder depressiv machen kann.
Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Auswirkungen digitaler Medien auf das Gehirn, indem er sowohl positive als auch negative Aspekte berücksichtigt und Strategien für einen verantwortungsvollen Umgang aufzeigt. Wie schädlich ist der Medienkonsum für Kinder und Jugendliche? Wie viel Bildschirmzeit ist zu viel? Und wie kann ein verantwortungsvoller Umgang mit digitalen Medien gelingen?
Die Plastizität des Gehirns und digitale Medien
Das menschliche Gehirn ist plastisch und passt sich an neue Reize an. Digitale Medien verändern das Lernverhalten und die Informationsverarbeitung. Das Gehirn von Homo sapiens ist genetisch nicht darauf eingestellt, mentale Fähigkeiten per Apps implementieren zu können. Stattdessen dient die über die ersten zwei Lebensjahrzehnte andauernde Reifung und zunehmende Differenzierung der Nervennetze im Kortex dazu, immer feiner werdende Muster von Verschaltungen in kortikalen Rindenfeldern anzulegen - etwa durch Schreiben, Rechnen, Lesen lernen - und daraus neue Gedächtnisinhalte und geistige Leistungen entstehen zu lassen. Studien zeigen, dass sich bei intensiver Mediennutzung insbesondere die Aufmerksamkeitssteuerung verändert: Schnell wechselnde Inhalte, Benachrichtigungen und Multitasking fordern das Gehirn heraus, können aber gleichzeitig die Fähigkeit zur tiefen Konzentration beeinträchtigen.
Negative Auswirkungen digitaler Medien auf das Gehirn
Trotz der Vorteile digitaler Medien gibt es wachsende Bedenken hinsichtlich ihrer potenziell negativen Auswirkungen auf das Gehirn, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.
Aufmerksamkeitsdefizite und Konzentrationsschwierigkeiten
Häufiger Konsum kurzer und schnell wechselnder Inhalte kann dazu führen, dass Kinder Schwierigkeiten haben, sich längere Zeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Die ständige Ablenkung durch Bildschirme kann die Lernfähigkeit beeinträchtigen und den Druck erhöhen, sich mit idealisierten Bildern anderer zu vergleichen. Der Neurobiologe Martin Korte warnt davor, dass soziale Netzwerke zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnten und nur wenig Raum für kreative Aktivitäten und persönliche Interaktionen lassen.
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Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung
Einige neuropsychologische Untersuchungen weisen darauf hin, dass exzessive Mediennutzung mit einer Verringerung der grauen Substanz in bestimmten Hirnregionen verbunden sein kann, insbesondere im präfrontalen Kortex, der für Impulskontrolle und Entscheidungsfindung zuständig ist. Wenn Computer und Tablets das Lernen des Grundschulkindes bestimmen, dann erleiden die reifenden Nervennetze in assoziativen Rindenfeldern des Großhirns durch neuronale Überaktivierung eine Notreifung. Damit findet die Vorbahnung von differenzierten Verknüpfungen nicht statt, die zeitlebens eine notwendige Grundlage für das Denken ist. Besonders bei Kindern könne zu viel Zeit vor dem Smartphone oder Tablet negative Auswirkungen haben - und das umso gravierender, je früher sie solche Geräte übermäßig nutzen. "Man sieht an Kindern, die bereits in der Kindergarten- und Grundschulzeit intensiv Zeit vor Tablets und Smartphones verbringen, dass ein wichtiger Verbindungsstrang zwischen den beiden großen Spracharealen, dem Broca-Areal und dem Wernicke-Areal, leidet", erklärt Korte.
Suchtpotenzial und psychische Gesundheit
Digitale Medien haben ebenso wie stoffliche Drogen ein Suchtinduzierendes Potential. Denn limbische Schaltkreise unterliegen im Gehirn des Kindes einer höchst sensiblen neuronalen Anpassung von Rezeptoren und Neuronen an jegliche Umweltreize sowie an (nicht-) stoffliche Drogen. Sobald sich Kinder in Tablets und Co verlieben, entsteht ein unauslöschliches Verlangen nach mehr, und eine opioide Sucht verankert sich in dem verfügbaren Schaltkreis des sogenannten Belohnungssystems (= Reward System). Korte betont, dass die häufige Nutzung von digitalen Medien zu einem Gefühl der Einsamkeit, erhöhtem Stress und psychischen Erkrankungen wie Angst und Depression führen kann.
Auswirkungen auf soziale Kompetenzen
Übermäßige Bildschirmzeit kann zu einer reduzierten direkten sozialen Interaktion führen, was langfristig Auswirkungen auf soziale und emotionale Kompetenzen haben kann. Zudem könnten sich Kinder, die sehr früh viel am Handy seien, oft weniger gut in die Lage anderer Menschen hineinversetzen. "Sie sind weniger empathisch.
Positive Aspekte digitaler Medien
Neben den negativen Folgen sind jedoch auch einige positive Aspekte gefunden worden. Richtig eingesetzt, können digitale Medien ein wertvolles Werkzeug für Kinder und Jugendliche sein.
Förderung von Lernprozessen
Lernplattformen, interaktive Apps und digitale Spiele können kreative Denkprozesse anregen, Gedächtnisstrategien fördern und den Zugang zu Wissen erleichtern. Besonders positiv ist der Einsatz von digitalen Medien im Bildungsbereich, wenn sie gezielt zur Förderung von Fähigkeiten wie Spracherwerb oder Mathematik genutzt werden.
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Entwicklung kognitiver Fähigkeiten
Aktuelle Studien haben die Auswirkungen digitaler Medien auf die Gehirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen untersucht. Eine Untersuchung der Technischen Universität Chemnitz unter der Leitung von Dr. Avelina Lovis Schmidt warnt davor, dass eine hohe Bildschirmzeit die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung beeinträchtigen kann.
Soziale Vernetzung und Kreativität
Digitale Medien können soziale Vernetzung fördern und die Möglichkeit bieten, sich kreativ auszudrücken. Dabei teilen sie oft eigene Inhalte, was ihre Kreativität, aber auch die Auseinandersetzung mit medialen und oft problematischen Körperbildern fördern kann.
Empfehlungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien
Um die Chancen digitaler Medien zu nutzen und Risiken zu minimieren, ist ein bewusster Umgang entscheidend.
Klare Regeln und Zeitbegrenzungen
Klare Regeln und Zeiten für die Nutzung digitaler Medien helfen, eine Balance zu finden. Kinder sollten lernen, bewusst mit digitalen Inhalten umzugehen und sich nicht von Algorithmen leiten zu lassen. Experten empfehlen, die Bildschirmzeit für Kinder je nach Alter zu begrenzen, einschließlich der Nutzung von Handys und Spielkonsolen. Laut einer Medienleitlinie für Eltern der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und der Uni Witten/Herdecke sollten Kinder unter drei Jahren möglichst gar keine Zeit vor Bildschirmen verbringen. Für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren sind demnach maximal 30 Minuten pro Tag angemessen. Grundschulkinder zwischen sechs und neun Jahren sollten höchstens 45 Minuten täglich vor dem Bildschirm verbringen.
Begleitung und Vorbildfunktion der Eltern
Bei ihren ersten Erfahrungen mit Bildschirmmedien sollten Kinder laut der DGKJ-Medienleitlinie Regeln wie eine klare zeitliche Begrenzung lernen - und von den Eltern begleitet werden, die bestenfalls selbst nicht ständig auf ihr Handy schauen. Eltern sollten ihre Kinder daher beim Einstieg in Social Media begleiten, Regeln zur Privatsphäre festlegen und auf unangemessene Inhalte vorbereiten, raten die Experten von "Schau hin".
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Förderung alternativer Aktivitäten
Es ist wichtig, alternative Aktivitäten zu fördern, die die Kreativität, soziale Interaktion und körperliche Aktivität anregen. Je reichhaltiger die Kinderjahre mit Bewegungsaktivitäten gefüllt werden, umso optimaler wirkt sich das auf die Reifung mentaler Funktionen aus. Denn Kinder sind auf vielfältige körperliche Bewegungen angewiesen, um reale Erfahrungen in Raum und in Zeit im Gehirn zu verankern. Laufen, Klettern, Purzeln, Balancieren sind und bleiben deswegen die initialen Stimulanzien, ohne die sich Verschaltungen in den motorischen und den nachgeschalteten Hirnregionen nicht normal auszubilden vermögen.
Medienkompetenz als Schulfach
Experten wie Iren Schulz von der Initiative "Schau hin" plädieren sogar dafür, Medienkompetenz als Schulfach einzuführen. Denn man werde Kinder und Jugendliche nicht von Social-Media-Plattformen fernhalten können, so die Initiative.
Die Rolle der Hirnforschung
Die Hirnforschung spielt eine entscheidende Rolle bei der Untersuchung der Auswirkungen digitaler Medien auf das Gehirn.
Erkenntnisse von Gertraud Teuchert-Noodt
Dr. Gertraud Teuchert-Noodt betont, dass das Gehirn von Kindern und Jugendlichen den Umgang mit digitalen Medien nicht unmittelbar von Erwachsenen übernehmen kann. Das Denken und sich Erinnern kann dem Gehirn nicht digital eingeimpft werden, sondern nur durch selbständiges Lernen und durch Gedächtnisübungen erworben werden. Kurz gesagt: „Lernen ist Erfahrung - alles andere ist Information“ (Albert Einstein).
Warnungen vor Überforderung des Stirnhirns
Teuchert-Noodt warnt davor, dass das Stirnhirn, das für Gedächtnisbildung, vernunftbezogenes Denken und Handeln zuständig ist, durch die Digitalisierung entmündigt wird. Aus hirnphysiologischer Sicht bleibt das Leben digitalisierter Kinder zeitlebens doppelt gefährdet: Das Belohnungssystem führt die Regie und das Stirnhirn wird entmündigt.