Die Polyneuropathie ist eine neurologische Erkrankung, von der in Deutschland etwa fünf Millionen Menschen betroffen sind. Oftmals beginnt sie schleichend und bleibt unerkannt. Die Erkrankung betrifft die peripheren Nerven, also jene Nerven, die außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks liegen und Informationen zwischen dem Gehirn, dem Rückenmark und dem Rest des Körpers übertragen. Doc Fischer erläutert die vielfältigen Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten dieser Erkrankung.
Was ist Polyneuropathie?
Polyneuropathie bedeutet, dass mehrere Nerven außerhalb von Gehirn und Rückenmark geschädigt sind. Typischerweise sind es lange, sensible Nervenfasern, die bis in die Füße reichen. Bei einer Schädigung werden Signale nicht mehr richtig weitergeleitet. Dies kann sich durch Taubheit, Kribbeln oder Schmerzen äußern. Schäden an motorischen Nerven können Muskelschwäche oder Lähmungen verursachen.
Ursachen der Polyneuropathie
Die Entstehung einer Polyneuropathie kann vielfältige Ursachen haben. Allen gemeinsam ist, dass entweder die schützende Myelinscheide oder der Nerv selbst geschädigt wird, was zu einer verminderten Reizweiterleitung führt.
Zu den häufigsten Ursachen gehören:
- Diabetes mellitus: Die häufigste Ursache ist Diabetes mellitus, bei dem ein dauerhaft erhöhter Blutzucker Nervenzellen und Nervenbahnen schädigt. Schätzungsweise entwickeln 20-30 % aller Diabetiker langfristig eine Polyneuropathie. Bereits bei neu diagnostiziertem, nicht insulinabhängigem Diabetes haben 8 % der Betroffenen eine Polyneuropathie, nach 5 Jahren sind es 17 % und nach 10 Jahren 42 %.
- Alkoholismus: Alkohol ist die zweithäufigste Ursache für Polyneuropathie.
- Toxine: Toxine wie Alkohol und Medikamente, insbesondere solche, die in der Chemotherapie eingesetzt werden (z.B. Platin-Verbindungen, Taxane oder Vinca-Alkaloide), können eine Polyneuropathie auslösen.
- Infektionskrankheiten: Infektionen, die durch Erreger wie Borrelien oder Herpes-Viren ausgelöst werden, können eine Polyneuropathie verursachen.
- Autoimmunerkrankungen: Bestimmte Autoimmunerkrankungen können ebenfalls zu einer Polyneuropathie führen.
- Vitamin-B12-Mangel: Ein Mangel an Vitamin B12 kann Nervenschäden verursachen.
- Chronische Niereninsuffizienz: Eine chronische Niereninsuffizienz kann ebenfalls eine Polyneuropathie bedingen.
- Weitere Ursachen: Weniger häufige Ursachen sind immunvermittelte Neuropathien mit Lähmungen, erbliche Neuropathien oder Neuropathien, die im Zusammenhang mit anderen Systemerkrankungen wie Lungenerkrankungen, Sarkoidose oder Rheuma auftreten.
In etwa einem Viertel der Fälle bleibt die Ursache der Polyneuropathie jedoch unbekannt (idiopathische Neuropathie).
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Symptome der Polyneuropathie
Die Symptome einer Polyneuropathie können vielfältig sein und die Betroffenen im Alltag stark einschränken. Typischerweise beginnen die Beschwerden in den Füßen und breiten sich von dort aufwärts aus.
Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Taubheitsgefühl: Betroffene beschreiben häufig ein Taubheitsgefühl in den Füßen, das sich von den Zehen auf den ganzen Fuß ausbreitet. Auch ein Pelzigkeitsgefühl an den Ballen kann auftreten.
- Kribbeln und Brennen: Viele Patienten verspüren ein Kribbeln oder Brennen in den Füßen und Beinen.
- Schmerzen: Neuropathische Schmerzen, die spontan einschiessen und oft als brennend und stechend beschrieben werden, sind typisch für eine Polyneuropathie.
- Unsicherer Gang: Durch das Taubheitsgefühl und die verminderte Wahrnehmung des Untergrunds wird der Gang unsicher. Betroffene haben oft das Gefühl, "wie auf Watte" zu gehen.
- Veränderte Temperaturempfindung: Das Empfinden von Kälte und Wärme kann abgemildert sein, weshalb beispielsweise die Temperatur von heißem Wasser nicht mehr richtig eingeschätzt werden kann.
- Muskelschwäche und Lähmungen: In fortgeschrittenen Stadien kann es zu Muskelschwäche und Lähmungen kommen, insbesondere des Fußmuskels.
- Verletzungen: Durch die verminderte Empfindungsfähigkeit können unbemerkt schwere Wunden entstehen, insbesondere an den Füßen. Für Diabetiker ist dies besonders riskant, da es zu einem diabetischen Fußsyndrom kommen kann, das im schlimmsten Fall eine Amputation erforderlich macht.
Eine typische Symptomatik der Polyneuropathie ist die verminderte Fähigkeit, die Position von Füßen und Zehen wahrzunehmen. Der Gang wird unsicher, da der Untergrund nicht mehr richtig gespürt wird. Das Druckempfinden reduziert sich, die Wahrnehmung von Wärme oder Kälte verändert sich.
Diagnose der Polyneuropathie
Bei Verdacht auf eine Polyneuropathie sollte ein Arzt aufgesucht werden. Dieser wird zunächst die Krankengeschichte erheben und eine körperliche Untersuchung durchführen.
Zur Diagnose einer Polyneuropathie stehen verschiedene Untersuchungsmethoden zur Verfügung:
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- Nervenleitgeschwindigkeitsmessung: Hierbei wird die Geschwindigkeit gemessen, mit der elektrische Impulse durch die Nervenbahnen geleitet werden.
- Neurologische Untersuchung: Mit einer Stimmgabel prüft der Neurologe das Vibrationsempfinden.
- Quantitative Sensorische Testung (QST): Durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut werden 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist.
- Thermode: Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
- Nerv-Muskel-Biopsie: Die Untersuchung einer Gewebeprobe aus dem Schienbein kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen.
- Hautbiopsie: Bei Verdacht auf eine Small-Fiber-Neuropathie, bei der insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen sind, kann eine Gewebeprobe aus der Haut unter dem Mikroskop untersucht werden.
Behandlung der Polyneuropathie
Die Behandlung der Polyneuropathie zielt in erster Linie darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Da die Ursache nicht immer eindeutig identifizierbar oder therapierbar ist, steht die symptomatische Therapie oft im Vordergrund.
Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen:
- Ursachenbehandlung: Wenn die Ursache der Polyneuropathie bekannt ist, sollte diese behandelt werden. Bei Diabetes mellitus ist eine optimale Blutzuckereinstellung entscheidend. Allerdings sollte eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte vermieden werden, da dies zu weiteren Nervenschäden führen kann. Bei Alkohol- oder Medikamenteninduzierter Polyneuropathie ist Abstinenz bzw. ein Wechsel der Präparate erforderlich.
- Medikamentöse Therapie: Zur Schmerzbekämpfung können verschiedene Medikamente eingesetzt werden, darunter Antidepressiva, Antikonvulsiva (Medikamente gegen Krampfanfälle) und Opioide. Auch Schmerzpflaster, die auf die betroffenen Hautstellen aufgebracht werden, können helfen, die Nervenschmerzen zu bekämpfen.
- Ernährungstherapie: Eine sinnvolle Ernährungsstrategie kann die Beschwerden positiv beeinflussen. Besonderer Schwerpunkt liegt auf antioxidativen und entzündungshemmenden Lebensmitteln sowie einer ausreichenden Zufuhr von B-Vitaminen.
- B-Vitamine: Insbesondere B1, B6 und B12 sind wichtig für gesunde Nerven und deren Regeneration. Gute Quellen sind Hülsenfrüchte, Vollkornbrot, Weizenkeime, Rindfleisch und Hühnchen.
- Antioxidantien: Vitamin C und E, Alpha-Liponsäure, Zink, sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole und Beta-Carotin reduzieren oxidativen Stress, wirken protektiv und entzündungshemmend. Sie sind enthalten in Karotten, Tomaten, Spinat, Brokkoli, Vollkorngetreide, Hafer und fermentierten Lebensmitteln.
- Omega-3-Fettsäuren: Eicosapentaensäure (EPA) und Alpha-Linolensäure unterstützen eine gesunde Nervenfunktion und sind entzündungshemmend. Gute Quellen sind fetter Fisch wie Lachs und Makrele, Nüsse, Lein- und Rapsöl sowie Avocado.
- Verzicht auf Alkohol und Tabak: Alkohol und Tabak können die Nervenschädigung fördern und sollten daher vermieden werden.
- Regelmäßige Überprüfung der Ernährungsgewohnheiten: Die Ernährungsgewohnheiten sollten regelmäßig überdacht und nach jeder ärztlichen Kontrolle besprochen bzw. optimiert werden.
- Diabetiker: Diabetiker sollten ihren Zuckerkonsum reduzieren und auf eine ausreichende Vitamin-B12-Zufuhr achten, da die Einnahme von Metformin einen Vitamin-B12-Mangel begünstigen kann.
- Bewegungstherapie: Ausreichende Bewegung im Alltag und spezielle kräftigende Übungen können die Symptome einer Polyneuropathie lindern. Sensomotorisches Training verbessert das Gleichgewicht sowie die Gangsicherheit. Übungen für das gestörte Gleichgewicht wirken sich positiv auf Nervenschäden in den Füßen aus. Zusätzlich kann durch die Bewegung die Koordination gefördert werden und das Zusammenspiel von Muskeln und Nerven. Zum Gleichgewichtstraining kommen auch Kraftübungen hinzu, zum Beispiel mit Bändern. Polyneuropathie führt oft zu unsicherem Gang. Hier helfen Übungen, die die seitliche Bein- und Hüftmuskulatur trainieren.
- Weitere Therapien:
- Capsaicin-Pflaster: Capsaicin, der Wirkstoff aus Chilischoten, kann in Form von Pflastern auf die Haut aufgetragen werden. Es betäubt nicht nur den schmerzenden Bereich und steigert die Durchblutung, sondern scheint sogar die Neubildung kleiner Nervenfasern anzuregen.
- Elektrotherapie (TENS): Bei der Elektrotherapie werden die Nerven durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren.
- Akupunktur: Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt.
- Kühlen und Kompression: Kühlen und Kompression können Nervenschäden deutlich verringern.
Die Therapien müssen in der Regel dauerhaft durchgeführt werden, da eine Pause den Behandlungserfolg schnell beeinträchtigen kann.
Bewegung und Sport bei Chemotherapie-bedingter Polyneuropathie
Experten empfehlen Bewegung und Training, am besten in der Gruppe, insbesondere bei Polyneuropathie, die durch eine Chemotherapie ausgelöst wurde. Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg bietet ein spezielles Trainingsprogramm an, das bei Patienten gezielt Gleichgewicht, Kraft und Nervenwahrnehmung fördert. Einige Studien zeigen zwar, dass gezieltes Training während der Chemo die Symptome einer Polyneuropathie verringern kann, jedoch fällt es vielen Patienten aufgrund der Nebenwirkungen der Chemotherapie schwer, regelmäßig zu trainieren. Neben der Linderung der Symptome profitieren die Patienten auch von der Gruppenerfahrung und dem Austausch mit anderen Betroffenen.
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