Morbus Parkinson ist eine fortschreitende neurologische Erkrankung, die sich auf verschiedene Aspekte des täglichen Lebens auswirken kann. Zwei häufige Begleiterscheinungen sind Dysarthrie (Sprechstörung) und Dysphagie (Schluckstörung). Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über diese Herausforderungen und die verfügbaren Behandlungsansätze.
Was sind Dysarthrie und Dysphagie?
Dysarthrie und Dysphagie sind Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen, die oft aufgrund neurologischer Erkrankungen wie Morbus Parkinson auftreten.
Dysarthrie (Sprechstörung)
Bei der Dysarthrie ist die Sprechmuskulatur betroffen, was zu einer veränderten Aussprache, verlangsamter Sprechgeschwindigkeit und Schwierigkeiten bei der Lautstärkeregulierung führen kann. Die Stimme kann leise, monoton oder verhaucht klingen.
Dysphagie (Schluckstörung)
Dysphagie ist eine Störung des Schluckvorgangs, bei der die Wahrnehmung (Sensorik) und/oder die Bewegungsabläufe in der Koordination und durch Kraftminderung (Motorik) beeinträchtigt sein können. Dies kann dazu führen, dass Speichel, Nahrung oder Flüssigkeiten in die Atemwege gelangen (Aspiration), was im schlimmsten Fall zu einer Lungenentzündung (Aspirationspneumonie) führen kann.
Ursachen und Pathophysiologie
Die genaue Pathophysiologie von Dysarthrie und Dysphagie bei Morbus Parkinson ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass sowohl dopaminerge als auch nicht-dopaminerge Mechanismen eine Rolle spielen.
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Beteiligte Hirnnerven und -gebiete
Beim Schluckakt ist das Zusammenspiel verschiedener motorischer und sensorischer Hirnnerven(-kerngebiete) entscheidend. Beteiligt sind:
- N. trigeminus (V)
- N. facialis (VII)
- N. glossopharyngeus (IX)
- N. vagus (X)
- N. accessorius (XI)
- N. hypoglossus (XII)
Auf kortikaler Ebene wird der Schluckakt über Netzwerke kontrolliert, die das frontale Operculum und den insulären Kortex miteinbeziehen.
Degenerative Veränderungen im Gehirn
Entsprechend dem Braak-Modell für die Krankheitsprogression beim IPS wird angenommen, dass degenerative Veränderungen bereits in der prämotorischen Phase im Hirnstamm, insbesondere im dorsalen Nucleus des IX und X und im Locus coeruleus, zu finden sind und sich in der motorischen Phase zunehmend nach rostral auf die Substantia nigra und in der Spätphase auf den Neokortex ausbreiten.
Beteiligung der Basalganglien
Mittels fMRI konnte gezeigt werden, dass sowohl das Putamen als auch der Globus pallidus bilateral beim willkürlichen Schlucken aktiviert werden, was für eine Beteiligung der Basalganglien beim Schlucken spricht und ein indirekter Hinweis für die Mitbeteiligung des dopaminergen Systems bei der Pathophysiologie der Dysphagie sein könnte.
Periphere Mechanismen
Darüber hinaus wurde spekuliert, dass periphere Mechanismen eine Rolle spielen könnten, nachdem in Post-mortem-Studien die Ablagerung von Alpha-Synuclein in peripheren Nerven, die den Pharynx innervieren, nachgewiesen werden konnte. Darüber hinaus fand sich bei Parkinsonpatienten mit Schluckstörung ein höherer Anteil atropher Muskelfasern der pharyngealen Muskulatur.
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Symptome und Anzeichen
Dysarthrie
- Leise oder monotone Sprechweise
- Ungenauigkeit in der Aussprache
- Verlangsamte Sprechgeschwindigkeit
- Schwierigkeiten bei der Lautstärkeregulierung
- Verwaschene Sprache
Dysphagie
- Häufiges Verschlucken an Speichel, bestimmten Speisen oder Getränken
- Häufiges Räuspern oder Husten (ggf. auch verspätet), bis hin zu Hustenanfällen
- Erschwerte Atmung nach dem Schlucken (Atemnot, -geräusche, -stopp)
- Kloßgefühl im Hals
- Vermehrter Speichel, ungewollter Speichel- bzw. Nahrungsaustritt aus dem Mund
- Gurgelnde Stimme
- Brodelnde, rasselnde Atemgeräusche
- Niesen beim Essen
- Gewichts- und Flüssigkeitsverlust
- Wiederholte Lungenentzündungen
Diagnostik
Anamnese
Eine genaue Anamnese ist der erste Schritt, um eine Dysphagie zu erfassen. Dabei wird gezielt nach entsprechenden Zeichen einer Dysphagie gefragt, wie z.B.:
- Verschlucken
- Husten während des Essens
- Belegte Stimme nach dem Essen
- Kostanpassung aufgrund häufigen Verschluckens bei bestimmten Speisekonsistenzen
- Wiederholte Lungenentzündungen
- Kontinuierlicher Gewichtsverlust ohne ersichtlichen Grund
Klinische Untersuchung
In einer klinischen Untersuchung können Hinweise für eine Dysphagie wie orale Residuen oder ein verzögerter Schluckakt gesammelt werden. Es können zudem standardisierte Assessments, wie sie bei Schlaganfallpatienten zum Einsatz kommen, angewandt werden.
Instrumentelle Diagnostik
Als Goldstandard der Abklärung einer IPS-assoziierten Dysphagie gelten instrumentelle Techniken wie die fiberendoskopische Evaluation des Schluckaktes (FEES) oder eine videofluoroskopische Schluckstudie (VFSS).
- FEES: Ein flexibles Endoskop wird durch die Nase in den Hypopharynx vorgeschoben und der Schluckakt unter Videokontrolle beurteilt.
- VFSS: Die orale und pharyngeale Passage wird mittels Barium-modifizierter Speisen und Flüssigkeiten unter Röntgenkontrolle untersucht.
- Ösophagusmanometrie: Der zeitliche Verlauf der Druckänderungen während des Schluckens im Ösophagus wird aufgezeichnet, um die ösophageale Phase des Schluckens zu beurteilen.
Therapie
Die Therapie von Dysarthrie und Dysphagie bei Morbus Parkinson umfasst verschiedene Ansätze, die individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden.
Logopädie/Sprachtherapie
Die logopädische Therapie ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von Dysarthrie und Dysphagie. Ziel ist es, dieFunktion der Sprech- und Schluckmuskulatur zu verbessern undKommunikationsstrategien zu erlernen.
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- Dysarthrie: Durch gezielte Übungen kann die Artikulation, Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit verbessert werden. Das LSVT-LOUD Konzept stellt hierbei den "goldenen Standard" dar.
- Dysphagie: Im Rahmen des logopädischen Schlucktrainings sollte nach Identifikation der vordergründig betroffenen Phasen des Schluckaktes in der klinischen oder instrumentellen Untersuchung in individualisierten Therapiekonzepten versucht werden, das Defizit zu verbessern bzw. zu beheben.
Schluckstrategien und Eigentraining
Es gibt verschiedene Schluckstrategien und Übungen, die Patienten selbstständig durchführen können, um die Schluckfunktion zu verbessern.
- Kinn zur Brust: Neigen Sie während des Schluckens das Kinn in Richtung Brust, um ein Verschlucken zu verhindern.
- Kopf drehen: Drehen Sie unmittelbar bevor Sie schlucken Ihren Kopf möglichst um 90 Grad zur Seite und lassen ihn während des Schluckens gedreht.
- Supraglottisches Schlucken: Führen Sie diese Übung ohne Nahrung im Mund aus! Senken Sie das Kinn gegen die Brust. Atmen Sie tief durch die Nase ein. Halten Sie die Luft fest an. Schlucken Sie, halten Sie die Luft weiter an. Husten Sie sofort nach dem Schlucken. Schlucken Sie leer nach.
- Schluck-Wecker: Stellten Sie sich alle zwei Minuten über einen Zeitraum von 30 Minuten einen Wecker - schlucken Sie bei jedem Klingeln Ihren Speichel.
Anpassung der Ernährung
Die Anpassung der Ernährung ist ein wichtiger Bestandteil der Dysphagie-Therapie. Die Konsistenz der Nahrung sollte so angepasst werden, dass sie leichter zu schlucken ist und das Risiko einer Aspiration minimiert wird. Andickungsmittel können verwendet werden, um Flüssigkeiten zu verdicken.
Medikamentöse Therapie
In einigen Fällen kann die dopaminerge Medikation bei Morbus Parkinson auch die Schluckfunktion verbessern, insbesondere wenn die Dysphagie als Off-Phänomen auftritt. Kontinuierliche subkutane Apomorphin- oder intraduodenale L-Dopa-Infusionen oder transdermale Applikationsrouten stellen dabei interessante Therapieoptionen dar, da sie einen kontinuierlicheren Plasmaspiegel gewährleisten.
Tiefe Hirnstimulation (DBS)
Für die tiefe Hirnstimulation (DBS) konnte in einem 2013 veröffentlichten systematischen Review der Literatur hingegen weder ein positiver noch ein negativer Effekt von DBS des Nucleus subthalamicus oder Globus pallidus internus auf die Schluckfunktion beim IPS festgestellt werden. Interessanterweise zeigen neuere Daten, dass es bei 60Hz im Gegensatz zur routinemäßig bei der STN-DBS verwendeten Frequenz von 130Hz zu einer signifikanten und über sechs Wochen anhaltenden Reduktion der Aspiration und Verbesserung der Schluckfunktion in der VFSS kam.
Perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG)
In sehr schweren Fällen, in denen die Dysphagie mithilfe der oben genannten Massnahmen nicht verbessert werden kann und weiterhin ein erhebliches Aspirationsrisiko oder eine Malnutrition besteht, muss die Einlage einer perkutanen endoskopischen Gastrostomie diskutiert werden.
Tipps für den Alltag
- Nehmen Sie sich Zeit zum Essen und vermeiden Sie Ablenkungen.
- Achten Sie auf eine aufrechte Sitzhaltung beim Essen.
- Kauen Sie gründlich und nehmen Sie nur kleine Bissen/Schlucke in den Mund.
- Schlucken Sie kräftig und machen Sie nach jedem Schluck eine kurze Pause.
- Vermeiden Sie es, gleichzeitig zu essen und zu trinken.
- Husten Sie nach dem Essen mehrmals und schlucken Sie mehrmals leer nach.
- Bei Sprechschwierigkeiten: Sprechen Sie langsam und deutlich, verwenden Sie kurze Sätze und bitten Sie Ihr Gegenüber um Geduld.
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