Dysarthrie bei Parkinson: Ursachen und Behandlung

Dysarthrie, eine erworbene neurogene Sprechstörung, kann die Lebensqualität von Parkinson-Patienten erheblich beeinträchtigen. Diese Störung resultiert aus einer Schädigung des zentralen oder peripheren Nervensystems, wodurch die motorische Innervation der Sprechmuskulatur gestört wird. Das bedeutet, dass die Aktivierung der Muskeln durch nervliche Signale beeinträchtigt ist.

Was ist Dysarthrie?

Unter Dysarthrie versteht man eine erworbene Sprechstörung, die durch eine Schädigung des zentralen und/oder peripheren Nervensystems verursacht wird. Sie manifestiert sich durch Einschränkungen der Sprechmuskulatur, Atmungsmuskulatur und Stimmgebungsmuskulatur. Die motorische Ausführung des Sprechens ist beeinträchtigt, was sich in undeutlicher, verwaschener oder angespannter Artikulation äußern kann.

Oft wird der Begriff Dysarthrie synonym mit Dysarthrophonie verwendet. Bei einer reinen Dysarthrie sind vor allem die Artikulation, Prosodie (Sprechmelodie) und Verständlichkeit betroffen. Bei einer Dysarthrophonie sind zusätzlich Haltung, Atmung, Phonation (Stimmgebung) und Resonanz beeinträchtigt.

Im Gegensatz zur Aphasie, einer Sprachstörung, bei der das Sprachverständnis, die Sprachproduktion sowie das Lesen und Schreiben beeinträchtigt sein können, betrifft die Dysarthrie primär die motorischen Aspekte des Sprechens. Das Sprachverständnis und die eigentliche Produktion von Sprache bleiben in der Regel intakt.

Ursachen der Dysarthrie

Die Ursachen für Dysarthrie sind vielfältig. Häufige Auslöser sind:

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  • Schlaganfall (Apoplex): Hierbei wird das Gehirn plötzlich nicht mehr ausreichend mit Blut und Sauerstoff versorgt, was oft zu Sprechstörungen führt.
  • Schädel-Hirn-Trauma (SHT): Verletzungen des Schädels mit Hirnbeteiligung können Sprach- und Sprechstörungen verursachen.
  • Frühkindliche Hirnschädigung: Schädigungen des kindlichen Gehirns zwischen dem sechsten Schwangerschaftsmonat und dem Ende des ersten Lebensjahres können zu Dysarthrie führen.
  • Gehirnentzündung (Enzephalitis): Eine infektiöse Entzündung des Gehirns, meist durch Viren ausgelöst, kann Dysarthrie verursachen.
  • Hirnhautentzündung (Meningitis): Eine Entzündung der Hirnhäute durch Bakterien oder Viren kann in manchen Fällen Dysarthrie verursachen.
  • Gehirntumor: Je nach Lage und Größe können Hirntumoren unterschiedliche Formen der Dysarthrie auslösen.
  • Multiple Sklerose (MS): Bei MS zerstört das Immunsystem die Schutzschicht um die Nervenfasern, was zu Störungen der Nervenimpulsweiterleitung und somit zu Dysarthrie führen kann.
  • Parkinson-Krankheit (Morbus Parkinson): Etwa neun von zehn Parkinson-Patienten entwickeln eine Dysarthrie.
  • Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Diese seltene chronische Erkrankung des Nervensystems beeinträchtigt Motorik, Atmung, Kommunikationsfähigkeit und Nahrungsaufnahme. Sprechstörungen gehören zu den häufigen Frühsymptomen.
  • Chorea Huntington: Bei Erwachsenen mit hyperkinetischer Dysarthrie ist die Ursache meist Chorea Huntington, eine seltene Erbkrankheit, die mit unwillkürlichen Bewegungen einhergeht.
  • Myasthenia gravis: Bei dieser Autoimmunerkrankung ist die Reizübertragung zwischen Nerven- und Muskelzellen gestört, was unter anderem zu Dysarthrie führen kann.
  • Vergiftungen (Intoxikationen): Alkoholmissbrauch oder Drogenkonsum können ebenfalls Ursachen einer Dysarthrie sein.
  • Epilepsie
  • Kleinhirn-Ataxie
  • Psychische Erkrankungen

Dysarthrie bei Parkinson

Morbus Parkinson ist eine der häufigsten Ursachen für Dysarthrie. Die Erkrankung betrifft in erster Linie die Beweglichkeit, auch die der am Sprechen beteiligten Organe. Eine leisere Stimme (Hypophonie) kann das erste Anzeichen für Parkinson sein. Betroffene nehmen dies jedoch oft nicht selbst wahr.

Das Lautstarke-Dilemma: Menschen mit Parkinson sprechen oft sehr leise. Durch Akinese (Bewegungsarmut) und Rigor (Muskelsteifigkeit) wird viel Kraft aufgewendet, um die Stimme in Gang zu bringen. Es ist wichtig zu beachten, dass die eigene Sprechwahrnehmung gestört sein kann, nicht aber das Gehör für Umgebungslärm und andere Sprecher. Die wirkliche Lautstärke sollte mit Hilfe von Tonband- und Videoaufnahmen kontrolliert werden.

Symptome der Dysarthrie

Die Dysarthrie macht sich auf verschiedenen Ebenen des Sprechens bemerkbar. Die Symptome können sich auf die folgenden sieben Funktionskreise beziehen:

  1. Haltung/Tonus: Eine nach vorn gebeugte Haltung kann typisch sein, insbesondere bei Parkinson.
  2. Atmung: Unkontrolliertes Atemmuster oder eine beeinträchtigte Atemkoordination.
  3. Phonation (Stimmgebung): Leise, behauchte, gepresste, raue oder heisere Stimme, monotone Stimmlage, unkontrollierte Stimme (mal laut, mal leise).
  4. Resonanz: Veränderte nasale Klangqualität der Stimme.
  5. Artikulation: Verwaschene, undeutliche Artikulation, eingeschränkte Beweglichkeit der Sprechorgane.
  6. Prosodie (Sprechmelodie): Monotone Sprechweise, verlangsamtes oder beschleunigtes Sprechtempo, wechselnde Artikulationsschärfe, schwankendes Redetempo.
  7. Verständlichkeit: Schwierigkeiten, verstanden zu werden aufgrund der beeinträchtigten Sprechfunktionen.

Die spezifischen Symptome hängen von der zugrunde liegenden Erkrankung und der Form der Dysarthrie ab. Es gibt verschiedene Formen der Dysarthrie, die sich in ihrer Symptomatik unterscheiden:

  • Hypotone/schlaffe Dysarthrie: Reduziertes Bewegungsausmaß, Bewegungstempo sowie Muskeltonus und -kraft.
  • Dyskinetisch rigide-hypokinetische Dysarthrie: Reduziertes Bewegungsausmaß ohne Lähmung.
  • Ataktische Dysarthrie: Betont langsames, rhythmisch gestörtes Sprechen mit wechselnder Lautdeutlichkeit, unkoordinierte, angespannte Artikulation, Sprechen wirkt gepresst oder abgehackt.

Diagnose der Dysarthrie

Die Diagnose einer Dysarthrie wird in der Regel von einem Arzt gestellt, meist einem Neurologen. Dieser kann dann eine logopädische Verordnung ausstellen. Der Logopäde beurteilt, in welchem Maße das Sprechen betroffen und die Verständlichkeit eingeschränkt ist.

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Zur Diagnostik gehören:

  • Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der aktuellen Beschwerden.
  • Klinische Untersuchung: Beurteilung der Sprechmotorik, der Artikulation, der Stimme, der Atmung und der Prosodie.
  • Testverfahren: Einsatz standardisierter Tests wie dem "Frenchay" oder dem "UNS" (Untersuchung neurogener Sprech- und Stimmstörungen), um die funktionellen Bewegungen der Artikulationsorgane und die Sprechleistung zu überprüfen.

Therapie der Dysarthrie

Die Therapie der Dysarthrie zielt darauf ab, die Kommunikationsfähigkeit des Patienten zu verbessern, wiederherzustellen oder alternative Kommunikationswege zu erarbeiten. Die Behandlung ist individuell auf die Bedürfnisse und Symptome des Patienten abgestimmt.

Logopädische Therapie:

Eine Logopädieeinheit kann aus Atem-, Stimm- und Sprechübungen bestehen, die die allgemeine Kommunikationsfähigkeit des Patienten im Alltag verbessern sollen. Mögliche Therapieansätze sind:

  • Funktionstherapie: Verbesserung der Kopf- und Körperhaltung, Ausgleich von Muskelverspannungen.
  • Atemtherapie: Übungen zur Verbesserung der Atmung, Verlängerung des Atemstroms.
  • Stimmtherapie: Übungen für die Stimmlippen und die Muskulatur des Kehlkopfes zur Verbesserung der Stimmqualität und Lautstärke.
  • Artikulationstherapie: Übungen zur Verbesserung der Beweglichkeit der Sprechorgane und der Artikulation.
  • Mundmotorikübungen: Massagen und Vibrationstherapien zur Verbesserung des Muskeltonus und zur Behandlung von Lähmungen im Bereich der Lippen, Zunge und des Gaumensegels.
  • Kommunikationstraining: Rollenspiele und Übungen, um den zwischenmenschlichen Alltag zu verbessern und Probleme im sozialen Umgang zu beseitigen.
  • Einsatz von Unterstützter Kommunikation (UK): Nutzung alternativer Kommunikationskanäle wie Gestik, Mimik, Schriftsprache oder elektronische Hilfsmittel, wenn das Sprechen nicht möglich ist.
  • Rhythmisch-melodische Übungen
  • Kommunikationstraining in realen Alltagssituationen („In-vivo-Training“)

Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Therapie?

Eine Therapie sollte spätestens bei offensichtlichen Veränderungen der Stimme oder des Sprechens begonnen werden. Durch einen sehr frühen Behandlungsbeginn können Sie Ihren gesamten Körper noch optimal bei den Übungen nutzen, maximal aktiv mitarbeiten und die Übertragung in den Alltag leichter vollziehen. Zudem können Sie einer Gewöhnung an einen leisen, monotonen Stimmklang vorbeugen. Dieses vorbeugende Training wird Ihre stimmlichen Fähigkeiten fordern, den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen und schafft die Voraussetzungen für den größten und am längsten anhaltenden Erfolg!

Ambulante oder stationäre Therapie?

Häufig hat es sich bewährt, ambulante und stationäre Therapie miteinander zu verbinden. Die Reihenfolge und der Abstand zueinander sind vom individuellen Einzelfall abhängig. Besondere Therapien, wie das LSVT® LOUD ("Goldstandard"-Therapie), sind jedoch für den ambulanten Bereich ausgelegt. Außerdem kann das Kernproblem der fehlerhaften Wahrnehmung ambulant effektiver angegangen und die daraus resultierenden Übungen zur Selbstkontrolle im häuslichen Umfeld umgesetzt werden. Andere Therapieformen, wie zum Beispiel die Atemtherapie, sind ebenfalls ambulant sinnvoll.

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Wie finde ich einen Therapeuten?

Niedergelassene Therapeuten, die sich auf die Parkinsonsprechtherapie spezialisiert haben, werden Sie häufig über Mundpropaganda (zum Beispiel in einer ortsansässigen Parkinson-Selbsthilfegruppe) erfahren. Verzeichnisse sprachtherapeutischer Praxen finden Sie im Telefon- oder Branchenbuch, bei Krankenkassen, in Reha-Kliniken oder in Ihrer Arztpraxis.

Eigentraining:

Nach einer logopädischen Therapie, der vorherigen Anleitung eines Therapeuten und ausreichender Routine in der richtigen Durchführung von Stimmübungen können Sie das Training alleine fortführen. Nehmen Sie sich anfangs immer nur einen Übungsschwerpunkt vor. Wenn Sie diesen einen Aspekt mit Leichtigkeit auf allen Sprechebenen einsetzen können, nehmen Sie einen neuen Schwerpunkt hinzu.

Beispiele von Übungen für das Eigentraining:

  • Machen Sie sich Erinnerungshilfen für das laute Sprechen und kleben Sie diese an verschiedene Stellen in Ihrer Wohnung und an Ihren Arbeitsplatz.
  • Erstellen Sie sich zur Motivation ein persönliches Übungsprotokoll oder notieren Sie sich Trainingseinheiten in lhrem Kalender.
  • Entwickeln Sie eine Routine für das Üben in Ihrem Tagesablauf (Zeit und Ort). So werden die Übungen für Sie ganz selbstverständlich.
  • Informieren Sie Nachbarn, Mitbewohner und Angehörige über Ihr Stimmtraining, um keine Hemmungen bezüglich der Lautstärke bei den Übungen zu haben.
  • Tönen Sie jede Silbe mit großer Mundöffnung 10 x laut ca. 2 - 3 Sek. Ist lhre Stimme kratzig, tönen Sie MO - / HO - / O!
  • Sprechen Sie Sätze wie "Was willst du schon wieder?" oder "Was wir schon alles gemeinsam erlebt haben!" laut aus.
  • Stellen Sie sich aus den Vorschlägen des Aufwärm-, Zwischen- und Alltagstrainings Ihr eigenes Programm zusammen.

Beispiele für Übungen:

  • Warming up am Morgen:
    • Sprechen Sie schon Ihre allererste Äußerung laut: z. B. "Guten Morgen" (auch zu sich selbst)
    • Motivieren Sie sich vor dem Spiegel mit einem lauten "Ich starte mit einer kräftigen Stimme in den Tag!"
    • Tönen Sie kraftvoll 3 x ein HEKaufen Sie sich einen Tagesabreißkalender mit kurzen Sprüchen oder kleinen Texten und lesen Sie jeden Tag den Spruch laut vor, auch wenn Sie alleine leben.
  • Extratraining:
    • Lesen Sie kurze Artikel aus einer Zeitung oder Illustrierten laut vor
    • Wenn Sie ein Buch lesen, lesen Sie jeweils die ersten drei Zeilen jeder Seite laut
    • Kommentieren Sie die Zubereitung des Essens laut oder lesen Sie ein Kochrezept laut vor
    • Singen Sie laut
  • Situationstraining:
    • Fragen Sie Passanten laut nach der nächsten Haltestelle, Post oder nach der Uhrzeit
    • Sagen Sie Ihre Wünsche beim Metzger, Bäcker, Verkäuferin usw. laut.
    • Sprechen Sie Fragen oder kurze Antworten mit Freunden, Familienmitgliedern, der Sekretärin, Arbeitskollegen, bei Versammlungen etc.

Verhaltenstipps für Betroffene und ihre Mitmenschen

Menschen, die unter einer Dysarthrophonie leiden, können einiges dazu beitragen, um sich selbst und ihrer Umgebung die Kommunikation zu erleichtern. Der verbale Austausch sollte stets in einer ruhigen Umgebung ohne Hintergrundgeräusche wie Straßenlärm oder Radio stattfinden. Bei längerem Sprechen sind Pausen und das Trinken von etwas Wasser, bei vermehrtem Speichelfluss das regelmäßige bewusste Schlucken, oft sehr hilfreich. In Stresssituationen ist es sinnvoll, auch das Schreiben sowie die Gestik gezielt zu nutzen, um es zu vermeiden, nicht gleich verstanden zu werden. Durch ein selbstbewusstes Auftreten des Betroffenen, direkten Blickkontakt sowie das Aufklären der Mitmenschen über die eigene Erkrankung werden die Gesprächspartner geduldig und ruhig zuhören, auch wenn die Sprache verzerrt oder eingeschränkt ist. Diese sollten sich immer darum bemühen und sich die Zeit nehmen, ihr von einer Dysarthrophonie betroffenes Gegenüber richtig zu verstehen und im Zweifelsfall nachzufragen. Durch Wiederholen des Verstandenen wird der Betroffene entlastet, da er nicht ganz von vorne beginnen muss. In der Kommunikation mit Dysarthrophonie-Patienten ist stets Rücksicht gefragt, denn diese können durch die Anstrengung, sich verständlich auszudrücken, schnell ermüden. Außerdem sind deren Sprachfähigkeiten stark von äußeren Einflüssen wie Wetterbedingungen oder Stress abhängig. Auch bei unerwarteten oder der Situation unangemessenen emotionalen Ausdrücken wie Weinen oder Lachen ist es immer empfehlenswert, sensibel zu reagieren und nachzufragen. Ein einfühlsames Verhalten von beiden Seiten verhindert Missverständnisse und ermöglicht den Betroffenen, in einen lebendigen Kontakt mit ihrer Umwelt zu treten.

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