Physiotherapeutische Maßnahmen nach einem Schlaganfall: Ein umfassender Überblick

Ein Schlaganfall tritt oft unerwartet auf und kann das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen von einem Tag auf den anderen verändern. Die gute Nachricht ist, dass es verschiedene physiotherapeutische Maßnahmen gibt, die helfen können, verlorene Funktionen wiederzuerlangen und die Lebensqualität zu verbessern. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Aspekte der Physiotherapie nach einem Schlaganfall.

Was ist ein Schlaganfall?

Ein Schlaganfall, medizinisch als Apoplex oder Hirninfarkt bezeichnet, ist eine plötzlich auftretende Funktionsstörung des Gehirns. Ursachen sind in etwa 80 Prozent der Fälle Durchblutungsstörungen (Hirninfarkt, Hirnembolie) und in 20 Prozent Hirnblutungen. Durch die Mangeldurchblutung wird das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, was zum Absterben von Gehirnzellen führen kann. Die Folgen können vielfältig sein und reichen von Lähmungen und Sensibilitätsstörungen bis hin zu Sprach- und kognitiven Beeinträchtigungen.

Ursachen und Risikofaktoren

Die häufigsten Ursachen für einen Schlaganfall sind:

  • Hirninfarkt: Verengung oder Verschluss von Blutgefäßen, die zum Gehirn führen oder sich im Gehirn befinden, oft durch Arteriosklerose verursacht.
  • Hirnembolie: Verstopfung eines Blutgefäßes durch einen angespülten Blutpfropf.
  • Hirnblutung: Plötzlicher Riss eines Blutgefäßes im Gehirn.

Risikofaktoren für einen Schlaganfall sind vor allem:

  • Bluthochdruck
  • Diabetes
  • Hohe Blutfette
  • Rauchen
  • Übergewicht
  • Bewegungsmangel

Diese Faktoren begünstigen Arteriosklerose, die über Jahre hinweg die Blutgefäße schädigt.

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Prävention

Ein aktiver, beweglicher Lebensstil mit regelmäßiger Ausdauerbelastung kann helfen, einem Schlaganfall vorzubeugen. Präventionskurse unter Anleitung von speziell fortgebildeten Physiotherapeuten können dabei unterstützen.

Rolle der Physiotherapie nach einem Schlaganfall

Die Physiotherapie spielt eine entscheidende Rolle bei der Rehabilitation nach einem Schlaganfall. Sie trägt dazu bei, Folgeschäden und Einschränkungen möglichst gering zu halten. Die Behandlung beginnt idealerweise sehr rasch nach dem Ereignis, bereits in der Klinik, und wird in der Rehabilitation und ambulant fortgesetzt. Zahlreiche Physiotherapeuten sind durch spezielle Weiterbildungen für die Behandlung von neurologischen Patienten besonders qualifiziert.

Ziele der Physiotherapie

Im Vordergrund der Therapie steht die Wiedererlangung verlorener Funktionen wie:

  • Paresen (Muskelschwäche)
  • Sensibilitätsstörungen
  • Neglect (Vernachlässigung einer Körperhälfte oder des Raumes)

Dies geschieht durch Wahrnehmungsschulung, Tonusregulation und Funktionsanbahnung. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die frühestmögliche Mobilisation, um eine frühzeitige Annäherung an die Normalität zu erreichen. Dies kann beispielsweise die Mobilisation im Bett in den Sitz zum Waschen oder in den Sessel zum Frühstücken umfassen.

Langfristig zielt die Physiotherapie darauf ab, die größtmögliche Selbstständigkeit und Lebensqualität wiederzuerlangen und Pflegebedürftigkeit so weit wie möglich zu mindern.

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Physiotherapeutische Behandlungskonzepte

In der physiotherapeutischen Behandlung von Schlaganfallpatienten werden verschiedene Konzepte angewendet, die auf neurophysiologischer Grundlage basieren. Zu den bekanntesten gehören das Bobath-Konzept, das Vojta-Konzept und die Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF).

Das Bobath-Konzept

Das Bobath-Konzept ist einer der weltweit am häufigsten angewendeten Therapieansätze zur Behandlung von Hemiplegie nach Schlaganfall. Es zielt darauf ab, dem Patienten zu helfen, mit minimalen Bewegungsauffälligkeiten eine maximale Selbstständigkeit zu erreichen und mit seinen Einschränkungen umzugehen.

Grundlagen des Bobath-Konzepts

Der Behandlungsansatz berücksichtigt die individuelle körperliche, soziale, emotionale und berufliche Situation des Patienten. Er basiert auf der Vermeidung oder Hemmung von abnormalem Haltungstonus und abnormal koordinierten Bewegungsmustern sowie dem Wiedererlernen normaler Bewegung, die normalen Haltungstonus, normale reziproke Innervation und normale Gleichgewichtsreaktionen beinhaltet.

Ein besonderes Merkmal des Bobath-Konzepts ist das 24-Stunden-Konzept. Der Behandlungsansatz beschränkt sich nicht nur auf die Physiotherapie, sondern bezieht alle beteiligten Personen mit ein, darunter der Patient, das multidisziplinäre Team (Pflege, Ergotherapie, Ärzte, Logopädie, Neuropsychologie) und die Angehörigen. Die Therapie wird interaktiv über die 24 Stunden des Tages fortgeführt, bei allen Aktivitäten im Alltag oder während der Rehabilitation.

Entwicklung des Bobath-Konzepts

Das Bobath-Konzept wurde in den 1940er Jahren von der Physiotherapeutin Berta Bobath und ihrem Mann, dem Arzt Dr. Karel Bobath, entwickelt. Ursprünglich wurde es für die Behandlung von Kindern mit angeborenen Zerebralparesen eingesetzt, später dann auch bei erwachsenen Hemiplegikern nach Schlaganfall. Im Laufe der Jahre hat sich das Konzept durch Erfahrungen in der praktischen Arbeit, den Einfluss anderer Therapieformen und den neurowissenschaftlichen Erkenntnisstand stetig weiterentwickelt.

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Kritik am Bobath-Konzept

Obwohl das Bobath-Konzept weit verbreitet ist, gibt es auch kritische Stimmen. Im Vergleich mit anderen klinisch bewährten Therapieansätzen scheint die Behandlung der Hemiplegie nach Schlaganfall nach dem Bobath-Konzept nicht überlegen effektiv zu sein. Neuere Therapieansätze scheinen spezifischer zu wirken. Studien haben gezeigt, dass Patienten, die nach dem Bobath-Konzept behandelt wurden, möglicherweise mehr Zeit benötigen, um den gleichen funktionellen Status zu erreichen, und weniger motorische Funktionen im Arm erreichen als Patienten, die mit anderen Therapieformen behandelt wurden.

Fazit zum Bobath-Konzept

Trotz der Kritik bleibt das Bobath-Konzept ein wichtiger Therapieansatz in der Rehabilitation nach Schlaganfall. Es kann besonders wirksam sein, wenn es mit neueren Therapieansätzen kombiniert wird, die spezifische Funktionen trainieren.

Das Vojta-Konzept

Beim Konzept nach Vojta werden im Gehirn vorhandene Bewegungsmuster angebahnt. Hierbei löst der Therapeut Reflexe aus, welche durch Stimulation gewisser Punkte (Becken, Schulterblatt, Ellenbogen etc.) aktiviert werden. Somit werden Muskel- und Nervenfunktionen angebahnt, welche die allgemeine Beweglichkeit verbessern.

Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF)

PNF ist eine weitere wichtige Methode in der Physiotherapie nach Schlaganfall. Sie hilft dabei, natürliche Bewegungsmuster wiederherzustellen, indem das Zusammenspiel zwischen Muskeln, Nerven und Gehirn gezielt gefördert wird.

Grundlagen von PNF

Der Grundgedanke von PNF ist, dass der Körper über bestimmte Bewegungsmuster verfügt, die tief in unserem Nervensystem verankert sind. Diese Bewegungsmuster können nach einem Schlaganfall beeinträchtigt sein. PNF hilft, diese Muster wieder zu aktivieren, indem gezielt Muskeln, Nerven und Gelenke stimuliert werden.

Wie funktioniert PNF?

Der Therapeut arbeitet mit gezielten Widerständen, Dehnungen und Bewegungsanweisungen, um das Zusammenspiel zwischen Muskeln und Nervensystem zu verbessern. Bewegungen werden nicht isoliert trainiert, sondern in komplexen, natürlichen Abläufen. Das Ziel ist es, die Gehirn-Muskel-Verbindung zu reaktivieren, sodass Betroffene Bewegungen wieder bewusster und sicherer ausführen können.

Warum ist PNF so effektiv?

  • Es setzt direkt an den natürlichen Bewegungsmustern des Körpers an.
  • Es verbessert Koordination, Kraft und Beweglichkeit gleichzeitig.
  • Es fördert die Selbstständigkeit im Alltag.

PNF-Techniken

Es gibt verschiedene PNF-Techniken, die je nach Schweregrad der Einschränkungen und individuellen Bedürfnissen eingesetzt werden können:

  • Rhythmic Initiation (Ruhige Bewegungseinleitung): Hilft Patienten mit sehr eingeschränkter Beweglichkeit oder Angst vor Bewegungen.
  • Repeated Contractions (Wiederholte Muskelaktivierung): Kräftigt geschwächte Muskeln, insbesondere wenn Bewegungen schnell ermüden.
  • Hold-Relax (Anspannen und Entspannen zur Spastiklösung): Reduziert Muskelverspannungen und Spastiken.
  • Contract-Relax (Verbesserung der Bewegungsreichweite): Verbessert die Beweglichkeit für Gelenke, die sich steif anfühlen.
  • Stabilisierungstechniken: Verbessern Gleichgewicht und Kontrolle.

PNF in der Praxis

Eine PNF-Sitzung ist dynamisch und aktiv. Der Therapeut analysiert zunächst die individuelle Situation des Patienten und passt die Übungen entsprechend an. Typischerweise führt der Therapeut die Bewegung zunächst sanft an, setzt dann gezielt Widerstände oder gibt Impulse, um den Muskel aktiv zu fordern. Durch wiederholte Wiederholungen wird die Muskel-Nerven-Koordination verbessert.

PNF-Übungen für den Alltag

Einige einfache Bewegungsmuster, die sich auch zu Hause umsetzen lassen, sind:

  • Diagonale Armbewegungen
  • Fußheben gegen Widerstand
  • Kreuzkoordination

Der Behandlungsprozess

Die Behandlung von Schlaganfallpatienten erfolgt in der Regel im Team, bestehend aus dem behandelnden Hausarzt, Neurologen oder Internisten, dem Physiotherapeuten und gegebenenfalls weiteren Fachkräften. Der Physiotherapeut verschafft sich in der Eingangsuntersuchung und einem Gespräch einen umfassenden Überblick über die aktuellen Einschränkungen und die individuellen Ziele des Patienten.

Befunderhebung

Im Mittelpunkt steht, welche körperlichen Fähigkeiten in Bezug auf die Bewältigung des Alltags und die Teilhabe am sozialen Leben benötigt werden. Ist beispielsweise die Gehfähigkeit beeinträchtigt, so prüft der Physiotherapeut die dafür notwendigen Faktoren wie Kraft, Ausdauer und Koordination. Weitere wichtige Fragen, die ebenfalls zur Therapie gehören, sind: In welcher Weise sind die Selbstständigkeit und Aktivität betroffen?

Therapieplan

Auf Grundlage der Befunderhebung erstellt der Physiotherapeut einen individuellen Therapieplan, der die spezifischen Bedürfnisse und Ziele des Patienten berücksichtigt. Der Therapieplan kann verschiedene Maßnahmen umfassen, wie z.B. Übungen zur Verbesserung der Kraft, Ausdauer, Koordination und Beweglichkeit, sowie Maßnahmen zurReduktion von Spastiken und Schmerzen.

Einbeziehung des Patienten und der Angehörigen

Der Patient und ggf. auch seine Angehörigen werden immer aktiv in den Behandlungsprozess einbezogen und zu den therapeutischen Möglichkeiten beraten, z. B. in der Akutphase, der Reha-Phase oder auch bei Behandlungen vor Ort zu Hause.

Beispielhafte Behandlung

Ein Patient hat als Folge des Schlaganfalls in der rechten Gehirnhälfte Einschränkungen in der Kraft und/oder Koordination des linken Beins sowie bei der Bewegungskontrolle. Das Patientenziel ist es daher, die Funktion des betroffenen Beins zu verbessern, sodass tägliche Aktivitäten wie das Gehen innerhalb und außerhalb der Wohnung oder das Treppensteigen wieder möglich sind. Der Physiotherapeut wird daher Bewegungen wieder anbahnen sowie gemeinsam mit dem Patienten Kraft- und Koordinationsübungen für beide Beine und den Rumpf erarbeiten. Daneben wird er bei Bedarf auch den Umgang mit Hilfsmitteln trainieren. Idealerweise gestaltet sich der Therapieverlauf so, dass der Patient wieder selbstständig (wenn möglicherweise auch mit Hilfsmitteln) gehen kann.

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