Die Entwicklung der Synapsen im Gehirn ist ein komplexer und dynamischer Prozess, der bereits in der Embryonalphase beginnt und sich bis ins junge Erwachsenenalter fortsetzt. Dieser Prozess ist essenziell für die Ausbildung neuronaler Netzwerke, die den kognitiven, emotionalen und motorischen Fähigkeiten zugrunde liegen. Die Gehirnentwicklung ist ein Zusammenspiel von genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen und ermöglicht es dem Gehirn, sich an die jeweiligen Lebensumstände anzupassen.
Frühe Phasen der Gehirnentwicklung
Die Gehirnentwicklung beginnt bereits in der frühen Embryonalphase, etwa in der 3. Schwangerschaftswoche, mit der Bildung des Neuralrohrs. Aus diesem Neuralrohr entwickeln sich das Gehirn und das Rückenmark. In dieser frühen Phase werden die Nervenzellen in einem rasanten Tempo gebildet und wandern zu ihrem jeweiligen Bestimmungsort, wobei sie sich an radial ausgerichteten Gliazellen orientieren. An ihrem Bestimmungsort stellen sie sich dann in Reihen und Schichten auf.
Die Rolle von Proteinen in der frühen Entwicklung
In der Frühphase der Gehirnentwicklung spielen bestimmte Proteine eine entscheidende Rolle. So halten die Proteine Teneurin und FLRT Ausschau nach ihrem Partnerprotein Latrophilin auf anderen Nervenzellen. Interessanterweise führen diese Interaktionen in der frühen Phase nicht zur Anziehung, sondern zur Abstoßung der Zellen. Embryonale Nervenzellen besitzen oft nur einen Zellkörper und kurze Ausläufer, Neuriten genannt. Wenn Teneurin und FLRT auf diesen Strukturen an Latrophilin binden, stoßen sich die Zellen ab. Die wandernden Zellen verlieren dadurch teilweise ihren Halt und kommen langsamer voran. Befinden sich Teneurin und FLRT jedoch auf der Axonoberfläche, lösen sie keine Abstoßungsreaktion mehr aus, wenn sie mit Latrophilin in Kontakt kommen. Hier und jetzt ziehen die Proteine die Zellen zusammen, induzieren die Synapsenbildung und vermitteln so ultimativ den Aufbau von Netzwerken miteinander kommunizierender Nervenzellen.
Bildung der Hirnstrukturen
In der 4. bis 6. Lebenswoche entstehen Verdickungen, die drei Hirnbläschen, aus denen sich die Gehirnabschnitte entwickeln. Zugleich verteilen sich Neuronen längs des Neuralrohrs, verästeln sich im übrigen Embryo und bilden so langsam das zentrale Nervensystem aus. In der 10. Lebenswoche besitzt das Gehirn bereits eine kleine, glatte Struktur, die dem gleicht, was allgemein als Gehirn bekannt ist. Die Falten, die die verschiedenen Gehirnregionen bilden, entwickeln sich erst später in der Schwangerschaft. In den kommenden Lebenswochen werden weiterhin neue Neuronen - etwa 250.000 pro Minute - in der Mitte des Gehirns produziert und wandern von dort zu ihrem Bestimmungsort. Eine Unmenge von Nervenzellen wird aber auch wieder abgebaut. Bis zur 15. Lebenswoche bilden sich Klein- und Mittelhirn sowie der Balken aus. Die beiden Großhirnhälften wachsen rasant (vor allem nach hinten), verdicken sich nach außen und bilden die ersten Furchen aus. Haben die meisten Nervenzellen ihre endgültige Position erreicht, sind alle wichtigen Gehirnstrukturen ausgebildet. Erst dann bilden die Neuronen Axone und Dendriten aus, wobei an der Entstehung der Synapsen Gliazellen beteiligt sind. Eine weitere wichtige Entwicklung im frühkindlichen Gehirnwachstum ist die Ausbildung der Myelinscheide, welche die Axone isoliert.
Funktionelle Entwicklung im Mutterleib
Schon im Mutterleib nimmt das Gehirn Informationen auf und verarbeitet diese. Beispielsweise reagiert der Fötus ab der 19. Woche auf Schmerz; ein Schmerzbewusstsein tritt rudimentär aber erst nach der 28. Woche auf. Der Fötus kann ab der 26. Woche hören, ab der 29. Woche schmecken und ab der 32. Woche sehen; dann können auch Schlafphasen inklusive REM-Schlaf beobachtet werden. Um diese Zeit herum bildet sich eine Art Kurzzeitgedächtnis aus, in dem z.B. wiederkehrende, zunächst erschreckende Töne abgespeichert werden. Dann scheint es auch schon ein rudimentäres Bewusstsein zu geben.
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Synaptogenese und neuronale Vernetzung
Die eigentliche Synaptogenese, also die Bildung von Synapsen, beginnt bereits im Mutterleib, erreicht aber nach der Geburt ihren Höhepunkt. Bei der Geburt enthält das Gehirn eines Säuglings rund 100 Milliarden Neuronen, die gleiche Anzahl wie beim Erwachsenen. Die Nervenzellen des Neugeborenen sind aber noch nicht voll ausgebildet und wenig vernetzt. Ein Neuron hat durchschnittlich nur 2.500 Synapsen; bei Kleinkindern sind es hingegen bis zu 15.000 Synapsen. Auch bewegen sich Nervenimpulse viel langsamer: Die neurale Geschwindigkeit nimmt zwischen Geburt und Adoleszenz um das 16fache zu - (Klein-) Kinder verfügen noch über zu viele mögliche Leitungsbahnen, was Erregungen länger "fließen" lässt.
Überproduktion und Selektion von Synapsen
Bedingt durch die Unmenge der Wahrnehmungen und Erfahrungen nimmt die Zahl der Synapsen in den ersten drei Lebensjahren rasant zu. Mit zwei Jahren entspricht die Menge der Synapsen derjenigen von Erwachsenen; mit drei Jahren hat ein Kind mit 200 Billionen Synapsen bereits doppelt so viele. Die Ausbildung von doppelt so vielen Synapsen wie letztlich benötigt ist ein Zeichen für die große Plastizität des Gehirns - und die enorme Lern- und Anpassungsfähigkeit des Säuglings bzw. Kleinkinds.
Die Rolle von SynCAM1
Wissenschaftler haben die Funktion von SynCAM1, eines der Adhäsionsmoleküle, genauer untersucht. In den Gehirnen von Mäusen ohne SynCAM1 wurden auch weiterhin Synapsen gebildet, da es weitere nahe Verwandte von SynCAM1 gibt, die ebenfalls zum Aufbau von Synapsen beitragen. War die Menge von SynCAM1 jedoch künstlich erhöht, so wurden deutlich mehr Synapsen gebildet. Reduzierten die Neurobiologen die SynCAM1-Menge dann wieder durch einen genetischen Trick, so verschwanden die zusätzlichen Synapsen. Dieser Effekt war nicht nur auf die Entwicklungsphase des Gehirns beschränkt, in der sich die meisten Synapsen bilden, sondern konnte auch im erwachsenen Gehirn nachgewiesen werden. Die Ergebnisse zeigen, dass SynCAM1 nicht nur beim Aufbau von Synapsen eine Rolle spielt, sondern auch für den Erhalt von vorhandenen Synapsen wichtig ist.
Reifungsprozesse in der Adoleszenz
Groß angelegte Längsschnittstudien konnten darlegen, dass es während der Adoleszenz zu einer grundlegenden Reorganisation des Gehirns kommt. Der Abbau von synaptischen Verbindungen bei der gleichzeitigen Zunahme der weißen Substanz sowie Veränderungen in Neurotransmitter-Systemen zeigen, dass die anatomischen und physiologischen Reifungsprozesse der Adoleszenz weitaus dynamischer sind als ursprünglich vermutet. Demnach ist von einem Umbau der kortikalen Schaltkreise auszugehen, die den adoleszenzspezifischen Veränderungen in kognitiven Funktionen und in der Affektregulation zugrunde liegen könnten.
Veränderungen in der grauen und weißen Substanz
Die Reifung der grauen Substanz verläuft im Gehirn sozusagen von hinten nach vorne: Zuerst in der Entwicklung wird das Maximum der Dichte der grauen Substanz im primären sensomotorischen Kortex erreicht, zuletzt in höheren Assoziationsarealen, wie dem dorsolateralen präfrontalen Kortex, dem inferioren parietalen und dem superioren temporalen Gyrus. Post-mortem-Studien lassen vermuten, dass diese Veränderungen der grauen Substanz auf synaptische Pruning-Prozesse zurückzuführen sind. In den ersten Lebensjahren wird zunächst eine Vielzahl von Synapsen gebildet, deren Zahl dann in der Adoleszenz reduziert wird. Dies geschieht nach erfahrungsabhängigen Prozessen, das heißt, nur die Synapsen bleiben erhalten, die häufig „verwendet“ werden.
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Neben der Abnahme der grauen Substanz findet man eine Zunahme in der weißen Substanz. Diese wird aus myelinisierten Axonen gebildet, die für eine schnelle Informationsweiterleitung verantwortlich sind. Der Anteil an weißer Substanz nimmt von der Kindheit bis in das frühe Erwachsenenalter hinein an Volumen zu. Es wird vermutet, dass die Veränderung der weißen Substanz primär auf die fortschreitende Myelinisierung der Axone durch Oligodendrozyten zurückzuführen ist.
Funktionelle Veränderungen im Gehirn
Die beschriebenen anatomischen Reorganisationsprozesse des adoleszenten Gehirns sind mit tiefgreifenden emotionalen und kognitiven Veränderungen verbunden. Insbesondere kommt es zu einer Weiterentwicklung von exekutiven Funktionen - also von kognitiven Prozessen, die das Denken und Handeln kontrollieren und somit eine flexible Anpassung an neue, komplexe Aufgabensituationen ermöglichen. Neben der Entwicklung dieser grundlegenden kognitiven Fähigkeiten, kommt es während der Adoleszenz auch zu Veränderungen sozial-affektiver Fähigkeiten wie der Gesichtererkennung, der Theory of Mind (der Fähigkeit, sich in den mentalen Zustand von anderen hineinzuversetzen) und der Empathie.
Neurobiologisches Modell zur Erklärung von Verhalten in der Adoleszenz
Eines der aktuell einflussreichsten neurobiologischen Modelle zur Erklärung von typischem Verhalten bei Adoleszenten wurde von der New Yorker Arbeitsgruppe um Casey entwickelt. Basierend auf neuroanatomischen Befunden und funktionellen Bildgebungsstudien geht dieses Modell davon aus, dass es bei Jugendlichen durch eine vergleichsweise frühe Reifung subkortikaler Hirnareale und eine verzögerte Reifung präfrontaler Kontrollareale zu einem Ungleichgewicht kommt, so dass bei Jugendlichen in emotionalen Situationen das weiter gereifte limbische System sowie das Reward-System sozusagen die Oberhand über das noch nicht ausgereifte präfrontale Kontrollsystem gewinnen.
Einflussfaktoren auf die Gehirnentwicklung
Die Gehirnentwicklung ist ein komplexer Prozess, der von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird. Neben genetischen Faktoren spielen auch Umwelteinflüsse eine entscheidende Rolle.
Genetische Faktoren
Rund 60% aller menschlichen Gene wirken auf die Gehirnentwicklung ein. Der IQ ist aber nur zu etwa 50% genetisch bedingt, der Schulerfolg sogar nur zu 20%.
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Umwelteinflüsse
Die Umgebung wirkt schon vor der Geburt auf die Gehirnentwicklung ein (z.B. die Stimme der Mutter, Musik und andere Geräusche), insbesondere über den Körper der Mutter: Negative Einflussfaktoren sind beispielsweise Fehlernährung, Rauchen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch, Stress oder der Umgang mit giftigen Substanzen am Arbeitsplatz während der Schwangerschaft. Auch Medikamente sollten nur nach Absprache mit dem Arzt eingenommen werden, um eventuelle negative Auswirkungen auf den Embryo zu verhindern.
Nach der Geburt wird die Gehirnentwicklung z.B. gehemmt durch längere Krankenhausaufenthalte oder Heimunterbringung, da dann Säuglinge bzw. Kleinkinder zu wenig Stimulierung erfahren. Dasselbe gilt für den Fall, dass die Mutter depressiv ist oder die Eltern ihr Kind vernachlässigen. Einen negativen Effekt können ferner frühkindliche Traumata oder Misshandlungen haben. Eine positive Wirkung wird hingegen beispielsweise dem Stillen zugesprochen, da hier das Gehirn besonders gut mit Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen versorgt wird.
Ernährung
Wie die Immunabwehr und Energiestoffwechselprozesse gehört auch das Gehirn zu den wichtigen Organsystemen. Die Gehirnentwicklung kann ebenfalls über eine gesunde Ernährung im ersten Lebensjahr positiv beeinflusst werden. Das Gehirn spielt eine zentrale Rolle bei allen körperlichen, kognitiven und emotionalen Prozessen eines Menschen. Dieses rasante Wachstum des Hirns, die unzähligen, täglichen Eindrücke, die dein Baby verarbeiten muss, die nahezu pausenlose Bildung von Synapsen - all das erfordert eine hohe Dosis spezifischer Nährstoffe und viel Energie. Langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren (LCP) sowie Eisen und Cholin spielen bei der Entwicklung des Hirns eine wichtige Rolle.