Epilepsie ist ein komplexes neurologisches Krankheitsbild, das durch wiederholteAnfälle gekennzeichnet ist. Obwohl Epilepsie selbst nicht direkt vererbt wird, spielen genetische Faktoren eine bedeutende Rolle bei der Entstehung und Ausprägung der Erkrankung. Die genetische Prädisposition eines Menschen trägt maßgeblich zur Manifestation oder zum Verlauf von Epilepsien bei.
Die Rolle der Genetik bei Epilepsie
Die Forschung hat in den letzten Jahren stetige Fortschritte in der Entschlüsselung genetischer Ursachen von Epilepsien gemacht. Genetische Faktoren sind bei bis zu 40 Prozent aller epileptischen Erkrankungen von Bedeutung. Allerdings handelt es sich dabei zumeist um oligogene oder multifaktorielle Erbgänge. Bei den idiopathischen Epilepsien wird eine genetische Ursache vermutet, d.h., dass Veränderungen des Erbmaterials für die Entstehung der Epilepsie verantwortlich sind.
Monogenetische Epilepsien
Mit der Bezeichnung „monogenetische Epilepsien“ sind jene Epilepsien gemeint, die in ihrer Vererbung einfachen Mendelschen Regeln folgen. Solche Epilepsien sind auf klinischer Ebene kaum oder gar nicht von komplexen Epilepsien zu unterscheiden. Der Verdacht auf eine monogenetische Epilepsie ergibt sich bei Vorliegen einer positiven Familienanamnese (z.B. benigne familiäre Neugeborenenkrämpfe) oder bei speziellen Epilepsiephänotypen (z.B. Myoklonusepilepsie), die auch sporadisch auftreten können. Einen besonderen Stellenwert in der genetischen Diagnostik haben die frühkindlichen therapieschwierigen Epilepsien, da hier der Anteil monogenetischer Formen als relativ hoch angesehen werden darf. Die Identifizierung eines zugrundeliegenden Defektes ist für den einzelnen Patienten bzw. deren Familie von großer Bedeutung, da sie eine differenzierte Beratung hinsichtlich Erblichkeit bzw. Wiederholungsrisiko ermöglicht und weitere diagnostische Maßnahmen unnötig macht.
Beispiele für monogenetische Epilepsien:
- Familiäre nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE): Verursacht durch Mutationen im CHRNA4-Gen, welches für die α4-Untereinheit des neuronalen nikotinischen Acetylcholinrezeptors kodiert.
- Benigne familiäre Neugeborenenkrämpfe (BFNC): Veränderungen im spannungsabhängigen Kaliumkanal KCNQ2 wurden kürzlich als Ursache identifiziert.
Komplexe Epilepsien
Der genetische Anteil an der Ätiologie komplexer Epilepsien ist vermutlich nicht minder bedeutend, nur wesentlich schwieriger zu erfassen und daher erst in Zukunft für eine Routinediagnostik zugänglich. Bei der Mehrzahl der idiopathischen Epilepsien müssen jedoch mehrere „Vererbungsfaktoren“ zusammenkommen, damit eine Epilepsie ausbricht. Da sie in der Regel nicht alle gemeinsam weitervererbt werden, liegt das Risiko, einem Kind die eigene idiopathische Epilepsie zu übertragen, in diesen Fällen nur bei ca. 4-6% (im Vergleich zu dem Risiko von 1% der Normalbevölkerung, eine Epilepsie zu entwickeln).
Selbstlimitierende fokale Epilepsien im Kindesalter
Selbstlimitierende fokale Epilepsien im Kindesalter - früher als idiopathisch fokale Epilepsien bezeichnet - umfassen eine Gruppe von Erkrankungen, die altersgebunden auftreten, gemeinsame Charakteristika zeigen, sich in Ausprägung, Schweregrad und Prognose aber deutlich unterscheiden können. Familienstudien für verschiedene Formen der selbstlimitierenden fokalen Epilepsien zeigen in bis zu 60 % eine positive Familienanamnese für Epilepsien, jedoch zeigen die Epilepsien in der Familie eine große phänotypische Breite und beschränken sich nicht auf Epilepsien mit CTS.
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Bedeutung von GRIN2A
Nach Identifikation von Patienten mit Mikrodeletion 16p13.2 und Mutationen in den Genen GRIN2A und GRIN2B wurde das für die Ausprägung der Epilepsie wahrscheinlichste Kandidatengen GRIN2A in größeren Kohorten von Patient*innen mit fokalen Epilepsien des Kindesalters untersucht. NMDA-Glutamat-Rezeptoren sind ligandengesteuerte Ionenkanäle, die aus 2 Glycin-bindenden GluN1-Untereinheiten (kodiert durch GRIN1) und 2 Glutamat-bindenden GluN2-Untereinheiten (kodiert durch GRIN2A‑D) gebildet werden. Parallel konnten 3 verschiedene Forschergruppen die Bedeutung dieses Gens für fokale Epilepsien, insbesondere auch solche mit Sprachstörungen und Aphasie, klären und publizieren.
Mikrodeletionen und -duplikationen
Mikrodeletionen und -duplikationen können als rekurrente Ereignisse komplexe syndromale Erkrankungen verursachen oder als Kopienzahlvarianten („copy number variation“, CNV) das Risiko für das Auftreten häufiger Erkrankungen begünstigen. Eine CNV-Analyse ist im klinischen Setting insbesondere sinnvoll, wenn eine Epilepsie mit Aspekten von SeLECTS oder eine epileptische Enzephalopathie mit Spike-wave-Aktivierung im Schlaf als Teil eines syndromalen Krankheitsbildes auftreten.
Aktuelle Forschungsergebnisse
Ein Team um Prof. Dr. Holger Lerche vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und dem Universitätsklinikum Tübingen klärt auf, dass eine Gruppe von Genen bei der Erkrankung verändert ist. Durch ihre Mutationen sind Botenstoffrezeptoren beschädigt, die die Nervenzellaktivität im Gehirn hemmen. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift The Lancet Neurology erschienen. Im Gehirn sind GABAA-Rezeptoren dafür zuständig, Botenstoffe zu erkennen, die die Aktivität von Nervenzellen hemmen. Funktionieren sie nicht richtig, kann es zu einer Überregung des Nervengewebes kommen - und dadurch zu einem epileptischen Anfall. Für die Studie sammelten die Mediziner über zehn Jahre das Erbgut von mehr als tausend Patienten und verglichen es mit dem der Normalbevölkerung. Dabei fanden sie winzige Veränderungen im Erbgut.
Auswirkungen auf Therapieansätze
Die Erkenntnisse helfen, neue Therapieansätze zu entwickeln. "Mehr als zwei Drittel der Patienten mit genetisch generalisierter Epilepsie spricht auf die gängigen Medikamente gut an. Rund ein Drittel nicht. Bei ihnen können wir nun schauen, ob Medikamente helfen, die die hemmende Wirkung des GABAA-Rezeptor unterstützen", sagt Lerche.
Genetische Beratung und Diagnostik
Die Identifizierung eines zugrundeliegenden Defektes ist für den einzelnen Patienten bzw. deren Familie von großer Bedeutung, da sie eine differenzierte Beratung hinsichtlich Erblichkeit bzw. Wiederholungsrisiko ermöglicht und weitere diagnostische Maßnahmen unnötig macht. Wer diesbezüglich Sorgen hat, kann bei einem Neurologie-Termin erfragen, ob eine genetische Beratung sinnvoll wäre.
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Next Generation Sequencing (NGS)
Aufgrund der klinischen und genetischen Heterogenität bietet sich gerade bei den Epilepsien das Next Generation Sequencing (NGS) (siehe Paneldiagnostik Epilepsien) als Methode an, da so in einem Untersuchungsgang die Sequenzierung einer Vielzahl von möglicherweise ursächlich beteiligten Genen möglich ist.
Epilepsie und Kinderwunsch
Menschen mit Epilepsie müssen nicht auf Kinder verzichten. Sie sollten aber ihren Kinderwunsch möglichst bei der neurologischen Behandlung ansprechen, bevor sie mit der Verhütung aufhören. Manche Medikamente zur Behandlung einer Epilepsie sollten nämlich nur bei sicherer Verhütung eingenommen werden oder wenn es kein anderes wirksames Medikament gibt. Kinder von Eltern mit Epilepsie haben im Durchschnitt ein etwas höheres Risiko an Epilepsie zu erkranken als Kinder gesunder Eltern.
Antiepileptika in der Schwangerschaft
Hat die Mutter Epilepsie, besteht ein leicht erhöhtes Risiko für Fehlbildungen beim Kind. Ursache können in der Schwangerschaft eingenommene Antiepileptika sein, aber auch ein erhöhtes genetischen Risiko oder Anfälle in der Schwangerschaft. Zur Vorbeugung von Fehlbildungen sollten Frauen, in Absprache mit dem Gynäkologen, bereits vor der Schwangerschaft ausreichend Folsäure zu sich nehmen. Die von Vätern eingenommenen Antiepileptika erhöhen nicht das Risiko für Fehlbildungen.
Ursachen von Epilepsie
Grundsätzlich gilt, dass jedes Ereignis, das einen Schaden im Gehirn verursacht, ein potenzieller Auslöser für ein epileptisches Anfallsleiden sein kann. Die Medizin unterscheidet hier zurzeit strukturelle, infektiöse, metabolische, genetische und immunologische Ursachen.
Genetische Epilepsie
Früher auch als idiopathische Epilepsie bezeichnet. Es wird eine genetische Ursache vermutet. Häufig ist der Gendefekt schon identifiziert.
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Strukturelle Epilepsie
Früher auch als symptomatische Epilepsie bezeichnet, ist sie als Folge einer bekannten Ursache wie einem Schlaganfall, Hirntumor oder einer Kopfverletzung bzw. Hirnverletzung entstanden.
Immunologische Epilepsie
Ebenfalls bis vor Kurzem zu den strukturellen Epilepsien gezählt, unterscheidet man heute die immunologischen Epilepsien dahingehend, dass ihnen eine chronische Entzündung des Gehirns zugrunde liegt. Verursacht wird die Entzündung durch eine Autoimmunkrankheit, also eine Krankheit, bei der das Immunsystem den eigenen Körper angreift.
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