Im Dezember 2019 wurde in Wuhan, China, ein Cluster von Patient*innen mit interstitiellen Pneumonien unbekannter Ursache festgestellt. Anfang Januar 2020 wurde ein neues Betacoronavirus als Pathogen identifiziert und als Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) bezeichnet. Die von SARS-CoV-2 ausgelöste Erkrankung wird als Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) bezeichnet. Seitdem hat die Pandemie weltweit Millionen von Menschenleben beeinflusst und die Gesundheitssysteme vor große Herausforderungen gestellt. Neben den primären respiratorischen Auswirkungen von COVID-19 wurden auch neurologische Manifestationen beobachtet, die das Spektrum der Erkrankung erweitern.
Neurologische Manifestationen bei COVID-19
Bereits kurz nach Beginn der Pandemie wurden erste Berichte über neurologische Manifestationen im Zusammenhang mit COVID-19 veröffentlicht. Eine frühe retrospektive Studie aus Wuhan, China, zeigte, dass 36,4 % der hospitalisierten Patient*innen mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion neurologische Symptome aufwiesen. Diese Symptome umfassen ein breites Spektrum, darunter Enzephalopathie, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Kopfschmerzen, zerebrovaskuläre Erkrankungen (wie ischämischer Schlaganfall, intrazerebrale Blutungen und zerebrale Sinusvenenthrombosen), epileptische Anfälle, hypoxische Hirnschädigung sowie para- bzw. postinfektiöse Syndrome wie das Guillain-Barré-Syndrom, akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) und akute nekrotisierende Enzephalopathie.
Eine prospektive Beobachtungsstudie in New York City fand bei 14 % der mit COVID-19 hospitalisierten Patientinnen neue neurologische Manifestationen. Die häufigste Diagnose war metabolische Enzephalopathie (6,8 %), gefolgt von Schlaganfällen (1,9 %), epileptischen Anfällen (1,6 %) und hypoxischer Enzephalopathie (1,4 %). Interessanterweise wurden in dieser Studie keine Fälle von Meningitis, Enzephalitis oder Myelitis in Verbindung mit SARS-CoV-2 identifiziert. Patientinnen mit neuen neurologischen Manifestationen waren stärker von COVID-19 betroffen und wiesen eine höhere Mortalität auf.
Epileptische Anfälle im Zusammenhang mit COVID-19
Epileptische Anfälle sind eine der neurologischen Manifestationen, die im Zusammenhang mit COVID-19 beobachtet wurden. In der Studie von Frontera et al. traten epileptische Anfälle bei 1,6 % der Patientinnen auf und stellten damit die dritthäufigste neurologische Manifestation nach Enzephalopathie und Schlaganfällen dar. Bei fast der Hälfte dieser Patientinnen (46 %) war zuvor keine Epilepsie diagnostiziert worden.
In einer systematischen Übersichtsarbeit wurde eine etwas geringere Häufigkeit von epileptischen Anfällen (0,7 %) in den untersuchten COVID-19-Fällen festgestellt. Es ist wichtig zu beachten, dass epileptische Anfälle das erste Symptom einer COVID-19-Erkrankung sein können, das zur Aufnahme in eine Notaufnahme führt. Eine Studie aus dem Iran zeigte, dass bei 0,8 % der hospitalisierten COVID-19-Patientinnen ein epileptischer Anfall zur Aufnahme führte. Nur ein kleiner Teil dieser Patientinnen hatte eine Vorgeschichte von Epilepsie.
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Epileptische Anfälle können auch bei kritisch kranken Patientinnen auf Intensivstationen auftreten, wobei viele dieser Anfälle keine klinisch erkennbaren Zeichen aufweisen und nur durch kontinuierliche EEG-Ableitungen detektiert werden können. Studien mit kontinuierlicher EEG-Überwachung bei COVID-19-Patientinnen mit Enzephalopathie oder vorausgegangenen Anfällen zeigten häufig eine Verlangsamung der Hintergrundaktivität und epileptiforme Potenziale. Nichtkonvulsive Status epilepticus-Fälle wurden ebenfalls im Zusammenhang mit COVID-19 beschrieben.
Mögliche Ursachen für Epilepsie nach Corona
Die Ursachen für epileptische Anfälle im Zusammenhang mit COVID-19 sind vielfältig und noch nicht vollständig geklärt. Es gibt verschiedene Hypothesen, die diskutiert werden:
- Direkte Virusinvasion: Obwohl einzelne Fallberichte von Enzephalitis in Assoziation mit SARS-CoV-2-Infektionen als mögliche Manifestation einer direkten ZNS-Invasion des Virus veröffentlicht wurden, ist die klinische Evidenz hierfür bislang gering. Der Nachweis von SARS-CoV-2-RNA mittels PCR aus dem Liquor gelingt nur selten. Es ist bekannt, dass der ACE2-Rezeptor, über den SARS-CoV und SARS-CoV-2 menschliche Zellen infizieren, an verschiedenen Stellen im ZNS exprimiert wird. Mögliche Routen einer direkten Invasion von SARS-CoV-2 ins ZNS könnten die Infektion von olfaktorischen Neuronen im Riechepithel, die Überwindung der Blut-Hirn-Schranke im Rahmen einer Virämie oder der Transport des Virus durch infizierte Leukozyten sein. Allerdings konnten neuropathologische Studien und Liquoruntersuchungen SARS-CoV-2 entweder nicht oder nur in geringen Mengen im Gehirn nachweisen.
- Indirekte Mechanismen: Derzeit werden indirekte Mechanismen und Auswirkungen der systemischen Erkrankung auf das Gehirn als Hauptursache für die meisten neurologischen Manifestationen in Assoziation mit COVID-19 angesehen. Dazu gehören metabolische Entgleisungen, Hypoxie, Sepsis, Inflammation und schwere metabolische Entgleisungen wie Hyponatriämie und Urämie, die sich bei COVID-19 häufig finden. Diese Faktoren könnten bei kritisch kranken Patient*innen das Auftreten von epileptischen Anfällen verursachen.
- Vaskuläre Komplikationen: COVID-19 ist mit dem Auftreten mehrerer Erkrankungen des Gehirns assoziiert, für die wiederum selbst ein Zusammenhang mit akut symptomatischen epileptischen Anfällen besteht. Zerebrovaskuläre Erkrankungen wie ischämische Schlaganfälle, intrazerebrale Blutungen und zerebrale Sinusvenenthrombosen können im Rahmen von COVID-19 auftreten und epileptische Anfälle auslösen.
- Autoimmunprozesse: Autoimmunenzephalitiden und Enzephalomyelitiden (wie ADEM) können ebenfalls im Zusammenhang mit COVID-19 auftreten und epileptische Anfälle verursachen. Diese werden durch eine überschießende Immunreaktion ausgelöst, die das Nervensystem angreift.
Langzeitfolgen von COVID-19 und Epilepsie
Studien haben gezeigt, dass COVID-19-Patienten auch bis zu zwei Jahre nach der Infektion ein leicht erhöhtes Risiko für neurologische und psychiatrische Erkrankungen haben. Dazu gehören kognitive Defizite (Brain Fog), Demenz, psychotische Störungen, Epilepsie und Krampfanfälle. Eine Studie ergab, dass bei Erwachsenen unter 64 Jahren die Inzidenz für kognitive Defizite zwei Jahre nach einer COVID-19-Infektion bei 6,39 % lag, verglichen mit 5,50 % in der Kontrollgruppe mit anderen Atemwegserkrankungen. Bei Erwachsenen über 65 Jahre lag die Inzidenz einer Demenz bei 4,46 % nach COVID-19 und bei 3,34 % nach anderen Atemwegsinfektionen.
Bei Kindern wurde festgestellt, dass das Risiko für das Auftreten einer Epilepsie nach einer COVID-19-Infektion sich auf 263 von 10.000 innerhalb von zwei Jahren verdoppelte, verglichen mit 126 von 10.000 nach anderen Atemwegsinfektionen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Risiken für die häufigsten psychiatrischen Störungen (wie Depressionen und Angststörungen) nach ein bis zwei Monaten auf den Ausgangswert zurückkehrten.
Management von Epilepsie bei COVID-19
Eine erfolgreiche Behandlung von Patientinnen mit akut symptomatischen epileptischen Anfällen setzt voraus, dass diese als solche erkannt werden und die zugrunde liegende Ätiologie rasch identifiziert wird, um eine mögliche kausale Therapie frühzeitig etablieren zu können. Neben der Behandlung der Grunderkrankung werden Patientinnen mit akut symptomatischen Anfällen in der Regel vorübergehend mit Anfallsmedikamenten behandelt, um das Risiko für weitere Anfälle in der akuten Phase der zugrunde liegenden ZNS-Erkrankung zu reduzieren.
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Es ist wichtig, mögliche pharmakokinetische Interaktionen zwischen Anfallsmedikamenten und COVID-19-Therapien zu berücksichtigen. Beispielsweise können hepatische Enzyminduktoren wie Carbamazepin und Phenytoin die Konzentration von Remdesivir, das häufig in der Behandlung von schwer kranken COVID-19-Patient*innen eingesetzt wird, signifikant reduzieren.
Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat in einer Stellungnahme festgehalten, dass derzeit kein erhöhtes Risiko für das Auftreten von epileptischen Anfällen als Nebenwirkung von COVID-19-Impfungen bekannt ist. Als Impfreaktion kann es zum Auftreten von Fieber kommen, was die "Krampfschwelle" herabsetzen kann. Im Zusammenhang mit Anfallsmedikation und COVID-19-Impfungen wurde darauf hingewiesen, dass es nach Influenzaimpfungen zu durch Zytokine vermittelten Änderungen in der Expression von hepatischen Cytochrom-P450-Enzymen kommen kann und dadurch die Konzentration von Anfallsmedikamenten (z. B. Carbamazepin) beeinflusst werden kann.
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