Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte Anfälle gekennzeichnet ist. Viele Menschen assoziieren Epilepsie sofort mit dem Bild eines Grand-mal-Anfalls, bei dem Betroffene schreien, bewusstlos zu Boden fallen und sich der ganze Körper verkrampft und zuckt. Dieses Bild entspricht jedoch nur einer bestimmten Anfallsform, die vergleichsweise selten ist. Es gibt viele andere Arten von epileptischen Anfällen, die sich auf unterschiedliche Weise äußern können, einschließlich solcher ohne Krämpfe. Diese Anfälle können subtiler sein und daher oft unerkannt bleiben, was die Diagnose erschwert.
Vielfalt der Anfallsformen
Epileptische Anfälle können sich sehr unterschiedlich äußern. Einige Beispiele für Anfallsformen ohne Krämpfe sind:
- Absence-Epilepsie: Betroffene unterbrechen für wenige Sekunden ihre aktuelle Tätigkeit, starren in die Luft und setzen dann ihre Aktivität fort, ohne sich an die kurze Absence zu erinnern. Diese Form wird bei Kindern oft als Träumerei oder Unkonzentriertheit fehlinterpretiert.
- Fokale Anfälle mit Bewusstseinsverlust: Patienten wiederholen im Anfall bestimmte Handlungsmuster oder zeigen unkontrollierte Verhaltensweisen, an die sie sich später nicht erinnern können.
- Vegetative fokale Anfälle: Diese äußern sich durch plötzliche Angst, Wut oder Halluzinationen.
- Sensorische Anfälle: Die Sinneswahrnehmung kann gestört sein, sodass Betroffene Blitze sehen, Geräusche oder Stimmen hören, einen komischen Geschmack im Mund haben oder etwas Merkwürdiges riechen.
- Atonische Anfälle: Plötzlicher Verlust der Muskelspannung, was zu Stürzen führen kann.
Auch Schweißausbrüche, ein aufsteigendes Unwohlsein in der Magengegend und Herzrasen können Symptome epileptischer Anfälle sein. Es können also eine Vielzahl unterschiedlicher Symptome und Anfallsformen auf eine Epilepsie hinweisen, was die Diagnose der Erkrankung deutlich erschwert. Sowohl die Dauer als auch Form und Ausprägung der motorischen und nicht-motorischen Symptome können erheblich variieren. Manche Anfälle dauern nur wenige Sekunden, andere mehrere Minuten. Mal äußern sie sich durch das allseits bekannte Erscheinungsbild der verkrampfenden und zuckenden Muskulatur, andere wiederum äußern sich durch nicht-motorische Symptome. Die häufigste Anfallsform bei Erwachsenen sind komplex-fokale Anfälle, die mit Bewusstlosigkeit einhergehen.
Ursachen von Epilepsie
Bei einer Epilepsie kommt es durch unterschiedlichste Ursachen und Auslöser zu einer übermäßigen elektrischen Entladung von Nervenzellen im Gehirn. So können zum Beispiel Stoffwechselstörungen, genetische Faktoren, Kopfverletzungen, gutartige und bösartige Tumore, Hirnhautentzündungen oder Schlaganfälle entsprechende Veränderungen im Gehirn verursachen, welche solche übermäßigen Entladungen der Neuronen begünstigen.
Es gibt verschiedene Arten von Epilepsie, die je nach Ursache und betroffenem Gehirnbereich unterschieden werden:
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- Strukturelle Epilepsie: Verursacht durch dauerhafte Veränderungen im Gehirn, beispielsweise durch Schlaganfälle, Verletzungen oder Tumore.
- Infektiöse Epilepsie: Entsteht durch chronische Veränderungen im Gehirn infolge von Infektionen wie Hirnhautentzündungen.
- Metabolische Epilepsie: Durch Stoffwechselstörungen bedingt.
- Genetische oder kryptogene Epilepsie: Hier ist keine klare Ursache identifizierbar, wobei genetische Risikofaktoren eine Rolle spielen können.
In jungen Jahren sind zudem häufig andere Auslöser identifizierbar als im höheren Lebensalter. Bei Säuglingen und Kleinkindern können Schwangerschaftskomplikationen oder eine Störung der Entwicklung des Gehirns ursächlich sein. Zudem zeigen neuere Untersuchungen, dass es auch genetische Risikofaktoren für die Entwicklung einer Epilepsie gibt.
Ein wichtiger Unterschied zwischen Epilepsie und Krampfanfall: Es gibt keinen akuten Auslöser für epileptische Anfälle, sondern eine dauerhafte Ursache wie eine strukturelle Veränderung im Gehirn oder eine chronische Grunderkrankung, die immer wieder zu epileptischen Anfällen führt. Anders formuliert bedeutet das, dass ein Vermeiden der Auslöser akut symptomatischer Krampfanfälle, zum Beispiel durch mehr Schlaf, weniger Stress, weniger Alkohol, oder das Auskurieren einer Fiebererkrankung, das Risiko für einen erneuten akuten Anfall minimieren kann.
Fokale vs. Generalisierte Epilepsie
Das „Gewitter im Gehirn“ betrifft entweder Teilbereiche des Gehirns (fokale Epilepsie) oder das gesamte Gehirn (generalisierte Epilepsie).
- Fokale Anfälle: Diese gehen von einem bestimmten Bereich des Gehirns aus und betreffen in der Regel nur eine Gehirnhälfte. Die Symptome richten sich nach dem Ursprungsort im Gehirn. Fokale Anfälle können mit oder ohne Bewusstseinseinschränkung auftreten und sich zu einem sekundär generalisierten Anfall ausweiten.
- Generalisierte Anfälle: Bei generalisierten Anfällen lässt sich keine bestimmte Hirnregion zuordnen, in der der epileptische Anfall entsteht. Während eines Anfalls kann die Ausbreitung unterschiedlich verlaufen und das gesamte Hirnareal betreffen. Bekannte Formen sind Absencen, myoklonische und tonisch-klonische Anfälle.
Epilepsie-Syndrome
Bestimmte Abläufe, Häufigkeiten und Symptome werden zu sogenannten Epilepsie-Syndromen zusammengefasst, etwa der Juvenilen Absence-Epilepsie, dem Dravet-Syndrom oder der Rolando-Epilepsie.
Diagnose von Epilepsie
Die Diagnose von Epilepsie basiert auf einer umfassenden Anamnese, neurologischen Untersuchungen und technischen Hilfsmitteln.
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- Anamnese: Detaillierte Erfassung der Anfallsgeschichte, einschließlich der Beschreibung der Anfälle durch Betroffene und Angehörige.
- EEG (Elektroenzephalogramm): Messung der Hirnströme, um die Neigung zu epileptischen Anfällen festzustellen.
- Bildgebende Verfahren: Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) zur Darstellung neurologischer Veränderungen im Gehirn.
- Blutuntersuchung: Zur Aufspürung möglicher Ursachen für einen Krampfanfall oder eine Epilepsieerkrankung.
- Genetische Testung: In manchen Fällen zur Identifizierung genetischer Ursachen.
Gerade bei einem ersten Epilepsieanfall stehen behandelnden Ärzten nur wenige Informationen über die Symptome des Anfalls zur Verfügung. Zwar beinhaltet eine erste körperliche Untersuchung u.a. technische Hilfsmittel wie die Elektroenzephalographie (EEG) und die Magnetresonanztomographie (MRT, besonders bei Kindern), aber es kann ratsam sein, das Gesicht des Betroffenen während des Anfalls zu fotografieren. Besonders die Augen des Betroffenen liefern wichtige Hinweise: Sind die Augen zu Beginn eines Anfalls geschlossen, stehen die Chancen gut, dass es sich nicht um einen epileptischen Anfall handelt. Auch Videoaufnahmen von Anfällen können helfen.
Behandlung von Epilepsie
Die Epilepsie gilt als eine der am besten zu behandelnden neurologischen Erkrankungen der Welt. Ziel der Behandlung ist die Anfallskontrolle, da Epilepsie in der Regel nicht heilbar ist.
- Medikamentöse Therapie: Antikonvulsiva (Anfallssuppressiva) werden eingesetzt, um die übermäßige Aktivität der Neuronen zu reduzieren und Anfälle zu verhindern. Bis zu zwei Drittel der Patientinnen und Patienten werden durch die medikamentöse Therapie mit Antikonvulsiva anfallsfrei.
- Chirurgische Eingriffe: Bei fokalen Epilepsien, die auf Medikamente nicht ansprechen, kann die Entfernung des auslösenden Gehirnbereichs in Betracht gezogen werden.
- Vagusnerv-Stimulation: Ein Schrittmacher sendet elektrische Impulse an den Vagusnerv, um die Überaktivität der Nervenzellen zu hemmen.
- Ketogene Diät: Eine spezielle, fettreiche Diät kann helfen, epileptische Anfälle zu reduzieren.
Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall
Es ist entscheidend, dass Angehörige und Umstehende wissen, wie man schnell und präzise Erste Hilfe während eines Anfalls leistet.
- Ruhe bewahren: Panik vermeiden und besonnen handeln.
- Umgebung sichern: Gefährliche Gegenstände entfernen, um Verletzungen zu vermeiden.
- Kopf schützen: Ein Kissen oder die Hände unter den Kopf legen.
- Nicht festhalten: Versuchen Sie nicht, die Person während des Anfalls zu fixieren.
- Seitenlage: Drehen Sie die Person nach einem Anfall in die stabile Seitenlage, um die Atmung zu erleichtern.
- Zeit messen: Notieren Sie die Dauer des Anfalls.
- Notruf: Bei einem Anfall, der länger als fünf Minuten dauert oder sofort ein zweiter Anfall folgt, den Notruf (112) wählen.
Leben mit Epilepsie
Die Diagnose Epilepsie kann sowohl für Betroffene als auch für Angehörige eine Herausforderung darstellen. Angst vor Anfällen, Einschränkungen im Alltag und die Notwendigkeit einer lebenslangen medikamentösen Therapie können belastend sein.
- Aufklärung: Informieren Sie sich umfassend über die Erkrankung, Anfallsformen, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten.
- Anfallskalender: Führen Sie einen Anfallskalender, um mögliche Auslöser zu identifizieren und die Behandlung zu optimieren.
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann sehr hilfreich sein.
- Psychologische Unterstützung: Eine Psychotherapie kann bei der Bewältigung der emotionalen und sozialen Herausforderungen der Krankheit helfen.
- Sicherheitsmaßnahmen: Treffen Sie Vorkehrungen, um das Verletzungsrisiko bei Anfällen zu minimieren (z. B. Schutzhelme, sichere Badegelegenheiten).
Auch Gefühls- und Verhaltensänderungen können Teil eines epileptischen Anfalls sein und werden als Krankheitszeichen der Epilepsie verstanden. Zwar sind die Anfallsformen vielfältig, jedoch treten bei einzelnen Epilepsie-Patientinnen und Patienten in der Regel nur ein bis maximal drei verschiedene Formen epileptischer Anfälle auf. Treten bestimmte Symptome, Abläufe und aktivierte Gehirnregionen regelmäßig zusammen in Erscheinung, kann man diese zu fest definierten Epilepsiesyndromen zusammenfassen. Die Syndrome unterscheiden sich anhand der Epidemiologie (Verbreitung), der Klinik (Ablauf/Symptome des Anfalls) und weiterer Befunde in der Diagnose. Es gibt sowohl fokale Epilepsiesyndrome (z. B. Rolando-Epilepsie) als auch generalisierte Epilepsiesyndrome (z. B.
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