Epilepsie-Operation: Erfahrungen, Verfahren und Erfolgsaussichten

Epilepsien sind laut Weltgesundheitsorganisation häufige und schwerwiegende Erkrankungen des Gehirns. Bei etwa einem Drittel der Patienten schlägt die medikamentöse Therapie nicht an. Bei fokalen Epilepsien, bei denen der Ursprung in einem bestimmten Gehirnareal liegt, kann eine Operation am Gehirn helfen und sogar heilen.

Erfolgsaussichten von Epilepsie-Operationen

Eine Studie des Universitätsklinikums Erlangen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und des Universitätsklinikums Utrecht untersuchte den kurz-, mittel- und langfristigen Erfolg von Epilepsie-Operationen. Die Ergebnisse von Epilepsie-Operationen, die zwischen 2000 und 2012 an 37 europäischen Epilepsie-Zentren durchgeführt wurden, zeigen, dass diese sehr erfolgversprechend sind.

72 Prozent der Patienten waren ein Jahr nach der Operation anfallsfrei. Nach zwei Jahren waren es noch 68 Prozent und nach fünf Jahren 66 Prozent.

Der Erfolg des Eingriffs hängt jedoch auch von den zugrundeliegenden Gewebsveränderungen in der Anfalls-auslösenden Gehirnregion ab. Bei gutartigen Hirntumoren, fehlgebildeten Blutgefäßen oder Verlust von Nervenzellen im Hippocampus waren über 70 Prozent der Patienten nach zwei Jahren frei von Anfällen. Bei Erkrankten ohne mikroskopisch erkennbare Veränderungen im chirurgisch entfernten Gehirnareal war dies bei ungefähr 50 Prozent der Fall.

Nach fünf Jahren hatten 45 Prozent der Kinder und 28 Prozent der Erwachsenen auch ihre Anfallsmedikamente vollständig abgesetzt. „Nach diesem Zeitraum können wir praktisch von einer Heilung sprechen“, kommentiert Prof. Ingmar Blümcke. Eine längere Dauer der Epilepsie - vom ersten Anfall bis zum Zeitpunkt der Operation - verschlechterte allerdings die Chance auf eine vollständige Anfallsfreiheit.

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Wann ist eine Operation sinnvoll?

Eine Operation kann für manche Patienten mit Epilepsie eine wertvolle Behandlung sein, die früher in Betracht gezogen werden sollte. Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung e.V. (DGKN) kritisiert, dass diese wichtige Therapieoption noch immer zu selten oder zu spät genutzt wird.

Mithilfe moderner Antikonvulsiva können rund 70 Prozent der Patienten anfallsfrei leben. Bei fast jedem dritten Betroffenen reicht die medikamentöse Therapie allein jedoch nicht aus. Hier stellt die operative Entfernung des Epilepsieherdes eine wichtige Behandlungsmöglichkeit dar.

Die Entscheidung für oder gegen eine Operation liegt immer beim Patienten selbst. Im Durchschnitt werden Patienten 16 Jahre lang medikamentös therapiert, bevor die Überweisung an ein Zentrum mit epilepsiechirurgischer Expertise erfolgt. In der Zwischenzeit verlieren manche Betroffenen aufgrund der Anfälle ihre Arbeit, ihren Führerschein oder ihre Lebenspartner.

Diagnostik vor der Operation

Für welche Patienten ein chirurgischer Eingriff infrage kommt, welche Erfolgsaussichten bestehen und mit welchen Funktionsausfällen auf der anderen Seite zu rechnen ist - Fragen wie diese können heute bereits im Vorfeld der Operation recht präzise geklärt werden.

„Mithilfe von Hirnstrom-Ableitungen (EEG), der Magnetoenzephalografie (MEG) und modernen bildgebenden Verfahren wie der speziellen epilepsieangepassten Hochfeld-Kernspinntomographie (3T MRT) lässt sich die auslösende Hirnregion sehr genau eingrenzen“, sagt Rosenow. Diese Untersuchungen seien eine wichtige Voraussetzung dafür, einen operativen Eingriff überhaupt planen zu können.

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Umso kritischer sieht der Neurologe die Tatsache, dass Teile der spezialisierten präoperative Diagnostik wie die MEG und EEG-Quellenlokalisation bislang nicht mit den Krankenkassen abgerechnet werden kann und nur im Rahmen von Forschungstätigkeit eingesetzt wird.

Paradigmenwechsel in der Epilepsiechirurgie

Es zeigen sich einige Paradigmenwechsel in der Epilepsiechirurgie ab. Zahlreiche technologische und chirurgische Fortschritte haben sie zu einer der effektivsten Behandlungsformen reifen lassen, die auch sehr sicher ist. Trotzdem gibt es noch viele Ängste und Vorbehalte gegenüber der Epilepsiechirurgie, weshalb seit vielen Jahren internationale Bemühungen unternommen werden um jenen Patientinnen und Patienten, die von einer chirurgischen Behandlung ihrer Epilepsie profitieren würden, diese auch zukommen zu lassen.

Ein gutes Beispiel für die chirurgische Entwicklung der letzten Jahre weg von großen Operationen am Gehirn hin zu minimalinvasiven Methoden stellt die Diskonnektionstechnik dar. Bei der Diskonnektion wird das erkrankte/epileptogene Gehirnareal vom gesunden Gehirn abgetrennt, aber nicht entfernt. Der Grund dafür liegt in den Bemühungen in der Epilepsiechirurgie, große Resektionshöhlen zu vermeiden, da diese zu Störungen der Liquorzirkulation und zu Blutungskomplikationen führen können.

In den letzten Jahren habe sich nun endoskopische und ablative Techniken entwickelt, die alle das Ziel haben, den Eingriff so minimalinvasiv wie möglich zu gestalten. Dabei ist aber anzumerken, dass nur, weil ein Eingriff mithilfe des Endoskops durchgeführt wird, dieser noch lange nicht schonender und sicherer für die Patientinnen und Patienten ist, sondern kritisch weiterentwickelt werden muss.

Bei den ablativen Techniken gibt es zwei Formen: die Laserablation und die Radiofrequenz-Thermokoagulation. Bei beiden Techniken werden nur kleine Sonden im Gehirn platziert und die Diskonnektion der Faserverbindungen wird durch Hitze gesteuert. Auch wenn hierfür kein Hautschnitt und keine Kraniotomie notwendig sind, d. h.

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Zeitpunkt der Operation

In den letzten Jahren hat sich in zahlreichen unterschiedlichsten Untersuchungen gezeigt, dass die Dauer der Epilepsieerkrankung vor einer Operation ein wesentlicher Determinator für das Outcome ist. Je kürzer die präoperative Epilepsiedauer, desto höher die Wahrscheinlichkeit, nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff anfallsfrei zu werden und zu bleiben.

Die Frage, die sich beim Konzept „Je früher, desto besser“ stellt, ist, ob es eine Grenze gibt oder wo diese anzusiedeln ist. Ganz grundsätzlich ist zurzeit für die Indikation zu einem epilepsiechirurgischen Eingriff die Prüfung der medikamentösen Resistenz notwendig. Wenngleich dies bei vielen Epilepsieerkrankungen uneingeschränkte Gültigkeit hat, so zeigen jüngere Arbeiten, dass bei einer klaren Läsion im MRT wie beispielsweise einem „long-term epilepsy-associated tumor“ (LEAT) auf eine Resistenzprüfung verzichtet werden kann, um den Zeitpunkt des epilepsiechirurgischen Eingriffes nicht unnötig zu verzögern.

Technische Innovationen

Die größte Veränderung in der Epilepsiechirurgie der letzten 10 Jahre war der Wechsel von subduralen Platten- und Streifenelektroden zur Implantation von Tiefenelektroden. Gleichsam über Nacht hat sich dieses Bild gedreht und die meisten Zentren weltweit sind von subduralen Elektroden auf Tiefenelektroden umgestiegen.

Die Laserablation (LITT) ist eine minimalinvasive Technik, bei der eine Lasersonde im epileptogenen Gehirnareal implantiert wird, welches durch Hitze destruiert wird. Offene Operationen können so vermieden und die Patientinnen und Patienten nach einem sehr kurzen Spitalsaufenthalt von wenigen Tagen wieder nach Hause entlassen werden.

Die Laserablation der mesialen Temporallappenepilepsie führt bei etwa 60% der Patientinnen und Patienten zur Anfallsfreiheit. Trotzdem hat sich diese Technik in Europa seit ihrer CE-Zulassung im Jahr 2019 noch nicht so durchgesetzt, wie man es erwarten würde. Ein Grund dafür sind wohl die sehr hohen Behandlungskosten der LITT-Technik, wobei eine Laserfaser üblicherweise bei 10.000-12.000 Euro anzusiedeln ist.

Erfahrungen von Patienten

Viele Interviewpartnerinnen schildern, dass es für sie nicht ganz einfach war, sich für oder gegen eine Operation zu entscheiden. Mit der Operation selbst machten unsere Interviewpartnerinnen verschiedene Erfahrungen. Viele berichten, dass sie sehr gut aufgeklärt und vorbereitet wurden, was ihnen die Ängste nahm.

Bei einigen Patientinnen, bei denen schwer zu klären ist, woher die Anfälle kommen, wird vor der eigentlichen Operation eine diagnostische Operation durchgeführt, bei der Elektroden direkt auf das Gehirn gelegt werden. Nach der Operation waren viele der Erzählerinnen schon nach wenigen Tagen wieder auf den Beinen.

Allerdings schildern manche auch Beschwerden, die nach der Operation auftraten: Einige hatten Kopfschmerzen, anderen war von der Narkose und den Medikamenten übel. Manche Erzähler*innen berichten von Wortfindungs- und Sprachproblemen, die nach der OP auftraten. Bei einigen kam es auch zu Einschränkungen des Gesichtsfelds. Diese Nachwirkungen bildeten sich in vielen Fällen nach einiger Zeit wieder zurück.

Für viele war die Zeit nach der Operation eine Phase mit vielen Stimmungsschwankungen, in der sie sich selbst als sehr sensibel erlebten und verunsichert waren, ob und wie viele Anfälle wohl wieder auftreten würden. So erzählt Timo Lindner, dass er einige Zeit brauchte, der neuen Anfallsfreiheit zu trauen. Für ihn war es klar, dass die Anfälle immer zu seinem Leben dazugehören werden. Als sie ausblieben, mußte er sich erstmal daran gewöhnen.

Einige unserer Erzähler*innen wurden durch die Operation anfallsfrei. Bei anderen traten nach einiger Zeit wieder Anfälle auf. Häufig waren diese schwächer oder viel seltener. Anna Blum wurde eine Re-Operation angeboten, da nach einiger Zeit wieder Anfälle aufgetreten waren und sich im MRT zeigte, dass noch ein Rest des Anfallsherdes stehen geblieben war.

Die meisten unserer Interviewpartner*innen nahmen zum Zeitpunkt des Interviews noch weiterhin Medikamente. Bei einigen rieten die Ärzte dazu, da sie von einer weiteren Anfallsbereitschaft ausgingen. Andere hatten mit dem Absetzen nach einem Jahr Anfallsfreiheit begonnen und waren noch nicht am Ende des Prozesses.

Wann sollte ein operativer Eingriff erwogen werden?

Studien und retrospektive Datenanalysen zeigen, dass die Chancen auf eine Anfallskontrolle bereits nach Versagen des zweiten Medikamentes sehr gering sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient mit dem dritten Medikament anfallsfrei wird, liegt laut einer neueren Studie mit mehr als 1 000 Patienten bei nur zwei Prozent (3). Daher sollten alle Patienten mit chronischer Epilepsie, die nicht auf zwei oder mehr Medikamente angesprochen haben, in spezialisierten Zentren beraten werden. Nur dort ist die technische und fachliche Kompetenz einer umfassenden Diagnostik gegeben, die klären kann, welche zugrundeliegende Erkrankung vorliegt, ob ein epilepsiechirurgischer Eingriff Linderung bringen kann und wie die Prognose einzuschätzen ist.

Manche Neurologen und Neuropädiater stehen der Epilepsiechirurgie als Therapieoption immer noch zögerlich gegenüber. Die Ursachen dieser abwartenden Haltung sind multifaktoriell: Der sicherlich wichtigste Grund ist, dass die Gefahr von Anfällen stark unterschätzt wird. Weitere Ursachen beinhalten eine Überschätzung der chirurgischen Komplikationsraten und Unterschätzung des Erfolgs eines solches Eingriffs.

Es muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass eine Evaluation nicht unbedingt einen chirurgischen Eingriff nach sich zieht: Das Ergebnis der Abklärung kann auch ein Abraten von einem chirurgischen Eingriff sein. Eine Kontraindikation zur Evaluation gibt es nicht, außer der Patient kann und will sich keiner mehrtägigen oder -wöchigen Untersuchung unterziehen (zum Beispiel bei schwersten Verhaltensstörungen).

Prächirurgische Evaluation

Die hohen Risiken von unkontrollierter Epilepsie und der minimale Gewinn bei einem 4. oder 5. medikamentösen Therapieversuch sprechen für eine umfassende Untersuchung mit dem Ziel, eine Therapie anzubieten, die alle Anfälle unterdrückt. Falls dies die chirurgische Therapie ist, muss geklärt werden, wo und wie viel reseziert werden muss. Daher sollte keine Epilepsiechirurgie ohne vorherige Evaluation durchgeführt werden, auch wenn alles „einfach” erscheint.

Durch die umfassende Abklärung müssen zwei Grundfragen beantwortet werden:

  • Die Lokalisation des epileptischen Focus
  • Die Lokalisation des essenziellen Kortex (Motorik, Sprache etc.)

Das Ziel des Eingriffs ist eine sichere Entfernung des epileptogenen Gewebes ohne ein (neues) neurologisches Defizit zu verursachen. Eine neurologische, neuropsychologische und psychiatrische Untersuchung sind die Grundelemente jeder prächirurgischen Abklärung. Weiterhin sind die Video-EEG- Aufnahme und -analyse von (mehreren) habituellen Anfällen essenzieller Teil der Abklärung. Idealerweise finden diese in einem Zentrum mit 24h/7-Überwachung statt, da ein eventuell notwendiger (teilweiser oder kompletter) Medikamentenentzug zu längeren oder stärkeren Anfällen führen kann (9).

Neben den Anfällen ist ein hochauflösendes MRI essenzieller Bestandteil jeder Evaluation. Das operative Ergebnis hängt stark von der Identifikation einer Läsion ab, da sich die Chancen einer Anfalls-kontrolle signifikant erhöhen, wenn die Läsion mit den EEG- und neurologischen Befunden übereinstimmt. 1,5T oder besser 3T MR-Bildgebung im Rahmen eines Epilepsieprotokolls wird empfohlen.

Eine negative MR-Bildgebung ist kein Grund, einen Patienten als ungeeigneten Kandidaten für eine Epilepsiechirurgie zu betrachten, sondern sollte eine erweiterte Diagnostik im Rahmen einer spitalgebundenen Evaluation nach sich ziehen. Diese beinhalten:

  • Positronenemissionstomographie (PET)
  • Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie (SPECT)
  • Elektrische Quellenanalyse (ESI) auf der Basis von EEGs mit bis zu 256 Elektroden
  • EEG-assoziiertes funktionelles MRI zur Lokalisierung des interiktalen Fokus
  • Komplementäre MRI-Techniken wie MR-Spektroskopie
  • Funktionelles MRI zur Lokalisierung von motorischem, sensorischem und Sprachkortex.

Invasive Exploration

Es gibt keine verbindlichen Kriterien, ab wann eine ergänzende Video-EEG-Ableitung durch implantierte Elektroden empfohlen werden muss. In den meisten Fällen wird man sie ins Auge fassen, wenn eine ganz bestimmte Frage zu beantworten ist - zum Beispiel wie weit ist der Fokus vom Broca-Sprachzentrum entfernt.

In den meisten Fällen werden Tiefenelektroden und subdurale Elektroden implantiert, wobei letztere etwas höhere Risiken tragen (Blutung, Infektion, Ödem etc. < 10 Prozent versus < 2 Prozent) (19, 20). Das Risiko steigt mit der Zahl der implantierten Elektroden und der Dauer der Ableitung. Da es in wenigen Fällen zu einer verzögerten Einblutung kommen kann, ist es empfohlen, im Hause Zugang zu einer Intensivstation zu haben (24 h/7 Tage) sowie einen diensthabenden Neurochirurgen.

Prognose und Komplikationen

Der Eingriff bei einer Temporallappenepilepsie hat insgesamt eine bessere Prognose als der einer extratemporalen Epilepsie, da im letzteren Fall die anatomischen Grenzen weniger gut definiert sind bzw. angrenzender funktionell wichtiger Kortex respektiert werden muss. Die große Mehrzahl der Patienten mit temporaler und extratemporaler Epilepsie profitiert jedoch von dem Eingriff.

Komplikationen können bei jedem Eingriff auftreten und natürlich auch bei der Epilepsiechirurgie. Die Risiken und Kosten-Nutzen müssen offen diskutiert werden. Statistisch gesehen sind die Risiken durch persistierende Anfälle deutlich höher als durch eine epilepsiechirurgische Intervention.

Nachsorge

Die postoperative Nachsorge wird im Allgemeinen vom betreuenden Neurologen oder Neuropädiater wieder aufgenommen, unterstützt vom chirurgischen Zentrum. Wiedervorstellung im Zentrum wird nach drei, sechs, zwölf und 24 Monaten postoperativ empfohlen, kann aber bei Bedarf auch länger oder häufiger sein.

Bei etwa 50 Prozent der operierten Patienten ist ein Absetzen der medikamentösen Therapie erfolgreich, in den anderen 50 Prozent ist eventuell nur ein Medikament ausreichend. Der Zeitpunkt des Absetzversuchs sollte zusammen mit dem Patienten besprochen werden.

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