Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch eine übermäßige Erregung von Nervenzellen im Gehirn. Bei Patienten, bei denen Medikamente keine ausreichende Anfallskontrolle ermöglichen, kann eine Operation eine Behandlungsoption darstellen. Ziel eines solchen Eingriffs ist es, das anfallsauslösende Hirngewebe zu entfernen oder die Ausbreitung der Anfälle zu unterbinden, wobei die Schonung wichtiger Hirnfunktionen oberste Priorität hat.
Wann ist eine Operation bei Epilepsie sinnvoll?
Nicht jeder Epilepsiepatient ist ein geeigneter Kandidat für eine Operation. Ein operativer Eingriff sollte in Erwägung gezogen werden, wenn:
- Eine medikamentöse Behandlung mit zwei oder mehr Medikamenten keine ausreichende Anfallskontrolle erzielt (pharmakoresistente Epilepsie).
- Die Anfälle die Lebensqualität des Patienten erheblich beeinträchtigen, beispielsweise durch Einschränkungen im Beruf, im sozialen Leben oder durch ein erhöhtes Verletzungsrisiko.
- Der Ursprungsort der Anfälle (epileptogene Zone) im Gehirn eindeutig identifiziert werden kann und sich in einem Bereich befindet, der operativ gut erreichbar ist, ohne wichtige Hirnfunktionen zu gefährden.
Es ist wichtig zu betonen, dass eine umfassende prächirurgische Diagnostik erforderlich ist, um festzustellen, ob ein Patient für eine Epilepsieoperation geeignet ist. Diese Evaluation kann auch zu dem Ergebnis führen, dass ein operativer Eingriff nicht ratsam ist.
Prächirurgische Diagnostik: Die Vorbereitung auf die Operation
Vor einer Epilepsieoperation ist eine ausführliche Diagnostik notwendig, um die epileptogene Zone genau zu lokalisieren und wichtige Hirnfunktionen zu kartieren. Diese prächirurgische Evaluation umfasst in der Regel folgende Verfahren:
Nicht-invasive Diagnostik
- Video-EEG: Hierbei werden die Hirnströme über Elektroden auf der Kopfhaut aufgezeichnet und gleichzeitig der Patient videoüberwacht. Dies ermöglicht es, die Anfälle aufzuzeichnen und ihre Ursprungsorte im Gehirn zu identifizieren.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Die MRT liefert detaillierte Bilder des Gehirns, um strukturelle Veränderungen wie Tumore, Narben oder Fehlbildungen zu erkennen, die Anfälle auslösen können. Moderne Epilepsieprotokolle mit hochauflösenden 3T-MRT-Bildern können auch subtile Läsionen sichtbar machen, die in älteren Aufnahmen möglicherweise übersehen wurden.
- Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT): Die fMRT misst die Aktivität verschiedener Hirnbereiche während bestimmter Aufgaben, wie z.B. Sprechen oder Bewegen. Dies hilft, wichtige Hirnfunktionen zu lokalisieren und diese bei der Operationsplanung zu berücksichtigen.
- SPECT/PET: Diese Verfahren nutzen schwach radioaktive Substanzen, um die Stoffwechselaktivität in verschiedenen Hirnbereichen darzustellen. Während eines Anfalls ist die Stoffwechselaktivität in der epileptogenen Zone erhöht, zwischen den Anfällen kann sie vermindert sein.
- SISCOM: Ein Verfahren zur Darstellung der mit einem beginnenden epileptischen Anfall assoziierten regionalen Stoffwechselzunahme.
- Elektrische Quellenanalyse (ESI): Auf der Basis von EEGs mit bis zu 256 Elektroden.
- EEG-assoziiertes funktionelles MRI: Zur Lokalisierung des interiktalen Fokus.
- Komplementäre MRI-Techniken: Wie MR-Spektroskopie.
Invasive Diagnostik
Wenn die nicht-invasiven Verfahren keine eindeutige Lokalisation der epileptogenen Zone ermöglichen, kann eine invasive Diagnostik erforderlich sein. Dabei werden Elektroden direkt ins Gehirn implantiert, um die Hirnströme genauer aufzuzeichnen.
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- Tiefenelektroden/kortikale Elektrostimulation: Elektroden werden entweder tief in das Gehirn eingeführt oder auf die Hirnoberfläche aufgelegt, um die elektrische Aktivität in bestimmten Bereichen zu messen und die Ausbreitung der Anfälle zu verfolgen. Die kortikale Elektrostimulation kann auch verwendet werden, um wichtige Hirnfunktionen zu kartieren und zu vermeiden, dass diese bei der Operation beeinträchtigt werden.
- WADA-Test: Dieser Test wird durchgeführt, um die Sprachdominanz der Hirnhälften zu bestimmen. Dabei wird eine Gehirnhälfte vorübergehend betäubt, um zu prüfen, welche Seite für die Sprachverarbeitung verantwortlich ist.
Operative Verfahren bei Epilepsie
Es gibt verschiedene operative Verfahren zur Behandlung von Epilepsie, die je nach Art und Lokalisation der Anfälle eingesetzt werden. Grundsätzlich lassen sich diese in zwei Kategorien einteilen: resektive und diskonnektive Verfahren.
Resektive Verfahren: Entfernung des Anfallsursprungs
Ziel der resektiven Verfahren ist es, die epileptogene Zone vollständig zu entfernen und somit Anfallsfreiheit zu erreichen. Zu den gängigsten resektiven Verfahren gehören:
- Selektive Amygdala-Hippokampektomie: Bei Temporallappenepilepsien, die vom Hippocampus oder der Amygdala ausgehen, werden diese Strukturen gezielt entfernt.
- Temporallappenresektion: Bei Temporallappenepilepsien, bei denen die epileptogene Zone nicht eindeutig auf den Hippocampus oder die Amygdala begrenzt ist, kann ein Teil des Schläfenlappens entfernt werden.
- Erweiterte Läsionektomie: Bei Epilepsien, die durch eine Läsion im Gehirn, wie z.B. einen Tumor oder eine Fehlbildung, verursacht werden, wird die Läsion zusammen mit dem umliegenden epileptogenen Gewebe entfernt.
- Topektomie oder Tailored Läsionektomie: Bei Epilepsien, bei denen keine Läsion erkennbar ist, wird das epileptogene Areal gezielt entfernt, basierend auf den Ergebnissen der prächirurgischen Diagnostik.
- Lobektomie: Entfernung eines Gehirnlappens bzw. eines Teils davon, wenn dieser mit dem epileptogenen Areal weitgehend zur Deckung kommt.
- Funktionelle Hemisphärektomie oder Hemisphärotomie: In seltenen Fällen, bei denen eine ganze Hirnhälfte für die Anfälle verantwortlich ist und bereits schwere Funktionsstörungen aufweist, kann eine Hemisphärektomie (Entfernung einer Hirnhälfte) oder Hemisphärotomie (funktionelle Abtrennung einer Hirnhälfte) in Betracht gezogen werden.
Diskonnektive Verfahren: Unterbrechung der Anfallsausbreitung
Wenn die epileptogene Zone nicht entfernt werden kann, beispielsweise weil sie sich in der Nähe wichtiger Hirnfunktionen befindet, können diskonnektive Verfahren eingesetzt werden. Ziel dieser Verfahren ist es, die Ausbreitung der Anfälle zu unterbinden und somit ihre Häufigkeit und Schwere zu reduzieren.
- Kallosotomie: Hierbei wird der Corpus callosum, die Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften, durchtrennt. Dies kann verhindern, dass sich Anfälle von einer Hirnhälfte auf die andere ausbreiten.
- Multiple subpiale Transektionen (MST): Bei diesem Verfahren werden kleine, vertikale Schnitte in die Hirnrinde gesetzt, um die horizontale Ausbreitung der Anfälle zu unterbinden, während die vertikalen Verbindungen, die für wichtige Hirnfunktionen verantwortlich sind, erhalten bleiben.
Stimulationsverfahren
Bei Patienten, für die resektive oder diskonnektive Verfahren nicht geeignet sind, können Stimulationsverfahren eine Option darstellen.
- Vagusnerv-Stimulation (VNS): Ein kleines Gerät, ähnlich einem Herzschrittmacher, wird unter das Schlüsselbein implantiert und mit dem Vagusnerv im Hals verbunden. Das Gerät sendet regelmäßig elektrische Impulse an den Vagusnerv, was die Anfallshäufigkeit reduzieren kann.
- Tiefe Hirnstimulation (THS): Elektroden werden in tiefe Hirnbereiche implantiert und elektrisch stimuliert, um die Anfallsaktivität zu verringern.
Risiken und Nebenwirkungen von Epilepsie-Operationen
Wie jeder operative Eingriff birgt auch die Epilepsiechirurgie Risiken. Zu den möglichen Komplikationen gehören:
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- Neurologische Defizite: Je nach Lokalisation der Operation können neurologische Ausfälle auftreten, wie z.B. Sprachstörungen, Lähmungen oderSensibilitätsstörungen. Das Risiko für solche Defizite wird durch die prächirurgische Diagnostik und die intraoperative Überwachung minimiert.
- Infektionen: Infektionen können an der Operationsstelle oder im Gehirn auftreten und erfordern eine antibiotische Behandlung.
- Blutungen: Blutungen können während oder nach der Operation auftreten und in seltenen Fällen eine weitere Operation erforderlich machen.
- Kognitive Beeinträchtigungen: In einigen Fällen kann es nach der Operation zu kognitiven Beeinträchtigungen kommen, wie z.B. Gedächtnisproblemen oder Aufmerksamkeitsstörungen.
- Ausbleiben der Anfallsfreiheit: Trotz sorgfältiger Planung und Durchführung der Operation kann es vorkommen, dass die Anfallsfreiheit nicht erreicht wird. In diesem Fall können weitere Behandlungen erforderlich sein.
Es ist wichtig, dass die Risiken und Nutzen einer Epilepsieoperation im Vorfeld ausführlich mit dem Patienten besprochen werden.
Prognose nach einer Epilepsie-Operation
Die Erfolgschancen einer Epilepsieoperation hängen von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. der Art der Epilepsie, der Lokalisation der epileptogenen Zone, dem Vorhandensein einer Läsion und der Vollständigkeit der Resektion.
- Temporallappenepilepsie: Bei Patienten mit Temporallappenepilepsie sind die Erfolgschancen in der Regel höher als bei anderen Epilepsieformen. Studien zeigen, dass bis zu 70-80% der Patienten nach einer selektiven Amygdala-Hippokampektomie oder Temporallappenresektion anfallsfrei werden können.
- Extratemporale Epilepsie: Bei Patienten mit extratemporaler Epilepsie, bei denen die Anfälle von anderen Hirnbereichen ausgehen, sind die Erfolgschancen etwas geringer. Dennoch können auch hier bis zu 50-60% der Patienten von einer Operation profitieren.
- Läsionelle Epilepsie: Wenn die Epilepsie durch eine Läsion im Gehirn verursacht wird, sind die Erfolgschancen in der Regel höher, insbesondere wenn die Läsion vollständig entfernt werden kann.
Auch wenn die Anfallsfreiheit nicht erreicht wird, können viele Patienten nach der Operation eine deutliche Reduktion der Anfallshäufigkeit und -schwere erfahren.
Nachsorge nach einer Epilepsie-Operation
Nach einer Epilepsieoperation ist eine regelmäßige Nachsorge wichtig, um den Therapieerfolg zu überwachen und eventuelle Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Die Nachsorge umfasst in der Regel:
- Regelmäßige neurologische Untersuchungen: Um den neurologischen Zustand des Patienten zu beurteilen und eventuelle Defizite zu erkennen.
- EEG-Kontrollen: Um die Hirnströme zu überwachen und das Auftreten von Anfällen zu erkennen.
- Bildgebende Verfahren: Um den Operationsbereich zu kontrollieren und eventuelle Komplikationen, wie z.B. Blutungen oder Infektionen, auszuschließen.
- Anpassung der Medikation: In vielen Fällen kann die antiepileptische Medikation nach der Operation reduziert oder sogar ganz abgesetzt werden. Dies sollte jedoch nur in Absprache mit dem behandelnden Arzt erfolgen.
Die Rolle spezialisierter Epilepsiezentren
Die prächirurgische Diagnostik und die operative Behandlung von Epilepsie sollten in spezialisierten Epilepsiezentren durchgeführt werden. Diese Zentren verfügen über die notwendige Expertise und technische Ausstattung, um eine umfassende Diagnostik durchzuführen, die geeignete Operationsmethode auszuwählen und den Patienten optimal zu betreuen.
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