Bei Patienten mit Epilepsie, bei denen eine medikamentöse Therapie (Pharmakotherapie) keine ausreichende Wirkung zeigt, stellt die Epilepsiechirurgie eine wichtige Behandlungsoption dar. Insbesondere Eingriffe am Schläfenlappen sind häufig, da viele Epilepsien von dort ihren Ursprung nehmen (Temporallappenepilepsie, TLE). Die erhoffte Anfallsfreiheit wird jedoch mit potenziellen neuropsychologischen Beeinträchtigungen "erkauft", wie z. B. Gedächtnisverlust. Ein Team des Universitätsklinikums Bonn hat Ursachen für langfristige kognitive Einbußen nach solchen Eingriffen untersucht.
Wann ist eine Epilepsiechirurgie in Betracht zu ziehen?
Eine Operation bei Epilepsie kommt infrage, wenn fokale Epilepsien vorliegen, die auf eine medikamentöse Therapie nicht ansprechen. Fokale Epilepsien betreffen nur eine bestimmte Lokalisation im Gehirn. Bei generalisierten und multifokalen Epilepsien, die mehrere Bereiche oder das gesamte Gehirn betreffen, ist eine Operation nicht möglich. Voraussetzung für eine Operation ist die genaue Lokalisation der epileptogenen Zone, um den auslösenden Bereich zu erreichen und zu behandeln. Außerdem darf das epileptogene Areal nicht von wichtigen Gehirnarealen überlappt werden, um eine vollständige Entfernung zu gewährleisten und die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen.
Ursachen und Diagnostik
Die Ursachen der Temporallappenepilepsie (TLE) können vielfältig sein. Zu den häufigsten neuropathologischen Diagnosen gehören:
- Hippocampus-Sklerose (HS): Eine Verhärtung des Hippocampus, einer für das Gedächtnis wichtigen Hirnstruktur.
- Hochdifferenzierte, typischerweise glioneuronale Tumoren (LEAT): Gutartige Tumoren, die aus Nervenzellen und Gliazellen bestehen.
- Fokale kortikale Dysplasien (FCD): Fehlbildungen der Hirnrinde.
Um den Fokus der Erkrankung genauer zu lokalisieren, sind verschiedene diagnostische Maßnahmen notwendig:
- Video-Analyse: Beurteilung der Symptome während eines epileptischen Anfalls.
- Anamnese: Genaue Erhebung der Krankengeschichte, idealerweise mit Hilfe von Angehörigen.
- Neurologische und psychologische Untersuchung:
- EEG (Elektroenzephalogramm): Messung der Hirnströme, um die Herkunft der Entladungen zu beurteilen. Dabei können epileptische Anfälle durch Stimulation provoziert und anschließend ausgewertet werden.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Darstellung veränderter Gehirnareale. Eine hochauflösende MRT mit einem Epilepsieprotokoll wird empfohlen, um auch kleine, schlecht definierte Läsionen zu erkennen.
- PET (Positronenemissionstomographie): Darstellung des Hirnstoffwechsels.
- SPECT (Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie):
- Elektrische Quellenanalyse (ESI):
- EEG-assoziiertes funktionelles MRT:
- MR-Spektroskopie:
- Funktionelles MRT:
Eine negative MR-Bildgebung ist kein Grund, einen Patienten als ungeeigneten Kandidaten für eine Epilepsiechirurgie zu betrachten, sondern sollte eine erweiterte Diagnostik nach sich ziehen.
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Operative Verfahren
Zur operativen Therapie stehen folgende Verfahren zur Auswahl:
- Resektive Eingriffe: Ziel ist die Heilung des Patienten mit anschließender Anfallsfreiheit. Dabei können der Kern der Epilepsie (Läsionektomie), Teillappenentfernungen (z.B. Teilresektion des Temporallappens), die komplette Entfernung eines Gehirnlappens oder die Unterbrechung der Verbindung der beiden Hirnhälften erfolgen.
- Diskonnektierende Verfahren: Unterbinden die Ausbreitungswege der epileptischen Entladungen. Dieses Verfahren kann die Anfallshäufigkeit und -stärke mindern, jedoch keine komplette Anfallsfreiheit bewirken.
Die Operation erfolgt in der Regel unter Vollnarkose und dauert mehrere Stunden. In Ausnahmefällen kann auch eine Operation am wachen Patienten durchgeführt werden, um während der Operation die Gehirnareale und mögliche Funktionsverluste beurteilen zu können.
Langfristige kognitive Einbußen nach Temporallappen-Operationen
Obwohl sich Hirnleistungen langfristig erholen können, kommt es bei einem Teil der Patienten Monate oder Jahre nach dem Eingriff zu unerwarteten Leistungseinbrüchen. Eine Studie des Universitätsklinikums Bonn untersuchte die Ursachen für diesen langfristigen postoperativen kognitiven Abbau.
Studiendesign und Ergebnisse
Die Forscher analysierten die Krankenakten von 355 Epilepsie-Patienten, die operiert wurden und von denen mindestens zwei postoperative kognitive Einschätzungen vorlagen. 30 Patienten (knapp 8 %) erfüllten die Definition einer signifikanten kognitiven Einbuße. Von 24 dieser Patienten lagen Gewebeproben vor, die neuropathologisch untersucht wurden.
Das Durchschnittsalter der Patienten bei Manifestation der Epilepsie betrug 16,5 Jahre. Die Operation (88 % am Temporallappen) erfolgte im Durchschnittsalter von 34,7 Jahren. Ein wesentlicher Faktor für kognitive Einbußen war der postoperative Attackenstatus: Nur 17 % der Patienten waren völlig attackenfrei, während 42 % nach initialer Attackenfreiheit einen Rückfall erlitten.
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Die neuropathologischen Befunde zeigten in der Hälfte der Fälle eine Hippocampus-Sklerose, ein LEAT bei 3 Patienten und bei je einem Betroffenen ein niedriggradiges Astrozytom, ein niedriggradiger polymorpher neuroepithelialer Tumor, eine kortikale Dysplasie und ein Kavernom. Bei 3 Patienten lagen Hippocampi ohne segmentale Neurodegeneration und bei 2 Patienten extemporales Hirngewebe mit diffuser reaktiver Gliose vor. Die Mehrzahl der Gewebeproben hatte pathologische Veränderungen, die im Kontext der Epilepsiechirurgie eher unerwartet waren.
Bedeutung der Ergebnisse
Die Studie unterstreicht die Bedeutung von Langzeitverlaufsuntersuchungen zur kognitiven Entwicklung bei Epilepsiepatienten, insbesondere nach epilepsiechirurgischen Eingriffen. Es wird wichtig sein, bildgebende und elektrophysiologische Korrelate für die histopathologisch gefundenen Hinweise auf aktive neurodegenerative oder entzündliche Prozesse bei Patienten mit postoperativen kognitiven Verschlechterungen zu identifizieren. Dies könnte eine präoperative Erkennung dieser Risikofaktoren ermöglichen und somit den therapeutischen Entscheidungsprozess und die Beratung der Patienten verbessern.
Erfahrungen mit Operationen bei Epilepsie
Chirurgische Verfahren zur Behandlung der Epilepsie bieten gute Erfolgschancen, wenn vorher eine genaue Lokalisation des Bereiches erfolgen konnte. Insgesamt liegen die Erfolgschancen, anfallsfrei zu werden, bei etwa sechzig Prozent. Die besten Ergebnisse werden bei einseitigen Temporallappen-Epilepsien erzielt, hier kann eine Erfolgsrate von siebzig bis achtzig Prozent erreicht werden.
Lisa, eine junge Frau, litt seit ihrer Kindheit unter epileptischen Anfällen. Medikamente halfen nicht ausreichend, und eine Operation schien zunächst nicht möglich. Im Neuro-Zentrum des Universitätsklinikums Bonn wurde jedoch der Ausgangsort der Epilepsie in ihrem linken Schläfenlappen lokalisiert und operativ entfernt. Seitdem ist Lisa anfallsfrei und kann nun ihren Führerschein machen und sich zur Erzieherin weiterqualifizieren.
Risiken und Nebenwirkungen
Operationen am Gehirn bringen Risiken mit sich. Dazu gehören Verletzungen wichtiger Hirnstrukturen mit möglichem Funktionsverlust, die vorher mit dem Patienten besprochen werden sollten. Aber auch natürliche Operationsrisiken, wie Nachblutungen und Entzündungen, können vorkommen. Außerdem kann es trotz des Eingriffes dazu kommen, dass der gewünschte Erfolg nicht eintritt und der Patient nach der Operation nicht beschwerdefrei ist.
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Kognitive Beeinträchtigungen
Eine Verschlechterung der kognitiven Funktion kann bei operierten Patienten auftreten, insbesondere in den Bereichen Intelligenz und exekutive Funktionen. Risikofaktoren hierfür sind ein hohes Patientenalter, eine fehlende MRT-Läsion und ein schlechtes Anfallsoutcome.
Nachsorge und Prognose
Im Anschluss an die Operation verbleibt der Patient etwa eine Woche im Krankenhaus, danach kann die Weiterbehandlung in einer Rehaklinik erfolgen. Direkt nach der Operation kann die vorbestehende Medikation in der Regel reduziert werden. Dennoch sollten die Medikamente erst nach ca. einem Jahr Anfallsfreiheit abgesetzt werden. Nachuntersuchungen mit entsprechender EEG-Diagnostik erfolgen etwa alle drei, sechs und zwölf Monate nach der Operation.
Die postoperative Nachsorge wird im Allgemeinen vom betreuenden Neurologen oder Neuropädiater wieder aufgenommen, unterstützt vom chirurgischen Zentrum. Eine Wiedervorstellung im Zentrum wird nach drei, sechs, zwölf und 24 Monaten postoperativ empfohlen, kann aber bei Bedarf auch länger oder häufiger sein.
Medikamentenreduktion
Bei etwa 50 Prozent der operierten Patienten ist ein Absetzen der medikamentösen Therapie erfolgreich, in den anderen 50 Prozent ist eventuell nur ein Medikament ausreichend. Der Zeitpunkt des Absetzversuchs sollte zusammen mit dem Patienten besprochen werden.
Spezialisten und Kliniken
Die chirurgische Behandlung von Patienten mit Epilepsie erfolgt durch Neurochirurgen in enger Zusammenarbeit mit den behandelnden Neurologen. Vor dem Eingriff wird eine interdisziplinäre Fallbesprechung mit Ärzten verschiedener Einrichtungen durchgeführt. Dazu gehören Neurochirurgen, Neurologen, Radiologen und Psychologen. Die Operation und der Aufenthalt werden von neurochirurgischen Einrichtungen realisiert, die Nachuntersuchungen in der Regel vom Neurologen. Häufig gibt es eigene Epilepsiestationen, die auf die Behandlung der Erkrankung spezialisiert sind.
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