Epileptische Anfälle stellen eine erhebliche Belastung sowohl für die Betroffenen als auch für ihr Umfeld dar. Neben den dramatischen Krampfanfällen existieren verschiedene Anfallsformen, darunter psychogene Anfälle, die seelisch bedingt sind. Dieser Artikel beleuchtet die psychogenen Anfälle, ihre Ursachen, Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten.
Was sind psychogene Anfälle?
Psychogene Anfälle, auch nicht-epileptische Anfälle oder dissoziative Anfälle genannt, sind Anfälle, die nicht durch neuronale Störungen im Gehirn verursacht werden, sondern psychische Ursachen haben. Sie gehören zu den vielfältigen Erscheinungsbildern von dissoziativen Störungen und können epileptischen Anfällen ähneln, was die Diagnose erschwert.
Ursachen und Auslöser
Die Ursachen psychogener Anfälle sind vielfältig und oft komplex. Schwere seelische Belastungen in der Kindheit und Jugend, die den Betroffenen teilweise nicht bewusst sind, können eine Rolle spielen. Insbesondere Missbrauch und Vernachlässigung gelten als prädisponierende Faktoren. Traumata, die lange zurückliegen und an die sich die Betroffenen möglicherweise nicht erinnern, können ebenfalls Auslöser sein.
Psychogene Anfälle können als automatisierte, reflexartige Körperreaktionen entstehen, die ursprünglich eine schützende oder abwehrende Funktion hatten. Belastende Lebensumstände können ebenfalls eine Rolle spielen, aber auch ohne solche Umstände können psychogene Anfälle auftreten.
Häufigkeit und Risikofaktoren
Dissoziative Anfälle treten relativ selten auf. Etwa zwei bis drei von 10.000 Menschen leiden unter dieser Erkrankung, wobei rund 70 Prozent davon Frauen sind. Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen wie Epilepsie, Migräne, Depression, Angst- oder Schlafstörungen haben ein erhöhtes Risiko.
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Symptome und Diagnose
Die Symptome psychogener Anfälle sind vielfältig und können epileptischen Anfällen ähneln. Typische Anzeichen sind plötzliche Bewegungsstörungen oder Bewusstseinsveränderungen ohne organische Ursache im Gehirn. Es kann zu Zuckungen, Verkrampfungen oder Ohnmachtsanfällen kommen. Anders als bei Epilepsie fehlt jedoch eine krankhafte elektrische Entladung im Gehirn. Die Anfälle entstehen ohne erkennbare körperliche Ursache und dauern oft mehrere Minuten.
Differenzialdiagnose
Die Diagnose psychogener Anfälle ist schwierig und zeitaufwendig, da kein Symptom für die Diagnose einer psychogenen Erkrankung eindeutig ist. Eine differenzierte Diagnose ist unabdingbar, um die Anfälle von Epilepsie abzugrenzen.
Anamnese und Beobachtung
Eine ausführliche Eigen- und Fremdanamnese ist notwendig, um eine anschauliche Beschreibung des Anfalls und der vorangehenden Situation zu erhalten. Dabei sollten die Beziehung zu und Konflikte mit anwesenden Personen, äußere Umstände und die Einstellung des Patienten zu diesen, eventuelle Einnahme von Drogen/Alkohol, Schlafdefizit und weitere Erkrankungen berücksichtigt werden.
Gesprächsführung
Die Gesprächsführung mit Patient:innen, die dissoziative Anfälle haben, fordert auf eine spezifische und oft auch anstrengende Weise. Unterschiede in der Art, wie Patient:innen mit epileptischen Anfällen und wie Patient:innen mit dissoziativen Anfällen ihre Symptomatik schildern, können wertvolle Hinweise liefern.
Video-EEG-Monitoring
Das Video-EEG-Monitoring ist der Goldstandard in der Differenzialdiagnostik unklarer Anfallsereignisse. Es ermöglicht die Messung der Hirnströme während des Anfalls und kann so bei der Abgrenzung helfen.
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Interaktionsmuster im Gespräch
Gespräche mit Patient:innen mit dissoziativen Anfällen zeigen häufige Interaktionsmuster, die sich von denen mit Epilepsiepatient:innen unterscheiden. Dazu gehören:
- Ausgeliefertsein: Patient:in schildert sich als ausgeliefert ohne Chance, mit den Anfällen umzugehen.
- Holistische Negationen: Verwendung von nicht kontextualisierten Negationen wie "ich weiß (es) nicht", "ich merke nix".
- Verwischungsaktivitäten: Gesagtes wird im Gesprächsverlauf zurückgenommen, verändert und so eher unklarer als klarer.
- Narrativierungsresistenz: Kaum Anregung, einzelne Anfallsepisoden zu beschreiben.
Behandlung
Die Behandlung psychogener Anfälle ist komplex und erfordert einen individuellen Therapieplan, der auf die Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt ist. Im Vordergrund steht die Psychotherapie, wobei unterschiedliche Formen möglich sind. Antiepileptika sind hier wirkungslos.
Psychotherapie
Die Patienten lernen, psychodynamische Zusammenhänge, Frühwarnzeichen und Auslöser eines psychogenen Anfalls zu identifizieren. In komplizierteren Fällen mit komplexerem Störungsniveau, weiteren psychischen Begleiterkrankungen und traumatischer Vorgeschichte wird ein differenziertes Behandlungskonzept mit verursachungsspezifischen Therapietechniken entwickelt. Damit werden die zugrundeliegenden Traumata, aber auch Angstzustände, depressive Zustände und psychosomatische Symptomkomplexe behandelt.
Stationäre Behandlung
In stationären Settings mit Expertise für anfallsartige Störungen werden oft bessere Behandlungsergebnisse bei PNEA erzielt. Ein zentraler Ansatz der stationären Behandlung ist das rasche Erlernen von Strategien zur Erkennung und Vermeidung von Auslösern, zur Wahrnehmung sich anbahnender Anfälle sowie zur Unterbrechung von Anfällen durch die Betroffenen.
Prognose
Jeder zweite Betroffene wird mit Therapie anfallsfrei, bei einem weiteren Viertel ist die Anfallshäufigkeit deutlich gemindert. Eine spontane Heilung ist selten, aber mit gezielter Therapie sind die Chancen gut.
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Umgang mit der Erkrankung
Ein offener Umgang mit der Erkrankung ist wichtig. Angehörige, Freunde und Kolleg:innen sollten wissen, wie sie im Ernstfall reagieren können.
Epilepsie: Ein Vergleich
Epilepsie ist eine Erkrankung des Gehirns mit meist bis zu 2 Minuten dauernden Anfällen, von kurzen unscheinbaren Bewusstseinsaussetzern (Absencen) über sog. fokale Anfälle mit Missempfindungen, Sprachstörungen oder Zuckungen bis hin zum Krampfanfall mit Sturz. Epilepsie kann u.a. genetisch, krankheitsbedingt, eine Unfallfolge oder auch unbekannter Ursache sein.
Formen epileptischer Anfälle
Epileptische Anfälle dauern meistens nur wenige Sekunden oder Minuten und haben sehr verschiedene Formen. Es gibt motorische und nichtmotorische Anfälle.
- Tonisch-klonische Anfälle: Bei diesen Anfällen stürzen die Betroffenen und werden bewusstlos. In der tonischen Phase verkrampft der ganze Körper und wird steif und in der klonischen Phase kommen dann Zuckungen dazu. Weitere typische Symptome sind bläuliche Hautverfärbungen, Einnässen, Speichelaustritt und Bissverletzungen an der Zunge.
- Absencen: Eine sehr milde Form des generalisierten Anfalls ist die sog. Absence, die oft als "Verträumtheit" oder "Aussetzer" verkannt wird. Dabei setzt das Bewusstsein kurz aus und die Betroffenen halten in ihrer momentanen Tätigkeit inne. Manchmal zucken die Augenlider leicht. Stürze und ausgeprägte Krämpfe kommen nicht vor.
- Fokal zu bilateral tonisch-klonisch: Das sind Anfälle, die fokal (in einer Gehirnhälfte) beginnen, die sich dann aber zu einem tonisch-klonischen Anfall in beiden Gehirnhälften weiterentwickeln.
Ursachen von Epilepsie
Epilepsie kann verschiedene Ursachen haben, darunter:
- Genetische Faktoren
- Komplikationen in der Schwangerschaft und bei der Geburt
- Schädel-Hirn-Trauma
- Durchblutungsstörungen
- Akute Krankheiten
- Auslöser wie Schlafentzug, Alkohol- oder Drogenkonsum
Erste Hilfe bei epileptischen Anfällen
Bei der ersten Hilfe gilt: Nicht festhalten, keinen Beißkeil oder ähnliches zwischen die Zähne und Verletzungen verhindern. Nach einem Anfall ist es wichtig dabei zu bleiben, bis das Bewusstsein wieder klar ist.
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