Für Frauen mit Epilepsie, die schwanger werden möchten oder bereits sind, gibt es spezielle Empfehlungen, um sowohl die Gesundheit der Mutter als auch des Kindes bestmöglich zu gewährleisten. Ein wichtiger Aspekt ist die Einnahme von Folsäure, die eine entscheidende Rolle bei der Vorbeugung von Fehlbildungen spielt und möglicherweise die kognitive Entwicklung des Kindes positiv beeinflusst. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die wichtigsten Aspekte im Zusammenhang mit Epilepsie, Schwangerschaft und Folsäure, basierend auf aktuellen Leitlinien und Forschungsergebnissen.
Folsäure in der Schwangerschaft: Mehr als nur ein Schutz vor Neuralrohrdefekten
Folsäure ist ein essentielles Vitamin, das vor allem für seine Bedeutung bei der Vorbeugung von Neuralrohrdefekten bei Neugeborenen bekannt ist. Diese Fehlbildungen können Gehirn, Rückenmark oder Wirbelsäule betreffen. Die Einnahme von Folsäure während der Schwangerschaft wird daher dringend empfohlen.
Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Folsäure möglicherweise noch weitere Vorteile für die Entwicklung des Kindes hat. Eine Studie der American Academy of Neurology hat gezeigt, dass die Einnahme von Folsäure im ersten Trimester mit verbesserten sprachlichen Fähigkeiten und Verhaltenskompetenzen bei Kindern im Alter von sechs Jahren verbunden sein kann.
Die Studie im Detail
In dieser Studie wurden 345 Kinder im Alter von sechs Jahren untersucht, darunter 262 Kinder von Müttern mit Epilepsie und 83 Kinder von Müttern ohne Epilepsie. Frauen mit Epilepsie erhalten während der Schwangerschaft oft höhere Dosen an Folsäure. Die Kinder wurden in Gruppen eingeteilt, je nachdem, wie viel Folsäure ihre Mütter während der Schwangerschaft eingenommen hatten. Anschließend wurden verschiedene Tests durchgeführt, um ihre sprachlichen Fähigkeiten und ihr Verhalten zu bewerten.
Die Ergebnisse zeigten, dass Kinder, deren Mütter Folsäure eingenommen hatten, im Durchschnitt höhere Punktzahlen bei Sprachtests (108) und Verhaltenstests (102) erzielten als Kinder, deren Mütter keine Folsäure eingenommen hatten (96 bzw. 82). Interessanterweise gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern von Müttern, die niedrige (bis 400 Mikrogramm pro Tag) oder hohe (über 400 Mikrogramm pro Tag) Dosen Folsäure eingenommen hatten.
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Bedeutung der Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass die Einnahme von Folsäure in der frühen Schwangerschaft einen positiven Einfluss auf die Gehirngesundheit des Kindes haben kann, ohne dass höhere Dosen negative Auswirkungen haben. Dies ist besonders beruhigend für Schwangere und Frauen mit Kinderwunsch, die möglicherweise eine höhere Dosis Folsäure benötigen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass weitere Studien erforderlich sind, um die optimale Folsäuredosis für maximalen Nutzen zu ermitteln.
Epilepsie und Schwangerschaft: Besondere Herausforderungen
Frauen mit Epilepsie stehen während der Schwangerschaft vor besonderen Herausforderungen. Das Risiko von Fehlbildungen ist bei Kindern von Müttern mit Epilepsie prinzipiell erhöht (Faktor 2-3). Zudem können Anfälle während der Schwangerschaft sowohl für die Mutter als auch für das Kind gefährlich sein. Es ist daher wichtig, die Anfallshäufigkeit zu kontrollieren und die Medikation sorgfältig zu planen.
Risiken und Verlauf
Der Verlauf der Anfallshäufigkeit während der Schwangerschaft ist variabel. Bei etwa 65 % der Frauen bleibt die Anfallshäufigkeit unverändert, bei etwa 15 % nimmt sie zu und bei etwa 15 % nimmt sie ab. Ein plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie (SUDEP) ist in der Schwangerschaft etwa neunmal häufiger.
Ursachen für eine Zunahme der Anfallshäufigkeit können unregelmäßige Medikamenteneinnahme, Reduktion oder Absetzen der Medikation aus Angst vor negativen Auswirkungen auf den Fötus, Spiegelveränderungen der Medikamente (insbesondere bei Lamotrigin, Levetiracetam, Oxcarbazepin und Carbamazepin), Schlafentzug sowie hormonelle und metabolische Veränderungen sein.
Planung einer Schwangerschaft
Eine sorgfältige Planung ist entscheidend, um Risiken zu minimieren. Dazu gehört die Aufklärung der Patientin über die Risiken der Medikamente und die möglichen Spiegelveränderungen im Rahmen der Schwangerschaft. Eine Prophylaxe mit Folsäure (5 mg/Tag) sollte mindestens drei Monate vor einer geplanten Schwangerschaft begonnen werden. Die Antikonvulsiva sollten in mehreren Tagesdosen (3x) verabreicht werden, um Spiegelspitzen zu vermeiden. Eine Monotherapie mit niedrigen Dosen ist, soweit möglich, anzustreben.
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Regelmäßige Spiegelbestimmungen sind wichtig, um die Medikamentendosis anzupassen. Ein Spiegel vor der Schwangerschaft sollte als Referenz dienen. Nach Eintritt der Schwangerschaft sollten monatliche Spiegelbestimmungen zur selben Uhrzeit erfolgen. Typischerweise kommt es zu einem Spiegelabfall von Lamotrigin, Levetiracetam, Oxcarbazepin, Phenytoin, Topiramat und Zonisamid, was eine Dosiserhöhung erforderlich machen kann.
Medikamentöse Therapie während der Schwangerschaft
Die Wahl des Antiepileptikums sollte sorgfältig abgewogen werden, um das Risiko für Mutter und Kind zu minimieren.
Lamotrigin: Gilt neben Levetiracetam als Medikament mit günstigen Daten. Fehlbildungen sind möglicherweise dosisabhängig. Der Medikamentenspiegel von Lamotrigin fällt in der Schwangerschaft ab, insbesondere im ersten Trimenon. Spiegelkontrollen sind in den ersten drei Monaten sinnvoll, und die Dosis sollte spiegelgesteuert angepasst werden.
Levetiracetam: Es liegen wenige Daten vor, aber die Fehlbildungsrate scheint gering zu sein und kaum von der Dosis abzuhängen. Auch hier fällt der Medikamentenspiegel in der Schwangerschaft ab, insbesondere in den ersten drei Monaten. Spiegelkontrollen und eine spiegelgesteuerte Dosisanpassung sind sinnvoll.
Oxcarbazepin: Die Fehlbildungsrate liegt bei etwa 3 %. Der Medikamentenspiegel fällt in der Schwangerschaft ab, insbesondere in den ersten drei Monaten. Spiegelkontrollen und eine spiegelgesteuerte Dosisanpassung sind sinnvoll.
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Carbamazepin: Die Fehlbildungsrate liegt bei etwa 5,5 % und ist dosisabhängig. Der Carbamazepinspiegel kann im letzten Trimenon leicht abfallen.
Valproat: Ist mit einer hohen Fehlbildungsrate von etwa 10,3 % verbunden, die ebenfalls dosisabhängig ist. Valproat sollte daher, wenn möglich, vermieden werden.
Geburt und Postpartalzeit
Die Geburt sollte in einer Klinik mit angeschlossener Kinderklinik erfolgen. Eine normale Geburt ist bei gut eingestellter Epilepsie möglich, andernfalls kann ein Kaiserschnitt erforderlich sein. Schlafentzug sollte vermieden werden.
In der Postpartalzeit ist es wichtig, Verletzungen des Kindes durch Anfälle zu vermeiden. Wickeln auf dem Boden und Kinderwagen mit automatischer Bremse können helfen.
Hormonelle Einflüsse und Epilepsie
Hormonelle Veränderungen können die Anfallshäufigkeit bei Frauen mit Epilepsie beeinflussen. Östrogene können Anfälle fördern, während Progesteron eine anfallshemmende Wirkung hat. Einige Frauen erleben eine zyklusabhängige Anfallszunahme (katameniale Anfallshäufung).
Katameniale Epilepsie
Bei der katamenialen Epilepsie kommt es zu einer Verdopplung der täglichen Anfallsfrequenz in einer bestimmten Zyklusphase an sechs aufeinanderfolgenden Monaten. Es lassen sich drei Zyklusphasen mit typischen katamenialen Anfallshäufungen abgrenzen:
- Periovulatorischer Östrogen-Peak (Tag 10 bis 13)
- Perimenstruell mit typischem Gestagenabfall am Zyklusende (Tag 3)
- Gesamte zweite Zyklushälfte bei Störung der lutealen Funktion (Tag 10 bis Tag 3 des Folgezyklus)
Ein Anfallskalender mit Dokumentation des Menstruationszyklus und der Basaltemperatur kann helfen, Klarheit zu schaffen. Therapieoptionen bei gesicherter zyklusgebundener Anfallshäufung sind zyklische Gaben von Clobazam perimenstruell.
Antiepileptika und der endokrine Stoffwechsel
Enzyminduzierende Antiepileptika wie Phenytoin, Phenobarbital und Carbamazepin können den Hormonstoffwechsel beeinflussen. Sie können zu einem Abfall von luteinisierendem Hormon und Estradiol sowie zu einem Anstieg von SHBG und Prolaktin führen.
Das Polyzystische-Ovar-Syndrom (PCOS) tritt bei Epilepsiepatientinnen häufiger auf. Eine Valproat-Therapie wird mit der Entwicklung eines PCOS in Verbindung gebracht.
Kontrazeption bei Epilepsie
Orale Kontrazeptiva (OK) und manche Antiepileptika beeinflussen sich in ihrer Wirksamkeit gegenseitig. Enzyminduzierende Antiepileptika können die Sicherheit von synthetischen kontrazeptiven Steroiden mindern. Lamotrigin senkt die Levonorgestrelspiegel.
Frauen, die enzyminduzierende Antiepileptika benötigen, sollten sich nicht auf eine hormonelle Kontrazeption verlassen, sondern eine andere Art der Verhütung (zum Beispiel Spirale) wählen und zusätzlich Kondome benutzen.
Vererbung von Epilepsie
Epilepsien sind ätiologisch heterogen und resultieren aus vielen genetischen und nicht genetischen Faktoren. Das genetische Risiko für eine Epilepsie ist nur bei sehr seltenen, monogenen Erkrankungen chromosomal definiert und genau bekannt. Die generalisierten Epilepsiesyndrome haben grundsätzlich ein etwas höheres hereditäres Risiko als die fokalen Epilepsien. Für alle Syndrome zusammen liegt das Vererbungsrisiko bei 4 bis 5 Prozent für Kinder erkrankter Mütter und bei circa 2 Prozent für Kinder erkrankter Väter. Bei mehr als 90 Prozent aller Epilepsiepatienten ist die Familienanamnese leer.
Wichtige Empfehlungen für Frauen mit Epilepsie und Kinderwunsch
- Proaktive Beratung: Alles Notwendige sollte schon vor Eintritt der Schwangerschaft besprochen werden.
- Medikamentenoptimierung: Schon vor Beginn der Schwangerschaft sollten die Medikamente optimiert werden.
- Folsäure-Prophylaxe: Rechtzeitig mit der Folsäure-Prophylaxe beginnen.
- Anpassung der Medikation: Anpassung der Epilepsie-Medikation zu Beginn der Schwangerschaft.
- Operation: Wenn eine Operation zur Behandlung der Epilepsie möglich ist (Epilepsiechirurgie), sollte diese vor einer geplanten Schwangerschaft erfolgen.
Schwangerschaftsregister
Das internationale Register für Epilepsie und Schwangerschaft (EURAP) sammelt Daten zur Sicherheit von Antiepileptika in der Schwangerschaft. Schwangerschaften sollten unbedingt im EURAP-Register gemeldet werden.
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