Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Während viele Fälle von Epilepsie auf erworbene Hirnschäden zurückzuführen sind, spielt die Genetik eine wichtige Rolle bei der Anfälligkeit für die Entwicklung dieser Erkrankung. Dieser Artikel befasst sich mit der Vererbung von Epilepsie, insbesondere mit dem mütterlichen Risiko, und beleuchtet wichtige Überlegungen für Frauen mit Epilepsie in Bezug auf Schwangerschaft, Geburt und die Gesundheit ihrer Kinder.
Genetische Grundlagen der Epilepsie
Die genetischen Ursachen der Epilepsie sind vielfältig. In seltenen Fällen wird Epilepsie durch Mutationen in einem einzigen Gen verursacht (monogene Epilepsie). Beispiele hierfür sind bestimmte Formen der Frontallappenepilepsie (ADNFLE), bei denen ein einzelner Erbfaktor für die Erkrankung nachgewiesen wurde. Allerdings sind die meisten Epilepsieformen komplexer und werden durch das Zusammenspiel mehrerer Gene (polygenetische Vererbung) und Umweltfaktoren beeinflusst.
Es gibt strukturelle, infektiöse, metabolische, genetische und immunologische Ursachen. Strukturelle Veränderungen am Gehirn entstehen beispielsweise durch Schlaganfälle oder Tumore. Infektionen des Gehirns können unter anderem durch Borreliose hervorgerufen werden. Metabolische Veränderungen, also solche, die den Stoffwechsel betreffen, stehen z. B. mit seltenen Stoffwechselerkrankungen, wie der Phenylketonurie in Verbindung. Bei den immunologischen Ursachen handelt es sich um Entzündungsvorgänge im Gehirn, z. B. wenn die eigene Körperabwehr (Immunsystem) das Hirngewebe angreift und es zu einer Hirnhautentzündung kommt. Zusätzlich gibt es sogenannte kryptogene Epilepsien, die heute schlichtweg als Epilepsie mit unbekannter Ursache bezeichnet werden.
Besonders im Kindesalter kann Epilepsie auch oft ausheilen.
Das Risiko der Vererbung
Das Risiko, dass ein Kind von einem Elternteil mit Epilepsie die Erkrankung erbt, ist im Allgemeinen gering. Wenn ein Elternteil an Epilepsie erkrankt ist, beträgt das Risiko für das Kind etwa 6 %, was sechsmal höher ist als in der Allgemeinbevölkerung. Das bedeutet aber auch, dass 94 % der Kinder keine Epilepsie entwickeln. Wenn beide Elternteile an Epilepsie erkrankt sind, liegt das Risiko für das Kind bei etwa 10 bis 12 %. Das Risiko ist im Allgemeinen höher bei generalisierten Epilepsien der Eltern als bei fokalen Epilepsien.
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Es ist wichtig zu beachten, dass diese Zahlen allgemeine Schätzungen sind und im Einzelfall durch eine Beratung in einer Epilepsieambulanz oder einer humangenetischen Beratungsstelle ergänzt werden müssen. Festzuhalten ist aber, dass Epilepsie, wenn überhaupt, nur in etwa 10 % auf die Nachkommen vererbt wird. Es bleiben also 90 % der Kinder epileptischer Eltern ohne Epilepsie. Nur die erhöhte Neigung, epileptische Anfälle zu bekommen, nicht aber die Art der Anfälle. In den meisten Fällen erkranken die Kinder vor dem Erkrankungsalter der Eltern. Das Kind einer Mutter, die im 15. Lebensjahr an Epilepsie erkrankte, wird also in der Regel vor dem 15.
Zusätzliche Faktoren
Neben der direkten Vererbung spielen auch andere Faktoren eine Rolle bei der Entwicklung von Epilepsie. Dazu gehören:
- Hirnschädigung: Eine Hirnschädigung, sei sie gering oder schwerwiegend, kann die Reizbarkeit der Nervenzellen erhöhen und das Risiko für Epilepsie erhöhen.
- Reifungsphase des Gehirns: Während der Reifungsphase des Gehirns ist das Gehirn anfälliger für die Entwicklung von Epilepsie.
- (Modifizierende) Gene: Neben den Hauptursachen der Epilepsie können auch andere Gene (modifizierende Gene) die Ausprägung der Erkrankung beeinflussen.
Epilepsie und Schwangerschaft: Besondere Überlegungen
Eine Schwangerschaft bei Epilepsie erfordert eine sorgfältige Planung und Betreuung, um die Gesundheit von Mutter und Kind zu gewährleisten. Hier sind einige wichtige Aspekte zu berücksichtigen:
Risiken und Komplikationen
- Erhöhtes Risiko für das Kind: Kinder epilepsiekranker Eltern haben ein etwas höheres Risiko, selbst an Epilepsie zu erkranken. Dies gilt insbesondere dann, wenn beide Elternteile betroffen sind.
- Teratogene Wirkung von Antiepileptika: Antiepileptische Medikamente können das sich entwickelnde Kind im Mutterleib schädigen. Diese Gefahr ist besonders hoch bei bestimmten Medikamenten oder wenn mehrere Medikamente gleichzeitig eingenommen werden.
- Schwierigkeiten bei der Versorgung des Kindes: Häufige oder schwere Anfälle der Mutter können die Versorgung eines Säuglings oder Kleinkindes erschweren oder unmöglich machen.
Planung und Beratung
- Ärztliche Beratung: Vor einer Schwangerschaft sollte eine ausführliche ärztliche Beratung durch einen Neurologen und Gynäkologen erfolgen, um die Risiken und Besonderheiten der Schwangerschaft zu besprechen.
- Genetische Beratung: Wenn die Epilepsie familiär bedingt ist oder ein Fehlbildungssyndrom vorliegt, sollte eine genetische Beratung über das Vererbungsrisiko stattfinden.
- Optimierung der Medikation: Die antiepileptische Medikation sollte bei konkretem Kinderwunsch schon vor Beginn der Schwangerschaft optimal eingestellt sein. Dies kann den Versuch beinhalten, die Medikation ganz abzusetzen, auf eine Monotherapie umzustellen oder auf ein Medikament mit einer möglichst niedrigen Fehlbildungsrate zu wechseln.
Während der Schwangerschaft
- Risikoschwangerschaft: Schwangerschaften bei Epilepsie-Patientinnen gelten als Risikoschwangerschaften, vor allem aufgrund der Gefährdung des Kindes durch die Medikamente.
- Regelmäßige Kontrollen: Neben den üblichen Schwangerschaftskontrollen sind engmaschige Kontrollen des Serumspiegels des verabreichten Antikonvulsivums und gegebenenfalls des EEGs erforderlich, insbesondere bei einer Erhöhung der Anfallsfrequenz.
- Folsäureeinnahme: Die vorbeugende Einnahme von Folsäure (2,5-5 mg/Tag) wird empfohlen, da manche Fehlbildungen auf einen Mangel an Folsäure zurückgeführt werden können, der durch bestimmte Antikonvulsiva hervorgerufen werden kann.
Geburt und Stillzeit
- Natürliche Geburt: Eine natürliche Entbindung soll angestrebt werden und ist fast immer problemlos möglich.
- Medikamenteneinnahme: Auch während der Geburtsphase sollte die Einnahme der Medikamente nicht vergessen werden.
- Stillen: Grundsätzlich wird zum Stillen geraten, obwohl alle Medikamente gegen Epilepsie auch in der Muttermilch wiederzufinden sind. Bei den meisten Medikamenten ist die Konzentration in der Muttermilch jedoch gering und führt nicht zu Nebenwirkungen beim Kind.
Umgang mit Epilepsie im Alltag
Auch nach der Entbindung gibt es einige wichtige Aspekte zu beachten, um sowohl die Gesundheit der Mutter als auch die Sicherheit des Kindes zu gewährleisten:
- Hormonelle Umstellungen: Nach der Entbindung erleben auch Epilepsie-Patientinnen hormonelle Umstellungen, die zu Stimmungsschwankungen oder Wochenbettdepressionen führen können.
- Schlafmangel: Bedingt durch ein nächtlich unruhiges Kind kann es zu Schlafstörungen kommen, die wiederum epileptische Anfälle provozieren können.
- Vorkehrungen bei Anfällen: Insbesondere bei hoher Anfallshäufigkeit sollten Vorkehrungen getroffen werden, die bei einem plötzlichen Anfall der Mutter eine Versorgung des Kindes garantieren bzw. helfen, Unfälle zu vermeiden.
Fehlbildungen durch Antiepileptika
Prinzipiell sollte zwischen großen und kleinen Fehlbildungen unterschieden werden. Zu den großen Fehlbildungen zählen die Spaltbildung im Rückenmark oder in der Wirbelsäule (offenes Neuralrohr), die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Herzfehlbildungen oder größere Fehlbildungen am Skelett. Zu den kleineren Fehlbildungen zählen kosmetische Auffälligkeiten, wie ein tiefer Ohransatz oder ein breiter Nasenrücken oder ein abstehender kleiner Finger sowie leicht korrigierbare Fehlbildungen wie z. B. eine Harnröhrenöffnung an der falschen Stelle oder ein überzähliger Finger.
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Als vereinfachte Regel kann angenommen werden, dass das Fehlbildungsrisiko bei Einnahme eines antikonvulsiven Medikamentes zwischen 4 und 7 % liegt. Bei Schwangerschaften unter Monotherapie bei 5-6 % und bei Polytherapie mit mehreren Medikamenten bei 7-8 %. Hierin sind die kleinen Fehlbildungen nicht mitgezählt. Zu beachten ist, dass das natürliche Fehlbildungsrisiko, also dasjenige von gesunden Frauen, schon bei 2-3 % liegt.
Bei manchen Medikamenten liegt ein sehr hohes Fehlbildungsrisiko vor. Hier sollte eine Beratung durch einen Epilepsie-Experten erfolgen. Manche Medikamente dürfen in der Schwangerschaft nicht angewendet werden.
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