Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Erkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft und bei Betroffenen zu vielfältigen Einschränkungen im Alltag und Berufsleben führen kann. Viele Menschen mit MS können ihrer Arbeit lange Zeit gut nachgehen, doch im späteren Verlauf der Erkrankung kann der Punkt kommen, an dem die Erwerbsfähigkeit eingeschränkt ist. In diesem Fall stellt sich die Frage nach einer Erwerbsminderungsrente. Dieser Artikel beleuchtet die Voraussetzungen für den Bezug einer Erwerbsminderungsrente bei MS und gibt wichtige Hinweise für Betroffene.
Multiple Sklerose: Eine vielschichtige Erkrankung
Multiple Sklerose ist eine entzündliche und degenerative Erkrankung des Nervensystems, die mit einem Zellverlust einhergeht. Die Symptome und der Verlauf der MS sind individuell sehr verschieden. Verschlechtern sich die Symptome plötzlich, spricht man von einem Schub. Multiple Sklerose wird auch als die "Krankheit mit den 1000 Gesichtern" bezeichnet, was ihre Vielschichtigkeit und die Schwierigkeit, die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente festzustellen, verdeutlicht.
Herausforderungen im Alltag und Beruf
MS stellt Betroffene im Alltag und Beruf vor neue Herausforderungen. Zu Beginn der Erkrankung, die schon im jüngeren Lebensalter einsetzen kann, stehen wiederholte oder längere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit. Dramatische Krankheitsverläufe, starke Einschränkungen und schwere bleibende gesundheitliche Probleme können die Berufsausübung gefährden. Nicht jeder Betroffene kann bis zum Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters am Berufsleben teilhaben.
Erwerbsminderungsrente: Eine Option für Menschen mit MS
Menschen mit chronischen Erkrankungen, wie z. B. der Multiplen Sklerose, können aus gesundheitlichen Gründen nicht immer bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersrente voll erwerbstätig bleiben. Nicht bei jedem, aber doch bei einigen Menschen mit MS kommt der Tag, an dem sie bemerken, dass die Arbeit nicht mehr so leicht von der Hand geht wie früher. Die Kraft lässt nach, die Erschöpfbarkeit wächst und der Job wird einfach zu viel.
Voraussetzungen für die Erwerbsminderungsrente
Eine Erwerbsminderungsrente hängt nicht vom Vorliegen einer bestimmten Krankheit ab. Bevor Sie eine Rente wegen Erwerbsminderung beantragen, sollten Sie zunächst prüfen, ob Sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen.
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Versicherungsrechtliche Voraussetzungen
Um Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente zu haben, müssen bestimmte versicherungsrechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehört, dass die Regelaltersgrenze für die gesetzliche Rente noch nicht erreicht ist und eine Wartezeit vorliegt. Konkret bedeutet dies, dass Sie mindestens fünf Jahre in der Rentenversicherung versichert gewesen sein müssen und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung für mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt haben müssen.
Medizinische Voraussetzungen
Ein weiteres Kriterium ist, dass Sie durch Ihre Erkrankung nur noch teilweise oder gar nicht mehr arbeiten können. Um einschätzen zu können, wie sehr die MS Ihre Leistungsfähigkeit einschränkt, wird der Rentenversicherungsträger einen Befundbericht bei Ihrem Behandlungsteam anfordern. Zusätzlich beurteilt der Sozialmedizinische Dienst Ihren Gesundheitszustand in einem Gutachten.
Der Weg zur Erwerbsminderungsrente
Vor einer Erwerbsminderungsrente durchläuft der Antragsteller im Regelfall ein medizinisches Rehaverfahren. Dort wird in speziellen Kliniken der Deutschen Rentenversicherung geprüft, ob ein weiterer beruflicher Einsatz noch möglich ist! Die Rente muss beantragt werden, ist für längstens 3 Jahre befristet und kann wiederholt verlängert werden. Unbefristet wird die Rente nur gewährt, wenn keine Verbesserung der Erwerbsminderung durch die Erkrankung mehr absehbar ist; davon ist nach 9 Jahren auszugehen (§ 102 Abs.
"Reha vor Rente"
Bei Erwerbsminderungsrenten gilt der Leitsatz „Reha kommt vor Rente“. Normalerweise fordert der Rententräger eine Rehabilitationsmaßnahme, bevor er die Erwerbsminderungsrente bewilligt. Wenn weder durch eine berufliche noch eine medizinische Rehabilitation die (teilweise) Erwerbsfähigkeit erhalten werden kann, ist bei gesetzlich Versicherten ein Antrag auf eine Erwerbsminderungsrente möglich, wenn die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht ist.
Antragstellung und Begutachtung
Erwerbsminderungsrente wird auf Antrag beim zuständigen Rentenversicherungsträger gewährt. Mithilfe verschiedener Tests ermitteln Ärztinnen oder Ärzte, wie leistungsfähig Du bist und in welcher Form Du auf dem Arbeitsmarkt tätig sein kannst. Die Gutachter benötigen dringend Aufzeichnungen über den Krankheitsverlauf und die auftretenden neurologischen Ausfälle und Begleiterscheinungen, um angemessen bewerten zu können, ob und in welchem zeitlichen Umfang die oder der Betroffene, wie es in § 43 Sozialgesetzbuch 6 (Gesetzliche Rentenversicherung) heißt, "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande" ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein".
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Arten der Erwerbsminderungsrente
Es gibt zwei Arten der Erwerbsminderungsrente: die teilweise und die volle Erwerbsminderungsrente.
Teilweise Erwerbsminderungsrente
Eine teilweise Erwerbsminderungsrente kann in Frage kommen, wenn das tägliche Leistungsvermögen nur noch 3 bis weniger als 6 Stunden, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, besteht.
Volle Erwerbsminderungsrente
Eine volle Erwerbsminderungsrente kommt in Betracht, wenn das tägliche Leistungsvermögen unter 3 Stunden, ebenfalls bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, liegt.
Arbeitsmarktrente
Theoretisch könntest Du drei Stunden, aber weniger als sechs Stunden pro Tag arbeiten und somit einer Teilzeitstelle nachgehen. Aufgrund der schlechten Beschäftigungssituation ist aber eine solche Stelle auf dem Arbeitsmarkt nicht zu finden.
Höhe und Dauer der Erwerbsminderungsrente
Die Höhe der Erwerbsminderungsrente wird individuell errechnet. Sie ist von mehreren Faktoren abhängig, z.B. Beitragszeiten, Beitragshöhe, Rentenartfaktor. Erheblichen Einfluss kann die Zurechnungszeit haben. Personen, die an Multipler Sklerose erkrankt sind und aufgrund ihrer Beschwerden in den letzten vier Jahren vor Rentenantrag bereits vermindert gearbeitet oder Sozialleistungen bezogen haben, erreichen mit der neuen Berechnungsgrundlage Vorteile. Das höhere Jahreseinkommen aus den Jahren davor dient als Grundlage.
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Eine Erwerbsminderungsrente wird immer auf Zeit gezahlt. Die Dauer der Befristung hängt von Ihrem Rententräger ab. Sie können jedoch vor Ablauf der Befristung einen Verlängerungsantrag stellen. Denken Sie daran, diesen Verlängerungsantrag rechtzeitig zu stellen. Dabei findet oft ein verkürztes Verfahren statt.
Hinzuverdienst zur Erwerbsminderungsrente
Sowohl bei teilweiser als auch bei voller Erwerbsminderung ist ein Hinzuverdienst möglich. Auch selbstständig Erwerbstätige können nach Erfüllung aller Voraussetzungen eine Erwerbsminderungsrente beantragen. Es müssen aber die gesetzlichen Stundenvorgaben eingehalten werden. Die volle Erwerbsminderungsrente wird nur dann ungekürzt ausgezahlt, wenn der Hinzuverdienst jährlich 6300€ nicht übersteigt. Es finden seit dem 01.07.2017 die neuen Regelungen für den Hinzuverdienst Anwendung. So steht es im § 96a SGB VI der auf den § 34 Sozialgesetzbuch Nr. 6 verweist. Für die teilweise Erwerbsminderungsrente werden individuelle Hinzuverdienstgrenzen errechnet. Dabei gibt es Mindestgrenzen.
Die Hinzuverdienstmöglichkeiten wurden zum 01.01.2024 erneut angehoben. Bei Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf mindestens 37.117,50 Euro jährlich, bei Rente wegen voller Erwerbsminderung auf 18.558,75 Euro.
Weitere Rentenarten
Neben der vollen Erwerbsminderungsrente könnten je nach Alter noch andere Arten der Rente infrage kommen: Für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ist neben dem maßgebenden Alter ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 erforderlich. Außerdem muss eine Mindestversicherungszeit von 35 Jahren erfüllt sein. Für die reguläre Altersrente muss das maßgebende Alter erreicht und die Mindestversicherungszeit von 5 Jahren erfüllt sein. Das Renteneintrittsalter wird seit 2012 stufenweise angepasst. Weiter gibt es die Altersrente für langjährig Versicherte, wofür 35 Versicherungsjahre notwendig sind. Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte erfordert 45 Versicherungsjahre.
Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit MS
Neben der Erwerbsminderungsrente gibt es weitere Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit MS.
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA)
Im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) gibt es vielfältige Möglichkeiten der Unterstützung. Sie können Menschen mit Behinderungen oder drohenden Behinderungen ermöglichen, weiterhin erwerbstätig zu bleiben und/oder ihre Berufschancen zu verbessern. Dazu zählen bspw. Maßnahmen zur Berufsvorbereitung, Ausbildung und Weiterbildung, betriebliche Qualifizierung, KfZ-Hilfe, technische Arbeitshilfen, Arbeitsassistenz, finanzielle Leistungen an den Arbeitgeber, Förderung einer Existenzgründung oder Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Grundsätzlich können unterschiedliche Leistungsträger zuständig sein. Insbesondere sind das bei MS-Betroffenen die Arbeitsagentur, die Rentenversicherung oder die Träger der Eingliederungshilfe.
Übergangsgeld
In der Zeit der medizinischen Rehabilitation oder bei Inanspruchnahme von LTA sind MS-Betroffene finanziell abgesichert. Wenn die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers endet, sind sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Regel durch das Übergangsgeld wirtschaftlich abgesichert. Das Übergangsgeld muss beim zuständigen Leistungsträger beantragt werden, da bei jedem Leistungsträger andere Voraussetzungen gelten. Während des Bezugs von Übergangsgeld werden weiter Sozialversicherungsbeiträge durch den Leistungsträger entrichtet.
Hilfsmittel und Heilmittel
Der Gesetzgeber definiert den Begriff „Hilfsmittel“ folgendermaßen: Sie sollen den Erfolg einer Behandlung sichern und krankheitsbedingte Einschränkungen ausgleichen. Für Menschen mit MS bedeutet dies vor allem: Erhaltung und oder Verbesserung der Selbstständigkeit und Mobilität im Alltag. „Heilmittel“ werden beschrieben als ärztlich verordnete Dienstleistungen, die einem Heilzweck dienen oder einen Heilerfolg sichern sollen. Wenn Sie also beispielsweise aufgrund Ihrer MS-Spastik Physiotherapie oder Ergotherapie in Anspruch nehmen möchten, sprechen wir von einer „Heilmittelverordnung“. Üblicherweise ist in einer Verordnung Ihrer Ärztin bzw. Ihres Arztes eine feste Anzahl an Behandlungen festgelegt.
Beratung und Unterstützung durch den Sozialverband VdK
Der Sozialverband VdK ist ein deutschlandweit operierender gemeinnütziger Verband mit Schwerpunkten in der sozialpolitischen Interessenvertretung und Sozialrechtsberatung. Seine föderale Struktur umfasst einen Bundesverband, 13 Landesverbände sowie zahlreiche Kreis- und Ortsverbände. Der VDK, oft als eine Art „Gewerkschaft im Sozialrecht“ beschrieben, bietet Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen eine Anlaufstelle, um sozialrechtliche Probleme zu klären. Die Beratung bei MS durch den VDK bietet nicht nur rechtliche Hilfe, sondern auch einen Wegweiser durch den Dschungel der sozialrechtlichen Bestimmungen.
Grad der Behinderung (GdB) und Merkzeichen
Wenn ein GdB (Grad der Behinderung) für MS festgestellt werden soll, muss ein Antrag beim zuständigen Sozialamt des Landkreises oder der kreisfreien Stadt gestellt werden. Dieser Antrag ist in der Regel mit entsprechenden Formularen versehen, die von den offiziellen Seiten heruntergeladen werden können. Das Ausfüllen gestaltet sich meist unkompliziert - im Wesentlichen wird angegeben, dass eine Gradbehinderung festgestellt werden soll, auch rückwirkend. Es ist wichtig, alle Ärztinnen anzugeben, die in den letzten Jahren behandelt haben und aktuell behandeln. Das Sozialamt wird dann um Befundberichte bitten, die nach der sogenannten Versorgungs- und Medizinverordnung bewertet werden. Für MS-Patientinnen kann die Feststellung des GdB eine besondere Herausforderung sein. Ein Urteil des Landessozialgerichts Berlin (L 13 SB 6/13 vom 23.03.2015) bietet hierbei wichtige Einblicke. Leider sind die Richtlinien zur Beurteilungen des GDB in den letzten Jahren strenger geworden. Besonders bei einem GDB von 50 erfolgt eine besondere Prüfung. Für MS-Patient*innen sind die Merkzeichen G und AG von besonderer Bedeutung. Das Merkzeichen G (eingeschränktes Gehvermögen) kann bei einer GDB von mindestens 50 für die unteren Gliedmaßen oder die Lendenwirbelsäule zuerkannt werden. Die Feststellung des GdB bei MS erfordert eine genaue Kenntnis der gesetzlichen Grundlagen und individuelle Dokumentation.
Dokumentation des Krankheitsverlaufs
Da die Multiple Sklerose in Krankheitsschüben verläuft und der Gesundheitszustand der Betroffenen mit einer insgesamt meist progredienten Tendenz Schwankungen unterliegt, ist für die Betroffenen von besonderer Wichtigkeit, den Krankheitsverlauf und die auftretenden neurologischen Ausfälle und Begleiterscheinungen sorgfältig zu dokumentieren. Es ist daher besonders in schwierigen Fällen zur Erlangung einer Rente wegen Erwerbsminderung dringend zu empfehlen, alle mit der Krankheit verbundenen Ausfallerscheinungen über Monate, ggf. über Jahre schriftlich detailliert nach Tagesdatum und -zeit festzuhalten (Tagebuch).
Fazit
Die Erwerbsminderungsrente kann für Menschen mit Multipler Sklerose eine wichtige finanzielle Absicherung darstellen, wenn die Erkrankung zu Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit führt. Es ist wichtig, sich frühzeitig über die Voraussetzungen und den Ablauf des Antragsverfahrens zu informieren und sich gegebenenfalls professionelle Unterstützung zu suchen. Eine sorgfältige Dokumentation des Krankheitsverlaufs und der Auswirkungen auf den Alltag und Beruf ist dabei von entscheidender Bedeutung.
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