Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte Krampfanfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch unkontrollierte elektrische Entladungen im Gehirn. Während viele Menschen mit Epilepsie gut mit Medikamenten behandelt werden können, gibt es eine Untergruppe, bei der die Anfälle trotz medikamentöser Therapie schwer zu kontrollieren sind (pharmakoresistente Epilepsie). Für diese Patienten kann eine spezielle Ernährungsweise, die ketogene Diät, eine vielversprechende Behandlungsoption darstellen.
Einführung in die ketogene Diät
Die ketogene Diät ist eine sehr fettreiche, kohlenhydratarme und proteinmodifizierte Diät, die seit den 1920er Jahren zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt wird. Sie wurde ursprünglich entwickelt, um die Stoffwechselveränderungen des Fastens nachzuahmen, von dem bekannt war, dass es die Anfallshäufigkeit reduziert. Durch die drastische Reduzierung der Kohlenhydratzufuhr wird der Körper gezwungen, Fett als primäre Energiequelle zu nutzen. Dieser Prozess führt zur Bildung von Ketonkörpern in der Leber, die dann vom Gehirn als alternative Energiequelle anstelle von Glukose verwendet werden. Dieser Zustand wird als Ketose bezeichnet.
Historischer Hintergrund
Bereits in der Antike empfahl Hippokrates, der „Vater der Medizin“, Patienten mit Epilepsie striktes Fasten. In den 1920er Jahren erfuhr diese Idee aufgrund mangelnder Antiepileptika eine Renaissance. Der amerikanische Arzt Conklin beispielsweise unterzog seine Patienten einer bis zu 25 Tagen anhaltenden Fastenkur und konnte bei 90 % der unter 10-Jährigen eine Heilung erzielen. Die Erfolgsrate bis zum Erwachsenenalter lag immerhin noch bei 50 %. Untersuchungen zum möglichen Wirkmechanismus des Fastens führten Wissenschaftler zum Schluss, dass die beim Fasten durch Abbau von Körperfettreserven entstehenden Ketonkörper sich positiv auf die Krankheit auswirken würden. Ausgehend von dieser Schlussfolgerung entwickelte der amerikanische Arzt Russel Wilder eine ketogene Diät, welche durch Zufuhr hoher Fettmengen die Bildung von Ketonkörpern ermöglicht, ohne dass der Patient fasten muss.
Wirkmechanismus der Ketose
Die genaue Wirkungsweise der Ketose bei Epilepsie ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass Ketonkörper eine Reihe von Mechanismen beeinflussen, die zur Reduktion von Anfällen beitragen können. Dazu gehören:
- Verbesserte Energiebereitstellung im Gehirn: Ketonkörper können eine effizientere Energiequelle für das Gehirn darstellen als Glukose, insbesondere bei bestimmten Formen der Epilepsie, bei denen die Glukoseaufnahme in den Gehirnzellen beeinträchtigt ist.
- Erhöhte GABA-Produktion: Die ketogene Diät kann die Produktion von Gamma-Aminobuttersäure (GABA) erhöhen, einem inhibitorischen Neurotransmitter, der die neuronale Erregbarkeit reduziert und somit Anfälle verhindern kann.
- Reduzierte Entzündungsreaktionen im Gehirn: Es wird angenommen, dass die ketogene Diät entzündungshemmende Eigenschaften besitzt, die dazu beitragen können, die neuronale Erregbarkeit zu reduzieren und das Gehirn vor Schäden durch Anfälle zu schützen.
- Veränderung der Darmflora: Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass die ketogene Diät die Zusammensetzung der Darmflora verändern kann, was sich positiv auf neurologische Erkrankungen wie Epilepsie auswirken könnte.
Modifikationen der ketogenen Diät
Neben der klassischen ketogenen Diät (KD) mit einem Verhältnis von Fett zu Kohlenhydraten plus Proteinen von 4:1 gibt es abgewandelte Formen, die leichter durchzuführen und schmackhafter sind, wie die modifizierte Atkins-Diät (MAD), eine Diät mit mittelkettigen Fettsäuren (MCT-Diät) und die niedrig-glykämische Index-Therapie (LGIT). Unter dem Begriff Ketogene Ernährungstherapie (KET) werden all diese Formen zusammengefasst.
Lesen Sie auch: Kosten der Tagespflege bei Demenz in Essen
- Modifizierte Atkins-Diät (MAD): Diese Diät ist weniger restriktiv als die klassische ketogene Diät und erlaubt eine höhere Kohlenhydratzufuhr (in der Regel 10-30 Gramm pro Tag). Sie ist einfacher durchzuführen, erfordert aber möglicherweise eine weniger strenge Ketose.
- MCT-Diät: Diese Diät verwendet mittelkettige Triglyceride (MCTs) als Hauptfettquelle. MCTs werden leichter in Ketonkörper umgewandelt als langkettige Triglyceride, was eine höhere Kohlenhydratzufuhr ermöglicht.
- Niedrig-glykämische Index-Therapie (LGIT): Diese Diät konzentriert sich auf Lebensmittel mit niedrigem glykämischen Index, um den Blutzuckerspiegel stabil zu halten und die Ketose zu fördern.
Anwendung der ketogenen Diät bei Epilepsie
Indikationen
Die ketogene Diät wird hauptsächlich bei Kindern mit medikamentenresistenter Epilepsie eingesetzt, insbesondere bei bestimmten Formen wie dem Lennox-Gastaut-Syndrom und dem Dravet-Syndrom. Sie kann auch bei Erwachsenen mit schwer zu behandelnder Epilepsie in Betracht gezogen werden, insbesondere wenn andere Behandlungen versagt haben oder nicht vertragen werden. Grundsätzlich kann die ketogene Ernährungstherapie aber bei allen Formen der Epilepsie als nicht-medikamentöse Behandlung in Erwägung gezogen werden. Vor allem dann, wenn es um Personen geht, die unter nicht tolerablen Nebenwirkungen der Anfallssuppressiva leiden, oder bei Personen, die besonders häufig einen Status epilepticus erleiden.
Durchführung
Die ketogene Diät sollte immer unter Aufsicht von Ärzten und qualifizierten Ernährungsberatern durchgeführt werden. Die Einleitung der Diät erfolgt in der Regel stationär in einem Krankenhaus, um eine engmaschige Überwachung und Schulung von Patienten und Angehörigen zu gewährleisten.
Vor Beginn der Diät sind folgende Schritte erforderlich:
- Detaillierte Anamnese und Untersuchung: Erfassung der Anfallshäufigkeit, -art und -schwere sowie der bisherigen medikamentösen Therapien.
- Neurologische Untersuchung: Beurteilung des neurologischen Zustands und Ausschluss anderer Ursachen für die Anfälle.
- EEG-Untersuchung: Aufzeichnung der Hirnströme, um die epileptische Aktivität zu beurteilen.
- Ernährungsberatung: Erstellung eines individuellen Ernährungsplans, der auf die Bedürfnisse und Vorlieben des Patienten zugeschnitten ist.
- Schulung von Patienten und Angehörigen: Vermittlung von Kenntnissen über die ketogene Diät, die Zubereitung von Mahlzeiten und die Überwachung von Ketonkörpern.
Während der Diät sind folgende Aspekte wichtig:
- Strikte Einhaltung des Ernährungsplans: Die vorgegebenen Nährstoffverhältnisse (Fett, Kohlenhydrate, Protein) müssen bei jeder Mahlzeit eingehalten werden.
- Regelmäßige Überwachung von Ketonkörpern: Die Ketonkörperkonzentration im Urin oder Blut sollte regelmäßig gemessen werden, um sicherzustellen, dass der Patient sich in Ketose befindet.
- Anpassung der Medikation: In einigen Fällen kann es erforderlich sein, die Dosis der Antiepileptika zu reduzieren, um unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden.
- Regelmäßige ärztliche Kontrollen: Überwachung des Wachstums, der Entwicklung und des allgemeinen Gesundheitszustands des Patienten.
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr: Um Nierensteinen vorzubeugen, sollte der Patient ausreichend trinken.
Geeignete Lebensmittel
Erlaubte Lebensmittel bei der ketogenen Diät sind:
- Fette: Pflanzliche Öle (Olivenöl, Kokosöl, MCT-Öl), Butter, Sahne, Mayonnaise (ohne Zuckerzusatz)
- Proteine: Fleisch, Fisch, Eier, Käse, Tofu
- Gemüse: Stärkearme Gemüsesorten wie Salat, Spinat, Brokkoli, Blumenkohl, Zucchini, Gurke, Tomaten, Avocado
- Nüsse und Samen: Mandeln, Walnüsse, Macadamianüsse, Chiasamen, Leinsamen (in Maßen)
Nicht erlaubt sind:
- Kohlenhydratreiche Lebensmittel: Zucker, Süßigkeiten, Brot, Nudeln, Reis, Kartoffeln, Getreideprodukte, Obst (mit hohem Zuckergehalt), Hülsenfrüchte
- Verarbeitete Lebensmittel: Fertiggerichte, Fast Food, zuckerhaltige Getränke
Mögliche Nebenwirkungen
Die ketogene Diät kann mit einigen Nebenwirkungen verbunden sein, insbesondere zu Beginn der Diät. Dazu gehören:
Lesen Sie auch: Ursachen und Symptome der CJK
- Gastrointestinale Beschwerden: Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Durchfall
- Müdigkeit
- Kopfschmerzen
- Dehydration
- Erhöhte Cholesterinwerte
- Nierensteine
- Wachstumsverzögerung (bei Kindern)
Diese Nebenwirkungen sind in der Regel vorübergehend und können durch Anpassung der Diät oder durch zusätzliche Maßnahmen wie die Einnahme von Ballaststoffen oder die Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr behandelt werden.
Erfolge und Ergebnisse
Zahlreiche Studien haben die Wirksamkeit der ketogenen Diät bei der Reduktion von Anfällen bei Patienten mit medikamentenresistenter Epilepsie gezeigt. Eine Meta-Analyse von Beobachtungsstudien ergab, dass die ketogene Diät die Anfallshäufigkeit bei Erwachsenen mit schwer behandelbarer Epilepsie signifikant reduzieren kann. In einigen Studien wurde sogar eine Anfallsfreiheit bei einem Teil der Patienten erreicht.
Eine aktualisierte Cochrane Review untersuchte die Wirksamkeit der ketogenen Diät bei schwer therapiebaren Epilepsien über einen Zeitraum von zwei bis maximal sechzehn Monaten im Vergleich zur Standardtherapie. Bei 35 % bis 56 % der Patienten unter ketogener Diät reduzierte sich die Häufigkeit der Anfälle um mindestens die Hälfte. Dagegen betrug dieser Anteil bei der Kontrollgruppe unter Standardtherapie zwischen 0 und 18 %. Ganz anfallsfrei wurden zwischen 0 % bis 15 % der Patienten unter ketogener Diät im Vergleich zu 0 % bis 9 % unter Standardtherapie. Auch zeigte eine Studie, dass sich die Lebensqualität der Teilnehmenden verbesserte.
Es ist wichtig zu beachten, dass die ketogene Diät nicht bei allen Patienten wirksam ist und dass die Ergebnisse von Patient zu Patient variieren können. Die Erfolgsrate hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. der Art der Epilepsie, dem Alter des Patienten und der Einhaltung der Diät.
Lesen Sie auch: Parkinson-Ernährung für mehr Lebensqualität