Essen und Trinken bei Demenz: DGE-Empfehlungen für eine bedarfsgerechte Ernährung

Die Zahl der Menschen mit Demenz in Deutschland steigt kontinuierlich. Aktuell sind etwa 1,8 Millionen Menschen betroffen, und Schätzungen zufolge werden es im Jahr 2050 bis zu 2,8 Millionen sein. Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die mit einer fortschreitenden Beeinträchtigung des Gedächtnisses, des Denkens und anderer Hirnleistungen einhergeht. Dies hat auch Auswirkungen auf das Ess- und Trinkverhalten der Betroffenen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) hat Empfehlungen entwickelt, um Menschen mit Demenz eine bedarfsgerechte und genussvolle Ernährung zu ermöglichen.

Was ist Demenz?

Demenz ist ein Sammelbegriff für verschiedene Erkrankungen des Gehirns, die mit einem Verlust von geistigen Fähigkeiten einhergehen. Betroffen sind vor allem das Gedächtnis, das Denkvermögen, die Sprache und die Orientierung. Nach und nach gehen körperliche und geistige Fähigkeiten verloren, wodurch Betroffene zunehmend auf Unterstützung angewiesen sind. Die Erkrankung kann sich sehr unterschiedlich äußern und entwickeln.

Auswirkungen der Demenz auf das Ess- und Trinkverhalten

Eine Demenzerkrankung kann das Ess- und Trinkverhalten der Betroffenen in vielfältiger Weise beeinflussen. Dazu gehört, dass das Gefühl für Hunger und Sättigung verloren gehen kann. Auch können Unruhe oder ein starker Bewegungsdrang auftreten, die dazu führen, dass Betroffene nicht mehr ruhig am Tisch sitzen bleiben und mehr Energie benötigen. Zudem können das Essen und Trinken vergessen oder Speisen und Getränke nicht mehr als solche erkannt werden.

Veränderte Wahrnehmung und Geschmack:

  • Visuelle und auditive Wahrnehmung: Bei einer Demenz können sich sowohl die visuelle (sehen) als auch die auditive (hören) Wahrnehmung verändern. In einigen Fällen kann die mangelnde visuelle Orientierung dazu führen, dass Lebensmittel und Getränke gar nicht mehr als solche erkannt oder Speisen als giftig betrachtet werden. Darüber hinaus können Menschen mit Demenz empfindlicher auf Geräusche reagieren bzw. sich leichter von solchen ablenken lassen.
  • Geschmacksveränderungen: Der Geschmackssinn ändert sich durch eine Demenzerkrankung häufig. Das kann dazu führen, dass die Betroffenen die Lust am Essen verlieren. Geschmacksrichtungen wie süß, salzig, sauer oder bitter können mitunter nicht richtig unterschieden werden. Gerade bei Menschen mit Demenz verändert sich der Geschmack: Oft werden süße Speisen bevorzugt.
  • Beeinträchtigtes Hunger- und Sättigungsgefühl: Oft beeinträchtigt eine Demenz das Hunger- und Sättigungsgefühl. Häufig haben die Betroffenen keinen Appetit oder essen übermäßig, ohne das Gefühl von Sättigung zu erleben. Manchmal vergessen Betroffene, dass sie bereits gegessen haben und fordern permanent Essen ein.

Soziale und kognitive Einschränkungen:

  • Veränderung sozialer Fähigkeiten: Die Veränderung sozialer Fähigkeiten bei Demenz kann das Essverhalten erheblich beeinflussen. Da Betroffene zunehmend Schwierigkeiten haben, soziale Normen zu verstehen oder Gespräche zu führen, kann das gemeinsame Essen in Gesellschaft unangenehm oder überfordernd sein.
  • Schluckstörungen: Eine Demenz kann zu einer Schluckstörung (Dysphagie) führen, da die kognitiven und motorischen Fähigkeiten, die für das sichere Schlucken erforderlich sind, beeinträchtigt werden. Besonders bei fortgeschrittener Demenz verlieren Betroffene zunehmend die Kontrolle über die Muskelkoordination und die Wahrnehmung, die nötig sind, um Nahrung und Flüssigkeit sicher durch den Rachen in die Speiseröhre zu befördern.

Erhöhter Energiebedarf:

  • Bewegungsdrang: Menschen mit Demenz haben mitunter einen erhöhten Bewegungsdrang, was den Energiebedarf immens steigern kann. Oft sind sie so beschäftigt, dass sie das Essen nicht wahrnehmen oder das Bedürfnis, sich zu bewegen, stärker ist als der Hunger. Zudem kann der Bewegungsdrang zu Ablenkungen während der Mahlzeit führen, sodass die Betroffenen die Nahrungsaufnahme unterbrechen, um sich erneut zu bewegen, was die gesamte Essenszeit verlängert und die Aufnahme von Nahrung beeinträchtigt.

Risiko für Mangelernährung und Dehydration:

Aufgrund der genannten Faktoren besteht bei Menschen mit Demenz ein erhöhtes Risiko für Mangelernährung und Austrocknung. Unter Mangelernährung wird zum einen eine ungewollte Gewichtsabnahme verstanden, die auf eine zu geringe Energiezufuhr hinweist (quantitative Mangelernährung). Zum anderen kann eine einseitige Ernährung dazu führen, dass der Körper nicht mehr ausreichend mit lebenswichtigen Nährstoffen versorgt wird, wodurch wichtige Körperfunktionen eingeschränkt sind (qualitative Mangelernährung). Flüssigkeitsmangel ist ein sehr häufiges Problem bei Menschen mit Demenz, da Betroffene manchmal vergessen zu trinken oder kein Durstgefühl mehr verspüren können.

DGE-Empfehlungen für die Ernährung bei Demenz

Die DGE empfiehlt, die Ernährung von Menschen mit Demenz individuell anzupassen und dabei folgende Aspekte zu berücksichtigen:

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1. Erstellung einer Essbiografie:

Halten Sie in einer Essbiografie fest, welche Speisen und Getränke in der Vergangenheit besonders gemocht oder aber auch abgelehnt wurden. Was schmeckt im Moment besonders gut? Gibt es Unverträglichkeiten oder Allergien? Die Essbiografie ist bei einem fortschreitendem Verlauf eine gute Hilfe für andere Personen, die Sie in der Pflege unterstützen oder vertreten. Frühere und aktuelle Essgewohnheiten können mit Hilfe einer solchen Ess- und Trinkbiografie erfasst werden und so dazu beitragen, positive Gefühle und Wohlbefinden hervorzurufen.

2. Anpassung der Speisen und Getränke:

  • Konsistenz: Mahlzeiten weicher kochen, kleiner schneiden, pürieren und andicken. Bei Schluckbeschwerden ist eine Anpassung der Konsistenz der Speisen erforderlich. Pürierte oder passierte Kost kann das Schlucken erleichtern.
  • Energiegehalt: Bei erhöhtem Energiebedarf sollten eher energiereiche Lebensmittel ausgewählt werden oder Speisen u.a. mit Sahne oder pflanzlichen Ölen angereichert werden. Sollte eine energiereiche Ernährung benötigt werden, sollten zunächst energiereiche Lebensmittel eingesetzt werden.
  • Geschmack: Die Vorliebe für süße Speisen kann auch bei herzhaften Gerichten genutzt werden, selbst wenn dabei ungewöhnliche Geschmacksrichtungen entstehen. Speisen mit vielen Kräutern zubereiten wie beispielsweise das altbekannte Bohnenkraut, Liebstöckel oder Petersilie.
  • Farbe: Farbige Speisen und Getränke werden leichter erkannt, was sich positiv auf den Verzehr auswirkt. Gegebenenfalls können Speisen auch z.B. mit Kirsch-, Trauben- oder Rote-Beete-Saft eingefärbt werden. Bei hellen Gerichten oder Komponenten, wie beispielsweise Fischfilet, Blumenkohl, Grießbrei sind farbige Teller hilfreich.

3. Gestaltung der Essumgebung:

  • Ruhige Atmosphäre: Eine ruhige, angenehme, stressfreie und einladende Umgebung fördert das Gefühl von Sicherheit und reduziert mögliche Ängste oder Verwirrung, die während des Essens auftreten können. Gerade für Demenzkranke ist eine angenehme ruhige Essatmosphäre sehr wichtig.
  • Feste Rituale: Geregelte, wohlschmeckende Mahlzeiten sorgen für Sicherheit und Ordnung und erhöhen die Lebensqualität. Dies gelingt besonders, wenn der Tagesablauf durch feste Rituale strukturiert wird. Gleichbleibende Essenszeiten, feste Sitzplätze und ggf. Tischgebete sind eine wichtige Hilfe zur Orientierung.
  • Anregung der Sinne: Die gezielte Anregung der Sinne kann dazu beitragen, den Appetit zu fördern und zum Essen und Trinken zu motivieren. Riechen: Bestimmte Gerüche können den Appetit wecken, z. B. der Duft von frischen Brötchen oder frisch gebrühtem Kaffee am Morgen, von etwas gebratenem Speck am Mittag oder von frisch gebackenem Kuchen am Nachmittag. Beachten Sie jedoch, dass Gerüche emotional oft unterschiedlich besetzt sind. Finden Sie heraus, worauf die betroffene Person besonders positiv reagiert! Schmecken: Gewürze und Kräuter sorgen für mehr Aroma im Essen. Achten Sie darauf, dass Speisen nicht zu scharf gewürzt sind und wählen Sie solche Kräuter und Gewürze, die von früher bekannt sind. Hören: Das Klappern von Geschirr und Besteck kann als Ankündigung einer Mahlzeit dienen. Auch das Benennen von Speisen („Heute gibt es…“) kann Orientierung und Sicherheit bieten. Sehen: Ein vielfältiges und farbenfrohes Gericht regt den Appetit an. Sorgen Sie dafür, dass die einzelnen Speise-Komponenten klar erkennbar sind. Dies ist v. a. bei pürierter Kost wichtig. Ebenso ist ein guter farblicher Kontrast zwischen Speise und Teller, Teller und Tischdecke/-set/-platte sowie farbige Becher oder Gläser wichtig. Eine gute Beleuchtung sorgt ebenfalls dafür, dass Mahlzeiten besser wahrgenommen werden. Fühlen: Bieten Sie Fingerfood an, wenn betroffene Bewohner*innen die Speisen lieber mit den Fingern essen. Dies ist ein besonders sinnliches Esserlebnis, das Genuss und Freude am Essen sowie das selbstständige Essen fördern kann.
  • Selbstständigkeit fördern: Unterstützung beim Essen und Trinken nur bei dem geben, was der demenzkranke Mensch nicht mehr leisten kann. Die Selbständigkeit sollte möglichst lange erhalten bleiben. Geben Sie nur dort Unterstützung wo sie gebraucht wird.

4. Spezielle Angebote:

  • Fingerfood: Fingerfood motiviert, da kein Besteck nötig ist und ohne oder wenig Hilfe gegessen werden kann. Die Konsistenz sollte dabei nicht zu bröselig, gut greifbar und mit ein bis zwei Bissen essbar sein. Kleine Imbiss-Stationen mit (hochkalorischem) Fingerfood können demenzkranke Menschen animieren, mehr zu essen. Sie sollten gut sichtbar an Gehstrecken oder in den Ruhebereichen der Menschen eingerichtet werden.
  • Eat by Walking: Essen beim Umhergehen (Eat by Walking) ermöglichen, z.B. mit Obst, Brötchen oder anderen kleinen Mahlzeiten. Das Prinzip „Eat by walking“ meint Mahlzeiten oder einzelne Lebensmittel, die mit auf den Weg gegeben werden. Das können Obst- oder Gemüsestücke, kleine Brote oder herzhafte Speisen wie Gemüse-Fleisch-Bällchen sein.
  • Kleine Mahlzeiten: Bieten Sie über den Tag verteilt mehrere kleine Mahlzeiten statt der üblichen fünf Mahlzeiten an. Große Portionen können oft überfordernd und abschreckend wirken. Kleinere Portionen hingegen werden als „gut machbar“ wahrgenommen und daher oft besser akzeptiert.
  • Getränke anbieten: Immer wieder Getränke anbieten und zum Trinken auffordern. Tee, Kaffee oder Saftschorlen sind eine willkommene Abwechslung zu Wasser. Die Getränke sollten angenehm temperiert (Achtung bei zu heißen Getränken) sowie mild im Geschmack sein und können bei Wunsch gesüßt werden.

5. Berücksichtigung individueller Vorlieben:

Bieten Sie gemäß der Essbiografie die Lieblingsspeisen und -getränke der betroffenen Person an. Dazu können auch gern gegessene Lebensmittel oder Gerichte aus der Kindheit gehören, die mit positiven Erinnerungen verbunden sind. Ermitteln Sie Vorlieben und beachten Sie diese: Nicht immer, aber häufig haben Menschen mit Demenz eine Vorliebe für süße Speisen. Beachten Sie das Lebensmittel ohne Grund abgelehnt werden können: Saure Getränke wie Orangen- oder Grapefruitsaft werden oft abgelehnt. Bleiben Sie bei der Ablehnung von Speisen kreativ und flexibel.

Tipps für die praktische Umsetzung

  • Zusammen kochen: Kochen fördert das Zusammenleben, strukturiert den Tagesablauf, liefert Gesprächsstoff und weckt Erinnerungen. Gehen Sie als Küchenteam in die Wohnbereiche und kochen Sie gelegentlich für die Bewohner*innen oder sogar mit ihnen. Auch und gerade Menschen mit Demenz unterhalten sich oftmals gerne über Essen. Sie können zudem noch bei der Zubereitung von Speisen unter-stützen, da dies häufig gut bekannte und vertraute Tätigkeiten sind.
  • Sinnesanregungen: Regen Sie die Sinne an: Die gezielte Anregung der Sinne kann dazu beitragen, den Appetit zu fördern und zum Essen und Trinken zu motivieren. Unterstützen Sie das Pflegeteam oder die Mitarbeitenden der Betreuung, in dem Sie für kleine „Sinnes-Anregungen“ Lebensmittel einplanen und anbieten.
  • Austausch mit Fachleuten: Holen Sie sich Rat bei Ernährungsberatern, Ärzten oder anderen Fachleuten, um die Ernährung optimal an die Bedürfnisse des Betroffenen anzupassen.

Angebote und Hilfestellungen

Es gibt zahlreiche Angebote und Hilfestellungen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Dazu gehören:

  • Broschüren und Ratgeber: Die DGE bietet die Broschüre „Essen und Trinken bei Demenz“ an, in der Maßnahmen zur Versorgung von dementiell Betroffenen vorgestellt werden. Die Alzheimer Gesellschaft Schleswig-Holstein e.V. hat in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Demenz in Schleswig-Holstein, der Alzheimer Gesellschaft Kiel e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. ein Kochbuch mit typischen schleswig-holsteinischen Rezepten mit Liedern, Gedichten, biografischen Bildern und hilfreichen Tipps kombiniert.
  • Podcast: Die DGE Sektion Niedersachsen bietet die Podcast-Folge „Essen vergessen?! Blickwinkel Demenz“ an, die praktische Tipps gibt, wie betreuende Personen die Verpflegung von Demenz-Betroffenen unterstützen können.
  • Kompetenzzentren Demenz: Das Kompetenzzentrum Demenz in Schleswig-Holstein ist Ansprechpartner zu allen Fragen rund um Demenz und bietet mit dem Demenzwegweiser-SH ein Portal an, auf dem schnell und übersichtlich passende Ansprechpartner*innen und Informationen in Schleswig-Holstein gefunden werden können.
  • Veranstaltungen: Es werden regelmäßig Veranstaltungen zum Thema Ernährung im Alter angeboten, die sich mit besonderen Aspekten bei Mangelernährung, sozialer Teilhabe durch gemeinsame Mahlzeiten und der Verpflegung bei Demenz beschäftigen.

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