Die Alzheimer-Krankheit, eine der häufigsten Formen von Demenz, betrifft weltweit Millionen von Menschen. Alzheimer-Patienten verlieren ihr Gedächtnis, ihre Orientierung, sie haben Sprachstörungen und sind zunehmend verwirrt. Bislang ist die Erkrankung, bei der Nervenzellen im Gehirn absterben, nicht heilbar. Doch die Forschung schreitet voran, und neue Erkenntnisse eröffnen vielversprechende Perspektiven für die Zukunft.
Schlüsselrolle von Beta-Amyloid und Fettstoffwechsel
Eine Schlüsselrolle bei Alzheimer spielt ein bestimmtes Eiweiß: das sogenannte Beta-Amyloid. Während bei Gesunden der Körper dieses Eiweiß einfach abbauen kann, kommt es bei an Alzheimer erkrankten Menschen zu Verklumpungen, die sich im Gehirn zwischen den Nervenzellen ablagern. „Dieses kleine Eiweiß Beta-Amyloid sammelt sich in Plaques im Gehirn von Patienten an. Es ist ein Schlüsselelement in der Entwicklung von Alzheimer und führt zu Neurodegeneration“, erklärt der Ernährungsexperte Professor Marcus Grimm.
Alzheimerforscher haben nun neue Anhaltspunkte für einen Zusammenhang mit der Ernährung gefunden. Den Forscherinnen und Forschern ist es gelungen, einen bislang unbekannten Ablauf im Körper nachzuweisen, der zu Alzheimer führen kann: ein Mechanismus, der mit den Prozessen im Fettstoffwechsel zusammenhängt. Sie fanden heraus, dass die Produktion des Eiweißes Beta-Amyloid die Menge von bestimmten Fetten, vor allem der sogenannten Sulfatide, beeinflusst und auch umgekehrt: dass die Menge an Sulfatiden wiederum die Menge dieses Eiweißes beeinflusst - eine folgenreiche Wechselwirkung: Der Sulfatid-Spiegel ist im Gehirn von Alzheimer-Patientinnen und -Patienten verringert und das Beta-Amyloid erhöht.
„Unsere Studie zeigt eine bisher unbekannte physiologische Funktion der Verarbeitung des Amyloid-Vorläuferproteins, des sogenannten APP, die eine wesentliche Rolle bei der Regulation des Fettstoffwechsels, insbesondere der Sulfatide im Gehirn, spielt. Sulfatide sind spezielle Fette, welche sowohl über die Nahrung aufgenommen als auch vom Körper selbst hergestellt werden können“, erläutert Marcus Grimm. „Wir konnten in Experimenten nachweisen, dass die Beta-Amyloid-Produktion die Menge an Sulfatiden beeinflusst und umgekehrt. Unseren Ergebnissen zufolge kommt es bei der Spaltung des Vorläuferproteins zu Beta-Amyloid zur Freisetzung eines weiteren Proteinfragments: des sogenannten AICD. Dieses AICD wiederum hemmt die Produktion des zentralen Enzyms Gal3st1/CST der körpereigenen Sulfatid-Synthese“, erklärt der Alzheimerforscher die komplexen Prozesse, die in den Körperzellen von Patienten ablaufen.
Einfluss von Ernährung und Lebensstil
Besonders interessant ist der Einfluss, den vor diesem Hintergrund die Ernährung und auch der Lebensstil bei der Erkrankung hat. „Faktoren wie Rauchen können die Sulfatidspiegel negativ beeinflussen, während eine ausreichende Versorgung mit Vitamin K oder der Verzehr mancher Meeresfrüchte sich positiv auswirken können. Diese Erkenntnisse eröffnen potenzielle Ansatzpunkte für präventive und therapeutische Strategien im Kampf gegen die Alzheimer-Krankheit“, sagt der Professor für Demenzprävention Tobias Hartmann. „Die Studie unterstreicht die Bedeutung eines funktionierenden Regelkreises zwischen Sulfatidhomöostase und Beta-Amyloid. Bei Alzheimer-Patienten ist dieser Regelkreis den neuen Erkenntnissen nach gestört“, sagt er.
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Aktuelle Entwicklungen in der Alzheimer-Therapie
Antikörper-Therapien
In den vergangenen Monaten gab es vielversprechende Entwicklungen, aber auch Rückschläge in der Alzheimer-Therapie. Jüngstes Beispiel ist der Wirkstoff Lecanemab. In den USA ist der Antikörper seit Anfang 2023 zugelassen - als erster Wirkstoff, der den geistigen Verfall zumindest ein wenig bremsen kann. Seit 15.04.2025 wurde von der EU-Kommission ein Medikament mit dem Antikörper Lecanemab für eine genau umrissene Gruppe von Patientinnen und Patienten mit Alzheimer im Frühstadium zugelassen. Denn Studien zufolge kann Lecanemab bei frühzeitiger Anwendung das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen. Dies ist nun das erste zugelassene neue Alzheimer-Medikament seit 2002, als ein Medikament mit dem Wirkstoff Memantine eine EU-Zulassung für die Alzheimer-Therapie erhielt.
Seit 25.09.2025 ist auch ein zweites Antikörper-basiertes Alzheimermedikament in der EU zugelassen. Es enthält den Antikörper Donanemab. Im Juli hatte es eine Zulassungsempfehlung der EMA erhalten - nach einer Überprüfung der zunächst negativen EMA-Entscheidung vom 28.03.2025. Auch dieses Medikament kann Studien zufolge bei einer Anwendung im Frühstadium der Erkrankung das Fortschreiten verlangsamen.
Grundsätzlich funktionieren beide neuen Wirkstoffe nur im Frühstadium von Alzheimer - man braucht also eine sehr gute Diagnostik. Außerdem müssen die Patientinnen und Patienten für die Infusionen in eine Klinik und die ganze Zeit engmaschig per Hirnscan überwacht werden.
Repurposing von Medikamenten
Eine spannende Richtung ist das "Repurposing", also die Umwidmung von Medikamenten. Forscherteams suchen dabei nach Wirkstoffen, die eigentlich für andere Krankheiten zugelassen sind - und vielleicht auch einen Effekt auf beginnenden Alzheimer haben. Es häufen sich vielversprechende Studien mit Diabetesmedikamenten. Gerade erst ist im British Medical Journal ein Artikel zu Gliflozinen und Alzheimer erschienen. Gliflozine sind eine bestimmte Wirkstoffklasse gegen Zuckerkrankheit. Die Daten von mehr als 200.000 Menschen mit Diabetes zeigen der Studie zufolge einen gewissen Schutzeffekt: Wer die Medikamente einnahm, hatte ein reduziertes Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Auch bei den neuen Abnehmspritzen wie Wegovy wird eine positive Wirkung vermutet. Studien dazu laufen bereits.
Impfung gegen Gürtelrose
Kürzlich gab es Schlagzeilen, dass die Impfung gegen Gürtelrose auch Alzheimer vorbeugen kann. Das ist eine wirklich spannende neue Forschung. Eine Studie im Fachmagazin Nature Medicine hat bei mehr als 100.000 Menschen untersucht, wie sich Shingrix, der neue Impfstoff gegen Gürtelrose, auf den Ausbruch von Alzheimer auswirkt. Alle Probandinnen und Probanden wurden vier bis sechs Jahre nachbeobachtet. Alzheimer wurde zwar auch bei einigen Geimpften diagnostiziert - aber im Schnitt rund ein halbes Jahr später als bei den Ungeimpften.
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Risikofaktoren und Prävention
Im Juli hat eine Kommission des Fachmagazins Lancet Psychiatry 14 Risikofaktoren für Alzheimer zusammengetragen und die These aufgestellt: Damit ließen sich rund 45 Prozent aller Fälle vermeiden. Fachleute halten diese Zahl für viel zu hoch gegriffen. Aber alle sind sich einig, dass man es zumindest ein Stück weit selbst in der Hand hat, ob und wann eine Alzheimererkrankung ausbricht. Rauchen, Übergewicht und Diabetes steigern das Risiko genauso wie hoher Blutdruck und Bewegungsmangel. Neu hinzugekommen sind auf der Risikoliste: zu hohe Werte beim LDL-Cholesterin und Sehverlust. Schlechtes Sehen scheint genauso wie schlechtes Hören den Ausbruch von Alzheimer zu beschleunigen.
Unabhängig von neuen Antikörper-Medikamenten setzt Thorsten Bartsch auf Prävention durch eine Veränderung des Lebensstils. Auch andere Risikofaktoren für eine Demenz sind beeinflussbar: Diabetes und Übergewicht lassen sich ebenso behandeln wie Bluthochdruck und ein erhöhter Cholesterinspiegel. Hörgeräte sorgen für soziale Teilhabe - auch das ein wichtiger Faktor, um die grauen Zellen fit zu halten. Darüber hinaus gibt es eine weitere Möglichkeit, das Risiko für eine Demenz zu reduzieren: Die Impfung gegen Gürtelrose-Viren.
Forschungsschwerpunkte für die Zukunft
Die Demenzforschung betrachtet heute viele verschiedene Mechanismen und verfolgt unterschiedliche Ansätze - von der Diagnostik bis zur Therapie. Zu den wichtigsten Schwerpunkten gehören:
- Früherkennung: Alzheimer und andere Demenzerkrankungen beginnen oft viele Jahre, bevor erste Symptome auftreten. Neue Bluttests, bildgebende Verfahren und digitale Methoden sollen es ermöglichen, die Krankheiten deutlich früher und zuverlässiger zu erkennen.
- Antikörper-Medikamente: Mit den Antikörpern Leqembi und Kisunla gibt es erstmals Medikamente, die den Verlauf von Alzheimer verlangsamen können. Sie richten sich an Menschen in einem frühen Krankheitsstadium und greifen gezielt in die Prozesse im Gehirn ein.
- Krankheitsmechanismen verstehen: Was genau passiert im Gehirn von Menschen mit Alzheimer? Forschende untersuchen zentrale Prozesse wie die Ablagerung der Proteine Amyloid-beta und Tau, entzündliche Vorgänge, die Bedeutung von Umwelteinflüssen und genetische Aspekte.
- Vorbeugung von Demenzerkrankungen: Rund 45 Prozent aller Demenzerkrankungen ließen sich nach aktuellem Stand der Wissenschaft durch die Reduktion bestimmter Risikofaktoren verzögern oder sogar verhindern.
- Pflege und Lebensqualität: Neben der medizinischen Forschung rückt auch der Alltag von Menschen mit Demenz in den Mittelpunkt. Studien befassen sich damit, wie die Versorgung individueller, die Belastung für Angehörige geringer und die Selbstständigkeit der Erkrankten länger erhalten werden kann.
Hoffnung und Ausblick
Noch gibt es keine Heilung für Alzheimer, aber die Forschung entwickelt sich rasant. Erste Medikamente greifen gezielt in den Krankheitsverlauf ein, und Therapien können das Leben von Menschen mit Demenz bereits heute spürbar verbessern, indem sie den Alltag erleichtern, Fähigkeiten länger erhalten und die Lebensqualität steigern. Forschende weltweit arbeiten daran, Alzheimer eines Tages zu stoppen oder zu heilen und dadurch das Leben künftiger Generationen entscheidend zu verändern.
Die vielen Fehlschläge in der Vergangenheit haben möglicherweise zum Teil damit zu tun, dass in die Studien auch Patient:innen einbezogen wurden, die an anderen Demenzformen litten und nur Alzheimer-hafte Symptome aufwiesen - was aber nicht bemerkt wurde. Das National Institute on Aging and Alzheimer's Association Research Framework empfiehlt deshalb, bei klinischen Studien nur noch mit Patient:innen zu arbeiten, die die für Alzheimer charakteristischen Gehirnveränderungen aufweisen; die dafür anzuwendende biologische (statt Symptom-bezogene) Alzheimer-Definition hat das Research Framework 2018 in der Zeitschrift Alzheimer's & Dementia veröffentlicht.
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Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Alzheimer auftretenden Plaques zwischen den Nervenzellen wesentlich zum Absterben von Nervenzellen beitragen. Deshalb setzen viele Arzneimittel-Kandidaten an der Substanz an, aus der sie bestehen: dem Beta-Amyloid-Protein. Ein Typ dieser Medikamente enthält gentechnisch hergestellte Antikörper, die sich an das Beta-Amyloid-Protein oder Vorstufen davon heften. Das Immunsystem baut dann das so markierte Protein ab, wodurch der Raum zwischen den Nervenzellen gereinigt wird. Dieser Ansatz wird auch „passive Immunisierung gegen Alzheimer“ genannt.
Forschungsprojekte des DZNE
Die Alzheimer Forschung Initiative (AFI) fördert vier Forschungsprojekte des DZNE mit insgesamt fast 600.000 Euro. Diese Projekte befassen sich mit verschiedenen Aspekten der Alzheimer-Forschung, darunter:
- Die Rolle von TREM2, einem Eiweiß-Molekül auf der Oberfläche der Immunzellen des Gehirns.
- Eine Gentherapie zur Prävention sporadischer Alzheimer-Erkrankungen.
- Die Aufklärung genetischer Risikofaktoren für die Frontotemporale Demenz (FTD).
- Die Entwicklung eines Bluttests zur Vorhersage des Alzheimer-Risikos.
Unterstützung der Forschung durch die Deutsche Alzheimer Gesellschaft
Zu den satzungsgemäßen Aufgaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) gehört auch die Unterstützung der wissenschaftlichen Forschung. Die DAlzG unterstützt deshalb regelmäßig Forschungsvorhaben im Bereich Demenz. Die DAlzG schreibt alle zwei Jahre eine Forschungsförderung im Bereich der Versorgungsforschung aus. Die nächste Förderung wird Anfang 2026 ausgeschrieben. Die DAlzG unterstützt Forschungsprojekte auch praktisch, beispielsweise indem sie ihr Expertenwissen in Projektbeiräten zur Verfügung stellt.