Die Alzheimer-Krankheit, die häufigste Form der Demenz, stellt eine der größten medizinischen Herausforderungen unserer Zeit dar. Angesichts der begrenzten Wirksamkeit verfügbarer Medikamente rücken neue, nicht-invasive Verfahren wie die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) zunehmend in den Fokus. Die TPS wird als eine vielversprechende neue Methode zur Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz, Morbus Parkinson, Depression und Long-COVID beworben.
Grundlagen der Transkraniellen Pulsstimulation
Die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) ist eine nicht-invasive Methode zur Hirnstimulation, bei der kurze, präzise Stoßwellen durch die Kopfhaut in das Gehirn geleitet werden. Die Methode wurde von Prof. Dr. Roland Beisteiner an der Universitätsklinik für Neurologie in Wien in Zusammenarbeit mit dem Medizintechnikhersteller Storz Medical entwickelt. Das verwendete Gerät, der NEUROLITH®, ist seit 2018 CE-zugelassen für die Behandlung von Patienten mit Symptomen der Alzheimer-Demenz.
Die TPS basiert auf der Stoßwellentechnologie, mit der es möglich ist, gezielt verschiedene Regionen des Gehirns anzusprechen, Nervenzellen zu reanimieren und zur Aktivität anzuregen. Die Behandlung erfolgt ambulant und erfordert weder Medikamente noch chirurgische Eingriffe. Auch eine Rasur des Kopfes ist nicht nötig. Die TPS wird derzeit bei Morbus Parkinson, Depression und Long-COVID noch als sogenannte „Off-Label-Therapie“ angesehen, da für Parkinson bisher keine spezifische Zulassung beantragt wurde.
Wirkungsweise der TPS
Ziel der TPS-Behandlung ist es, Hirnareale und Nervenzellen zu stimulieren und zu vermehrter Aktivität anzuregen. Dazu werden die Stoßwellen auf die von der neurodegenerativen Erkrankung betroffenen Hirnareale „stimuliert“. Je nach Ziel und Anwendungsgebiet lassen sich unterschiedliche Frequenzen und Intensitäten einstellen, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Die Pulse werden kontrolliert nicht-invasiv durch Kopfhaut und Schädeldecke in die typischerweise betroffenen Gehirnregionen des Patienten geleitet.
Am Zielort setzt die Stoßwelle ihre physikalische Energie in lokal begrenzten Gewebebereichen frei, was die Mechanotransduktion anregt. Sie sorgt ebenso für die Freisetzung von Stickoxid (NO) und stimuliert den VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor). Die Verbesserung der Durchblutung, die Regeneration der Nerven und die Bildung neuer Blutgefäße (Neoangiogenese) sind die Folge, was letztlich zu einer höheren Leistungsfähigkeit des Gehirns führt.
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Studienergebnisse zur Wirksamkeit bei Alzheimer
Eine randomisierte, doppelt verblindete Crossover-Studie aus dem Jahr 2025 untersuchte die Wirksamkeit von TPS bei 60 Patienten mit klinisch diagnostizierter Alzheimer-Erkrankung im Alter zwischen 51 und 82 Jahren. Die Studie wurde unter anderem von der Firma Storz Medical AG finanziert. Die Behandlung umfasste entweder sechs Sitzungen mit transkranieller Stimulation frontoparietaler Hirnregionen innerhalb von zwei Wochen oder eine Scheinstimulation. Nach einer viermonatigen Washout-Periode wurde die jeweils andere Behandlung appliziert.
Der primäre Endpunkt der Studie, der korrigierte Gesamtwert nach dem Consortium to Establish a Registry for Alzheimers Disease (CERAD), zeigte über drei Monate nach der Stimulation einen signifikanten Anstieg (Besserung des CERAD) über die Zeit. Es konnte bezogen auf die Gesamtpopulation aber keine signifikante Interaktion zwischen Sitzung (die verschiedenen Messzeitpunkte vor und nach Intervention) und Intervention (TPS vs. Scheinstimulation) gezeigt werden, sodass ein Wirksamkeitsnachweis von TPS für den primären Endpunkt deutlich verfehlt wurde.
Post-hoc-Analysen der Altersuntergruppen
Die beiden Therapiegruppen unterschieden sich signifikant im Alter. Die Gruppe, die zuerst TPS erhielt, war jünger. Das veranlasste die Autor:innen zu nicht geplanten Sekundäranalysen. Es zeigte sich eine signifikante Interaktion, wenn zusätzlich zu Sitzung und Intervention noch das Alter (< 70 Jahre vs. > 70 Jahre) als Variable eingeführt wurde. Spezifisch für die Gruppe der Patient:innen, die jünger als 70 Jahre waren, wurde eine signifikante Interaktion zwischen Zeit und Intervention gefunden, mit einer Verbesserung der kognitiven Leistung ausschließlich nach echter TPS, nicht nach Scheinstimulation. Dieser Effekt war in der Gruppe der Patient:innen, die älter als 70 Jahre waren, nicht nachweisbar. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die beobachteten Effekte allein durch Lerneffekte (bei in kurzen Intervallen wiederholter Testung des CERAD) erklären lassen, die bei der Gruppe < 70 Jahre stärker ausgeprägt waren als bei der Gruppe > 70 Jahre.
Zudem zeigt die Studie eine große Gruppe von „Non-Respondern“, insbesondere in der Gruppe, die zuerst die Scheinstimulation und dann TPS erhielt. Möglicherweise könnte TPS also jüngeren Menschen mit Alzheimer helfen, aber unspezifische Effekte sind nicht ausgeschlossen. Die Autor:innen resümieren selbst: „Based on our data and given the large interindividual variability, we suggest sample sizes exceeding 100 participants and longer follow-up periods to optimize future therapeutic research“ (1).
Langzeitdaten
Eine Studie von Prof. Dr. Lars Wojtecki und Dr. Celine Cont-Richter (Universitätsklinikum Düsseldorf / Krankenhaus zum Heiligen Geist, Kempen) lieferte erstmals Langzeitdaten, die die Frage beantworten können: Können die positiven Effekte von TPS auch über ein ganzes Jahr hinweg anhalten?
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In die Untersuchung eingeschlossen waren zehn Patientinnen und Patienten mit einer leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz. Sie erhielten zu Beginn ein kompaktes Behandlungsprogramm mit sechs Sitzungen innerhalb von zwei Wochen, das den Grundstein für die weitere Therapie legte. Begleitet wurde die Behandlung von einer sorgfältigen Testbatterie: Mit ADAS, MMSE und MoCA, drei international anerkannten Verfahren, wurde die kognitive Leistungsfähigkeit regelmäßig überprüft. Der Beobachtungszeitraum erstreckte sich über zwölf Monate - lang genug, um die Frage zu beantworten, ob die anfangs beobachteten Verbesserungen tatsächlich Bestand haben.
Bereits nach den ersten sechs Sitzungen zeigten die Patienten signifikante Verbesserungen in Gedächtnisleistungen und Sprachfähigkeiten. Neben den kognitiven Funktionen besserten sich auch depressive Symptome. Die größten Fortschritte gab es in den Bereichen Gedächtnis und Sprache - exakt jene Funktionen, deren Hirnregionen am intensivsten stimuliert wurden.
Kritik und Bewertung der DGKN
Trotz dieser interessanten Ergebnisse gibt es zahlreiche Kritiker, darunter die Selbsthilfeorganisation Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. und Forschende verschiedener Universitäten, die an der Aussagekraft der Studien und an der (Langzeit-)Wirkung der neuen Therapie zweifeln. Auch die DGKN sieht die neue Methode auf Basis der aktuellen Datenlage unverändert kritisch.
Prof. Ziemann fasst das Fazit und die Bewertung der DGKN wie folgt zusammen: „Sieht man sich die publizierten Studien im Detail an, so gibt es derzeit keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit der neuen Methode. Für einen Wirksamkeitsnachweis der neuen Therapie sind mittels Scheinstimulation kontrollierte, randomisierte verblindete Studien mit höherer Patientenzahl, Parallelgruppendesign und längerer Nachbeobachtungszeit erforderlich. Die erste 2025 publizierte Studie (1) geht hierin den richtigen Weg, die Ergebnisse zeigen gute Verträglichkeit aber keinen Wirksamkeitsnachweis für den primären Studienendpunkt und Einschränkungen in der Beurteilbarkeit der durchgeführten Sekundäranalysen.“
Sicherheit und Nebenwirkungen
Die TPS-Technologie gilt als sicher. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten treten keine Nebenwirkungen auf. Gelegentlich kann es, vor allem in den Stunden nach der Behandlung, zu Kopfschmerzen oder Unbehagen an der Stimulationsstelle kommen. Die Beschwerden vergehen jedoch schnell wieder. Da es sich um eine noch recht junge medizinische Methode handelt, ist allerdings auch die Erforschung von Langzeitwirkungen noch nicht abgeschlossen und derzeit Gegenstand weiterer Forschung. Bisher vorliegende Studien und Zwischenergebnisse geben jedoch keinerlei Anlass dazu, negative Auswirkungen zu befürchten.
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Ablauf einer TPS-Behandlung
Der Patient sitzt in einem bequemen Behandlungsstuhl. Er trägt eine Brille mit Erkennungslinsen, die als Fixpunkt für die räumliche Erfassung des Systems dient. An seinem Hinterkopf wird das TPS-Handstück angesetzt. Die Steuerung sowie die Kommunikation mit der Visualisierungssoftware erfolgt über eine 3D-Kamera. Diese zeichnet jede Bewegung auf und stellt die aktuell im Zielbereich liegende Hirnregion auf einem Monitor anhand vorhandener MRT-Daten dar. Einer der größten Vorteile ist die Tatsache, dass keinerlei Medikamente oder gar chirurgische Eingriffe erforderlich sind. Auch eine Rasur des Kopfes ist nicht nötig. Zudem sind alle Behandlungen ambulant möglich.
Kosten und Kostenübernahme
Die Kosten für die Erstbehandlung betragen circa € 1500,00. Die gesetzlichen Krankenkassen tragen die Kosten für eine TPS-Behandlung momentan leider noch nicht. Erste private Kassen haben sie allerdings bereits in ihr Leistungsspektrum aufgenommen.
Fazit
Die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) ist eine vielversprechende, nicht-invasive Methode zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit. Obwohl einige Studien positive Ergebnisse zeigen, insbesondere bei jüngeren Patienten, ist die Evidenzlage noch nicht ausreichend, um die Methode als Standardtherapie zu empfehlen. Es bedarf weiterer, größerer und methodisch strengerer Studien mit längeren Nachbeobachtungszeiten, um die Wirksamkeit und langfristigen Auswirkungen der TPS bei Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen abschließend zu beurteilen. Bis dahin sollten Patienten und Angehörige sich bewusst sein, dass die Behandlung möglicherweise keine Besserung bringt.
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