Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft. Sie führt zu Nervenschäden und Narbenbildung, was die Diagnose erschwert, da die Symptome denen vieler anderer Krankheiten ähneln. Die Früherkennung ist entscheidend, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.
Die Schwierigkeit der MS-Diagnose
Das Gehirn und Rückenmark sind von Nerven durchzogen, die elektrische Signale schnell an alle Körperbereiche senden und so Gehen, Sprechen, Sehen und Schlucken ermöglichen. Bei MS greift das Immunsystem fälschlicherweise das Myelin an, was zu Vernarbung (Sklerose) und Unterbrechung der Signalübertragung führt. Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, da eine frühe Therapie die Symptome besser kontrollieren kann, auch wenn die Krankheit derzeit nicht heilbar ist.
Frühwarnzeichen der Multiplen Sklerose
Die Symptome der Multiplen Sklerose können von Person zu Person variieren. Es gibt keinen spezifischen Test, der MS einfach nachweisen kann. Die Diagnose erfordert eine umfassende Untersuchung verschiedener Faktoren und Diagnostiken. Da MS das Nervensystem beeinträchtigt, können Nervenschäden auftreten.
Häufige Frühsymptome sind:
- Sehstörungen: Verschwommenes Sehen, Sehverlust, Schmerzen bei Augenbewegungen (Optikusneuritis), Doppelbilder. Die Sehstörungen werden durch eine Entzündung des Sehnervs (Optikusneuritis) verursacht. Betroffene sehen verschwommen, als würde ein nebeliger Schleier über allem liegen. Zu Beginn der MS sind die Symptome einseitig. Die Sehstörung betrifft am Anfang nur ein Auge.
- Motorische Störungen: Unsicherheit beim Gehen, krampfartige Lähmungen, Koordinationsschwierigkeiten. Auch Krämpfe in den Händen gehören zu den ersten Anzeichen.
- Gefühlsstörungen: Kribbeln oder Taubheitsgefühle in einzelnen Hautarealen, meist an Armen oder Beinen. Bei den Gefühlsstörungen werden einzelne Hautareale als kribbelnd oder taub empfunden. Sie treten an Armen oder Beinen (Extremitäten) auf. Zu Beginn der MS sind die Symptome einseitig. Auch die Motorik und Sensibilität der Extremitäten sind nur auf einer Seite zu finden.
- Müdigkeit (Fatigue): Erhebliche anhaltende Schwäche und schnelle Erschöpfbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, „Unausgeschlafenheit“. Erste Multiple-Sklerose-Anzeichen sind außerdem Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und eine Art „Unausgeschlafenheit“. Diese Symptome kennzeichnen die sogenannte Fatigue.
- Gleichgewichtsprobleme und Schwindel: Unsicherer Gang, Schwindelgefühl. Gleichgewichtsprobleme sind bei verschiedenen Erkrankungen, einschließlich Multipler Sklerose, häufig.
- Blasenfunktionsstörungen: Häufiges Wasserlassen, Harndrang, Inkontinenz. Etwa 80 % der an Multipler Sklerose erkrankten Menschen leiden unter Blasenfunktionsstörungen.
- Psychische Symptome: Schwere Depressionen, Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit. Schwere Depressionen, Stimmungs-Schwankungen oder Reizbarkeit sind häufige Symptome bei Menschen, die an Multipler Sklerose erkrankt sind.
Weitere Symptome
Neben den Frühsymptomen gibt es weitere typische und seltene Symptome, die im Verlauf der MS auftreten können:
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- Typische Symptome:
- Muskelschmerzen
- Krampfartige, schmerzhafte Lähmungen (Spastiken), vor allem an den Beinen
- Muskelschwund, der nicht durch die MS entsteht, sondern eine Folge der eingeschränkten Beweglichkeit ist, die von Multiple Sklerose ausgelöst wird
- Störung der Koordination von Bewegungen (Ataxien), Unsicherheit beim Greifen oder Gangstörungen
- Störungen der Blasen- und/oder Darm-Entleerung (z. B. Harninkontinenz, Harnverhalt, Verstopfung)
- Sprachstörungen, „verwaschene“ Sprache
- Schluckstörungen
- Unwillkürliches, rhythmisches Zittern (Tremor) von Körperteilen bei zielgerichteten, bewussten Bewegungen (Intentionstremor), z.B. Zittern der Hände beim Greifen nach einem Glas
- Unwillkürliches, rhythmisches Augenzittern (Nystagmus)
- Kognitive Störungen wie verminderte Aufmerksamkeit, Konzentrationsprobleme, beeinträchtigtes Kurzzeitgedächtnis
- Sexuelle Funktionsstörungen wie Ejakulationsprobleme und Impotenz bei Männern, Orgasmusprobleme bei Frauen, nachlassende sexuelle Lust (Libidoverlust) bei allen Geschlechtern
- Schmerzen, z.B. Kopfschmerzen, Nervenschmerzen (etwa in Form von Trigeminusneuralgie), Rückenschmerzen, Muskelschmerzen (Schmerzen in den Oberschenkeln und Schmerzen in den Füßen gehören beispielsweise dazu)
- Schwindel
- Seltene Symptome:
- Demenz
- Inkontinenz (Stuhl- oder Urininkontinenz)
- Atem- und Schluckbeschwerden (meist erst bei fortgeschrittener Erkrankung)
- Haarausfall (eher eine Folge von Stress oder Medikamenten)
- Persönlichkeits- und Wesensveränderungen (erst im späteren Krankheitsverlauf)
Psychische Auswirkungen
Multiple Sklerose kann auch psychische Symptome verursachen:
- Depressionen
- Angststörungen
- Müdigkeit und Erschöpfung
- Schlafstörungen
- Kognitive Beeinträchtigungen
- Wesensveränderungen (selten)
MS-Schübe erkennen
Die MS-Symptome treten bei den meisten Menschen in Schüben auf. Ein MS-Schub ist definiert als das Auftreten neuer oder die Reaktivierung bereits früher aufgetretener neurologischer Funktionsstörungen.
Die Kriterien für einen Schub sind:
- Die Störungen halten mindestens 24 Stunden an.
- Sie sind mindestens 30 Tage nach Beginn des letzten Schubes aufgetreten.
- Die Symptome wurden nicht durch eine Veränderung der Körper-Temperatur (Uhthoff-Phänomen), eine Infektion oder andere physische oder organische Ursachen hervorgerufen.
Diagnose und Abklärung
Es ist wichtig zu beachten, dass das Auftreten der genannten Symptome nicht zwangsläufig auf MS hindeutet. Eine gründliche Diagnose ist unerlässlich.
Diagnostische Verfahren umfassen:
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- MRT-Untersuchung: Darstellung von Veränderungen im zentralen Nervensystem. Eine MRT-Untersuchung des Gehirns und der Wirbelsäule ist ein wichtiger Check-Baustein, um mögliche Veränderungen im zentralen Nervensystem aufzuzeigen.
- Lumbalpunktion: Untersuchung der Liquorflüssigkeit auf Entzündungszellen und Eiweißkörper. Neben einer MRT-Untersuchung sind noch weitere Verfahren erforderlich, wie die Lumbalpunktion zur Untersuchung der Liquorflüssigkeit.
- Eingehende Untersuchung des Sehvermögens: Bei Verdacht auf Sehnerventzündung. In bestimmten Fällen ist eine eingehendere Untersuchung des Sehvermögens ebenfalls erforderlich.
- Neurologische Untersuchung: Prüfung von Bewegungsapparat, Koordination, Gleichgewicht und Sinnesorganen. Klassischerweise folgt dann eine neurologische Untersuchung von Bewegungsapparat, Koordination, Gleichgewicht und Sinnesorganen.
MS im Kindesalter
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die durch Demyelinisierung und neurologische Funktionsstörungen gekennzeichnet ist. Während MS typischerweise bei jungen Erwachsenen diagnostiziert wird, tritt sie in seltenen Fällen auch im Kindesalter auf - bis zu 10 % der MS-Diagnosen betreffen Patienten unter 18 Jahren. Die Früherkennung der Multiplen Sklerose bei Kindern ist eine große Herausforderung, da die Symptome häufig unspezifisch sind und sich mit anderen Erkrankungen überschneiden.
Prodromalphase bei Kindern
Ein wachsender Forschungszweig deutet auf die Existenz einer Prodromalphase hin, in der unspezifische Symptome Jahre vor der eigentlichen Diagnose auftreten. Während diese Phase bei erwachsenen MS-Patienten gut dokumentiert ist, fehlen bislang systematische Untersuchungen zu frühen Anzeichen bei pädiatrischen Patienten. Neue Forschungsergebnisse aus Deutschland und Kanada füllen diese Wissenslücke und liefern wertvolle Hinweise auf frühe Symptome und potenzielle diagnostische Marker.
Eine Studie untersuchte retrospektiv die Krankheitsgeschichte von 1.091 Kindern und Jugendlichen mit MS sowie von zwei Kontrollgruppen: 10.910 alters- und geschlechtsangepassten Patienten ohne MS und 1.068 Patienten mit juveniler idiopathischer Arthritis (JIA), einer weiteren immunvermittelten Erkrankung. Ziel war es, Erkrankungen und Symptome zu identifizieren, die in den fünf Jahren vor der MS-Diagnose häufiger vorkamen.
Häufige Symptome vor MS-Diagnose bei Kindern
Die Studie identifizierte neun ICD-10-Codes, die in der Krankheitsgeschichte von Kindern mit MS signifikant häufiger auftraten als bei den Kontrollgruppen:
- Adipositas (OR: 1,70)
- Refraktions- und Akkommodationsstörungen des Auges (OR: 1,26)
- Sehstörungen (OR: 1,31)
- Gastritis und Duodenitis (OR: 1,35)
- Erkrankungen der Patella (OR: 1,47)
- Herzrhythmusstörungen (OR: 1,94)
- Flatulenz (OR: 1,43)
- Hautsensibilitätsstörungen (OR: 12,93)
- Schwindel und Benommenheit (OR: 1,52)
Von diesen Diagnosen traten vier auch im Vergleich zur JIA-Kontrollgruppe signifikant häufiger auf: Adipositas, Refraktions- und Akkommodationsstörungen des Auges, Sehstörungen und Hautsensibilitätsstörungen. Letztere hatten mit einer Odds Ratio von 27,70 eine besonders hohe Assoziation.
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Bedeutung der Prodromalphase für die Frühdiagnose bei Kindern
Die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass unspezifische Symptome wie Sehstörungen, Schwindel oder Adipositas wichtige Hinweise auf die Entwicklung von MS im Kindesalter liefern können. Die deutliche Häufung von Hautsensibilitätsstörungen, die oft als neurologisches Frühzeichen interpretiert werden, unterstreicht die Bedeutung einer genauen klinischen Abklärung solcher Beschwerden.
Die Studie wirft außerdem die Frage auf, inwiefern Adipositas als unabhängiger Risikofaktor für MS angesehen werden kann. Diese Erkenntnis eröffnet neue Perspektiven für die zukünftige Forschung, insbesondere zur Pathogenese und Prävention von MS bei Kindern.
Konsequenzen für Forschung und klinische Praxis bei Kindern
Die Identifikation einer Prodromalphase bei pädiatrischer MS eröffnet vielfältige Chancen für die medizinische Praxis:
- Früherkennung: Ärzte könnten bei Kindern mit unspezifischen Symptomen wie Sehstörungen oder neurologischen Beschwerden früher an MS denken und gezielte diagnostische Schritte einleiten.
- Prävention: Erkenntnisse zu Risikofaktoren wie Adipositas lassen sich in Präventionsprogramme integrieren, um das Erkrankungsrisiko zu minimieren.
- Therapeutische Strategien: Ein besseres Verständnis der frühen Symptome schafft die Möglichkeit, durch rechtzeitige Intervention den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.
Um die praktischen Anwendungen dieser Erkenntnisse zu verbessern, sind weitere Studien erforderlich. Zukünftige Forschung sollte die Ergebnisse validieren und die Mechanismen der Prodromalphase genauer untersuchen.
Rolle der CD8-T-Zellen
Ein Team um Privatdozentin Lisa Ann Gerdes (Institut für Klinische Neuroimmunologie am LMU Klinikum, Biomedizinisches Centrum und Exzellenzcluster SyNergy) hat nun eineiige - also genetisch identische - Zwillingspaare untersucht und konnte nachweisen, dass bestimmte Immunzellen - sogenannte CD8-T-Zellen - bereits in frühen Stadien der Krankheit eine Rolle spielen.
Von CD8-T-Zellen ist bekannt, dass sie in Entzündungsherden im Gehirn von MS-Patienten und -Patientinnen vorkommen. Bisher war aber unklar, welche Rolle sie für die Erkrankung spielen: Sind sie Folgeerscheinung oder Auslöser, und was aktiviert sie für den Sprung aus dem Blut ins Zentrale Nervensystem? Diese Fragen haben die Forschenden nun mithilfe einer einzigartigen Patientenkohorte untersucht: Sie verglichen die CD8-T-Zellen von eineiigen Zwillingspaaren, bei denen ein Zwilling an MS erkrankt ist, während der andere keine klinischen Symptome zeigt.
Zwillingskohorte ermöglicht Analyse von Hochrisikopatienten
Bei MS spielen sowohl genetische als auch Umweltfaktoren eine wichtige Rolle. Deshalb stellen eineiige Zwillinge, bei denen diese Faktoren weitgehend gleich sind, eine wertvolle Vergleichsgruppe dar. Da der gesunde Zwilling ein bis zu 25% erhöhtes Risiko trägt, ebenfalls an MS zu erkranken, lassen sich insbesondere Frühstadien der MS mit dieser Patientenkohorte besser erforschen. „Sie bietet eine einzigartige Möglichkeit, Hochrisikopatienten zu untersuchen, bevor sich die Erkrankung bemerkbar macht“, sagt Vladyslav Kavaka, der Erstautor der Publikation.
Die Forschenden analysierten CD8-T-Zellen aus Blut- und Nervenwasserproben der Zwillingspaare mithilfe innovativer Methoden wie der Kombination von Einzelzell-RNA-Sequenzierung und T-Zell-Rezeptor-Analysen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass bei MS-Patienten und Personen mit frühen Anzeichen der Erkrankung CD8-T-Zellen mit denselben spezifischen Veränderungen vorkommen: Die Zellen wiesen eine erhöhte Wanderungsfähigkeit auf, waren entzündungsfördernd und stark aktiviert. „Diese Eigenschaften zeigen, dass diese CD8-T-Zellen im Blut migratorisch sind und sich sozusagen schon auf den Weg ins zentrale Nervensystem machen, wo wir dieselben Zellen wiederfinden“, erklärt Dr. Eduardo Beltrán, einer der leitenden Autoren. Auch im Gehirngewebe von MS-Patienten fanden die Forschenden diesen Zelltyp, was darauf hinweist, dass die Veränderungen im ZNS bestehen bleiben.
Frühe Krankheitsstadien bereits sichtbar
Besonders bemerkenswert ist nach Ansicht der Autoren, dass dieselben CD8-T-Zellen nicht nur bei Menschen mit bereits diagnostizierter MS auftraten: Sie fanden sich auch bei Personen, die noch keine eindeutigen klinischen Symptome zeigen, bei denen es aber Anzeichen für eine subklinische Neuroinflammation gibt - also Entzündungen, die keine klinischen Symptome verursachen. Das deutet darauf hin, dass diese Zellen bereits in den frühesten Phasen der Erkrankung eine Rolle spielen könnten - wahrscheinlich lange bevor MS diagnostiziert werden kann.
Diese Erkenntnisse könnten möglicherweise neue Therapieansätze eröffnen, bei denen gezielt die Funktion von CD8-T-Zellen beeinflusst wird, um das Fortschreiten von MS zu verlangsamen oder zu verhindern, so die Autoren. Darüber hinaus könnten mithilfe der CD8-T-Zellen neue Diagnosemethoden entwickelt werden, die es erlauben, MS schon in einem sehr frühen Stadium zu erkennen, bevor irreversible Nervenschäden entstehen.
Bedeutung einer frühen Therapie
Bei Multiple Sklerose gilt, möglichst früh mit einer hochwirksamen Therapie zu beginnen. Jedoch dauert es häufig lange, bis die Diagnose feststeht. Mehr Arztbesuche, häufigere Verschreibung von Medikamenten - vielleicht hat sich auch Deine MS bereits lange im Voraus angekündigt. Denn viele Betroffene verspüren schon Jahre vor der Diagnose verschiedene Beschwerden, die sie häufiger eine Arztpraxis aufsuchen lassen. Das Problem: Die Symptome sind vielfältig und können verschiedenste Ursachen haben. Mittlerweile herrscht in der Wissenschaft Einigkeit darüber, dass sich eine MS durch verschiedene Frühwarnzeichen ankündigt - in der Fachsprache heißen diese frühen Anzeichen einer Erkrankung „prodromale Symptome“. Die Erkenntnis stammt aus der Auswertung verschiedener Versorgungsdaten von Menschen, die später eine MS-Diagnose erhalten haben, beispielsweise Datenbanken von Hausarztpraxen. Die Beschwerden, die Jahre vor der MS-Diagnose auftreten können, sind vielfältig. Sie reichen von Blasen- oder Darmstörungen über Schmerzen bis hin zu Depressionen, Schlafstörungen und Fatigue. Zudem treten Gangstörungen und Missempfindungen der Haut häufiger bei Menschen auf, die später eine MS-Diagnose erhalten. Auch durch Entzündungen der Haut kann sich eine MS ankündigen. Einige betroffene Frauen empfinden diese Beschwerden, mit denen sich eine MS ankündigen kann, sogar als so schwerwiegend, dass sie auf ihren Kinderwunsch verzichten.
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