Funktionelle Neurologische Störung: Ein umfassender Leitfaden zur Rehabilitation

Funktionelle neurologische Störungen (FNS) stellen eine besondere Herausforderung im Bereich der Neurologie dar. Sie äußern sich in neurologischen Symptomen, für die jedoch keine ausreichende organische Ursache gefunden werden kann. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Rehabilitation von FNS, einschließlich verschiedener Therapieansätze und Behandlungsstrategien.

Was sind funktionelle neurologische Störungen?

Funktionelle neurologische Störungen (FNS) manifestieren sich als neurologische Symptome wie Lähmungen, Bewegungsstörungen, Krampfanfälle, Blindheit oder Taubheit, ohne dass eine klare organische Ursache im Nervensystem nachweisbar ist. Stattdessen wird angenommen, dass FNS durch eine fehlerhafte Informationsverarbeitung im Gehirn entstehen. Diese Fehlanpassung kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden, darunter verzerrte Aufmerksamkeit, ungünstige Bewegungsmuster oder psychische Belastungen. Es ist wichtig zu betonen, dass diese Störungen real sind und erhebliches Leid verursachen können. Oft werden auch die Bezeichnungen dissoziativ, somatoform oder psychogen für derartige Störungen verwendet.

Ursachen und Diagnose

Die genauen Ursachen von FNS sind noch nicht vollständig geklärt, jedoch spielen psychologische Faktoren oft eine wesentliche Rolle. Stress, traumatische Erlebnisse und emotionale Belastungen können zur Entstehung oder Verschlimmerung von FNS beitragen.

Die Diagnose von FNS erfolgt in der Regel anhand des charakteristischen Erscheinungsbildes und spezifischer Untersuchungsbefunde. Es ist entscheidend, andere neurologische Erkrankungen auszuschließen, bevor die Diagnose FNS gestellt wird. Bildgebende Verfahren wie MRT und CT können hilfreich sein, um organische Ursachen auszuschließen.

Multimodaler Behandlungsansatz

Die Behandlung von FNS erfordert einen multimodalen Ansatz, der verschiedene Therapiebausteine kombiniert. Ziel ist es, die Symptome zu lindern, die Funktionalität des Körpers zu verbessern und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen.

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Akzeptanz der Diagnose

Eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist die Akzeptanz der Diagnose durch den Patienten. Da keine organische Ursache gefunden wurde, fühlen sich Betroffene oft missverstanden oder abgewertet. Es ist daher wichtig, den Patienten zu vermitteln, dass es sich um eine reale Störung handelt, auch wenn keine organische Ursache vorliegt.

Psychosomatische Anschlussbehandlung

Eine psychosomatische Anschlussbehandlung kann helfen, die Ursachen der FNS zu ergründen und ein individuelles Therapiekonzept zu entwickeln. Diese Behandlung kann sowohl ambulant als auch stationär erfolgen.

Therapieansätze

Physiotherapie

Die Physiotherapie spielt eine zentrale Rolle bei der Behandlung von FNS. Sie hilft Patienten, die Kontrolle über ihre Körperbewegungen wiederzuerlangen und die motorischen Funktionen zu verbessern. Durch gezielte Übungen werden Bewegungsabläufe trainiert, die Koordination geschult und die Muskelkraft gestärkt. Die Therapie wird individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt. Auch Techniken zur Entspannung und Schmerzlinderung können eingesetzt werden.

In der neurologischen Rehabilitation beginnt die Physiotherapie bereits in der frühestmöglichen Phase, oft bei Patienten mit stark eingeschränkter Wachheit. Die Übungsbehandlung wird individuell an den Zustand des Patienten angepasst. Anhand einer umfangreichen Befunderhebung bezüglich der Bewegungs- und Wahrnehmungsfähigkeit wird ein Behandlungsplan erstellt, der täglich an die Situation des Patienten angepasst wird. Behandlungskonzepte wie Bobath, Kinästhetik und basale Stimulation werden genutzt, um die Körperwahrnehmung und -orientierung zu schulen.

Ergotherapie

Die Ergotherapie unterstützt Patienten mit FNS dabei, ihre normalen Aktivitäten und beruflichen Aufgaben wieder aufzunehmen. Die Therapie konzentriert sich auf die Verbesserung der Handlungsfähigkeit. Ergotherapeuten helfen den Betroffenen, Hilfsmittel richtig einzusetzen, und beraten zu Anpassungen im häuslichen oder beruflichen Umfeld.

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Im Rahmen der ergotherapeutischen Behandlung werden zu Beginn die Wahrnehmung und Funktion der betroffenen Körperregion trainiert, um diese wieder vermehrt zu spüren und in den Alltag zu integrieren. Basale Stimulation wird eingesetzt, um die Basissinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen) anzusprechen und das Gefühl für den eigenen Körper zu fördern. Funktionen des täglichen Lebens, wie die Körperpflege und das An- und Ausziehen, werden in Teilschritten geübt, um eine größtmögliche Selbständigkeit im Alltag wiederzuerlangen. Auch Gedächtnis- und Konzentrationsübungen gehören zu den ergotherapeutischen Aufgaben.

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist eine Form der Psychotherapie, die darauf abzielt, dysfunktionale Denkmuster und Verhaltensweisen zu identifizieren und zu verändern. In der KVT lernen Patienten, ihre Symptome besser zu verstehen und Strategien zu entwickeln, um mit Stress und emotionalen Belastungen umzugehen. Die individuellen Therapieziele werden gemeinsam mit dem Therapeuten festgelegt.

Entspannungstechniken

Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung, autogenes Training oder Achtsamkeitsübungen können dazu beitragen, die Symptome von FNS zu reduzieren. Diese Techniken helfen den Patienten, Stress und Anspannung abzubauen, und fördern dadurch das allgemeine Wohlbefinden.

Edukation und Selbstmanagement

Edukation ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von FNS. Patienten erhalten Informationen über ihre Erkrankung und lernen, wie sie ihren Alltag besser bewältigen können. Selbstmanagement-Strategien sollen den Patienten den Umgang mit ihren Symptomen erleichtern und die Selbstständigkeit fördern.

Logopädie

Die Schwerpunkte der logopädischen Arbeit innerhalb der akuten Frührehabilitationsbehandlung umfassen die Diagnostik und Therapie von neurologisch bedingten Störungen der Sprache (Aphasie), des Sprechens (Dysarthrophonie, Sprechapraxie) und des Schluckens (Dysphagie). Ebenfalls beinhaltet die logopädische Arbeit in der Frührehabilitation das Trachealkanülenmanagement, die facio-orale Stimulation, den Beginn und Aufbau der oralen Ernährung sowie den Aufbau von basalen Kommunikationsformen.

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Zu Beginn der Frührehabilitation findet zunächst eine ausführliche Diagnostik statt, zum Teil mit standardisierten Testverfahren, ergänzend mit hausintern entwickelten Screeningverfahren sowie darüber hinaus bei Schluckstörungen mit apparativen Diagnostikverfahren (FEES, VFSS). Für jede Patientin und jeden Patienten planen wir die Therapie individuell und angepasst auf ihre/seine Erschwernisse. Die Inhalte und Ziele orientieren sich am Alltag der Patienten und die spätere Teilhabe am gewohnten sozialen Leben. Wir behandeln ausschließlich in Einzeltherapie, bei Bedarf auch interdisziplinär. Auch Angehörigengespräche gehören für uns dazu.

Neuropsychologische Therapie

Die neuropsychologische Therapie in der Frühphase (Frührehabilitation) beinhaltet die kognitive Aktivierung sowie das Wiedererlangen von Basisfunktionen der Hirnleistung. Am Anfang steht eine ausführliche Neuropsychologische Diagnostik mit dem Burgauer Bedside-Screening (standardisiertes Testsystem zur Erhebung der kognitiven Leistungsfähigkeit). Die Patienten werden ebenfalls bei der Krankheitsverarbeitung (Bewältigung der Krankheit sowie Krankheitsfolgen) unterstützt. Angehörige können in diesen Prozess mit einbezogen werden. Des Weiteren wird intensiv am Aufbau eines Störungsbewusstseins und der Motivation gearbeitet.

Neurologische Frührehabilitation

Die neurologische Frührehabilitation spielt eine entscheidende Rolle bei der Behandlung von Patienten nach schweren neurologischen Ereignissen wie Schlaganfall, Schädel-Hirnverletzung oder anderen schweren Erkrankungen des Nervensystems. Ziel ist es, die Patienten so früh wie möglich nach dem akuten Ereignis zu stabilisieren und mit der Rehabilitation zu beginnen.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Grundlage der neurologischen Frührehabilitation ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen. Ärzte, Therapeuten (Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden), Pflegekräfte, Neuropsychologen und Sozialarbeiter arbeiten eng zusammen, um einen individuellen Behandlungsplan für jeden Patienten zu entwickeln.

Ziele der Frührehabilitation

Die Ziele der Frührehabilitation sind vielfältig und umfassen:

  • Wiederherstellung von motorischen Fähigkeiten
  • Verbesserung der kognitiven Funktionen
  • Förderung der Kommunikation und Sprache
  • Behandlung von Schluckstörungen
  • Psychologische Unterstützung
  • Sozialmedizinische Beratung

Aktivierende Pflege

Die therapeutische Pflege bildet einen Pfeiler der interdisziplinären Patientenversorgung in der frühen Rehabilitationsphase. Wichtige Ziele der Pflegenden sind die Wiedererlangung von Basismobilität und die Überprüfung relevanter Alltagsfähigkeiten. Das Konzept aktivierender therapeutischer Pflegemaßnahmen ist eine Grundlage der erfolgreichen Therapie. In der aktivierenden Pflege sind drei Konzepte etabliert: Bobath, Kinästhetik und basale Stimulation.

Angehörigenarbeit

Eine enge Zusammenarbeit mit den Angehörigen gehört untrennbar in das therapeutische Konzept. Gerne ermöglichen wir Termine mit Angehörigen, um das optimale Unterstützungspotenzial für die Patienten auszuschöpfen.

Voraussetzungen für die Aufnahme

Eine Übernahme von Patienten aus Akutkrankenhäusern in unsere Klinik erfolgt nach schriftlicher Anmeldung und Prüfung der Zugangsvoraussetzungen zu einer Neurologischen Frührehabilitation entsprechend der OPS 8-552.

Diagnostische Möglichkeiten

Die Klinik bietet umfangreiche diagnostische Möglichkeiten, darunter:

  • Monitorgestützte Überwachung der Grundfunktionen des Körpers
  • Radiologische Verfahren (Computer- & Kernspintomographie, Gefäßdarstellung mit Interventionsmöglichkeiten 24/7)
  • Umfängliche neurophysiologische Diagnostik
  • Ultraschall der hirnversorgenden Gefäße, Nervensonografie
  • Apparative Schluckdiagnostik (FEES, Schluckakt-Radiografie)
  • Kardiale Diagnostik (Langzeitmessungen, Echokardiografie, Eventrecorder, verschiedene kardiale Interventionsmöglichkeiten)
  • Gastroenterologische Diagnostik (Sonografien, Endoskopie incl. Biopsie)

Sozialdienst

Die Planung und Organisation weiterführender Rehabilitationsmaßnahmen, die Hilfe bei der Organisation von häuslicher oder institutioneller Pflege sowie die sozialmedizinische Beratung von Betroffenen und Angehörigen ist die Domäne unseres Sozialdienstes.

Forschung zu FNS

Funktionelle Neurologische Symptome und Störungen (FNS) stellen seit vielen Jahren einen Forschungsschwerpunkt dar. Die wissenschaftliche Arbeit kann sich dabei auf fruchtbare Forschungskooperationen stützen und gründet unmittelbar in der klinischen Arbeit der Psychotherapeutischen Neurologie. Über die Jahre sind zahlreiche Arbeiten zu neurobiologischen Korrelaten sowie zu psychischen Aspekten entstanden, die für das Verständnis funktioneller neurologischer Symptombildungen, aber auch für die klinische Versorgung relevant sind.

Aktuelle Forschungsbeispiele

  • In einer MEG-Studie konnte eine Aktivierung des somatosensorischen Cortex bei der zerebralen Verarbeitung emotionaler Information erfasst werden - ein Ergebnis, dass auf eine Integration somatosensorischer Reaktionen in emotionale Reaktionen bei FNS hinweist.
  • In einer fMRT-Studie wurde untersucht, inwieweit Veränderungen der Emotionsverarbeitung Veränderungen im Motornetzwerk bedingen. Patient:innen mit funktioneller Hemiparese zeigten im Vergleich zu Kontrollpersonen eine Aktivierung des Mandelkerns links, einem emotionsverarbeitenden Areal.
  • Eine Folgeuntersuchung verglich Patient:innen mit Proband:innen, die gelernt hatten, eine Lähmung zu simulieren. Es zeigte sich, dass eine Anregung des Motornetzwerkes (durch die passive Handbewegung) bei Konversionspatienten Areale im Stirnlappen aktiv werden lässt, deren Aufgabe die Hemmung von Bewegung ist.

Diese Forschungsergebnisse sind klinisch von Bedeutung, weil die Annahme, dass es sich bei FNS um nichts anderes als Simulation handelt, zu diagnostischen Fehlurteilen führen kann. Ein rascher, konsequenter Behandlungsbeginn aber gilt als günstig für die Erholung der Patient:innen.

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