Jeder kennt es: Man sieht jemanden gähnen und schon überkommt einen selbst der Drang. Gähnen ist ansteckend, das hat wohl jeder schon einmal erlebt, sei es in einer langweiligen Vorlesung, im Büro oder während einer Autofahrt. Doch was steckt wirklich hinter diesem Phänomen? Warum gähnen wir überhaupt und was bedeutet es, wenn das Gähnen vermehrt auftritt?
Gähnen - Ein uraltes Phänomen
Gähnen ist keine Eigenart des modernen Menschen, sondern ein evolutionär tief verwurzeltes Verhalten. Nicht nur wir Menschen, sondern auch Tiere wie Hunde, Affen, Papageien und sogar Fische gähnen. Die Wissenschaft hat viele Theorien aufgestellt, um die Ursachen zu erklären, aber eine endgültige Antwort steht noch aus.
Mögliche Ursachen und Funktionen des Gähnens
Viele Menschen bringen Gähnen automatisch mit Müdigkeit oder Langeweile in Verbindung. Dabei erfüllt das Gähnen eine wichtige biologische Funktion, die bis heute noch nicht vollständig entschlüsselt ist. Hier sind einige der gängigsten Erklärungsversuche:
Kühlung des Gehirns
Eine der derzeit beliebtesten Erklärungen stammt von Neurowissenschaftlern: Gähnen hilft dabei, unser Gehirn abzukühlen. Wenn wir müde sind, steigt die Temperatur im Gehirn leicht an. Durch das tiefe Einatmen beim Gähnen wird kühle Luft in den Körper gezogen, die das Gehirn leicht abkühlen kann. Studien zeigen, dass kühle Luft beim Einatmen das Gehirn leicht abkühlen kann, was möglicherweise dabei hilft, die geistige Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Dies könnte erklären, warum wir oft in Situationen gähnen, in denen wir uns konzentrieren müssen.
Stressabbau
Auch bei Stress gähnen wir häufig. Erhöht der Körper dadurch etwa die Konzentrationsfähigkeit in einer kniffligen Situation? Das wäre eine Erklärung dafür, dass Läufer und Läuferinnen kurz vor dem Startschuss gähnen.
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Soziale Bindung und Empathie
Neuere Studien deuten darauf hin, dass ansteckendes Gähnen ein Zeichen von Empathie und sozialer Verbundenheit sein könnte. Studien haben gezeigt, dass Menschen eher mitgähnen, wenn ihnen die gähnende Person nahe steht - zum Beispiel Familienmitglieder oder enge Freunde. Dieser Effekt wird mit der Aktivität der Spiegelneuronen im Gehirn erklärt. Diese Nervenzellen sind für das Nachahmen von Verhalten verantwortlich und spielen eine Rolle beim sozialen Lernen. Wenn wir jemanden gähnen sehen, aktiviert unser Gehirn unbewusst das gleiche Muster - und wir gähnen mit.
Evolutionäre Funktion: Synchronisation im Rudel
Eine andere Theorie geht davon aus, dass ansteckendes Gähnen eine evolutionäre Funktion hat. In sozialen Gruppen könnte das gleichzeitige Gähnen dazu beigetragen haben, die Wachsamkeit zu synchronisieren. Wenn ein Mitglied der Gruppe gähnte, könnte das ein Signal für Müdigkeit oder einen bevorstehenden Wechsel zwischen Aktivität und Ruhe gewesen sein - woraufhin andere Mitglieder ebenfalls in diesen Zustand übergingen. Ein Löwenrudel reißt kollektiv sein Maul zum Gähnen auf, bevor es zur Jagd aufbricht. Die Vermutung: Die Löwen synchronisieren ihr Verhalten, um besser als Gruppe zu funktionieren.
Weitere Theorien
Es gibt auch die Theorie, dass Gähnen das Gehirn mit Sauerstoff versorgt. Ein ausgiebiger Gähner versorgt das Gehirn mit einer Extraportion Atemluft - und wir sind wieder leistungsfähig und konzentriert. Die Annahme hat der Neuropsychologe Robert Provine allerdings schon 1983 widerlegt. Bei einem Experiment atmeten die Probanden Luft mit unterschiedlichem Sauerstoffanteil ein. Das Ergebnis: Die niedrige Konzentration machte die Teilnehmenden zwar müde - sie gähnten aber nicht öfter als die besser versorgten. Es gibt noch einen Fakt, der gegen diese These spricht: Auch Fische oder Embryos im Fruchtwasser gähnen.
Gähnen als Symptom - Wann sollte man hellhörig werden?
Ab und an zu gähnen, gerade wenn man eine kurze Nacht hinter sich hat oder die Unterrichtsstunde gerade besonders langweilig ist, ist erst einmal kein Grund zur Sorge. Zum Krankheitssymptom wird gähnen, wenn es vermehrt vorkommt. Man redet von übermäßigem Gähnen, wenn es öfter als einmal pro Minute vorkommt. Das muss zunächst kein Grund zur Sorge sein - wie bereits erwähnt, wenn du sehr müde bist, dann wirst du manches Mal auf öfter gähnen. Tatsächlich kann es aber auch ein Symptom für eine Krankheit sein.
Mögliche Ursachen für vermehrtes Gähnen
Es gibt bestimmte Erkrankungen, die gefäßbedingte (vasovagale) Reaktionen auslösen, die zu übermäßigem Gähnen führen. Denn kommt es zu einer vasovagalen Reaktion, ist auch der Vagusnerv aktiver, der vom Gehirn hinunter in den Hals und in den Bauchraum führt. Ist dieser Nerv aktiviert, sinken Herzfrequenz und Blutdruck erheblich - die Folgen gehen von Schlafstörungen bis hin zu Herzleiden.
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Eine genaue Universal-Ursache für übermäßiges Gähnen gibt es nicht, jedoch sind folgende Ursachen möglich:
- Schläfrigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung
- Schlafstörungen wie bspw. Schlafapnoe (Atemaussetzer im Schlaf) oder Narkolepsie (Schlafattacken)
- Denkbar sind auch Nebenwirkungen von Medikamenten wie beispielsweise gegen Depression und Angststörungen
- Blutungen in oder um das Herz
Es gibt auch weitaus seltenere - und gefährlichere - Ursachen, bei denen Gähnen als Krankheitssymptom eingeordnet werden kann. Das sind beispielsweise:
- Gehirntumor
- Herzinfarkt
- Epilepsie
- Multiple Sklerose
- Leberversagen
Gähnen als Vorbote einer Migräne
Manchen Migränepatienten ist das Gähnen als häufiges, auch frühes Anzeichen eines Migräneanfalls bekannt. Neurologen des Ankara Dışkapı Yıldırım Beyazıt Training und Forschungshospitals in Ankara in der Türkei gingen diesen Fragen nun in einer Querschnittsstudie nach. 154 der Migränepatienten, also fast die Hälfte der Betroffenen, berichteten häufiges Gähnen während der Migräneanfälle. Jeder 10. der Patienten gähnte bereits bevor die Kopfschmerzen einsetzten, jeder 4. während der Kopfschmerzen, und einer von 10 Patienten gähnte sowohl vor als auch während der Kopfschmerzphase der Migräneattacke.
Patienten, die gähnen mussten, waren auch häufiger von Geruchsempfindlichkeit und gesteigertem Berührungsschmerz, der sogenannten Allodynie, betroffen. Das Gähnen geht auf die Aktivität des sogenannten dopaminergen Systems vor allem im Gehirnteil Hypothalamus zurück: in diesem Gehirnteil werden verschiedene Nervenbotenstoffe freigesetzt, von denen speziell das Dopamin auf die Empfindlichkeit der Verarbeitung in anderen Gehirnabschnitten einwirkt. Sinkt der Dopaminspiegel, werden manche Systeme stärker sensibilisiert und durch sonst normale Reize bis zur Schmerzhaftigkeit überreizt.
Das Gähnen als ein häufig berichtetes Symptom der Migräne ist damit ein verlässlicher Vorbote speziell der Patientengruppe mit Aura und Übelkeit und lässt auf die veränderte Aktivität des Hypothalamus und das dopaminerge System schließen. Dieses System steht nun auch vermehrt im Fokus für die Entwicklung einer Therapie, die noch vor der Kopfschmerzphase eingreifen können soll.
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Gähnen als Warnzeichen für eine Synkope
Der kurzzeitige, selbst endende Verlust des Bewusstseins wird Synkope genannt oder auch umgangssprachlich Kreislaufkollaps sowie Ohnmacht. Eine Synkope ist in der Regle kürzer als 20 Sekunden und führt häufig zu Stürzen. Patienten sprechen oft davon, dass sie „umgefallen sind“.
Zu den Warnzeichen gehören aber auch zwanghaftes Gähnen, Zittern, Blässe und ein Schwarzwerden vor den Augen. Auch Belastungssituationen spielen oft eine bedeutende Rolle.
Chronisches Hyperventilationssyndrom
Während das akute Hyperventilationssyndrom ein hochakutes Beschwerdebild (Luftnot, Angst, Herzrasen, Schwindel, Panik) darstellt, wird das chronische Hyperventilationssyndrom oft übersehen. Es zeigt sich meist nur indirekt und oft erst nach jahrelangen Beschwerden. Bei rund der Hälfte aller körperlichen Beschwerden, mit denen Menschen ihren Hausarzt aufsuchen, findet sich keine organische Ursache. Es handelt sich um sog. funktionelle Beschwerden. Wenn nichts Körperliches vorhanden ist, wird meist die Psyche als Ursache vermutet. Doch häufig führen weder Psychotherapien noch Psychopharmaka zum erwünschten Erfolg.
Was tun bei vermehrtem Gähnen?
Sollte sich über einen längeren Zeitraum ein häufiges Gähnen bei dir einstellen, dann zögere bitte nicht, dich mit deinemdeiner HausarztHausärztin in Verbindung zu setzen. In einer ausführlichen Befragung (Anamnese) wird die unklare Bewusstlosigkeit vom Arzt erfragt. Hier gilt es festzustellen, ob es eine wirkliche Synkope war, was die Ursache sein könnte, ob Gefahr für den Patienten besteht oder auch, ob Entwarnung gegeben werden kann. Ergänzend sind zum Beispiel Langezeit-EKG-Messungen und Ultraschalluntersuchungen nötig. Die Behandlungsmöglichkeiten richten sich nach der genauen Diagnose der Bewusstlosigkeit.
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