Gangrehabilitation nach Schlaganfall: Ein umfassender Überblick

Der Schlaganfall stellt eine der häufigsten Erkrankungen weltweit dar, die oft zu dauerhaften Behinderungen, einer verminderten Lebensqualität und einer hohen Krankheitslast führt. Viele Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben, leiden unter Gehstörungen und sind dadurch in ihrer Mobilität eingeschränkt. Das Wiedererlangen der Gehfähigkeit mit einer annähernd normalen Gehgeschwindigkeit ist daher ein wichtiges Ziel für Patienten nach einem Schlaganfall und deren Angehörige.

Einführung in die Gangrehabilitation

Die Schlaganfallrehabilitation hat sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt, insbesondere durch das Aufkommen des robotergestützten Gangtrainings (RAGT). RAGT stellt einen Paradigmenwechsel dar, der sich von traditionellen Rehabilitationsmethoden abgrenzt. Die Integration von RAGT in die Schlaganfallrehabilitation basiert auf den wissenschaftlichen Prinzipien der Neuroplastizität und des motorischen Lernens. Neuroplastizität beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst neu zu organisieren und neue neuronale Verbindungen als Reaktion auf Lernen oder Verletzungen zu bilden.

Traditionelle und moderne Therapieansätze

Um die Gehleistung zu verbessern, wurden in den letzten Jahren verschiedene Interventionen eingeführt, darunter:

  • Konventionelles Gehtraining: Gehen über den Boden, vorbereitende Übungen im Sitzen, Balancetraining ohne technische Hilfsmittel.
  • Laufbandtraining: Der Patient wird durch ein Gurtsystem gesichert, wobei ein Teil des Körpergewichts entlastet wird. Es gibt auch Ansätze mit systematischer Steigerung der Gehgeschwindigkeit.
  • Elektromechanisch-assistiertes Gehtraining: Hierbei ist der Gangzyklus teilautomatisiert, was die Arbeit der Therapeuten erleichtert und höhere Schrittzahlen ermöglicht. Beispiele hierfür sind Endeffektormodelle wie der Gangtrainer GT-I und Exoskelettmodelle wie der Lokomat und der LOPES.

Robotergestütztes Gangtraining (RAGT)

RAGT nutzt fortschrittliche Robotergeräte und -systeme, die speziell entwickelt wurden, um die unteren Gliedmaßen während des Gehens zu unterstützen, zu verbessern und zu führen. Diese Technologien reichen von Endeffektor-Geräten und robotergestützten Laufbändern bis hin zu tragbaren Exoskeletten. Exoskelette bieten direkte physische Unterstützung für die Beine und helfen aktiv bei den Beinbewegungen, um Schwächen auszugleichen und korrekte Gangmuster sicherzustellen.

Vorteile von RAGT

  • Intensives und wiederholtes Training: RAGT ermöglicht ein Trainingsumfeld mit hoher Intensität, wiederholten Übungen und aufgabenbezogenen Aktivitäten.
  • Konsistentes und kontrolliertes Training: Die Robotergeräte können präzise Bewegungsmuster, Geschwindigkeit und Widerstand kontrollieren, wodurch sichergestellt wird, dass Patienten die Übungen mit der korrekten Form und Intensität durchführen.
  • Reduzierte Belastung für Therapeuten: RAGT ermöglicht ein intensives Training ohne physische Belastung für Therapeuten und mit reduziertem Verletzungsrisiko für Patienten.

Studienlage zu RAGT

Eine systematische Übersichtsarbeit mit Netzwerk-Metaanalyse, die 95 Studien mit 4.458 Patienten einschloss, zeigte, dass ein von distal das Bein führender elektromechanisch-assistierender Ansatz (Endeffektorprinzip) die Gehgeschwindigkeit nach einem Schlaganfall im Vergleich zur konventionellen Gangrehabilitation verbessert. Für die Gangausdauer ergab sich, dass sowohl ein Endeffektor-assistierter Ansatz als auch das Laufbandtraining mit Körpergewichtsentlastung im Vergleich zur konventionellen Gangrehabilitation Vorteile zur Erweiterung der Gehstrecke erwarten lässt.

Lesen Sie auch: Hüft-TEP und Nervenschmerzen

Hochintensives Gangtraining

Hochintensives Gangtraining wird in der Schlaganfallrehabilitation empfohlen, um die Gehgeschwindigkeit, die Gehstrecke und das Gleichgewicht zu verbessern. Studien zeigen, dass ein Gehtraining, das bei 60% bis 80% der vorhergesagten Herzfrequenzreserve (HR) durchgeführt wird, zu 2000 bis 6000 Schritten pro Physiotherapiesitzung führen kann. Eine aktuelle Leitlinie empfiehlt nachdrücklich die Verwendung von moderatem bis hochintensivem Gangtraining für Patienten mit Diagnosen, die das zentrale Nervensystem betreffen.

Empfehlungen für hochintensives Gangtraining

  • Gehübungen mit hoher Wiederholungszahl und einer Intensität, die den Herzschlag über ein Zielniveau hinaus erhöht.
  • Die Intensität sollte zwischen 60 % und 80 % der maximalen Herzfrequenz des Patienten liegen.
  • Auch Patienten mit niedriger Funktionsfähigkeit können unter kontrollierten Bedingungen intensiver belastet werden.
  • Ein konsequenter Fokus auf ein hochintensives Gangtraining unter Einsatz eines Endeffektor-Gangtrainers oder eines Laufbands mit partieller Gewichtsentlastung kann helfen, die begrenzte Zeit mit dem Patienten effektiv und effizient zu nutzen.

Limitationen und zukünftige Entwicklungen

Trotz der Fortschritte in der Gangrehabilitation gibt es noch offene Fragen und Herausforderungen:

  • Optimale Intensität und Dosierung: Die Frage nach der optimalen Intensität und der korrekten Bestimmung einer Dosis-Wirkungs-Beziehung in der Gangrehabilitation wird weiterhin ein zentrales Thema bleiben, das weiter erforscht werden muss.
  • Tragbare Exoskelette: Tragbare Exoskelette bieten einige Vorteile zur Verbesserung der Mobilität, sind jedoch nicht überlegen gegenüber anderen Gangrehabilitationsmethoden und benötigen weitere Forschung zur Optimierung und klinischen Anwendung.
  • Klinische Anwendung von Exoskeletten: Es wird empfohlen, die Leistungsfähigkeit mobiler Exoskelette in der klinischen Praxis kritisch zu evaluieren und eine enge Zusammenarbeit zwischen Entwicklern, Forschern und Praktikern anzustreben.

Praktische Implikationen für die Therapie

Die Analysen legen nahe, dass im Vergleich zur konventionellen Gangrehabilitation insbesondere das endeffektor-assistierte Gehtraining und die Laufbandtherapie mit Teilkörpergewichtsentlastung signifikante und klinisch bedeutsame Verbesserungen der Gehgeschwindigkeit und Gangausdauer nach einem Schlaganfall bewirken können. Bei schwer betroffenen nicht-gehfähigen Patienten empfiehlt sich vor allem der Einsatz von endeffektor-assistiertem Gehtraining. Bei weniger schwer betroffenen gehfähigen Patienten hingegen die Laufbandtherapie mit Teilkörpergewichtsentlastung.

Weitere Empfehlungen für die Therapie

  • Frühzeitige Mobilisation: Die erfolgreichste Rehabilitation ist die frühe Mobilisation.
  • Zielorientierung: Das oberste Ziel der Rehabilitation ist die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
  • Üben, üben, üben: Ständige Wiederholung ist das Wichtigste.
  • Aufgabenbezogenes Training: Die Therapie sollte sich an den individuellen Zielen des Patienten orientieren.
  • Progressives Ausdauertraining: Das Training sollte sich immer dem aktuellen Leistungsniveau anpassen.
  • Intensives Training: Die Patienten sollten an ihre Leistungsgrenze herangeführt und dort gehalten werden.

Alltagsintegration und Eigenverantwortung

Neben den professionellen Therapieangeboten spielt die Integration von Bewegung in den Alltag eine entscheidende Rolle. Regelmäßige Bewegung sollte selbstverständlich in den Alltag integriert werden: Treppen steigen statt Fahrstuhl fahren, spazieren gehen, Rad fahren. Für das Training zuhause eignen sich kleine Fitnessgeräte wie Knautschball, Balanceboard, Gymnastikband, Fahrradergometer und Hanteln.

Rehasport als Ergänzung

Rehabilitationssport ist eine Fortführung der medizinischen Rehabilitation. Es handelt sich um ein Gruppentraining zur Förderung von Ausdauer, Kraft und Koordination. Rehasport wird ärztlich verordnet, die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen.

Lesen Sie auch: Rehabilitation bei Gesichtsfeldausfall

Fazit

Die Gangrehabilitation nach einem Schlaganfall hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Moderne Therapieansätze wie das robotergestützte Gangtraining und das hochintensive Intervalltraining bieten vielversprechende Möglichkeiten, die Gehfähigkeit und Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Es ist wichtig, die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Patienten zu berücksichtigen und die Therapie entsprechend anzupassen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Therapeuten und Patienten ist entscheidend für den Erfolg der Rehabilitation.

Lesen Sie auch: Was Sie über epileptische Anfälle nach Hirnblutungen wissen sollten

tags: #gangrehabilitation #nach #schlaganfall #übungen