Ein Schlaganfall kann die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen und die Lebensqualität der Betroffenen stark einschränken. Die neurologische Rehabilitation, insbesondere die Gangtherapie, spielt eine entscheidende Rolle bei der Wiederherstellung der Mobilität und der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. In den letzten Jahren hat sich die Gangtherapie durch neue Erkenntnisse der neuronalen Reorganisation und der neuronalen Plastizität sowie durch den Einsatz elektromechanischer Therapieansätze stark weiterentwickelt. Dieser Artikel beleuchtet verschiedene Methoden der Gangtherapie nach Schlaganfall, ihre Evidenzgrundlage und die Perspektiven für die Zukunft.
Bedeutung der Gangtherapie nach Schlaganfall
Der Schlaganfall ist eine der häufigsten Ursachen für Behinderungen im Erwachsenenalter. Jährlich erleiden in Deutschland etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Eine häufige Folge ist die Halbseitenlähmung (Hemiparese), die das Gehen beeinträchtigt. Viele Patienten sind nach einem Schlaganfall auf Therapie oder Pflege angewiesen. Das Wiedererlangen der Gehfähigkeit ist daher eines der wichtigsten Ziele der Rehabilitation, um die Selbstständigkeit und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Die Neuroplastizität des Gehirns ermöglicht es, dass Funktionen, die durch den Schlaganfall beeinträchtigt wurden, von anderen Hirnbereichen übernommen werden können. Eine frühe Mobilisation und ein intensives Gangtraining sind entscheidend, um diese Neuroplastizität zu aktivieren und die Gehfähigkeit wiederherzustellen. Dabei geht es nicht nur darum, wieder gehen zu können, sondern auch darum, die Ganggeschwindigkeit und die Gangsicherheit zu verbessern, um den Alltag selbstständig bewältigen zu können.
Konventionelle Gangtherapie
Die konventionelle Gangtherapie umfasst verschiedene Übungen und Techniken, die darauf abzielen, die Muskelkraft, die Koordination und das Gleichgewicht zu verbessern. Dazu gehören:
- Gehen über den Boden: Übungen zum Gehen auf verschiedenen Untergründen, um die Stabilität und die Koordination zu verbessern.
- Vorbereitende Übungen im Sitzen: Kräftigungsübungen für die Beinmuskulatur und Übungen zur Verbesserung der Rumpfstabilität.
- Balancetraining: Übungen zur Verbesserung des Gleichgewichts im Stehen und Gehen.
Die Bobath-Therapie ist ein in Deutschland weit verbreitetes Konzept, das auf die Normalisierung des Muskeltonus und die Wiederherstellung eines möglichst physiologischen Bewegungsmusters abzielt. Studien haben gezeigt, dass die Bobath-Therapie im Vergleich zu anderen krankengymnastischen Techniken gleichwertig ist.
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Elektromechanisch-assistierte Gangtherapie
Die elektromechanisch-assistierte Gangtherapie hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Sie ermöglicht eine intensivere und repetitivere Gangrehabilitation, ohne die Therapeuten körperlich zu überlasten. Es gibt verschiedene Arten von elektromechanischen Gangtrainern:
- Endeffektor-basierte Gangtrainer: Diese Geräte bewegen lediglich die Füße des Patienten, während Knie und Hüftgelenke aktiv vom Patienten bewegt werden müssen. Ein Beispiel hierfür ist der Gangtrainer GT-I oder der THERA-Trainer lyra.
- Exoskelett-basierte Gangtrainer: Diese Geräte bestehen aus einer Orthese mit Stangen und Gelenken, die dem Beinskelett nachempfunden sind. Programmierbare Antriebe bewegen die Hüft- und Kniegelenke während des Gehens. Ein Beispiel hierfür ist der Lokomat oder der LOPES. Das Exoskelett Robbie von Ekso Bionics ist ein weiteres Beispiel für ein rehabilitatives Exo-Skelett.
Vorteile der elektromechanisch-assistierten Gangtherapie
- Steigerung der Therapieintensität: Durch die Automatisierung des Gangzyklus können höhere Schrittzahlen in der Therapie erreicht werden.
- Frühzeitige und intensive Übung: Auch schwer betroffene Patienten können frühzeitig und intensiv das Gehen üben.
- Körperliche Entlastung des Therapeuten: Die Geräte unterstützen die Bewegungen des Patienten, wodurch der Therapeut körperlich entlastet wird.
- Verbesserung der Ganggeschwindigkeit und -ausdauer: Studien haben gezeigt, dass die elektromechanisch-assistierte Gangtherapie die Gehgeschwindigkeit und die Gangausdauer verbessern kann.
- Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, wieder selbstständig gehen zu können: Insbesondere endeffektor-basierte Gangtrainer scheinen die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Patienten wieder selbstständig gehen können.
Studienergebnisse zur elektromechanisch-assistierten Gangtherapie
Eine multizentrische Deutsche Gangtrainer-Studie (DEGAS) zeigte, dass Patienten, die mit einem elektromechanischen Gangtrainer trainierten, häufiger selbstständig gehfähig wurden als Patienten, die konventionelle Physiotherapie erhielten. Auch die Zunahme der Ganggeschwindigkeit war in der Lokomotionsgruppe signifikant größer.
Eine Netzwerk-Metaanalyse von 95 Studien mit 4.458 Patienten ergab, dass ein endeffektor-assistiertes Gangtraining die Gehgeschwindigkeit nach einem Schlaganfall im Vergleich zur konventionellen Gangrehabilitation verbessert. Auch die Gangausdauer konnte durch ein endeffektor-assistiertes Gangtraining und durch Laufbandtraining mit Körpergewichtsentlastung verbessert werden.
Herausforderungen und Perspektiven
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse gibt es auch Herausforderungen bei der Etablierung der elektromechanisch-assistierten Gangtherapie im Klinikalltag. Dazu gehören:
- Mangelnde Erfahrung und Wissen der Physiotherapeuten: Viele Physiotherapeuten haben bislang wenig Erfahrung mit den Gerätesystemen gesammelt.
- Schulungsbedarf: Die Physiotherapeuten benötigen eine entsprechende Schulung für die Geräte.
- Notwendigkeit wissenschaftlich fundierter Therapieansätze: Die Physiotherapeuten sollten in der Bewertung wissenschaftlicher Studien geschult sein.
- Individuelle Therapiegestaltung: Es muss immer vom Patienten abhängig gemacht werden, ob eine elektromechanische Gangtherapie eingesetzt werden kann.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, ist es wichtig, dass die Physiotherapeuten die Notwendigkeit wissenschaftlich fundierter Therapieansätze bewusst ist. Ebenso sollte nur ein Expertenteam elektromechanisches Gangtraining durchführen. Wie all diese Bedingungen im klinischen Alltag umgesetzt werden können, muss in Zukunft durch weitere Forschung evaluiert werden.
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Laufbandtraining
Das Laufbandtraining ist eine weitere Methode zur Verbesserung der Gehfähigkeit nach einem Schlaganfall. Dabei wird der Patient durch ein Gurtsystem gesichert, wobei ein Teil des Körpergewichts entlastet wird. Es gibt verschiedene Varianten des Laufbandtrainings:
- Laufbandtraining ohne Körpergewichtsentlastung: Hierbei trägt der Patient sein volles Körpergewicht.
- Laufbandtraining mit Körpergewichtsentlastung: Hierbei wird ein Teil des Körpergewichts durch das Gurtsystem entlastet, was das Gehen erleichtert.
- Laufbandtraining mit Geschwindigkeitsparadigma: Hierbei wird die Gehgeschwindigkeit systematisch gesteigert, um die Ausdauer und die Koordination zu verbessern.
Studienergebnisse zum Laufbandtraining
Eine Metaanalyse zeigte, dass das Laufbandtraining der konventionellen Therapie bei Schlaganfallpatienten nicht überlegen ist. Allerdings ergab die Netzwerk-Metaanalyse, dass das Laufbandtraining mit Körpergewichtsentlastung die Gangausdauer im Vergleich zur konventionellen Gangrehabilitation verbessern kann.
Multimodale Therapieansätze
Multimodale Therapieansätze kombinieren verschiedene Therapieformen, um die motorische Funktion der unteren Extremitäten bei Schlaganfallpatienten zu verbessern. Ein Beispiel hierfür ist OMEGO Plus, ein Gerät, das Gleichgewicht, Ausdauer und Kraft der unteren Extremität trainiert und gleichzeitig kognitive Funktionen schult.
Ein aktueller systematischer Review mit Meta-Analyse hat die Wirksamkeit einer multimodalen Intervention zur Verbesserung der motorischen Funktion der unteren Extremitäten bei Schlaganfallpatienten hervorgehoben. Die Studie analysierte zehn randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) mit 480 Patienten und zeigte, dass multimodale Therapieansätze, die Kraft- und Ausdauertraining kombinieren, in der Rehabilitation nach einem Schlaganfall wertvoll sind, insbesondere zur Verbesserung der Muskelkraft.
Robotergestützte Arm-/Handrehabilitation
Neben der Gangtherapie spielt auch die Rehabilitation der Arm-/Handfunktion eine wichtige Rolle bei der Wiederherstellung der Selbstständigkeit nach einem Schlaganfall. Für schwer betroffene Patienten, die nicht an positiv evaluierten Programmen teilnehmen können, bietet die robotergestützte Arm-/Handrehabilitation neue Perspektiven.
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Es gibt verschiedene robotergestützte Systeme, die die Schulter-Ellenbogen-Bewegung oder die Pronation/Supination des Unterarms und die Flexion/Extension des Handgelenks üben können. Einige Geräte ermöglichen das bilaterale Üben, bei dem die nicht betroffene Hand die betroffene Hand führt oder die paretische Hand die Bewegung unterstützt.
Studienergebnisse zur robotergestützten Arm-/Handrehabilitation
Studien haben gezeigt, dass die robotergestützte Therapie die Kraft der Schulter-Ellenbogen-Muskulatur verbessern kann. Eine Studie zeigte, dass Patienten, die mit einem Seilkinematikroboter trainierten, einen signifikant größeren Zugewinn an motorischer Kontrolle und Kraft der oberen Extremität erzielten.
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