Gedichte bei Demenz: Beispiele und therapeutischer Nutzen

Demenz ist eine Erkrankung, die das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen stark beeinträchtigt. Der Verlust von Erinnerungen, Orientierung und kognitiven Fähigkeiten stellt eine grosse Herausforderung dar. In der Therapie und Betreuung von Menschen mit Demenz kommen verschiedene Ansätze zum Einsatz, darunter auch der Einsatz von Gedichten und Musik. Dieser Artikel beleuchtet die Möglichkeiten und Beispiele, wie Gedichte bei Demenz eingesetzt werden können, um Erinnerungen zu wecken, Emotionen anzusprechen und die Lebensqualität zu verbessern.

Gedichte und Musik als therapeutische Instrumente

Gedichte und Musik können bei Menschen mit Demenz eine positive Wirkung entfalten. Sie können Erinnerungen wecken, die verloren geglaubt waren, und Emotionen ansprechen, die im Alltag oft verborgen bleiben. Katharina Neumann aus Aachen hat beispielsweise mit ihrer Schulklasse ein Lied über ihren demenzerkrankten Opa Toni geschrieben. Der Song thematisiert die Dinge, die sie gerne noch mit ihrem Opa machen würde, was aber aufgrund der Demenz nicht mehr möglich ist. Dieses Beispiel zeigt, wie Musik und Texte eine Brücke zu Menschen mit Demenz bauen können und ihnen ermöglichen, sich auszudrücken und mit anderen in Kontakt zu treten.

Auch der Rapper und Altenpfleger Mein Name ist Nase hat einen Song über die Liebe eines Ehepaars geschrieben, die auch trotz Demenzerkrankung ihre Kraft und Stärke über die Jahre nicht verloren hat. Die Songtexte des Albums REMINITENZ basieren auf den Erzählungen und Geschichten von Menschen mit Demenz und zeigen, wie Musik und Poesie dazu beitragen können, die Welt von Menschen mit Demenz zu verstehen und zu würdigen.

Die Weckworte-Workshops von Lars Ruppel

Der Slam-Poet Lars Ruppel hat das Projekt "Weckworte" ins Leben gerufen, um Menschen mit Demenz durch Poesie zu erreichen. In seinen Workshops lernen Pflegekräfte und Angehörige, wie sie Gedichte für Demenzkranke sinnvoll einsetzen können. Ruppel betont, dass es wichtig ist, die Bedürfnisse und Reaktionen der Menschen zu kennen und die Gedichtvorträge entsprechend anzupassen. Er empfiehlt kurze, sich wiederholende Verse, die den Sprachspieltrieb wecken und angenehm kurz und dicht sind. Das gemeinsame Rezitieren und Singen schafft Nähe und stärkt die Beziehung zu den Demenzkranken.

Ruppel erklärt, dass das Repertoire nicht auf altbekannte Klassiker beschränkt sein muss. Moderne Lyrik, Raps, dadaistische Gedichte und Volkslieder können ebenfalls eingesetzt werden, um neue Impulse in den Pflegealltag zu bringen. Wichtig sei, dass die Vortragenden selbst mögen, was sie vortragen, da sie fast automatisch alles richtig machen.

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In den "Weckworte"-Workshops wurden viele besondere Momente erlebt. Eine Bewohnerin wurde beispielsweise durch einen Gedichtevortrag "erweckt" und zeigte plötzlich volle Präsenz und Aufmerksamkeit. Der Sohn einer Patientin war überrascht, wie viel seine Mutter aufgenommen hatte. Diese Erfahrungen zeigen, wie mächtig Poesie sein kann, um Demenzkranke emotional zu erreichen und zu berühren.

Gedichte zum Mitsprechen und Aktivieren

Neben dem Vortragen von Gedichten gibt es auch die Möglichkeit, Menschen mit Demenz aktiv in den Prozess einzubeziehen. Sogenannte Mitsprechgedichte eignen sich gut für das Gedächtnistraining und können den Teilnehmenden viel Freude bereiten. Bei diesen Gedichten werden beispielsweise die letzten Silben der Reimwörter von den Senioren ergänzt. Eine andere Variante sind Reimrätsel, bei denen die Senioren gleich ganze Wörter ergänzen müssen.

Ein Beispiel für ein Mitsprechgedicht ist das Gedicht "Urlaub am Meer":

Sommer, Sonne, Ferienzeit -endlich Urlaub, endlich ist es … soweit!Vor allem die Kinder freuen sich sehrauf einen Urlaub am blauen … MeerAuf geht’s! Wir fahr'n an die schöne Adriawir wollen ans Meer, wie jedes … Jahr.Ein paar Vorbereitungen muss man schon machen -In den Koffer packen wir unsre sieben … Sachen.

Durch das Mitsprechen und Ergänzen der Reimwörter werden die kognitiven Fähigkeiten der Senioren aktiviert und ihre Aufmerksamkeit gefördert. Gleichzeitig können die Gedichte Erinnerungen an vergangene Erlebnisse und Erfahrungen wecken und so eine positive Atmosphäre schaffen.

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Weitere Beispiele für Gedichte und Texte

Neben den bereits genannten Beispielen gibt es eine Vielzahl weiterer Gedichte und Texte, die sich für den Einsatz bei Menschen mit Demenz eignen. Dazu gehören:

  • Klassische Gedichte: Viele ältere Menschen haben in ihrer Schulzeit Gedichte auswendig gelernt und können diese auch im fortgeschrittenen Alter noch rezitieren. Beliebte Beispiele sind Gedichte von Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller oder Theodor Fontane.
  • Volkslieder: Auch Volkslieder sind oft tief im Gedächtnis verankert und können positive Erinnerungen wecken. Das gemeinsame Singen von Volksliedern kann eine verbindende Wirkung haben und das Gemeinschaftsgefühl stärken.
  • Kurze Verse und Sprüche: Kurze, prägnante Verse und Sprüche können ebenfalls eine positive Wirkung haben. Ein Beispiel ist das Gedicht "Ein Lächeln kostet nichts":

Ein Lächeln kostet nichts, es erzeugt aber viel! Es bereichert jene, die es bekommen, ohne diejenigen zu schaden, die es verschenken! Die Erinnerung an ein Lächeln kann ewig bleiben! Niemand, ist so reich, daß er es nicht noch gebrauchen könnte, und niemand ist so arm, daß es ihm nicht mehr helfen könnte! Es lässt sich nicht kaufen - nicht leihen - nicht stehlen - nicht erzwingen, denn es hat erst seinen Wert von dem Moment an, wo es verschenkt wird!

Die Bedeutung von Erinnerungen

Erinnerungen spielen eine zentrale Rolle im Leben eines Menschen. Sie prägen unsere Identität, geben uns ein Gefühl von Zugehörigkeit und ermöglichen es uns, die Welt um uns herum zu verstehen. Bei Menschen mit Demenz gehen diese Erinnerungen nach und nach verloren, was zu Verunsicherung, Angst und sozialer Isolation führen kann.

Der Einsatz von Gedichten und Musik kann dazu beitragen, diese Erinnerungen wiederzuerwecken und den Betroffenen ein Stück ihrer Identität zurückzugeben. Die Gedichte und Lieder können als Anker in der Vergangenheit dienen und den Menschen mit Demenz ermöglichen, sich mit ihrer Lebensgeschichte auseinanderzusetzen und sich wieder mit sich selbst und ihrer Umwelt zu verbinden.

Fazit

Gedichte und Musik sind wertvolle Instrumente in der Therapie und Betreuung von Menschen mit Demenz. Sie können Erinnerungen wecken, Emotionen ansprechen und die Lebensqualität verbessern. Durch den Einsatz von Gedichten und Liedern können Pflegekräfte und Angehörige eine Brücke zu den Betroffenen bauen und ihnen ermöglichen, sich auszudrücken, mit anderen in Kontakt zu treten und sich wieder mit ihrer Lebensgeschichte zu verbinden. Die "Weckworte"-Workshops von Lars Ruppel und die zahlreichen Beispiele für Gedichte und Texte zeigen, wie vielfältig die Möglichkeiten sind, Poesie und Musik im Umgang mit Demenz einzusetzen. Es ist wichtig, die Bedürfnisse und Reaktionen der Menschen zu berücksichtigen und die Gedichtvorträge entsprechend anzupassen, um eine positive und wertschätzende Atmosphäre zu schaffen.

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