Die faszinierenden Unterschiede zwischen dem menschlichen und dem Affengehirn

Wir Menschen verspüren eine besondere Beziehung zu unseren nächsten Verwandten im Tierreich. Doch was unterscheidet uns wirklich von Affen und macht uns zu dem, was wir sind? Die Wissenschaft sucht seit langem nach Antworten auf diese Frage, und die Forschung hat eine Vielzahl von Unterschieden im Aufbau, der Funktion und der Entwicklung des Gehirns zwischen Menschen und Affen aufgedeckt.

Der präfrontale Kortex: Mehr als nur rationale Entscheidungen

Lange Zeit waren sich Forschende weitgehend einig, dass sich der Mensch von nichtmenschlichen Primaten durch Verhaltensweisen unterscheidet, die vom präfrontalen Kortex gesteuert werden. Dazu zählen Entscheidungsfindung, logisches Denken, Planung und Aufmerksamkeit. Eine neue Studie im Fachmagazin "JNeurosci" hinterfragt jedoch diese sehr auf das rationale Denken fokussierte Sicht kritisch. Die Ergebnisse zeigen, dass nicht nur der Aufbau des präfrontalen Kortex einzigartig für den Menschen ist, sondern auch die Verbindungen zwischen jenen Gehirnregionen, die mit der Emotionsregulation, der sozialen Wahrnehmung und der Sprachverarbeitung in Verbindung stehen. Dies zeigte sich insbesondere beim Vergleich mit Schimpansen.

Mini-Gehirne enthüllen fundamentale Unterschiede in der neurologischen Entwicklung

Eine aktuelle wissenschaftliche Publikation belegt einmal mehr, was der Verein Ärzte gegen Tierversuche seit Langem kritisiert: Affen sind nicht geeignet für die Erforschung des menschlichen Gehirns. Die In-vitro-Studie zeigt anhand von im Labor gezüchteten Mini-Gehirnen, dass grundlegende neurologische Entwicklungsprozesse bei Affen und Menschen stark unterschiedlich sind. Forscher aus Leipzig, Dresden, Basel und Zürich haben aus induzierten pluripotenten Stammzellen Mini-Gehirne (sog. Gehirn-Organoide) von Menschen, Schimpansen und Makakenaffen im Labor gezüchtet und detailliert miteinander verglichen. Für diese Erkenntnisse musste kein Affe sterben oder Schmerzen erleiden, denn die Zellen für die Züchtung der Affen-Gehirn-Organoide erhielten die Forscher im Rahmen routinemäßiger Gesundheitschecks von Schimpansen und Makaken des Leipziger Zoos und eines Gnadenhofs. Es wird lediglich eine kleine Haut- oder Haarwurzelprobe benötigt, aus der die Zellen in sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen zurückprogrammiert und daraus dann die Mini-Organe gezüchtet werden. Die Proben könnten auch Haustieren entnommen werden - mit Einverständnis der Besitzer im Rahmen tierärztlicher Untersuchungen.

Dr. Tamara Zietek, Biochemikerin und Wissenschaftskoordinatorin bei Ärzte gegen Tierversuche, betont: „Gerade bei Affen wird häufig argumentiert, dass sie im Bereich der Hirnforschung das beste „Modell“ für den Menschen seien, da sie diesem angeblich so stark ähneln. Die genetische Ähnlichkeit von Affen und Menschen wird fälschlicherweise oft als Rechtfertigung für Tierversuche herangezogen. Entscheidend für die biologischen Vorgänge in einem Organismus sind jedoch nicht die Gene selbst, sondern hauptsächlich deren Regulation, also wie und wann die Gene abgelesen werden. Und genau das belegt die kürzlich in der Fachzeitschrift Nature erschienene Studie: Fundamentale Prozesse bei der Gehirnentwicklung und der Regulation von Genen sind bei Mensch und Affe völlig verschieden."

Zur Erforschung des menschlichen Gehirns eignen sich menschliche Gehirn-Organoide oder ähnliche humane In-vitro-Systeme, ebenso bildgebende Verfahren und Computersimulationen. „Bei den grundlegenden Unterschieden der Gehirne von Menschen und Affen, die auch in der Studie gezeigt werden, wundert es nicht, dass nach jahrzehntelanger Forschung an diversen „Tiermodellen“ neurologische Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson weder aufgeklärt sind, noch erfolgreich therapiert werden können“, so Dr. Zietek.

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Unterschätzte Unterschiede: Konnektivität und kulturelles Recycling

Der Neurowissenschaftler Stanislas Dehaene glaubt, dass wir die Unterschiede zwischen dem menschlichen Gehirn und dem der anderen Primaten gewaltig unterschätzen. Gewiss kann niemand bestreiten, dass zwischen der Gesamtanlage des menschlichen Gehirns und der etwa des Makaken bedeutende Ähnlichkeiten bestehen. Die für Sensorik und Motorik zuständige primäre Hirnrinde hat den gleichen Aufbau, sogar in höheren Hirnregionen lassen sich Homologien auffinden. Doch Dehaene fürchtet, dass die Anfangserfolge beim Aufspüren von Homologien dazu beigetragen haben, erhebliche Unterschiede zu verdecken. Allein bei den primären Sehregionen zeigt sich schon im Oberflächenareal eine zweifache Abweichung zwischen Mensch und Makak, und in höheren Bereichen des Parietal- und des Frontallappens ist es das 20 bis 50fache. Viele Experten vermuten sogar, dass die dramatischen Veränderungen in manchen Teilen des Kortex auf zusätzliche Gehirnregionen hinauslaufen.

Im eher mikroskopischen Bereich gibt es einen Neuronentypus, der sich nur im anterioren cingulären Kortex des Menschen und großer Affen, aber nicht bei anderen Primaten finden soll; diese sogenannten Spindelzellen knüpfen Verbindungen über die ganze Hirnrinde hinweg und tragen auf diese Weise zu der besonders ausgedehnten Konnektivität des menschlichen Gehirns bei. Solche Abweichungen der Fläche und Verschaltung mögen vielfach rein quantitativer Art sein, haben aber die Hirnfunktion im qualitativen Sinne revolutioniert.

Jean-Pierre Changeux vom Institut Pasteur und Dehaene halten für wahrscheinlich, dass die höhere Konnektivität des menschlichen Gehirns eine besonders flexible Kommunikation zwischen weit auseinander liegenden Hirnregionen ermöglicht. Wir Menschen mögen nahezu die gleichen spezialisierten Zerebralprozessoren haben wie unsere Primatenvorfahren; doch einzigartig am menschlichen Gehirn dürfte sein, dass es auf die Informationen innerhalb jedes Prozessors zugreifen und sie über Leitungsbahnen fast allen anderen zur Verfügung stellen kann. Deshalb glaubt Dehaene, dass wir Menschen einen viel höher entwickelten bewussten Arbeitsbereich haben: eine Reihe von Hirnregionen, die fließend Signale austauschen können, was uns erlaubt, intern Informationen zu verarbeiten und so einzigartige mentale Synthesen zu vollbringen. Wenn die interne Konnektivität eines Systems eine bestimmte Schwelle überschreitet, setzen sich darin selbsttragende Aktivierungszustände durch. Aus Dehaenes Sicht hat beim Menschen das System des Arbeitsbereichs diese Schwelle überschritten und eine erhebliche Autonomie erlangt. Demnach wäre das menschliche Gehirn viel weniger auf äußere Signale angewiesen, als es die Gehirne anderer Primaten sind. Zwar tritt die spontane Hirntätigkeit bei allen Spezies auf, doch wenn Dehaene recht hat, werden wir feststellen, dass sie beim Menschen ausgeprägter und höher strukturiert ist - zumindest in den höheren Regionen des Kortex, wo die Neuronen des "Arbeitsbereiches" mit weitverzweigten Axonen ein dichteres Geflecht bilden.

Der Mensch ist auch einzigartig in seiner Fähigkeit, seine Funktionsweisen durch Erfindung neuer Kulturtechniken auszudehnen. Schreiben, Rechnen, Wissenschaft: Alle drei sind relativ junge Erfindungen. Unsere Gehirne hatten noch nicht genügend Zeit, sich darauf einzustellen, doch ermöglicht hat sie vermutlich, dass wir alte Regionen für neue Aufgaben nutzen können. Zum Beispiel mobilisieren wir beim Lesenlernen die sogenannte "Visual Word Form Area" des Gehirns, um Buchstabenfolgen erkennen und mit Sprachregionen verknüpfen zu können. Ähnlich bilden wir beim Erlernen der arabischen Zahlen einen Schaltkreis, der es erlaubt, die Gestalten schnell in Mengen umzuwandeln - eine Direktverbindung von bilateralen visuellen Regionen zu der parietalen Quantitätsregion. Selbst eine derart elementare Erfindung wie das Abzählen an den Fingern verändert unsere kognitiven Fähigkeiten dramatisch. Dieses "Kulturrecycling" setzt voraus, dass der funktionale Aufbau des menschlichen Gehirns auf einer komplexen Mischung biologischer und kultureller Zwänge gründet. Wahrscheinlich trägt Erziehung stark dazu bei, die Kluft zwischen dem menschlichen Gehirn und dem unserer Primatenverwandtschaft zu vertiefen. Heutige Gehirnmessungen mit bildgebenden Verfahren werden fast durchweg an voll alphabetisierten Freiwilligen mit entsprechend transformierten Gehirnen vorgenommen.

Genaktivität: Überraschend geringe Unterschiede im Gehirn

Ausgerechnet im Gehirn ist der Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse am geringsten - zumindest was den Aufbau und die Aktivität der Gene betrifft. Und das, obwohl wir uns gerade durch Funktionen des Gehirns wie Sprache und Gedächtnis, vom Schimpansen unterscheiden. Im Hoden variiert hingegen die Aktivität der Gene besonders stark zwischen den beiden Spezies. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN). Gemeinsam mit internationalen Kollegen analysierten die Forscher des Max-Planck-Instituts fürs evolutionäre Anthropologie in Leipzig das Erbgut von Schimpansen und verglichen es mit dem des Menschen. Die Leipziger Forscher untersuchten die Aktivität von insgesamt 21.000 Genen aus Herz, Leber, Niere, Hoden und Gehirn in den beiden Spezies. Ergebnis: Im Hoden sind 32 Prozent der Gene unterschiedlich aktiv und in den meisten anderen Geweben durchschnittlich acht Prozent. Vergleicht man die Aktivität einzelner Gene miteinander, so fällt der Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse im Gehirn am geringsten aus.

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Die Wissenschaftler betrachteten die gefundenen Unterschiede noch einmal genauer: Seit sich vor circa sechs Millionen Jahren die evolutionären Wege von Mensch und Schimpanse trennten, hat sich das Gehirn des Menschen schneller entwickelt. Denn von den wenigen Unterschieden, die zwischen den Spezies im Gehirn gefunden wurden, sind die meisten während der Evolution des Menschen aufgetreten. Die durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Studie bietet aber nicht nur Einblicke in die menschliche Evolution. Sie lässt auch Rückschlüsse auf die Regeln zu, nach denen genetische Netzwerke in den unterschiedlichen menschlichen Geweben funktionieren: "Verglichen mit den anderen Geweben sind die geringen Unterschiede im Gehirn eventuell darauf zurückzuführen, dass die Genprodukte hier in komplexen Netzwerken zusammenspielen. Wenn sich ein Genprodukt ändern würde, müssten sich die anderen Partner anpassen. Das wäre mit viel Aufwand verbunden. Das Genom des Menschen ist dem des Schimpansen erstaunlich ähnlich: 98,7 Prozent des Erbguts der beiden Spezies sind identisch. Darüber hinaus geschahen die meisten Veränderungen zwischen den Spezies laut der aktuellen Studie zufällig und beeinflussen nicht die Funktion der Gene. Aufgrund dieser geringen Unterschiede in der Erbinformation nahmen die Evolutionsforscher bisher an, dass der entscheidende Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse in einer veränderten Genregulation - also in einer unterschiedlichen Nutzung der Gene - zu suchen ist.

Junk-DNA: Der unerwartete Regulator unserer Hirnentwicklung

Welche Teile unserer DNA sind für den Unterschied zwischen Affen und Mensch verantwortlich? Unerwarteter Regulator: Das, was unser Gehirn einzigartig menschlich macht und uns vom Affen unterscheidet, liegt offenbar in der Junk-DNA - dem Teil unseres Erbguts, der keine Proteine codiert. Denn in ihm liegen Abschnitte, die für unsere Hirnentwicklung entscheidend sind, wie Forscher in einem Experiment mit Stammzellen von Menschen und Schimpansen herausgefunden haben. 98 Prozent unseres Erbguts enthalten keine Bauanleitungen für Proteine. Lange wurde diesen nicht-codierenden Regionen keine Funktion zugeschrieben, man bezeichnete sie als „Junk“, also „Müll“. Inzwischen weiß man jedoch, dass die „Junk-DNA“ wichtige Aufgaben erfüllt, etwa bei der Genregulation.

Indizien dafür liefert nun eine Studie von einem Team um Pia Johansson von der Universität Lund in Schweden. Die Forscher verglichen das menschliche Erbgut mit dem unserer engsten lebenden Verwandten: Schimpansen. Um den Unterschieden auf die Spur zu kommen, wählten die Forscher einen neuen Ansatz: „Anstatt lebende Menschen und Schimpansen zu untersuchen, haben wir im Labor gezüchtete Stammzellen verwendet, die aus Hautzellen umprogrammiert wurden“, erklärt Johanssons Kollege Johan Jakobsson. Dabei stellten sie fest, dass Menschen und Schimpansen einen Teil ihrer DNA auf unterschiedliche Weise nutzen, der offenbar eine wichtige Rolle bei der Entwicklung unseres Gehirns spielt. „Der Teil unserer DNA, den wir als unterschiedlich identifizierten, war unerwartet“, sagt Jakobsson. Wenn Forscher bisher nach Unterschieden gesucht haben, hatten sie diesen Bereich meist ausgeklammert und sich auf die proteincodierenden Gene konzentriert, die nur etwa zwei Prozent unserer gesamten DNA ausmachen. „Unsere Ergebnisse deuten dagegen darauf hin, dass das, was für die unterschiedliche Entwicklung des Gehirns von Bedeutung war, stattdessen womöglich in den übersehenen 98 Prozent verborgen ist“, so Jakobsson. Die nicht-codierenden Regionen sind offenbar daran beteiligt, bestimmte für die Hirnentwicklung wichtige Gene zu regulieren.

Die von Johansson und ihren Kollegen identifizierte Region in der „Junk-DNA“ ist bei Schimpansen deutlich länger als bei Menschen. Diese längere Version schaltet bei Schimpansen ein Gen namens ZNF558 ab, das beim Menschen hingegen aktiv ist und eine wichtige Rolle für die Hirnentwicklung spielt. Nach Ansicht der Forschenden liefern diese Ergebnisse erste wichtige Einblicke darin, welche genetischen Faktoren uns typisch menschlich machen und uns von unseren Menschenaffen-Verwandten unterscheiden. „Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, denn statt die zwei Prozent der kodierten DNA weiter zu erforschen, müssen wir uns jetzt vielleicht mit allen 100 Prozent beschäftigen - eine wesentlich kompliziertere Aufgabe für die Forschung“, so Jakobssen.

Anatomische und physiologische Unterschiede im Überblick

Neben den genetischen und entwicklungsbedingten Unterschieden gibt es auch deutliche Unterschiede in der Anatomie und Physiologie des Gehirns zwischen Mensch und Affe:

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  • Gehirnvolumen: Das Gehirnvolumen des Menschen beträgt ca. 1300 cm³, wohingegen Menschenaffen über ein Volumen zwischen 400 bis 500 cm³ verfügen.
  • Gebiss: Das Gebiss des Homo sapiens ist parabelartig angeordnet und die Schneidezähne sind zurückgebildet. Bei Menschenaffen ist die Anordnung des Gebisses U-förmig. Ihre Schneidezähne sind verhältnismäßig groß. Damit sie den Mund trotzdem schließen können, ist im Oberkiefer ein zahnfreier Zwischenraum - die sogenannte Affenlücke.
  • Hände: Mensch und Menschenaffe haben jeweils fünf Finger an jeder Hand. Der Mensch ist zum Präzisionsgriff befähigt, der ihn zu anspruchsvollen, feinmotorischen Arbeiten ermächtigt. Menschenaffen können diesen nur bedingt ausführen, weil ihr Daumen nicht frei bewegbar ist.
  • Körperbau: Die Beine sind beim Menschen länger als die Arme und der Körperbau tendenziell schlank. Menschenaffen sind klein, stämmig und im Körperbau gedrungen. Ihre Arme sind länger als die Beine. Dies erweist sich bei der Fortbewegung in Wäldern und halboffenen Savannen als Vorteil.
  • Becken und Wirbelsäule: Das Becken des Homo sapiens ist breit, damit bei der Geburt der Säugling durch den Geburtskanal passt. Das große Gehirnvolumen beim Kind würde bei einem schmalen Becken für Komplikationen sorgen. Zudem weist die Wirbelsäule beim Menschen eine doppelte S-förmige Krümmung auf.

Der Energieverbrauch des Gehirns und die Entwicklung der Muskelkraft

Im Vergleich zu unseren entfernten Verwandten sind wir nicht gerade Kraftpakete. Schon lange sind sich Wissenschaftler der Tatsache bewusst, dass wir uns durch unser übergroßes, energiehungriges Gehirn von anderen Menschenaffen wie beispielsweise Schimpansen unterscheiden. Die Frage, wie und warum genau das menschliche Gehirn, welches 20 Prozent unserer Energie verbraucht, so groß wurde, wird seit vielen Jahren heiß debattiert. Die Antwort ist vermutlich komplex und bezieht mehrere Faktoren mit ein, darunter auch die Fähigkeit, Nahrung über dem Feuer zuzubereiten und dadurch leichter verdaulich zu machen.

Eine Studie, die in „PLoS Biology“ erschien, behandelt die Geschwindigkeit, mit der sich die Stoffwechselansprüche verschiedener Organe wie Gehirn und Nieren im Laufe der menschlichen Entwicklung veränderten. Unsere frühen Vorfahren waren vermutlich ähnlich stark wie andere Menschenaffen, zumindest im Hinblick auf die Skelettmuskulatur. Ein Forscher verweist darauf, dass sich „menschliche Muskeln in den letzten sechs Millionen Jahren stärker verändert haben, als es die Muskeln von Mäusen seit der frühen Kreide getan haben, als sich unsere gemeinsame Ahnenlinie aufspaltete“. Die Studienergebnisse basierten auf einer Analyse von 10.000 Stoffwechselmolekülen. Um das Resultat zu überprüfen, ließen die Wissenschaftler Menschen, Schimpansen und Makaken (ebenfalls Primaten, aber keine Menschenaffen) in einem Wettstreit gegeneinander antreten. „Spannenderweise schnitten untrainierte Schimpansen und Makaken besser ab als Uni-Basketballspieler und professionelle Bergsteiger“, sagte Roberts. Am Ende der zwei Monate hatte sich die Stärke der Tiere aber nicht nennenswert verringert.

Das ARHGAP11B-Gen: Ein Schlüssel zur Entwicklung des menschlichen Gehirns?

Forschende des Göttinger Primatenzentrums haben gezeigt, wie wichtig ein bestimmtes Gen für die Entwicklung des menschlichen Gehirns ist. Ungefähr 99 Prozent unserer Gene teilen wir mit Schimpansen. Trotzdem gibt es viele Unterschiede, vor allem in Bezug auf die kognitiven Fähigkeiten. Nun könnten Forschende einen Grund gefunden haben: ein Gen mit dem sperrigen Namen ARHGAP11B. Verantwortlich sei eine winzige Mutation unserer Gene, die unsere kognitiven Fähigkeiten einzigartig macht, sagt Michael Heide, einer der Hauptautoren der neuen Studie. Nur ein einziges Basenpaar ist ausgetauscht, eine minimale Abweichung bei den weit über drei Milliarden Basenpaaren unseres gesamten Genoms. Eine kleine Veränderung mit riesigen Konsequenzen. Mutationen dieser Art würden zwar häufig vorkommen, hätten jedoch selten solche Konsequenzen. "Das ist wie ein Lottogewinn. Dass eine solche Mutation an genau dieser wichtigen Stelle vorkommt, ist eigentlich sehr unwahrscheinlich," sagt Heide.

Das Gen findet sich ausschließlich im Menschen und bei keiner anderen Spezies. Auch nicht bei Menschenaffen wie Schimpansen. Die Studie zeigt: Das Gen spielt eine Schlüsselrolle in der Entwicklung des Neokortex. Dabei handelt es sich um die äußerste Schicht, die den Großteil unseres Gehirns ausmacht. Unser strategisches Denken, unsere Fantasie, Speicherkapazität und Sprache - der Neokortex ist verantwortlich für viele unserer geistigen Fähigkeiten. Aus Sicht der Evolution ist dieser Teil unseres Gehirns der Jüngste und dessen Entwicklung somit einer der Hauptunterschiede zwischen uns und Menschenaffen. Unser Neokortex ist etwa dreimal so groß wie der unseren nächsten Verwandten.

Experimente an Menschenaffen sind aus ethischen Gründen in Europa schon lange verboten. Deswegen muss eine andere Technik verwendet werden, um das Gehirn untersuchen zu können: sogenannte Organoide. Winzige Zellstrukturen, die aus wenigen Gehirnzellen bestehen. Sie sind nur einige Millimeter groß. Unter dem Mikroskop erinnert der Zellhaufen fast an ein kleines Gehirn. Die Strukturen bestehen aus Stammzellen, die aus Blut oder Hautzellen gezüchtet werden. Diese können sich dann in unterschiedliche Zelltypen entwickeln, auch in Hirnzellen von Schimpansen und Menschen. Während der Studie wurden solche Organoide aus Hirnzellen eines Schimpansen mit dem einzigartigen menschlichen Gen ausgestattet. Daraufhin konnten die Forschenden beobachten, wie die Zahl der Nervenzellen anstieg. Wenn, andersherum, dieses Gen in menschlichen Zellstrukturen ausgeschaltet wurde, blieb die Zahl der Nervenzellen niedrig.

Bedeutet das also, dass wir in naher Zukunft Schimpansen mit menschlicher Intelligenz haben werden wie in dem Film "Planet der Affen"? Wohl nicht. "Für Intelligenz ist mehr als nur viele Neurone wichtig, auch die Vernetzung dieser ist grundlegend für hohe kognitive Funktionen", sagt Heide. Außerdem bleibe das Experimentieren mit Menschenaffen weiterhin verboten. Die Erkenntnisse der Studie könnte naber wohl dabei helfen, Gehirnen von Menschen besser zu verstehen, die fehlgebildet sind. Außerdem sieht Heide eine gewisse Ähnlichkeit zu der Entwicklung einiger Tumorzellen.

Die Rolle des Mandelkerns bei der Gesichtserkennung

Der Mandelkern (lateinisch: Amygdala) ist unter anderem dafür zuständig, mögliche Gefahren zu erkennen. Dazu analysiert er beispielsweise die Informationen, die er vom Sehzentrum erhält: Kenne ich dieses Gesicht, oder ist es fremd? Schaut es freundlich drein oder wütend? Auch die Blickrichtung des Gegenübers kann auf eine Bedrohung hinweisen: Sind seine Augen vor Schreck geweitet und fixieren einen Punkt über meiner Schulter? Dann sollte ich mich wohl am besten schnell umdrehen. Studien deuten darauf hin, dass bei Affen die Erkennung der Blickrichtung ebenfalls im Mandelkern erfolgt.

Die Forscher der Universität Bonn konnten diese Frage nun dank einer neuartigen Methode beantworten. Sie analysierten, wie einzelne Nervenzellen im Mandelkern von Epilepsie-Patienten auf den Anblick von Gesichtern reagieren. Dazu zeigten sie ihren Probanden Portraitfotos verschiedener Personen. Von jedem Bild gab es neun Varianten: Auf einer schaute das Modell direkt in die Kamera, auf den anderen richtete es den Blick dagegen nach oben, schräg unten, zur Seite, etc. Während die Patienten die Bilder betrachteten, zeichneten die Wissenschaftler die Signale einzelner Mandelkern-Neurone auf.

Erstaunliches Ergebnis: „Wir hatten erwartet, dass manche Neurone vor allem bei einer bestimmten Blickrichtung feuern, also elektrische Pulse erzeugen“, erklärt Professor Dr. Dr. Florian Mormann von der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn. „Dafür haben wir aber keine Anhaltspunkte gefunden. Die Forscher vermuten, dass diese Aufgabe stattdessen in die Hirnrinde ausgelagert wurde. Allerdings konnten die Neuronen im Mandelkern zwischen verschiedenen Gesichtern unterscheiden: Manche wurden nur bei Fotomodell eins aktiv, andere nur bei Modell zwei oder Modell vier.

Es gibt weltweit nur eine Handvoll Zentren, an denen Studien wie diese durchgeführt werden können. Dass die Universität Bonn zu diesem elitären Kreis gehört, hat seinen guten Grund: Die Klinik für Epileptologie des Universitätsklinikums ist deutschlandweit führend bei der operativen Therapie des Krampfleidens. Ursache der charakteristischen Anfälle ist oft ein Defekt im so genannten Schläfenlappen. Die Ärzte versuchen, die defekte Region aufzuspüren und chirurgisch zu entfernen. Im Idealfall sind die Betroffenen anschließend anfallsfrei. Mitunter ist der verantwortliche Defekt jedoch schwer zu verorten. In diesem Fall werden den Patienten Elektroden ins Gehirn implantiert. Über sie lassen sich die Anfälle aufzeichnen und ihr Entstehungsort lokalisieren. Die Elektroden sind hohl und enden im Schläfenlappen, einer Hirnregion, in der sich auch der Mandelkern befindet. „Dieser Umstand lässt sich für weitere Untersuchungen nutzen“, erklärt Professor Mormann. In der aktuellen Studie schoben die Forscher durch den hohlen Kern haarfeine Drähtchen bis zum Mandelkern vor. Dadurch konnten sie die Signale der einzelnen Nervenzellen abgreifen. Mormann hat die Methode am California Institute of Technologie (CalTech) und an der University of California in Los Angeles (UCLA) erlernt. Der CalTech-Wissenschaftler Professor Dr. Ralph Adolphs - Co-Autor der Studie - gilt als einer der Pioniere auf dem Gebiet der Mandelkern-Forschung. Die Daten der aktuellen Arbeit stammen allerdings komplett aus Bonn. „Für die Patienten bedeutet die Methode kein zusätzliches Risiko“, betont Mormann.

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