Ein Kater ist meist nach einem Tag überstanden, doch die Auswirkungen von Alkohol auf das Gehirn können viel länger anhalten, insbesondere bei regelmäßigem Rauschtrinken. Oft wird vergessen, dass übermäßiger Alkoholkonsum das Gehirn schädigen kann, besonders bei Jugendlichen. Doch wie genau wirkt sich regelmäßiges Rauschtrinken auf die Hirnleistungen aus und wie kann sich das Gehirn nach Alkoholkonsum wieder erholen?
Auswirkungen von Rauschtrinken auf Jugendliche
Ein US-amerikanisches Forschungsteam untersuchte die Auswirkungen von regelmäßigem Rauschtrinken auf die Hirnleistungen von Jugendlichen. In einer Studie wurden 65 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 16 und 18 Jahren zu umfangreichen Hirnleistungstests eingeladen. Die Tests umfassten das Auswendiglernen von Zahlenreihen und Wortlisten, das Nachzeichnen komplexer Figuren aus dem Gedächtnis und das Unter Beweis stellen ihrer Flexibilität im Denken. Die Schüler absolvierten die Tests drei Mal im Abstand von zwei bzw. vier Wochen.
Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe betrieb regelmäßig Rauschtrinken (mindestens einmal pro Monat und mindestens 50 Rauscherfahrungen), die andere Gruppe lebte überwiegend abstinent. Ein Vergleich der Schulleistungen stellte sicher, dass beide Gruppen ein ähnliches Leistungsniveau aufwiesen. Das Forschungsteam wollte herausfinden, wie sich die kognitiven Leistungen innerhalb von vier Wochen verändern, wenn die Jugendlichen aus der Gruppe der Rauschtrinker auf jeglichen Alkoholkonsum verzichten. Regelmäßige Urinkontrollen stellten sicher, dass der Alkoholverzicht eingehalten wurde.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Jugendlichen Rauschtrinker in fast allen Tests schlechter abschnitten als die Vergleichsgruppe. Zwar konnten sie ihre Leistungen innerhalb des vierwöchigen Testzeitraums verbessern, erreichten aber bis zum Schluss nicht das Niveau der abstinenten Jugendlichen. Im Schnitt waren ihre Leistungen 5 bis 10 Prozent schlechter. Die Untersuchung zeigte somit, dass sich das Gehirn von Jugendlichen, die sich regelmäßig betrinken, auch nach vier Wochen Abstinenz noch nicht vollständig von den schädlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums erholt hat. Da viele der getesteten kognitiven Fähigkeiten im Alltag benötigt werden und Jugendliche meist noch zur Schule gehen, ist es wahrscheinlich, dass sich der schädliche Einfluss des Alkohols auch auf ihre Schulleistungen auswirkt.
Regeneration des Gehirns bei Alkoholabhängigkeit
Für Menschen, die nach einer Alkoholkrankheit zurück in ein normales Leben finden wollen, gibt es jedoch auch gute Nachrichten. Beobachtungen an der Stanford University School of Medicine in Kalifornien lieferten einen Hinweis darauf, dass sich vom schweren Alkoholmissbrauch angegriffene Gehirne verhältnismäßig schnell wieder erholen können.
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Eine Studie von Professor Andreas J. Bartsch von der Universität Würzburg und seinen Kollegen zeigte, dass bei 14 von 15 Alkoholikern, die mindestens drei Jahre abhängig waren und dann abstinent wurden, das Hirnvolumen innerhalb von sieben Wochen um durchschnittlich knapp zwei Prozent zunahm. Die Hirnvolumina wurden zu Beginn und am Ende der Studie per MRT bestimmt. Nur bei einem Patienten, der bereits seit 25 Jahren abhängig war, nahm das Hirnvolumen leicht ab. Laut Neuroradiologe Bartsch handelte es sich bei der Volumenzunahme nicht um eine simple Rehydratation, da der Wassergehalt der Gehirne unverändert blieb. Zudem korrelierte die Volumenzunahme mit einem verbesserten Hirnstoffwechsel, was sich aus der Messung bestimmter chemischer Marker für die Hirnfunktion per MR-Spektroskopie ergab. Zu den Markern zählten Cholin- und die N-Acetylaspartat (NAA)-Werte. Das zerebelläre Cholin stieg bei den abstinenten Patienten signifikant um durchschnittlich 20 Prozent, und zwar direkt proportional zur Volumenzunahme. Laut Bartsch sprechen beide Marker für eine Regeneration von Neuronen und Gliazellen innerhalb weniger Wochen.
Professor Graeme F. Mason aus New Haven, Connecticut, kommentierte die Ergebnisse der Studie und meinte, dass sie Alkoholiker verstärkt zur Abstinenz motivieren könnten, da viele Patienten glaubten, der Schaden des Gehirns sei bereits unabänderlich vorhanden.
Anhaltende Schädigung nach dem Entzug
Eine Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim und des Instituto de Neurociencias de Alicante (Spanien) zeigte jedoch, dass alkoholbedingte Hirnschäden nach einem Entzug noch für mindestens sechs Wochen fortschreiten können. Die Forscher untersuchten die Veränderung im Nervengewebe von mehr als 90 Patienten nach dem Alkoholentzug mithilfe einer speziellen Methode der Magnetresonanztomographie (MRT), durch die Diffusionsvorgänge von Wassermolekülen im Gehirn dargestellt werden können (Diffusion Tensor Imaging, DTI). Dabei konnten ausgedehnte mikrostrukturelle Schädigungen in der weißen Substanz des Gehirns nachgewiesen werden, die eine wichtige Rolle für das Lernen und die Gedächtnisbildung spielt. Überraschenderweise stellten die Forscher fest, dass die Schädigungen selbst über einen Zeitraum von mindestens sechs Wochen nach der Entgiftung noch fortschreiten. Als mögliche Erklärung postulieren die Autoren eine alkoholbedingte Entzündungsreaktion.
Um Alkohol als den ursächlichen Faktor der beobachteten Hirnveränderungen feststellen zu können, untersuchten die Forscher mit der gleichen Methodik eine Gruppe von Ratten. „Die Tiere zeigten im MRT genau die gleichen Hirnveränderungen wie die Patienten. Dies erlaubt es, den Ursachenzusammenhang klar festzustellen, was allein durch klinische Beobachtungen am Patienten nicht möglich gewesen wäre“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Sommer, stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Psychopharmakologie und Oberarzt an der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am ZI. Andere Einflussfaktoren wie Rauchen, Ernährung, Schweregrad des Entzugs oder weitere Erkrankungen und geistige Einschränkungen konnten die Forscher so ausschließen.
Sommer warnt, dass die im Vergleich zu Menschen kurze und eher gemäßigte Trinkperiode der Tiere darauf hindeutet, dass permanente Gehirndefizite nach übermäßigem Alkoholkonsum viel früher auftreten können, als derzeit angenommen. Da sich solche frühen Anzeichen von Gehirnschädigungen durch übermäßigen Alkoholkonsum mit Hilfe von Standard-MRT-Aufnahmen nicht erkennen lassen, arbeitet das Forscherteam nun an der Entwicklung einer MRT-basierten Screening-Methode zum Nachweis der Schädigung. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen zudem, wie wichtig langfristige Abstinenzperioden sind, um bleibende Schäden zu verhindern.
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Die Auswirkungen von Alkoholkonsum auf das Gehirn
Alkohol ist ein Zellgift, das das Gehirn und fast alle anderen Organe im Körper schädigen kann. Es begünstigt zum Beispiel Lebererkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Depressionen. Zudem führt Alkoholkonsum zu schlechterer Schlafqualität und erhöhtem Stress. Regelmäßiger Alkoholkonsum wirkt sich negativ auf den Blutdruck aus und kann zu einer Herzinsuffizienz oder sogar zu einem Schlaganfall führen. Selbst ein moderater Alkoholkonsum ist bereits mit gesundheitlichen Risiken verbunden.
Schon eine Flasche Bier am Tag lässt die graue sowie die weiße Substanz im Gehirn schrumpfen, wenn Sie über einen langen Zeitraum regelmäßig konsumieren. Bei der grauen Substanz handelt es sich um die Großhirnrinde (oder Cortex), die rund 20 Milliarden Nervenzellkörper beherbergt. Im Inneren des Großhirns befinden sich ihre Zellfortsätze (Axone), die aufgrund ihrer helleren Farbe weiße Substanz genannt werden. Beide Substanzen sind wesentliche Bestandteile des zentralen Nervensystems und steuern nahezu alle Hirnfunktionen. Ohne sie kann das Gehirn nicht normal arbeiten. Die Veränderungen, die Alkohol in den Gehirnsubstanzen verursacht, sind jedoch nicht linear: Je mehr man trinkt, desto schneller schrumpft das Gehirn. Ein Beispiel: Erhöht eine 50-jährige Person ihren täglichen Alkoholkonsum von einem 0,25l Glas Bier auf eine 0,5l Flasche Bier, entsprechen die Veränderungen im Gehirn einer Alterung von zwei Jahren.
Die Folgen der Hirnalterung machen sich vor allem durch ein geschwächtes Erinnerungsvermögen bemerkbar. So kann es häufiger dazukommen, dass sie Kleinigkeiten wie Ihren Hausschlüssel vergessen oder immer öfter mehr als einmal auf Ihre Einkaufsliste schauen müssen. Aber der Alkohol beeinträchtigt auch andere kognitive Fähigkeiten: Aufmerksamkeit, Orientierung oder die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Jüngere Studien weisen darauf hin, dass regelmäßiger Alkoholkonsum von bereits fünf bis sechs Standardgläsern pro Woche die kognitive Leistungsfähigkeit vermindert.
Im Gehirn verursacht ein regelmäßiger Konsum hoher Alkoholmengen außerdem Veränderungen, die das Risiko einer Demenzerkrankung stark erhöhen. Studien zeigen, dass sich das Demenzrisiko deutlich erhöht, wenn man regelmäßig viel Alkohol trinkt. Personen ab 45 Jahren, die mehr als 24 Gramm reinen Alkohol (ca. 250 ml Wein) am Tag trinken, sind besonders gefährdet.
Erholung des Gehirns durch Abstinenz
Die gute Nachricht ist, dass sich das Gehirn von den Auswirkungen des Alkohols erholen kann. Eine Studie zeigte, dass sich die Dicke der Hirnrinde, eine faltige äußere Schicht des Gehirns, bei Menschen mit Alkoholproblem nach etwa 7,3 Monaten Abstinenz wieder vergleichbar mit der von Nicht-Trinkern war. Die Hirnrinde kümmert sich um viele kognitive Funktionen und ist bei Menschen, die ein Alkoholproblem haben, tendenziell dünner, was unter anderem die Fähigkeit, vorauszuplanen und Entscheidungen zu treffen, beeinträchtigt.
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Bereits nach wenigen Tagen ohne Alkohol beginnt sich der Körper zu erholen. Innerhalb von 72 Stunden stellt sich eine Verbesserung des Flüssigkeitshaushalts ein. Die Leber beginnt ebenfalls, sich von den toxischen Stoffen zu befreien, die beim Abbau von Alkohol entstehen. Nach einer Woche ohne Alkohol ist der Körper weiter auf dem Weg der Erholung und auch das Immunsystem wird stärker. Der Blutzuckerspiegel stabilisiert sich, und die Schlafqualität verbessert sich. Nach einem Monat ohne Alkohol kann die Leber wieder besser entgiften und Fett verbrennen, was oft zu einem spürbaren Gewichtsverlust führt. Der Blutdruck normalisiert sich, und das Risiko für Herzkrankheiten reduziert sich. Die Stimmung wird stabiler, und die Symptome von Angst oder Depression, die durch Alkohol verstärkt werden, lassen nach. Nach einem Jahr ohne Alkohol hat sich der Körper weitgehend regeneriert. Die Leber hat sich erholt, und das Risiko für Lebererkrankungen wie Fettleber oder Leberzirrhose ist deutlich gesunken. Auch das Risiko für alkoholbedingte Krebsarten sinkt. Viele berichten nach einem Jahr ohne Alkohol von einer neuen geistigen Klarheit, besserer emotionaler Stabilität und einem allgemein positiveren Lebensgefühl.
Tipps für den Alkoholverzicht
Ein längerer Alkoholverzicht hat viele positive Effekte auf Körper und Psyche. Hier sind einige Tipps, die Ihnen dabei helfen können:
- Machen Sie sich immer wieder die Vorteile des Verzichts klar.
- Setzen Sie sich ein konkretes Ziel, wie lange der Alkoholverzicht mindestens dauern soll.
- Meiden Sie während des Alkoholverzichts Situationen, die Sie dazu verleiten könnten, Alkohol zu trinken.
- Testen Sie sich durch die Vielfalt an alkoholfreien Cocktails - sogenannte Mocktails.
- Suchen Sie sich Verbündete und machen Sie das Alkoholfasten gemeinsam mit anderen.
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