Quantentechnologien haben das Potenzial, unser Leben grundlegend zu verändern, ähnlich wie es Computer und das Internet getan haben. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, benötigen Expert*innen einzelne Teilchen mit besonderen Eigenschaften, beispielsweise Photonen. Die kontrollierte Erzeugung und der Nachweis solcher Teilchen sind jedoch eine Herausforderung. Aktuelle Forschungsergebnisse eröffnen faszinierende neue Möglichkeiten, die Rolle von verschränkten Photonen im Gehirn zu verstehen.
Die Erzeugung von Elektron-Photon-Paaren im Elektronenmikroskop
Forschenden aus Göttingen und der Schweiz ist es gelungen, in einem Elektronenmikroskop kontrolliert Elektron-Photon-Paare zu erzeugen. Dieses Verfahren ermöglicht den präzisen Nachweis der beteiligten Teilchen durch ein neues Messverfahren.
In dem Göttinger Experiment wird der Strahl eines Elektronenmikroskops durch einen integrierten optischen Chip geleitet, der von einem Schweizer Team hergestellt wurde. Dieser Chip besteht aus einer Glasfaserkopplung und einem ringförmigen Speicher, einem Resonator, der Lichtteilchen auf einer Kreisbahn hält.
Armin Feist, Wissenschaftler am MPI, erklärt: „Wenn ein Elektron mit dem anfangs leeren Resonator wechselwirkt, wird ein Photon erzeugt.“ Germaine Arend, Doktorandin am MPI, betont: „Das Besondere der Elektron-Photon-Paare ist, dass nur ein Teilchen gemessen werden muss, um Informationen über Energiegehalt und zeitliches Auftreten des zweiten zu erhalten.“
Diese Methode ermöglicht es Forschern, ein Quantenteilchen im Experiment zu nutzen und gleichzeitig das andere zur Kontrolle zu vermessen, was für viele Anwendungen in der Quantentechnologie notwendig ist.
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Max-Planck-Direktor Claus Ropers sieht in den Elektron-Photon-Paaren eine neue Chance für die Quantenforschung: „Die Methode eröffnet faszinierende neue Möglichkeiten in der Elektronenmikroskopie. Im Bereich der Quantenoptik verbessern verschränkte Photonenpaare bereits die Bildgebung. Mit unserer Arbeit können solche Konzepte nun auch mit Elektronen erforscht werden.“
Tobias Kippenberg, Professor an der EPFL, ergänzt: „Zum ersten Mal bringen wir freie Elektronen in den Werkzeugkasten der Quanteninformationswissenschaft.“
Quanteneffekte im Gehirn: Eine Hypothese
Die Frage, ob und inwieweit Quanteneffekte in biologischen Systemen eine Rolle spielen, ist noch offen. Bisher ist die Quantenphysik für die meisten Neurowissenschaftler kein zentrales Thema, da Quanteneffekte typischerweise bei sehr tiefen Temperaturen und sehr kleinen Massen auftreten, Bedingungen, die in biologischen Systemen meist nicht gegeben sind.
Einige Wissenschaftler postulieren jedoch quantenmechanische Effekte in den Nervenzellen des Gehirns, um Prozesse wie die Entstehung von Bewusstsein zu erklären, die noch weitgehend unverstanden sind.
Eine chinesische Forschergruppe hat theoretisch gezeigt, dass in den Myelinscheiden, die die Nervenfasern umhüllen, Paare von verschränkten Photonen erzeugt werden könnten. Dies könnte erklären, wie Millionen von Zellen im Gehirn ihre Aktivität synchronisieren.
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Das Modell von Penrose und Hameroff
Roger Penrose, ein britischer Mathematiker und Nobelpreisträger, entwickelte zusammen mit dem US-amerikanischen Mediziner Stuart Hameroff bereits 1994 ein Modell, das Bewusstsein auf quantenmechanischen Effekten wie Verschränkung, Quanten-Nichtlokalität und Quantenkohärenz basiert. Diese Effekte sollen in den Mikrotubuli des Zellskeletts lokalisiert sein.
Mikrotubuli sind winzige Röhrchen aus Eiweißmolekülen, die Zellen mechanisch stabilisieren und Stofftransporte innerhalb der Zelle ermöglichen. In diesem Modell ist jede Nervenzelle eine Art Quantencomputer, der auf nicht vollständig berechenbare Weise Information verarbeitet.
Die Rolle der Myelinscheiden
Die Gruppe um Yong-Cong Chen hat die Verbindungen zwischen den einzelnen Nervenzellen, die Axone, genauer untersucht. Axone sind lange Strukturen, die von einer Hülle aus Myelin umgeben sind, einer fettreichen Schicht. Die Myelinscheide ist etwa 100 Mikrometer lang und wird immer wieder von ein bis zwei Mikrometer breiten Lücken unterbrochen.
Über das Axon werden elektrische Nervenimpulse von einer Nervenzelle zur nächsten geleitet. Wenn ein Gehirn aktiv ist, feuern plötzlich Millionen Neurone gleichzeitig. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Signale entlang der Axone ausbreiten, ist jedoch relativ langsam und reicht möglicherweise nicht aus, um die erstaunlichen Leistungen des Gehirns zu erklären.
Verschränkte Photonen als Lösung?
Um dieses Problem zu lösen, untersuchten Chen und seine Kollegen, ob es im Axon-Myelin-System verschränkte Photonen geben könnte, die instantan über die betreffenden Entfernungen wechselwirken.
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Chen sagte gegenüber dem »New Scientist«: »Würde die Evolution aktiv nach einer praktischen Fernwirkung suchen, wäre die Quantenverschränkung ein idealer Kandidat für diese Rolle.« Wenn zwei Quantenobjekte miteinander verschränkt sind, führen Veränderungen in einem Objekt sofort zu Veränderungen im anderen, was eine augenblickliche Synchronisation ermöglichen würde.
Bisher konnten solche Lichtteilchen im Gehirn weder direkt nachgewiesen noch ihre Verschränkung bestätigt werden. Es wird jedoch vermutet, dass sie im Zitratzyklus entstehen, der im Energiestoffwechsel der Zelle eine wichtige Rolle spielt.
Laut dem Modell von Chen und Co. führen die Photonen den Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindungen in den Fettmolekülen der Myelinscheide Energie zu und regen sie in einen höheren Schwingungszustand an. Wenn das System wieder in den Grundzustand übergeht, werden nacheinander zwei Photonen abgestrahlt.
Wenn man die Myelinscheide als zylindrischen Hohlraum idealisiert, der diese Photonen speichern und verstärken kann, lässt sich berechnen, wie die resultierende Wellenfunktion für ein System von zwei Photonen in einem solchen Hohlraum aussehen könnte. Die Forscher zeigten, dass viele dieser Photonen paarweise miteinander verschränkt wären.
Offene Fragen und zukünftige Forschung
Inwieweit die verschränkten Photonen in den Nervenzellen des Gehirns zur Entstehung von Bewusstsein beitragen, bleibt jedoch offen. Chen betonte gegenüber dem Portal »Phys.org«: »Wir wollen mit unserer Arbeit nicht sagen, dass es eine direkte Verbindung zwischen Bewusstsein und Quantenverschränkung gibt. In diesem frühen Stadium besteht unser Hauptziel darin, überhaupt erst mal mögliche Mechanismen der neuronalen Synchronisation zu identifizieren.«
Die Frage, ob die Quantenphysik einen Einfluss auf belebte Systeme und insbesondere auf die Informationsverarbeitung im Gehirn hat, zählt zu den spannendsten Fragen der kommenden Jahrzehnte.
Direkte Beobachtung verschränkter Photonen
Ein Experiment, das ein theoretischer Physiker der Universität Basel mit weiteren Wissenschaftlern vorschlägt, könnte die direkte Beobachtung von Verschränkung ermöglichen.
Die Grundidee besteht darin, ein verschränktes Photon durch eine spezielle Technik zu vervielfältigen, ohne die quantenphysikalische Verschränkung zu zerstören. Auf diese Weise könnten etwa hundert verschränkte Photonen erzeugt werden, was nach heutigem Wissen nötig ist, um beim Menschen den Eindruck von Licht zu erzeugen.
Das Experiment
In dem Experiment wird ein einzelnes Photon auf einen halbdurchlässigen Spiegel gelenkt. Nicolas Sangouard erklärt: »Das einzelne Photon wird vom Spiegel nicht durchgelassen oder reflektiert, sondern - Quantenphysik ist seltsam - das Photon wird gleichzeitig durchgelassen und reflektiert. Hinter dem Spiegel existiert das Photon in einem ‹durchgelassenen› und einem ‹reflektierten› Zustand, wobei diese beiden Zustände miteinander verschränkt sind.«
Hinter dem Spiegel werden ein Photonen-Detektor und ein menschlicher Beobachter platziert. Um die verschränkten Photonen für das Auge des Beobachters wahrnehmbar zu machen, werden sie verstärkt. Dies geschieht durch eine Verschiebung des Phasenraums mithilfe eines Lasers.
Ob der menschliche Beobachter tatsächlich verschränkte Photonen beobachtet, ergibt sich erst durch die Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten. Das Experiment muss sehr oft wiederholt und die gewonnenen Daten statistisch ausgewertet werden.
Herausforderungen
Die Durchführung des Experiments ist eine Herausforderung, da das menschliche Auge bei der Zählung von schwachen Lichtimpulsen etwa eine Milliarde Mal langsamer ist als moderne Photonen-Detektoren.
Sangouard erklärt: »Nach einer ersten Schätzung sind mehrere Hunderttausend Durchläufe nötig, bis wir genügend Daten haben, um zu wissen, ob wir tatsächlich verschränkte Photonen beobachtet haben.«
Mögliche Auswirkungen
Gelingt das Experiment, wäre der Beweis erbracht, dass das menschliche Auge Quantenverschränkung direkt wahrnehmen kann und somit das leistet, wofür bisher komplizierte und teure Detektoren erforderlich sind.
Die Wissenschaft arbeitet gegenwärtig daran, das Prinzip der Verschränkung für den Bau sicherer digitaler Kommunikationsverbindungen oder für Quantencomputer zu nutzen.
Photonen mit negativer Zeitdauer
Forschende um Aephraim M. Steinberg von der University of Toronto haben nachgewiesen, dass Photonen eine negative Zeitdauer in einer Atomwolke verbringen können.
In ihren Experimenten schossen sie einzelne Photonen durch ultrakalte Rubidiumatome und stellten fest, dass die Photonen die Rubidiumatome trotzdem anregten, selbst wenn sie sich ungehindert durch die Atomwolke bewegten.
Die Forschenden stellten fest, dass die Zeitspanne, in der die Photonen von Atomen absorbiert wurden, negativ sein kann. Laut den Wissenschaftlern entspricht diese Dauer immer der Zeit, um die ein Lichtstrahl bei seiner Reise durch die Atomwolke verzögert wird. Wenn die Gruppengeschwindigkeit der Photonen im Medium schneller als die Lichtgeschwindigkeit ist, ist diese Verzögerung negativ.
Die Beobachtungen zeigen, dass die negative Laufzeit eine physikalisch sinnvolle Größe ist. Damit haben die Forschenden erstmals eine physikalische Größe gefunden, die mit einer negativen Zeitdauer assoziiert wird.
Quantensensorik und -bildgebung
Quantensensorik nutzt Prinzipien der Quantenmechanik für präziseste Messungen kleinster Magnetfelder und anderer physikalischer Größen. Ein zentrales Konzept ist der Elektronenspin, der durch äußere Magnetfelder beeinflusst werden kann.
Die Quantenbildgebung nutzt verschränkte Photonen, um bislang Unsichtbares sichtbar zu machen.
Diese Technologien können in der medizinischen Diagnostik und der industriellen Materialprüfung eingesetzt werden.
Nobelpreis für Physik 2022
Der Nobelpreis für Physik 2022 wurde an John Clauser, Alain Aspect und Anton Zeilinger für ihre Beiträge zur experimentellen Erforschung der Quantenverschränkung und ihrer praktischen Nutzung verliehen.
Clauser und Aspect entwickelten einen Test für die Verschränkung von Photonen. Zeilinger löste ein grundlegendes Problem der Quantenkommunikation mit der Quanten-Teleportation.
Ihre Arbeit hat die Grundlage dafür gelegt, dass Quantentechnologien praktisch nutzbar geworden sind.
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