Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, von der in Deutschland etwa 600.000 Menschen betroffen sind. Charakteristisch sind wiederholte Krampfanfälle, die durch unkontrollierte elektrische Aktivität im Gehirn verursacht werden. Während viele Epilepsieformen medikamentös gut behandelt werden können, gibt es einen erheblichen Anteil von Patient:innen, bei denen Medikamente keine ausreichende Anfallskontrolle ermöglichen. In solchen Fällen, bei denen eine sogenannte pharmakoresistente Epilepsie vorliegt, kann eine Gehirnoperation eine vielversprechende Behandlungsoption darstellen.
Wann ist eine Operation bei Epilepsie sinnvoll?
Nicht jede:r Epilepsiepatient:in kommt für eine Operation in Frage. Eine Operation wird in Erwägung gezogen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- Pharmakoresistenz: Trotz verschiedener Medikamente und Dosierungen kommt es weiterhin zu Anfällen. Etwa ein Drittel der Patient:innen mit Epilepsie lassen sich die Anfälle nicht mit Medikamenten oder anderen nicht-invasiven Methoden beseitigen.
- Fokale Epilepsie: Die Anfälle gehen von einem klar abgrenzbaren Bereich im Gehirn aus, dem sogenannten Anfallsfokus. Eine umschriebene Fehlentwicklung der Großhirnrinde verursacht die epileptischen Anfälle.
- Operabilität: Der Anfallsfokus kann operativ entfernt oder behandelt werden, ohne wichtige Hirnfunktionen zu gefährden.
Ziele der Epilepsiechirurgie
Das Hauptziel der Epilepsiechirurgie ist es, Anfallsfreiheit zu erreichen oder die Anfallshäufigkeit und -schwere deutlich zu reduzieren. Gleichzeitig sollen wichtige Funktionen des Gehirns wie Sprache, Bewegung oder Sehen bestmöglich erhalten bleiben.
Diagnostik vor einer Epilepsieoperation
Vor einer Epilepsieoperation ist eine umfassende Diagnostik erforderlich, um den Anfallsfokus genau zu lokalisieren und die Operabilität zu prüfen. Dazu gehören:
- Magnetresonanztomographie (MRT): Bildgebendes Verfahren, um strukturelle Veränderungen im Gehirn zu erkennen, die Anfälle auslösen können. Besonders wichtig ist das hochauflösende MRT, das kleinste Auffälligkeiten sichtbar macht, wie etwa Narben oder Fehlbildungen.
- Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT): Identifiziert Hirnareale, die für Funktionen wie Sprache oder Bewegung zuständig sind.
- Video-EEG-Monitoring: Analyse der Hirnaktivität während eines Anfalls über mehrere Tage. Hierbei werden die Hirnstromwellen über mehrere Tage kontinuierlich aufgezeichnet, während die Betroffenen gleichzeitig per Video überwacht werden.
- Neuropsychologische Untersuchung: Detailliertes Bild der geistigen Fähigkeiten, um Schwächen und Stärken in Bereichen wie Gedächtnis oder Aufmerksamkeit festzustellen.
- SPECT/PET: Die Stoffwechselaktivität, welche während eines Anfalles erhöht und zwischen den Anfällen erniedrigt ist, lässt sich durch die SPECT/PET mittels schwach radioaktiven Stoffen bildgebend nachweisen.
- Invasive Diagnostik: Falls die nicht-invasiven Methoden kein klares Ergebnis liefern, kann eine invasive Diagnostik erforderlich sein. Dabei bringen die Chirurg:innen Elektroden operativ in das Gehirn ein, um die epileptischen Regionen genauer zu erfassen. Tiefenelektroden/ Kortikale Elektrostimulation zur prächirurgischen Diagnostik bei Patienten mit persistierenden Anfällen trotz medikamentöser Therapie ohne konkordante Hinweise aus der bildgebenden Diagnostik.
- WADA-Test: Zur Prüfung der Seitendominanz von Sprachfunktion erfolgt über eine Darstellung der Blutgefäße mittels einer sogenannten Angiographie die Verabreichung eines Medikaments, welche die eine Gehirnhälfte betäubt. Somit kann festgestellt werden, welche Gehirnhälfte die dominante Seite ist. Dieser Test wird in seltenen Fällen vor epilepsiechirurgischen Eingriffen, zur Planung durchgeführt.
Verschiedene Operationsverfahren bei Epilepsie
Es gibt verschiedene Operationsverfahren, die je nach Lage und Art des Anfallsfokus eingesetzt werden:
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- Resektive Verfahren:
- Temporale Lobektomie: Entfernung von Teilen des Schläfenlappens (Temporallappen), häufig kombiniert mit der Entfernung der Amygdala und des Hippocampus. Bei den häufigen mesialen Temporallappenepilepsien erfolgt eine selektive Amygdala-Hippokampektomie, das heißt, es wird über einen transtemporalen, transsylvischen oder subtemporalen Zugang der mesiale Temporallappen dargestellt, und der Ncl. amygdalae sowie der Hippokampuskopf und -körper und der zugeordnete Anteil des Gyrus parahippocampalis werden reseziert. Dieser selektive Eingriff hat vor allem bei Epilepsien in der sprachdominanten Hemisphäre den Vorteil, dass potenziell noch funktionstragende Areale des temporopolaren und weiter temporolateralen Neokortex geschont werden können.
- Extratemporale Resektion: Entfernung des Anfallsfokus außerhalb des Schläfenlappens. Bei sämtlichen monofokalen, läsionellen, neokortikalen Epilepsien wird eine erweiterte Läsionektomie durchgeführt, das heißt, man entfernt die epileptogene Läsion plus einen mutmaßlich epileptogenen Randsaum makrostrukturell unauffällig erscheinenden Gewebes.
- Topektomie oder Tailored Läsionektomie: Maßgeschneiderte Entfernung einer bestimmten erkrankten Hirnregion, in der durch die EEG-Ableitung der Anfallsursprung nachgewiesen wurde.
- Lobektomie: Entfernung eines Gehirnlappens bzw. eines Teils davon.
- Funktionelle Hemisphärektomie/Hemisphärotomie: Bei großflächigen Schädigungen einer Hirnhälfte, die oft seit der Kindheit bestehen, trennen die Chirurg:innen das betroffene Areal vom restlichen Gehirn ab. Komplette Diskonnektion einer Großhirnhemisphäre mit selektiver, vor allem zum Zweck des besseren Zugangs vorgesehener temporaler Resektion bei streng monohemisphärischen Epilepsien mit Funktionsverlust der betroffenen Hemisphäre (z. Bsp. bei der Rasmussen-Enzephalitis).
- Diskonnektionsverfahren:
- Kallosotomie: Durchtrennung des Corpus callosum, um die Ausbreitung von Anfällen zwischen den Hirnhälften zu verhindern. Als palliative epilepsiechirurgische Eingriffe sind vor allem die Kallosotomie (nicht resektive, selektive Durchtrennung des Corpus callosum bei nicht lokalisierbarer bzw. nicht lateralisierbarer Epilepsie mit dominierenden Sturzanfällen).
- Multiple Subpiale Transektionen (MST): Nicht resektive flächenhafte, vertikale Kortexdurchtrennungen in Abständen von wenigen Millimetern. Die MST sollen die Anfallsausbreitung über die horizontalen kortikalen Fasern unterbinden und zugleich die funktionstragenden vertikalen Kolumnen weitgehend erhalten. Somit können MST auch in eloquenten Arealen durchgeführt werden, unter Umständen (und dann in kurativer Absicht) in Kombination mit Teilresektionen bei partieller Überschneidung von epileptogenen und eloquenten Arealen.
- Stimulationsverfahren:
- Vagusnerv-Stimulation (VNS): Ein batteriebetriebener Taktgeber wird unterhalb des linken Schlüsselbeins unter die Haut operiert. Ein ebenfalls unter der Haut liegendes Kabel wird dann zum linken Vagus-Nerv am Hals geführt und über Kontakte mit diesem verbunden. Die Stimulation erfolgt nicht kontinuierlich, sondern in der Regel in Intervallen, z.B. alle 5 min für 30 sec. Während der Stimulation berichten manche Patienten über Heiserkeit, Hustenreiz und Missempfindungen („Summen im Körper“).
- Tiefe Hirnstimulation (THS): Bei der THS werden in der Regel zwei (beidseitige Stimulation) Elektroden symmetrisch stereotaktisch in tiefe Bereiche des Gehirns platziert. Diese Bereiche werden elektrisch stimuliert und dadurch kann eine Verminderung der Anfallsaktivität erzielt werden.
Minimal-invasive Verfahren
- Stereotaktische Laser-Thermotherapie (LITT): Bei diesem Eingriff wird eine Lasersonde über eine nur wenige Millimeter große Öffnung der Schädeldecke in den erkrankten, zentralen Hirnbereich eingeführt, der Tumor überhitzt und so verödet. Am Universitätsklinikum Freiburg setzten Ärzt*innen das Verfahren nun erstmals im MRT ein. „Ziel des sogenannten LITT-Eingriffs ist es, gleichzeitig besonders präzise und minimal invasiv die Stelle im Gehirn auszuschalten, die den epileptischen Anfall auslöst“, sagt Prof. Dr. Andreas Schulze-Bonhage, Leiter des Epilepsiezentrums des Universitätsklinikums Freiburg.
Ablauf einer Epilepsieoperation
- Prächirurgische Diagnostik: Umfassende Untersuchungen zur Lokalisation des Anfallsfokus und zur Operationsplanung.
- Fallbesprechung: Ein interdisziplinäres Team legt die bestmögliche Behandlungsstrategie fest.
- Operativer Eingriff: Durchführung durch erfahrene Neurochirurg:innen unter Anwendung modernster Technologien wie Neuronavigation und intraoperatives Neuromonitoring.
- Postoperative Betreuung: Engmaschige Überwachung der neurologischen Funktionen und Anpassung der medikamentösen Therapie.
Erfolgsaussichten und Risiken
Die Erfolgsaussichten einer Epilepsieoperation hängen von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere von der Art der Epilepsie, der Lokalisation des Anfallsfokus und dem Vorhandensein struktureller Veränderungen im Gehirn.
- Anfallsfreiheit: Studien zeigen, dass bei einem Großteil der Patient:innen nach einer Epilepsieoperation Anfallsfreiheit erreicht werden kann. Eine Langzeitstudie des Universitätsklinikums Freiburg zeigt nun, dass selbst zwölf Jahre nach der Operation etwa zwei Drittel der Patienten anfallsfrei blieben, die an einer sogenannten fokalen kortikalen Dysplasie (FCD) litten. 72 Prozent der Patienten hatten ein Jahr nach der Operation keine Anfälle mehr. Nach zwei Jahren waren es noch 68 Prozent und nach fünf Jahren 66 Prozent.
- Reduktion der Anfallshäufigkeit: Auch wenn keine vollständige Anfallsfreiheit erreicht wird, kann die Operation die Anfallshäufigkeit und -schwere deutlich reduzieren.
- Medikamentenreduktion: Viele Patient:innen können nach der Operation ihre Medikamente reduzieren oder sogar ganz absetzen. Von den Patienten, die nach der Operation anfallsfrei waren, konnten 67 Prozent teilweise oder sogar ganz auf eine zusätzliche medikamentöse Epilepsie-Therapie verzichten.
- Alter des Patienten: Patienten unter 18 Jahren zeigten in der Studie deutlich bessere Chancen auf eine Anfallsfreiheit als ältere Patienten.
Wie bei jeder Operation gibt es auch bei der Epilepsiechirurgie Risiken. Dazu gehören:
- Neurologische Defizite: Beeinträchtigung von Funktionen wie Sprache, Bewegung oder Gedächtnis.
- Infektionen: Entzündungen im Operationsgebiet.
- Blutungen: Nachblutungen im Gehirn.
Moderne operative Techniken und eine sorgfältige Operationsplanung tragen dazu bei, die Risiken zu minimieren.
Epilepsiezentrum Bonn
Die enge Zusammenarbeit in der Betreuung von epilepsiechirurgischen Patienten durch die Kliniken für Epileptologie und Neurochirurgie setzt Maßstäbe. Aufgrund dieser interdisziplinären Zusammenarbeit ist in Bonn in den letzten zwei Jahrzehnten eines der weltweit größten Epilepsiechirurgischen Zentren entstanden und gewachsen. Mittlerweile blicken wir auf die Erfahrung von über 3000 Operationen bei Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie zurück.
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