Die gemischt axonal demyelinisierende Polyneuropathie ist eine komplexe neurologische Erkrankung, die sowohl die Axone (Nervenfasern) als auch die Myelinscheide (isolierende Schicht um die Nervenfaser) betrifft. Diese doppelte Schädigung führt zu einer Vielzahl von Symptomen und erfordert eine sorgfältige Diagnose, um die zugrunde liegende Ursache zu identifizieren und eine geeignete Behandlung einzuleiten.
Was ist eine Polyneuropathie?
Polyneuropathien sind eine Gruppe von Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Dabei nehmen Nerven, die sich außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks befinden (sogenannte periphere Nerven), Schaden. Dies beeinträchtigt die Reizweiterleitung in den Nervenbahnen, was in Missempfindungen, Sensibilitätsstörungen oder auch Schmerzen mündet.
Formen der Polyneuropathie
Je nach Ausprägung und Körperstelle, an dem die Nervenschäden auftreten, unterscheiden Ärzte:
- Symmetrische Polyneuropathien: Die Nervenschädigungen betreffen beide Körperhälften.
- Asymmetrische Polyneuropathien: Die Nervenschädigungen betreffen nur eine Körperseite.
- Distale Polyneuropathien: Die Schäden an den Nervenbahnen betreffen hauptsächlich Körperregionen, die vom Rumpf bzw. der Körpermitte entfernt liegen (bspw. Hände, Beine, Füße).
- Proximale Polyneuropathie: Eine seltene Form der Neuropathie, bei der sich die Erkrankung auf die rumpfnahen Körperteile beschränkt.
Ursachen einer gemischt axonal demyelinisierenden Polyneuropathie
Die Ursachen für eine gemischt axonal demyelinisierende Polyneuropathie sind vielfältig. In etwa 20% der Fälle bleibt die Ursache unklar. Hier sind einige der häufigsten Ursachen:
- Metabolische Ursachen:
- Diabetes mellitus: Ein erhöhter Blutzuckerspiegel kann die Nerven schädigen.
- Hepatopathie: Lebererkrankungen können zu Stoffwechselstörungen führen, die die Nerven beeinträchtigen.
- Urämie: Nierenerkrankungen können zu einer Anreicherung von Giftstoffen im Körper führen, die die Nerven schädigen.
- Hypothyreose: Eine Schilddrüsenunterfunktion kann den Stoffwechsel verlangsamen und die Nervenfunktion beeinträchtigen.
- Hyperurikämie: Ein erhöhter Harnsäurespiegel im Blut kann zu Entzündungen und Nervenschäden führen.
- Toxische Ursachen:
- Alkoholabusus: Chronischer Alkoholkonsum kann die Nerven direkt schädigen.
- Toxische Substanzen: Arsen, Blei, Thallium und Quecksilber können Nervenschäden verursachen.
- Medikamente: Chemotherapeutika (Cisplatin, Thalidomid, Vinblastin, Vincristin), Nitrofurantoin, Amiodaron und Penicillin können als Nebenwirkung eine Polyneuropathie auslösen.
- Vaskulitiden: Entzündungen der Blutgefäße können die Nervenversorgung beeinträchtigen.
- Kollagenosen: Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes oder rheumatoide Arthritis können Nervenschäden verursachen.
- Vitamin B12-Mangel: Ein Mangel an Vitamin B12 kann die Nervenfunktion beeinträchtigen.
- Paraneoplastische Syndrome: Krebserkrankungen können indirekt Nervenschäden verursachen.
- Critical-Illness-Polyneuropathie (CIP): Eine Polyneuropathie, die bei schwer kranken Patienten auf der Intensivstation auftritt.
- Hereditäre Polyneuropathien: Erbliche Neuropathien wie die hereditäre motorisch-sensible Neuropathie (HMSN).
- Infektiöse Ursachen: Borreliose, CMV, HIV, Hepatitis, FSME, Masern, Mononukleose und Mykoplasmen können Nervenschäden verursachen.
Symptome
Die Symptome einer gemischt axonal demyelinisierenden Polyneuropathie können vielfältig sein und hängen von den betroffenen Nerven und dem Ausmaß der Schädigung ab. Häufige Symptome sind:
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- Sensibilitätsstörungen:
- Hypästhesie (verminderte Empfindlichkeit)
- Parästhesien (Kribbeln, Ameisenlaufen, Brennen, Stechen)
- Pallhypästhesie oder Anästhesie (verminderte oder fehlende Vibrationsempfindung)
- Graphästhesie oder Anästhesie (verminderte oder fehlende Fähigkeit, auf der Haut geschriebene Zahlen oder Buchstaben zu erkennen)
- Hyperalgesie (erhöhte Schmerzempfindlichkeit), gefolgt von Hypalgesie oder Analgesie (verminderte oder fehlende Schmerzempfindlichkeit)
- Thermhypästhesie oder Anästhesie (verminderte oder fehlende Temperaturwahrnehmung)
- Gemindertes Spitz-Stumpf-Empfinden
- Beeinträchtigtes Lageempfinden
- Reduzierte Zwei-Punkte-Diskrimination
- Motorische Störungen:
- Meist symmetrische Paresen (Muskelschwäche), vorwiegend der kleinen Fußmuskeln
- Erschwerter Hackenstand
- Auch proximale Muskulatur kann betroffen sein
- Atrophien (Muskelschwund) der Muskulatur, insbesondere des M. extensor digitorum brevis
- Gelegentlich Schwerpunktsneuropathien mit besonderer Affektion einzelner Nerven
- Gangstörung und Gleichgewichtsstörung:
- Gangunsicherheit
- Ataxie (Koordinationsstörung)
- Erschwerter Einbeinstand
- Autonome Funktionsstörungen:
- Hydrosis (vermehrtes Schwitzen) oder trockene Haut
- Erektionsstörungen
- Blasenentleerungsstörungen
- Orthostatische Dysregulation (Schwindel beim Aufstehen)
- Weitere Symptome:
- Pelzigkeitsgefühl, Engegefühl (Manschetten)
- Gefühl auf Watte zu laufen
- Überempfindlichkeit auf Reize (Temperatur, Berührung, Schmerz)
- Schwindelgefühl beim Laufen
- Zunahme der Gangunsicherheit im Dunkeln
- Muskelkrämpfe (Crampi), häufig nachts in Ruhe
Diagnose
Die Diagnose einer gemischt axonal demyelinisierenden Polyneuropathie erfordert eine umfassende Untersuchung, um die Art und das Ausmaß der Nervenschädigung zu bestimmen und die zugrunde liegende Ursache zu identifizieren.
Anamnese
Der Arzt wird sich zunächst ausführlich mit Ihnen unterhalten, um Ihre Krankengeschichte zu erheben (Anamnese). Er lässt sich die Beschwerden genau schildern und fragt, wie lange sie schon bestehen. Außerdem erkundigt er sich nach eventuellen Vor- oder Grunderkrankungen (wie Diabetes, Nierenerkrankungen, Unterfunktion der Schilddrüse etc.).
Ihre behandelnde Ärztin oder Ihr behandelnder Arzt stellt Ihnen folgende oder ähnliche Fragen im Erstgespräch:
- Seit wann bestehen die Nervenschmerzen
- Seit wann bestehen die Empfindungsstörungen?
- Treten die Beschwerden gleichzeitig auf?
- Leiden Sie an Vorerkrankungen?
- Welche Medikamente haben Sie zuletzt zu sich genommen?
- Sind Sie mit giftigen Substanzen in Kontakt gekommen?
- Traten bei anderen Familienmitgliedern ähnliche Beschwerden auf?
- Haben sich das Kribbeln, die Missempfindungen oder Schmerzen in letzter Zeit verschlechtert?
Wichtig ist, dass Sie Ihrer behandelnden Ärztin oder Ihrem behandelnden Arzt in einem solchen Gespräch alle Medikamente, die sie einnehmen, nennen. Auch ob Sie möglicherweise mit Giftstoffen in Berührung gekommen sind - beispielsweise am Arbeitsplatz.
Zur Abklärung einer Polyneuropathie sind zudem Angaben zu Drogen- und Alkoholkonsum wichtig. Auf entsprechende Fragen sollten Sie Ihren Ärzten daher offen und ehrlich antworten. Nur so können sie die richtige Ursache für die Nervenstörungen herausfinden.
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Körperliche und neurologische Untersuchung
Im Anschluss an das Gespräch wird Sie der Arzt körperlich untersuchen. Dabei testet er zum Beispiel Ihre Reflexe (wie den Achillessehnenreflex, der als erster schwächer wird). Er prüft auch, ob Ihre Pupillen richtig auf einfallendes Licht reagieren.
Auch auf mögliche Fehlbildungen des Skeletts (Deformitäten) achtet der Arzt. Beispielsweise können Krallenzehen und Hohlfuß ein Hinweis sein, dass die Polyneuropathie erblich bedingt ist.
Die neurologische Untersuchung umfasst:
- Differenzierte Sensibilitätsprüfung: Inklusive Lageempfinden.
- Muskelfunktionsprüfung: Insbesondere Paresen der Fuß- und Zehenextension und -flexion. Auch Prüfung proximaler Muskelgruppen! Aufstehen aus der Hocke.
- Inspektion: Muskelatrophien, Muskelumfangsmessung, Fußdeformitäten.
- Muskeleigenreflexe: Abschwächung?
Elektrophysiologische Diagnostik
- Nervenleitgeschwindigkeitsmessung (NLG): Messung der Nervenleitgeschwindigkeit von Nervus peronaeus, Nervus tibialis (mit F-Wellen) und Nervus suralis. Bei der Polyneuropathie ist diese Nervenleitgeschwindigkeit meist herabgesetzt.
- Elektromyographie (EMG): Untersuchung der elektrischen Muskelaktivität. Bei motorischen Störungen wie Muskelschwäche oder Muskellähmung lässt sich so herausfinden, ob das Problem beim Muskel selbst oder aber bei den ihn versorgenden Nerven liegt. Ergibt die EMG, dass die Nervenfunktion gestört ist, spricht das für eine Polyneuropathie.
- Chronische Denervierung: Erhöhte Muskelsummenaktionspotentiale, erhöhte Polyphasierate, Faszikulationen, komple-repetitive Entladungen.
- Floride Denervierung: Spontanaktivität mit positiven scharfen Wellen, Fibrillationen.
- Das Auftreten hängt vom Verlauf ab.
- Evozierte Potentiale: Abhängig von der Lokalisation der Symptomatik (Tibialis- oder Peronaeus-SEP, Medianus- oder Ulnaris-SEP).
- Herzfrequenzvarianzanalyse
- Sympathischer Hautreflex
- Quantitativ sensorische Testung (QST): Insbesondere bei Verdacht auf Small-fibre Polyneuropathie. Bei der quantitativen sensorischen Untersuchung prüft der Arzt, wie ein Nerv auf bestimmte Reize wie Druck oder Temperatur reagiert. So lässt sich feststellen, ob die Empfindlichkeit des Nervs beeinträchtigt ist - wie bei einer Polyneuropathie. Auf diese Weise lässt sich eine Nervenschädigung also gut nachweisen. Die Untersuchung ist allerdings sehr zeitaufwändig. Zudem muss sich der Patient dabei gut konzentrieren und mitarbeiten. Deshalb wird die Methode nicht routinemäßig zur Abklärung einer Polyneuropathie angewendet.
Laboruntersuchungen
Blutuntersuchungen dienen vor allem dazu, häufige und behandelbare Ursachen der Nervenschädigung zu erkennen. Polyneuropathie ist nicht direkt im Blut nachweisbar. Allerdings können (seltenere) Ursachen bei entsprechendem Verdacht anhand bestimmter Laborwerte aufgedeckt werden.
Einige Beispiele für solche Labortests bei Polyneuropathie sind:
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- Erhöhte Entzündungswerte (wie CRP, weiße Blutkörperchen etc.) können auf eine entzündliche Ursache der Nervenschäden hindeuten.
- Ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) zeigt an, wie gut der Körper Zucker verarbeiten kann. Auffällige Testergebnisse können auf einen noch unentdeckten Diabetes (oder eine Vorstufe davon) hinweisen. Auch der Nüchternblutzucker ist hierbei sehr aussagekräftig.
- Bei bekannter Zuckerkrankheit ist vor allem der HbA1c-Wert ("Langzeitblutzucker") wichtig: Er zeigt an, wie gut der Diabetes in den letzten Monaten eingestellt war.
- Der Vitamin-B12-Status wird gemessen, um zu prüfen, ob eventuell ein Mangel besteht.
- Liegen die Leber- oder Nierenwerte außerhalb der Norm, wird die Polyneuropathie möglicherweise durch eine Leber- oder Nierenerkrankung verursacht. Dabei können Leberschäden auch durch Alkoholmissbrauch verursacht sein.
- Besteht der Verdacht, dass eine bestimmte Infektionskrankheit die Polyneuropathie verursacht, sind spezielle Blutuntersuchungen sinnvoll. Beispielsweise lässt sich eine vermutete Borreliose abklären, indem man im Blut des Patienten nach Antikörpern gegen die auslösenden Bakterien (Borrelien) fahndet.
- Eine genetische Untersuchung ist angezeigt, wenn es in einer Familie mehrere Fälle von Polyneuropathie gibt. Dann liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine erblich bedingte Nervenschädigung handelt.
Das Gleiche gilt, wenn der Patient bestimmte Fehlstellungen des Fußes (Krallenzehen, Hohlfuß) oder andere Fehlbildungen des Skeletts (wie Skoliose) aufweist. Sie sind typisch für eine erblich bedingte Polyneuropathie. Der Arzt kann dann das Erbgut des Patienten auf entsprechende Veränderungen (Mutationen) untersuchen lassen.
Weitere Laboruntersuchungen:
- Eventuell Liquordiagnostik (Untersuchung des Nervenwassers)
- Eventuell 24h Urin (bei V.a. Intoxikation, Porphyrie)
Weitere Untersuchungen
- Nervenbiopsie: In ausgewählten Fällen kann eine Nervenbiopsie durchgeführt werden, um das Nervengewebe genauer zu untersuchen. Eine Nervenbiopsie wird über einen kleinen Hautschnitt eine winzige Probe des Nervengewebes entnommen. Die Gewebeprobe wird anschließend unter dem Mikroskop begutachtet. Diese Untersuchung wird aber nur in ganz bestimmten Fällen durchgeführt. Sie kann zum Beispiel bei Diabetikern notwendig sein, bei denen nur Nerven auf einer Körperseite geschädigt sind (asymmetrische diabetische Polyneuropathie). Auch wenn der Arzt Lepra als Ursache der Nervenschädigung vermutet, kann er eine Nervenbiopsie durchführen.
- Hautbiopsie: Ebenfalls nur in ausgewählten Fällen wird eine Hautbiopsie durchgeführt. Dabei wird ein winziges Stück Haut ausgestanzt (etwa am Unterschenkel) und genau untersucht.
Therapie
Die Therapie einer gemischt axonal demyelinisierenden Polyneuropathie zielt darauf ab, die zugrunde liegende Ursache zu behandeln, die Symptome zu lindern und die Nervenfunktion zu verbessern.
Behandlung der Ursache
Die Behandlung der Grunderkrankung ist entscheidend für den Erfolg der Therapie. Beispiele hierfür sind:
- Diabetes mellitus: Optimale Blutzuckereinstellung
- Alkoholabusus: Alkoholentzug
- Vitamin B12-Mangel: Vitamin B12-Substitution
- Schilddrüsenunterfunktion: Hormonersatztherapie
- Infektionen: Antibiotische oder antivirale Therapie
- Vaskulitiden/Kollagenosen: Immunsuppressive Therapie
Symptomatische Therapie
Die symptomatische Therapie konzentriert sich auf die Linderung der Beschwerden und die Verbesserung der Lebensqualität.
- Schmerztherapie: Medikamente gegen neuropathische Schmerzen (z.B. Gabapentin, Pregabalin, Amitriptylin)
- Physiotherapie: Verbesserung der Muskelkraft und Koordination
- Ergotherapie: Anpassung des Alltags an die Einschränkungen
- Orthopädische Hilfsmittel: Fußheberorthesen, Gehhilfen
- Behandlung autonomer Störungen: Medikamente gegen Erektionsstörungen, Blasenentleerungsstörungen, orthostatische Dysregulation
Immuntherapie
Bei immunvermittelten Polyneuropathien können immunmodulierende Therapien eingesetzt werden:
- Intravenöse Immunglobuline (IVIG): Gabe von Antikörpern zur Modulation des Immunsystems
- Kortikosteroide: Entzündungshemmende Wirkung
- Plasmapherese: Entfernung von Antikörpern aus dem Blut
- Immunsuppressiva: Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems (z.B. Azathioprin, Ciclosporin, Mycophenolat-Mofetil, Rituximab)
Therapie der CIDP
Bei der gesicherten CIDP sind wirksame Therapien die immunmodulatorische Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG), Glukokortikosteroiden (GS) und Plasmaaustauschverfahren, die in prospektiven und kontrollierten Studien Ansprechraten von ca. 50 - 75 % aufweisen konnten. Die Wahl der geeigneten Therapie hängt in erster Linie von der Gesamtsituation des Patienten ab. Bei Versagen dieser Therapien kommen auch immunsuppressive Medikamente wie Azathioprin, Methotrexat, Mycophenolat Mofetil, Ciclosporin A in Betracht. Unter Umständen kommen auch therapeutische Antikörper, wie z.B.
Verlauf und Prognose
Der Verlauf und die Prognose einer gemischt axonal demyelinisierenden Polyneuropathie hängen von der Ursache, dem Ausmaß der Nervenschädigung und dem Ansprechen auf die Therapie ab. Einige Polyneuropathien sind gut behandelbar und können zu einer vollständigen oder teilweisen Genesung führen. Andere Polyneuropathien sind chronisch und fortschreitend, wobei die Symptome im Laufe der Zeit zunehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch dazu beitragen, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen und die Lebensqualität zu verbessern.
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